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Das Silicon Valley fordert ein Grundeinkommen - gut so!

Evgeny Morozov

/ 5 Minuten zu lesen

Die Entscheider des Silicon Valley propagieren ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das klingt erstmal gut. Doch sieht man genauer hin wird schnell klar: Die Technik Mogule sind nicht dessen größte Befürworter - sondern dessen größter Feind, sagt Publizist Evgeny Morozov.

Einige Firmen im Silicon Valley fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen. Dabei denken sie vor allem an sich selbst, meint Evgeny Morozov. (CC, Palo Alto Apple Store von Jun Seita Externer Link: Jun Seita) Lizenz: cc by/2.0/de

Im Silicon Valley spricht man selten über Politik – und wenn, dann nur um zu erörtern, wie man sie am effektivsten zur Strecke bringt. Melden sich die Großen mal zu Wort, verunglimpfen sie Obdachlose, feiern den Kolonialismus oder jammern über unfähige lokale Behörden, die den zarten Künstlerseelen, die hinter Uber und Airbnb stecken, das Leben schwer machen. Wie kam es also dazu, dass Amerikas Technik-Mogule zu den lautstärksten Verfechtern eines bedingungslosen Grundeinkommens wurden – dieser alten, aber radikalen Idee, die, aus jeweils ganz unterschiedlichen Gründen und unter ganz unterschiedlicher Ausprägung von Rechten wie Linken adoptiert wurde?

Uber fahren als Hobby

Von Marc Andreessen bis Tim O’Reilly scheinen die Valley-Bosse begeistert zu sein von der Aussicht, normalen Bürgern Geld auszuhändigen, egal ob die nun arbeiten oder nicht. Y Combinator, ein Gründerzentrum, möchte Ehrenamtlichen Bargeld geben und Forscher anstellen, die das ganze Thema untersuchen sollen. Albert Wenger, ein berühmter Venture-Kapitalist, ist derart begeistert vom Grundeinkommen, dass er ein Buch darüber schreibt. Also, wie kommt’s? Woher diese Begeisterung?

Zunächst mal ist da das traditionelle marktwirtschaftliche Argument gegen die Aufdringlichkeit und Ineffizienz des Sozialstaats – ein Problem, welches das Grundeinkommen ihrer Meinung nach lösen könnte, wenn man es mit einem weitreichenden Abbau öffentlicher Institutionen kombiniert. Zweitens könnte die bevorstehende Automatisierungswelle dazu führen, dass immer noch mehr Leute ihre Jobs verlieren – die Aussicht auf ein garantiertes Grundeinkommen macht da einen neuen Aufstand der Technikskeptiker weniger wahrscheinlich. Drittens sind die pekuniären Aussichten mit dem Puffer eines Grundeinkommens in einer Ökonomie, in der man sich von Job zu Job hangelt, nicht mehr ganz so gruselig. Für Uber zu fahren könnte dann eine Art Hobby werden, das ab und zu sogar Geld abwirft. So wie fischen, nur ein bisschen sozialer.

Das Grundeinkommen würde Tech-Firmen ein progressives, soziales Image geben, während sie den Weg frei machen zu weiteren Expansionen. Weg mit all den sozialstaatlichen Institutionen oder Gesetzen, die Arbeiterrechte garantieren! Schluss mit all dem Hinterfragen des Status quo, wem die Daten gehören oder die Infrastruktur, die diese Daten produziert. Der wahre Grund für dieses Engagement ist raffinierter: Sollten die Valley-Bosse scheitern bei dem Versuch, die Debatte um das Grundeinkommen selbst argumentativ abzustecken, könnten die Leute am Ende rausbekommen, dass das eigentliche Haupthindernis für die Umsetzung dieser radikalen Idee das Silicon Valley selber ist. Um zu verstehen, warum das so ist, tut man gut daran, sich die durchdachteste Version der Theorie vom bedingungslosen Grundeinkommen anzusehen: Die italienischen Ökonomen Carlo Vercellone, Andrea Fumagalli und Stefano Lucarelli üben lange schon scharfe Kritik am "kognitiven Kapitalismus", also an einem Kapitalismus, in dem kognitive Arbeit immer wichtiger und materielle Produktion immer unwichtiger wird.

Der kognitive Kapitalismus braucht den Sozialstaat

Im Unterschied zu anderen Befürwortern des bedingungslosen Grundeinkommens, die moralisch argumentieren, sagen diese Ökonomen, dass das Modell ökonomisch sinnvoll sei, da wir gerade in besagtes Zeitalter des kognitiven Kapitalismus treten. Man vermeidet dadurch strukturelle Instabilität – die unter anderem durch die steigende Prekarität der Arbeit und die stetig wachsende Einkommensungleichheit entsteht – und verbessert die Zirkulation von Ideen und deren innovativem Potenzial. Warum ist das so? Erstens kann man so alle für die Leistung entschädigen, die sie erbringen, während sie gar nicht im engeren Sinne arbeiten, eine Leistung, die im kognitiven Kapitalismus oft viel größeren Wert erzeugt als bezahlte Arbeit. Denken Sie an all die Uber-Fahrer, die nützliche Daten produzieren, was Uber dabei hilft, die Fahrzeugflotte immer noch genauer übers Stadtgebiet zu verteilen.

Zweitens: Viele Arbeit wird heute kollektiv geleistet – aber wissen Sie, wie Ihre individuelle Suche Google dabei hilft, Ihren Suchindex zu verbessern? Es ist meistens unmöglich, genau zu sagen, wie viel ein Einzelner zum endgültigen Produkt beigetragen hat. Ein Grundeinkommen trägt der Tatsache Rechnung, dass kognitive Arbeit oft im Kollektiv erbracht wird. Zuletzt wird so garantiert, dass einige Produktivitätszugewinne, die Folge neuer Techniken und weiterer Rationalisierungsprozesse sind und die früher durch Mechanismen wie die Lohnindexierung weitergereicht wurden, immer noch weiterverteilt werden können, obwohl ja Tarifverhandlungen und andere Arbeiterrechte geschwächt wurden. Das könnte wiederum zu höheren Investitionen und Profiten führen, wovon auch wieder alle profitieren. Die Ausführungen der Vertreter des kognitiven Kapitalismus für ein Grundeinkommen sind komplexer als meine grobe Zusammenfassung. Aber sie beinhalten zwei weitere Grundbedingungen: Der Wohlfahrtsstaat muss, in einer reformierten Form, überleben und sogar gestärkt werden – er ist eine der sozialen Schlüsselinstitutionen. Ein funktionierendes Gesundheits- und Bildungswesen geben uns erst die Freiheit, überhaupt kreativ zu sein. Zweitens braucht es eine fundamentale Steuerreform, um das Grundeinkommen zu finanzieren: Dafür müssen nicht nur finanzielle Transaktionen besteuert werden, sondern auch Instrumente wie Patente, eingetragene Warenzeichen und die Rechte an kollektiven Daten, Instrumente also, welche die optimale gesellschaftliche Nutzung von Wissen verhindern.

Das Silicon Valley will den Wohlfahrtsstaat zerstören

Diese radikale Interpretation des Grundeinkommens zeigt, dass das Silicon Valley nicht dessen wichtigster Fürsprecher, sondern dessen größter Feind ist. Die dort angesiedelten Firmen zahlen so wenig Steuern wie nur irgend möglich. Sie finden immer neue Wege, um den Nutzern ihre Daten abzuluchsen. Sie wollen den Wohlfahrtsstaat zerstören. Außerdem kolonisieren sie jedwede neue Spielart der sogenannten Sharing Economy und machen sie so doch wieder nur zu einer Ware. Man kann entweder für eine radikale Form des Grundeinkommens plädieren, bei der den Menschen frei steht, in welcher Form sie mitmachen wollen, da sie nicht mehr gezwungen wären zu arbeiten. Oder man kann den Plattformkapitalismus wollen, der jeden in einen prekären Unternehmer verwandeln möchte. Aber man kann nicht beides auf einmal haben. Es wäre ein Leichtes für das Silicon Valley, die ersten Schritte in Richtung Grundeinkommen zu machen: Warum sollten wir, die Nutzer, nicht Besitzer unserer eigenen Daten werden? Das könnte uns auf jeden Fall schon mal dabei helfen, alternative, nicht-kommerzielle Anwendungen für sie zu finden. Wenn man es weiterdenkt, wäre ein Mechanismus möglich, durch den Städte, Verwaltungen und sogar Staaten, die momentan keine Chance haben, an all die Daten zu kommen, welche die großen Firmen horten, ihre Bürger für die Bereitstellung ihrer Daten durch eine Art Grundeinkommen entschädigen könnten, sei es nun direkt mit Geld oder indirekt durch die kostenlose Benutzung irgendwelcher Infrastrukturen wie des Nahverkehrs.

Das aber wird nicht geschehen, weil Daten der Trumpf sind, der das Silicon Valley unzerstörbar macht, und das wissen sie. Was wir stattdessen bekommen, ist das hohle Propagieren einer Agenda, die sie gleichzeitig mit aller Macht bekämpfen. Unsere Technik-Elite will uns glauben machen, dass die Regierungen genug Geld dafür aufbringen können. Aber wer wird am Ende dafür zahlen? Ganz bestimmt nicht die radikalen Valley-Mogule. Die ziehen es vor, ihr Geld offshore zu parken.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Süddeutschen Zeitung vom 08.03.2016.

Evgeny Morozov (© picture-alliance, Sven Simon)


Der weißrussische Publizist Evgeny Morozov (32) gilt als schärfster Kritiker des Silicon Valley. Sein Buch "The Net Delusion" war ein internationaler Bestseller. Derzeit forscht er an der Harvard University über die Geschichte des Internets.

Fussnoten

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