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Wie rechtspopulistisch wählt Europa? Teil 1 | Themen | bpb.de

Wie rechtspopulistisch wählt Europa? Teil 1

Rechtspopulistische Parteien seien momentan im Aufwind, sagt Tim Spier, Politikwissenschaftler an der Universität Siegen. Er erklärt, wer hauptsächlich rechtspopulistische Parteien wählt - und warum gerade jüngere Wähler für die Ansprache solcher Parteien anfällig sind.

QuellentextWie rechtspopulistisch wählt Europa? Interview mit Prof. Dr. Tim Spier, Politikwissenschaftler an der Universität Siegen.

Teil 1

Welche Rolle werden bei der kommenden Europawahl rechtspopulistische Parteien Ihrer Meinung nach spielen?

Prognosen sind immer schwierig. Das ist sicherlich eine Sache, die wir erst mal abwarten müssen. Aber grundsätzlich ist es so, dass rechtspopulistische Parteien momentan im Aufwind sind – das kann man ganz deutlich sagen. Das hängt natürlich noch zusammen mit den aktuellen Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise, ist andererseits aber auch Teil eines längerfristigeren Trends: Seit den 1980er Jahren erleben wir, dass rechtspopulistische Parteien in den europäischen Ländern – vor allem in den westeuropäischen, aber auch in Osteuropa – einen quasi wellenförmigen Aufwärtstrend entgegenkommen. Deswegen sind 17 oder 18 Prozent europaweit sicherlich keine falsche Hausmarke.

Wo sehen Sie den Unterschied zwischen rechtspopulistischen und -extremistischen Parteien?

Ich bin eigentlich kein Freund davon, zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus zu unterscheiden, weil ich glaube, dass es eine gleitende Unterscheidung, im Grad der Radikalität einer Partei ist, weniger eine kategoriale Unterscheidung zwischen das sind Extremisten, das sind Populisten. Es gibt auch in den wenigsten Ländern eine Definition, wo man sagen könnte: Das ist Extremismus. Wir haben in Deutschland eine solche Definition, die mit Parteiverboten zusammenhängt – das kennen wir in anderen Ländern nicht. Wenn man sich das anschaut: Der Front National war bis vor wenigen Jahren vielleicht wesentlich extremer als die NPD bei uns. Trotzdem würde man hier ganz eindeutig sagen: Die NPD ist eine extremistische Partei. Aber um zum Kern ihrer Frage zu kommen: Es ist natürlich in der Tat so, dass etwas gemäßigtere rechtspopulistische Parteien, die nicht so ganz radikal auftreten und nicht ganz so extrem, bessere Chancen haben, in breite Teile der Wählerbevölkerung einzudringen und dann natürlich bessere Wahlergebnisse zu bekommen.

Wer wählt rechtspopulistische Parteien?

Das sind psychologische Mechanismen, die bei den Wählern derartiger Parteien funktionieren. Ich spreche gerne von "Modernisierungsverlierern". Das ist ein plakativer Begriff, aber ich glaube, er bringt es auf den Punkt. Personen, die sozial benachteiligt sind, ganz allgemein, leiden unter bestimmten psychologischen Problemen, das heißt sie sind frustriert aufgrund ihrer eigenen ökonomischen Situation - und das wandelt sich sehr gerne in Aggression um. Und Aggression wird gerade von diesen Rechtspopulisten geschürt. Das heißt, dadurch dass man einfacher Feindbilder erzeugt, spricht man diese latente Aggression durchaus an. Das hängt auch mit Statusängsten zusammen, das heißt dass man glaubt, dass es einem schlechter gehen könnte in der Zukunft, oder dass es einem tatsächlich im Augenblick schlecht geht. Und das alles ist Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten, die genau diese psychologische Gemengelage bei vielen sozial benachteiligten Personen ansprechen. Und dadurch werden sie zu einer großen Gruppe von Wählern der Rechtspopulisten. Es ist nicht die einzige, es gibt auch wirklich die reichen Leute, die aus irgendwelchen chauvinistischen Gründen tatsächlich Rechtspopulisten wählen. Aber der Kern der Wählerschaft von Rechtspopulisten in Europa ist mittlerweile eine breite Schicht von "Modernisierungsverlierern", wie man das nennen könnte.

Handelt es sich dabei hauptsächlich um Protestwähler?

Es sind sicherlich nicht nur ausschließlich Protestwähler, aber Protest ist tatsächlich ein zentrales Element. Das heißt: W ir haben bestimmte Dispositionen, bestimmte Anlagen bei einem Teil der Bevölkerung, die es wahrscheinlicher machen, dass man Rechtspopulisten wählt. Aber was da hinzu kommen muss, quasi als Katalysator, ist eine hohe politische Unzufriedenheit. Und die wird natürlich auch von einer aktuellen Tageslage mitbestimmt, das heißt politische Unzufriedenheit, Protest kommt hinzu. Es ist aber nicht nur eine Proteststimme. Es ist natürlich ein Denkzettel für die etablierten Parteien, aber es würde jetzt nicht jeder Wähler auf die Idee kommen, deswegen eine rechtspopulistische Partei zu wählen. Sondern da müssen bestimmte Dinge hinzukommen, bestimmte ideologische Ausrichtungen in der Wählerschaft, bestimmte Einstellungen: Das ist natürlich eine latente Ausländerfeindlichkeit, das ist vielleicht ein übersteigerter Nationalismus, überhaupt eine nationalistische Tendenz. Auch eine autoritäre Einstellung, dass man Recht und Ordnung für besonders wichtig hält, dass man Sicherheit über alles stellt. Das sind so typische Einstellungen bei den potenziellen Wählern rechtspopulistischer Parteien, die dann durch politische Unzufriedenheit aktiviert werden und sich in einer Wahl derartiger Parteien umsetzen.

Warum sind gerade jüngere Wähler für die Ansprache rechtspopulistischer Parteien anfällig?

Jüngere sind natürlich politisch ungebundener. Das heißt: Man wird nicht mit einer Parteibindung geboren, sondern da wächst man hinein, wird politisch reinsozialisiert. Und natürlich ist es so, dass diese jüngeren Generationen nicht mehr in diese alten, etablierten Parteimilieus sozialisiert wurden, das heißt wesentlich ungebundener sind, sich von Zeit zu Zeit entscheiden und deswegen besser angesprochen werden können von Rechtspopulisten. Hinzu kommt noch ein Phänomen, das vor allem junge Männer betrifft. Junge Männer sind die Kern-Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien. Und das hängt auch damit zusammen, dass man bei ihnen diese latente Aggressivität und die Probleme vorfindet. Kurz gesprochen: dass man unter jungen Männern viel, viel mehr Modernisierungsverlierer findet: Leute, die mit ihrer Ausbildung nicht klar gekommen sind, die keine Berufsperspektiven haben. Das sind vor allem junge Männer, die damit nicht klar kommen, die das nicht kompensieren können. Das sieht man auch bei anderen Phänomenen: Die Ausländerfeindlichkeit bei jungen Männern ist viel höher, die Unzufriedenheit, insgesamt die Radikalität im Auftreten. Insofern sind junge, aber vor allem auch junge Männer, eine starke Zielgruppe von Rechtspopulisten.

Fussnoten