Eine kleine finanzielle Aufmerksamkeit
Der Mann auf der Bühne ist barfuß, aber "not down to earth at all", korrigiert Peter Sunde schnell Spekulationen aus dem Publikum. Vor einem Jahr stellte der schwedische Programmierer seine neue Micropayment-Plattform "flattr" auf der Re:publica vor. Sein Vortrag könnte daher auch unter der Überschrift "365 Tage später" laufen. Ähnlich wie der seines Vorredners Daniel Domscheit-Berg. Ohne das letzte (Wikileaks-)Jahr noch einmal nach vorne zu holen, präsentiert dieser den Stand der Dinge zur Entwicklung von Openleaks — und liefert mit dem Dank für die ersten 600-Euro-flattr-Spenden nebenbei die perfekte Überleitung.Im Unterschied zu 2010 ist der kleine grüne flattr-Button, der unten links an Posts auf nicht-kommerziellen Seiten wie kommerziellen klebt, kein Fremdkörper mehr. "Zumindest in Deutschland", sagt Peter Sunde und drängt mit flattr das einstige Label als "Piratebay-Macher" in den Hintergrund. Das Bezahl-Modell, das im Prinzip seit 2007 existiert, ist eigentlich schnell erklärt. Der Nutzer füllt sein Konto und verteilt diesen finanziellen Kuchen per Klick an seine Netzfavoriten. Wie groß der Beitrag ausfällt, wird am Monatsende abgerechnet. Diese Alternative zu bisherigen Bezahlmodellen funktioniert im Moment eher als kleiner Bonus zur Aufmerksamkeitswährung in Form von Likes, Tweets und Positivkommentaren.
"Flattr this!"
Nach der re:publica-Präsentation vor einem Jahr sei die Nutzung explodiert, berichtet Sunde. Angetrieben von deutschen Bloggerstars "Posterboys", wie Sunde sie nennt (> nachzulesen in den flattr-Charts). Obwohl zehn Prozent des Einsatzes als Gebühr an flattr geht, wiegelt er ab: "We do no business". Innerhalb kurzer Zeit, ergänzt er jedoch, sei die Mitarbeiterzahl von vier auf 13 gestiegen.Charming rennt Sunde durch einen kurzen historischen Abriss, bevor er die neuen und die kommenden Features verkündet. Der Blick zurück fördert auch das Problem von "eigentlich schnell erklärt" zu Tage. Die Aufgabe, die sie lösen müssen: "Alle finden es irgendwie cool. Aber keiner versteht es so richtig", erklärt er und zeigt zum Beweis das Video eines Bloggers, der bei seiner Erläuterung grandios scheitert.
Nun gibt es flattr-Seite neben Englisch auch frisch übersetzt in Deutsch, Spanisch und Französisch. Nicht nur damit macht er klar, was er erreichen will: Mehr. Mehr Macher, mehr Spender, mehr Gelder. Schon jetzt sind neben Klicks, anonyme Direktspenden (Donations) möglich. Ab Mai werde alles "flattr-bar". Tweets, Seiten, Dateien — die Integration in Mediaplayer soll folgen. Außerdem ist es möglich, sich auch außerhalb des Netzes per QR-Code beim Straßenmusiker zu bedanken. "Ist natürlich auch Marketing", lächelt Sunde.
"Flattr all!"
Zirka 100.000 Euro monatlich, überschlägt er zögerlich, würden zurzeit mit der Bezahl-Flatrate bewegt. In der Gewinnung neuer Nutzer wolle man "aggressiver werden". Das sieht bezogen auf die nächste Stufe "flattr all" so aus: Produzenten, Blogger, Filmemacher, müssen ihre Beiträge nicht mehr erst für flattr freischalten. Man kann auch Nicht-Mitglieder damit bedenken – einlösen können sie das allerdings erst, wenn sie einen eigenen Account anlegen. Alle, die sich so an der Distribution beteiligen, und das ist eine weitere Neuigkeit, erhalten einen Anteil an den eingehenden Gebühren. Als ein britischer Zuschauer fragt, wie sich flattr in Großbritannien, wo es bisher kaum genutzt werde, durchsetzen ließe, wiederholt Sunde seine Botschaft "Weitersagen, weitersagen, weitersagen".In den Fragen aus dem Publikum deuten sich aber auch Unsicherheiten an, die flattr begleiten: Wie werden die Geldströme bewacht? Kann es ausgenutzt, missbraucht werden? Wie lange bleiben die Spenden an Produzenten ohne Account in der Warteschleife? Inwieweit werden diese bedrängt? Gerät die nette Unterstützer-Idee doch noch zu einem regulären Bezahlmodell? Oder fördert es etwa marktorientierte Beiträge, Profitzuschnitt statt Kreativität/Kunst/journalistische Qualität? Punktum: Siegt am Ende das unförmige Monster namens Mainstream?
Auch in Deutschland läuft flattr bei Machern und Usern insoweit noch in der Testphase, das es unterschiedliche Intensitäten der Nutzung gibt . Einige Blogger beziehen bereits ein kleines, aber regelmäßig Zubrot darüber, während es auf Seiten von Verlagen noch die große Ausnahme ist. Wie beispielsweise bei der taz, die aber von stagnierenden Einnahmen auf einem recht niedrigen Niveau berichtet. Der Journalist und Blogger Richard Gutjahr legte — nachdem er im Januar nach Ägypten gereist war, um von dort über Revolution via Twitter und Blog zu berichten - den Kassensturz seines Experimentes offen. Fast ein Fünftel der Einnahmen ging via flattr ein.
"Wir haben mehr Fragen als Antworten", sagt Sunde und ergänzt enthusiastisch: "Wir experimentieren!" Daher gehört zunächst auch das kleine "Beta" neben dem flattr-Logo weiter zum Markenzeichen. Genauso wie Sundes Barfuß-Performance.
Ein aktuelles Interview im taz.blog
Außerdem auf freitag.de Peter Sunde im Porträt und in der Diskussion über Bezahlmodelle