Der Rock and Roller und die Schönheitskönigin: Zwei re:publica-Panels über Künstler-Geschäftsmodelle
Ein KommentarZu Beginn des re:publica-12-Panels des Hamburger Labels Audiolith wird erst mal eine Flasche Champagner geköpft. Die Stühle vor der Bühne 6 sind schon restlos besetzt. Ob Henry Witt, Sänger der Band Supershirt (er ist der Star der Veranstaltung), das freut, ist ihm nicht anzusehen — seine Augen verbirgt eine Sonnenbrille. Schampuslaune, Coolness: Hier werden auf ironische Weise Erwartungen an Musiker bedient.
Das Panel, bei dem der Musiker als „Gläserner Künstler“ vorgestellt wird — seine Einkünfte wie Ausgaben werden offengelegt -, gerät dann auch zu einer Theaterfassung des Musik-Business, wie manch einer es sich vorstellt: Henry gibt den trinkfesten und tourerprobten Rock and Roller („Mit Zahlen kenne ich mich nicht aus“), seine Label-Kollegen erläutern ihr „360-Grad-Modell“ der Künstlerbetreuung. Hendrik Menzl, Supershirt-Bandmitglied und beim Label außerdem fürs Booking zuständig, zieht dabei das Zickzack der Kontobewegungen mit Händen in der Luft nach, als probte er eine Gymnastikübung. Kreativität und Geschäft werden von manchen, die sich in der Debatte ums Urheberrecht auf die Seite der Produzenten schlagen wollen, zu Gegensätzen erklärt — in dieser Transparenz-Performance des kleinen Labels scheinen sie miteinander verschmolzen.
Nicole Sowade hat sich ebenfalls für ihren re:publica-Auftritt verkleidet, als Schönheitskönigin. Die Berlinerin, Autorin im Nebenberuf, hat sich eine Scherpe um den Oberkörper geschlugen, darauf steht „Miss Januar“, der Titel ihres als Kindle-Edition selbst verlegten Ebooks. „Unterhaltungsliteratur“ sei das, Werbung dafür auf Online-Partnerbörsen denkbar. Eine kleine Krone glitzert auf Nicole Sowades Kopf. In diesem Outfit gibt sie beim Panel „Was Autoren vom Self-Publishing erwarten können (und was nicht)“, dessen Sprecher Aufbruchstimmung verbreiten, Auskunft über ihr Engagement bei der Selbstvermarktung: eine eigene Website, natürlich, sowie Werbung via Facebook. Und ja, als Beauty-Queen ist sie nicht nur heute zum Spaß erschienen, damit sei sie über die Leipziger Buchmesse gelaufen. Man müsse als Selbstverlegerin bei der PR „kreativ“ sein, sagt sie.
Verbissene Debatte über Geschäftsmodelle
Spiegel Online hat zur Frage, wovon Musiker und andere aus der Branche leben, eine eigene Artikelserie laufen (Audiolith war dort schon Thema). Liest man sich die Kommentare zu den Auskünften im dazugehörigen Forum durch, begegnet man den aufbrausenden Emotionen, wie man sie von der Debatte übers Urheberrecht bereits kennt. Es werden meist Extrempositionen vertreten, die Diskussionskultur ist geprägt von Grenzüberschreitungen.Was jedoch auffällt, ist der Hass, der dort den Künstlern selbst gelegentlich entgegenschlägt. Es werden dann Karikaturen von drogensüchtigen und geldgierigen Faulpelzen gezeichnet, die jetzt, bedingt durch Einbrüche bei den Verkäufen, endlich bekämen, was sie verdienten. Die Karikatur des Rock and Rollers, die Henry Witt beim re:publica-Panel als Show aufführte, wird so ins Groteske getrieben. Man fragt sich, wie es zu diesen negativen Gefühlsausbrüchen kommt (zumindest scheinen sie anregend auf die Fantasie zu wirken).
Von der Selbstvermarktung zur Selbstausbeutung
An gut gemeinten Tipps zu neuen Geschäftsmodellen, gerichtet an Musiker und Autoren, mangelt es im Netz nicht. „Freemium“–Angebote werden dabei nahegelegt, Social Media sowieso. In die Ratschläge mischt sich aber beizeiten ein beunruhigender Ton. „Mach das so, wie wir sagen, sonst bist du bald weg vom Fenster!“, so oder ähnlich klingt das dann. Das Internet marschiere voran, ein jeder habe sich zu beeilen hinterherzukommen. „Wieso gehen offenbar viele Menschen davon aus, dass sich alles andere an das Netz anpassen muss?“, fragte dazu Johnny Häusler, selbst Verfasser eines Ebooks, in seinem Blog.Man könnte annehmen, dass sich die selbst erklärten Technikdeterministen, die so ruppig auftreten, bei den Umbrüchen des digitalen Wandels auf der Seite der Gewinner glauben, in einem zukunftssicheren Job. Oder handelt es sich dabei eher um Mitmenschen, die selbst in prekären Verhältnissen arbeiten und den Druck, den sie verspüren, an andere potenziell Überflüssige in der „Kreativwirtschaft“ weitergeben?
Bei der Verbissenheit, mit der debattiert wird, wirkt es wohltuend, mit wie viel Lässigkeit und Selbstironie die Musiker und Labelmitarbeiter von Audiolith ihr Business vorstellen. Für die Einnahmen, über die sie berichten, würde wohl mancher, dem Musiker und Künstler an sich als Nichtsnutze gelten, wohl nicht die Wohnung verlassen. „Übers Urheberrecht machen wir uns keine Gedanken“, sagen sie zum Abschluss provokativ, wohl schon aus Vorahnung, welche Richtung die sich anschließende Diskussion mit den re:publica-Besuchern nehmen könnte.
Nicole Sowade, die sich als selbst gekrönte Prinzessin in die neue elektronische Buchkultur wagte, hat es als Einzelkämpferin schwerer. Man mag ihr Erfolg wünschen und kann zugleich hoffen, dass ihre Bereitschaft zum Selbstmarketing nicht irgendwann als Zwang auf ihre Mitstreiter am Markt zurückwirkt. Denn eines ist gewiss: Bei den Debatten über neue Geschäftsmodelle und die Vermarktung bis zur Selbstausbeutung, ob frei oder unter Vertrag bei klassischen Unternehmen, hört die Industrie sehr aufmerksam zu. Man kann sich schon folgendes Verhandlungsgespräch vorstellen: „Ach so, Sie wollen also, dass wir Ihren Fantasy-Roman verlegen? Dann suchen sie sich schon mal ein passendes Gewand! Andere machen es ja auch.„