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Politische Bildung: Mehr als Werbung für die Demokratie! | Geschichte der Bundeszentrale für politische Bildung | bpb.de

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Politische Bildung: Mehr als Werbung für die Demokratie!

Gerrit Mambour

/ 4 Minuten zu lesen

Bereits in den 1960er-Jahren wurde darüber diskutiert, was politische Bildung zu leisten habe. Schon damals war klar: Sie ist eine Daueraufgabe, keine Krisenfeuerwehr. Nur wenn politische Bildung langfristig betrieben wird, kann sie dazu beitragen, das Bewusstsein für demokratische Werte zu stärken.

Lebendiger Staat mit Ulrich Wickert. Bonn Münsterplatz 1977. (© Bundesbildstelle Bonn Bild Nr. 50900/11)

Von 1966 an geriet die Bundesrepublik erstmals in eine ernsthafte ökonomische und politische Krise. Infolge einer Rezession zerbrach die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP. Regiert wurde das Land fortan von einer Großen Koalition, was die Marginalisierung der parlamentarischen Opposition zur Folge hatte. Die Krise förderte die Radikalisierung von links wie von rechts.

Als Reaktion auf diese Entwicklungen diskutierte man auf bundespolitischer Ebene auch die Frage, inwiefern die politische Bildung einer Neuausrichtung bedürfe. Ausgelöst wurde diese Debatte nicht zuletzt dadurch, dass die Förderung politischen Lernens als Reaktion auf eine antisemitische Welle ab 1960 deutlich ausgeweitet worden war, weshalb der neuerliche Extremismus als Versagen dieser Instrumente interpretiert wurde.

Werner Ernst, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, 1965 – 1968. (© Bundesregierung, Foto: Rolf Unterberg)

In diesem Kontext entstanden Pläne zu einer organisatorischen wie inhaltlichen Reform der Bundeszentrale für politische Bildung. Impulsgeber hierfür war der damalige Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Werner Ernst. Er führte erstmals 1967 aus, dass der Anlass für seine Überlegungen die von allen Parteien vorgebrachte Klage sei, mit den in die politische Bildung investierten Mitteln würden zu geringe Erfolge erzielt. Die anwachsende Radikalisierung habe diese Klagen verstärkt. Bezüglich einer Neuausrichtung forderte Ernst, dass auf Basis der Erkenntnisse von Psychologie und Verhaltensforschung auch Methoden der Öffentlichkeitsarbeit und der Werbung für politisches Lernen nutzbar gemacht werden sollten, um die Akzeptanz der Demokratie zu erhöhen.

Die Pläne des Staatssekretärs brachen einerseits mit dem für die Nachkriegszeit typischen Verständnis von politischer Bildung – und blieben andererseits doch darin verhaftet. Demokratieerziehung konzentrierte sich bis in die 1960er-Jahre hinein häufig darauf, dass ein idealisiertes Bild der Demokratie nicht zuletzt dadurch beworben wurde, indem ihm die Schrecken des Kommunismus und Nationalsozialismus gegenübergestellt wurden. Diese Schwarz-Weiß-Malerei wurde von Ernst kritisiert, drohte sie doch die Glaubwürdigkeit zu untergraben. Seinem Bestreben, demokratische Einstellungen durch Methoden der Öffentlichkeitsarbeit und Werbung zu befördern, folgten letztlich aber auch seine Pläne der Vorstellung von politischer Bildung als Werbeveranstaltung für die Demokratie. Erneut wurde übersehen, dass eine lebendige Demokratie auf mündige Bürgerinnen und Bürger angewiesen ist, die eigenständig politisch urteilen und handeln können. Insbesondere ist wichtig, dass politische Bildung pädagogischen Grundsätzen und weniger politischen Vorgaben verpflichtet ist, was sich auch in der organisatorischen wie inhaltlichen Ausrichtung der Bundeszentrale für politische Bildung widerspiegeln sollte.

"Urteils- und handlungsfähige Bürgerinnen und Bürger sind eine wichtige Voraussetzung für die Krisenfestigkeit der Demokratie."

Aus der Aufgaben- und Programmbeschreibung der Bundeszentrale für politische Bildung von 1964. (© bpb)

Die weitere Debatte über Ernsts Reformpläne ist nicht zuletzt deshalb interessant, da eine solche Autonomie und Eigenlogik politischen Lernens auf parteiübergreifende Zustimmung stieß. Zugleich erwies sich die Idee, politische Bildung durch werbepsychologische Methoden effektiver zu machen, als nicht konsensfähig. Die Fraktionen aller im Bundestag vertretenen Parteien hatten zwei Große Anfragen an die Bundesregierung gerichtet, in denen sie nicht zuletzt Auskunft über die zukünftige Ausrichtung der Bundeszentrale für politische Bildung erbaten. Noch bevor die Bundesregierung eine Antwort vorlegte, stellte der Leiter des Bundespresseamtes klar, dass es zumindest zu keiner grundlegenden Änderung der Organisationsform dieser Institution kommen werde. Zwar habe es Erwägungen gegeben, die Bundeszentrale für politische Bildung in eine Bundeszentrale für politische Öffentlichkeitsarbeit zu integrieren, doch schließlich sei man zu der Erkenntnis gelangt, dass politische Bildung und Werbung nicht zusammengehören.

Die im September 1968 vorgelegte Antwort der Bundesregierung auf die beiden Großen Anfragen befasste sich detailliert mit der zukünftigen inhaltlichen Arbeit der Bundeszentrale wie auch mit den grundsätzlichen Herausforderungen politischer Bildung. Die Antwort ist ein bedeutendes Zeitdokument, da sie sich mit den für die 1960er-Jahre relevanten Fragen politischer Bildung sehr ausführlich auseinandersetzt, zugleich aber auch nicht ohne Widersprüche. Wichtig ist vor allem, dass eine Trennlinie zwischen politischer Bildung und Werbung gezogen und Erziehung zur Mündigkeit als normative Zieldimension vorgegeben wurde: "Politische Bildungsarbeit ist (...) letztlich darauf gerichtet, die Bürger zu befähigen, sich auf Grund eigener Einsichten zu politischen Fragen ein kritisches, selbständiges Urteil zu bilden und sich für die Durchsetzung dessen, was sie als richtig erkannt haben, in demokratischer Weise einzusetzen.“

Der Aufbau von Kompetenzen des politischen Urteilens und Handelns sollte für die Bundeszentrale für politische Bildung wie für andere Institutionen politischer Bildung handlungsleitend werden, womit der Abschied von den die Nachkriegszeit prägenden Konzeptionen eingeläutet wurde. Da der Aufbau von Kompetenzen nur langfristig Erfolg haben kann, wurde mit diesem Bekenntnis zu einer Erziehung zur Mündigkeit in gewisser Weise auch die Vorstellung von politischer Bildung als Krisenfeuerwehr verabschiedet. Politische Bildung allein kann akute ökonomische und politische Krisen nicht eindämmen, doch sind urteils- und handlungsfähige Bürgerinnen und Bürger eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Demokratie solche Krisen unbeschadet übersteht.

Fussnoten

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Gerrit Mambour promovierte mit einer Arbeit zur Geschichte der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland. Er arbeitet heute in der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften.