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"Die Freiheit war möglich" Johannes Sparsbrod

Johannes Sparsbrod

/ 6 Minuten zu lesen

Das Ende der DDR bedeutete für Johannes Sparsbrod vor allem die Möglichkeiten zur freien Entfaltung. Für die Zukunft wünscht er sich den Abbau von Voruteilen zwischen West und Ost.

1. Wie haben Sie den Herbst 1989 erlebt?
Ich war in der Zeit, im Herbst 1989, in Rostock. Ich habe dort Theologie studiert, im dritten Studienjahr, und jeden Donnerstag waren dort die Demonstrationen nach dem 7. Oktober. Und am 7. Oktober waren die Straßen ja ganz leer. Ich habe dort auch zum ersten Mal Polizisten gesehen, in so einer Art Kampfuniform, mit Hunden. Das habe ich zu DDR-Zeiten noch nie gesehen vorher. Die hatten einen Maulkorb vor ihrem Mund. Das war schon etwas beängstigend. Dann, am 9. Oktober, war in Leipzig die Demonstration, die erste. An dem darauf folgenden Donnerstag war in Rostock die erste Demonstration.

Und dann die Wende direkt, den Wendetag bzw. das kann man nicht so sagen, die Maueröffnung direkt habe ich dann in Rostock erlebt. Das war auch an einem Donnerstag. Da war gerade die Demonstration zu Ende, und wir tranken immer nach den Demonstrationen noch etwas bei Freunden und unterhielten uns, wie's denn nun verlaufen ist. Und dann hörten wir so Gerüchte: Mensch, haste schon gehört, die Mauer ist auf! Ein Freund kam in meine Wohnung, bevor ich denn nun zu diesem Abend ging, und sagte: Mensch, du hast doch einen Pass, du warst doch schon mal im Westen. Ich konnte vorher schon mal in den Westen fahren, weil meine Großmutter ihren 80sten Geburtstag dort hatte. Und dann bin ich zu diesem Abend und ich sagte: Ja, ich habe einen Pass, klar, aber ich glaub' das nicht, dass die Mauer auf ist. Dann sind wir also zu dem Abend hin und machten das Radio an. Und da kamen Berichte. Keiner wusste so richtig, was los ist. Und dann, so gegen elf, kam ein Freund. Der sah bei dem Studentenpfarrer die Tagesthemen. "Ihr könnt euch das nicht vorstellen: Die Journalisten, die stehen hinter der Mauer in Berlin und warten, dass die ersten rüber kommen. Ihr könnt euch das nicht vorstellen!" Der hüpfte so auf dem Stuhl herum. Er war so aufgeregt, dass der Stuhl plötzlich zusammenbrach und wir alle schallend lachten, und ja, dann hörte ich nach Mitternacht den Deutschlandfunk, die Nachrichten, und tatsächlich: Die ersten Leute waren in Westberlin!

Ich ging dann den nächsten Tag zur Polizei in Rostock und versuchte dort, einen Pass bzw. einen Stempel für meinen Pass zu bekommen. So waren damals die Informationen, dass man eben einen Stempel brauchte, ein Visum. Alles war sehr unklar und keiner wusste so richtig, ob das stimmte. Da war eine Riesenschlange in Rostock, vor diesem Polizeipräsidium. Ich stellte mich um halb acht an. Gegen elf, ungefähr, war ich in dem ersten Bürozimmer, und die zwei Leute hielten die Tür zu, weil, die anderen drängten immer rein und natürlich waren da Kräfte gegen Kräfte. Die einen wollten natürlich ins Büro, aber es konnten ja nur so und so viele in das Büro rein. Um halb zwölf hatte ich dann den Stempel, und das Kuriose war; ich wohnte damals schwarz, zu DDR-Zeiten. Ich hatte eine Wohnung besetzt. Es war ja nicht möglich, schnell eine Erlaubnis für eine Wohnung zu bekommen; und dann nutze ich die Gelegenheit, als da so eine Hektik war auf diesem Polizeirevier, und ließ mir dann noch einen Stempel geben, wo dann in meinem Ausweis drin stand, dass ich jetzt rechtlich, legal in dieser Wohnung wohnte. Ja, das war so dieser Wendetag, als die Mauer aufging. Und ich bin dann nachmittags nach Hamburg gefahren, weil ich dort Verwandte hatte, und war dann abends um sechs in Hamburg und rief von dem Hauptbahnhof meine Verwandten an: Ja, ich bin hier, holt mich ab. Weil ich auch nicht wusste, wie ich zu denen hin kommen kann.

2. Was hat sich denn nach dem Ende der DDR für Sie verändert?
Es hat sich sehr viel verändert. Ich habe dann nach der Wende direkt meinen Studienort gewechselt, bin von Rostock nach Tübingen. Ich habe dort von der Möglichkeit erfahren, dass ich in Jerusalem studieren kann. Ich habe dann Neuhebräisch gelernt und habe in Jerusalem studiert. Ich habe nach dem Studium noch in New York gearbeitet, beim Lutherischen Weltbund und bei der UNO, war in Argentinien eine Weile, noch mal ein halbes Jahr im Ökumenischen Institut in Genf. Das sind so die Dinge. Das bezieht sich jetzt nur auf diese Länder, aber natürlich hat sich mehr verändert. Was man vielleicht so sagen kann: Die Freiheit war möglich. Es war eine große Freiheit für uns alle, oder für mich, möglich. Erst mal das zu tun, was ich möchte, dahin zu gehen, wohin ich möchte und zu lesen, was ich möchte. Das hat sich verändert. Natürlich auch äußerlich. Die Lebensqualität hat sich geändert, wenn man durch die Städte und Straßen läuft – die Autos, die man hat. Natürlich sind das alles nicht die Dinge, die glücklich machen. Das hängt auch mit Problemen zusammen. Aber die Freiheit, das denke ich, ist das Wichtige, was sich für mich geändert hat.

3. Wie haben Sie sich 1989 die Zukunft vorgestellt?
Ich muss ganz ehrlich sagen, ich war ja, habe das kurz vorher angedeutet, dass ich 1989 im Sommer schon mal in den Westen fahren konnte. Mein erster Eindruck, als ich wiederkam, war: Unser Land, also die DDR, in der ich aufgewachsen bin und wohnte, dieses Land hat keine Chance. Und so war mir klar, dass die DDR keinen eigenen Weg, keine Chance für einen eigenen Weg hat und habe auch die Wiedervereinigung sehr unterstützt und unterstütze diese Entscheidung auch heute noch. Sicherlich hätte man viele Dinge noch anders machen und verbessern können, bzw. hätte genauer hinschauen können. Genau das ist im Nachhinein auch schwierig, das jetzt so einfach zu sagen.

4. Welche Erinnerung an die DDR ist für Sie die wichtigste?
Das ist schwierig zu sagen. Wichtigste Erinnerung heißt ja nicht die bedeutendste Erinnerung. Also, wichtig ist mir, dass mein Elternhaus mich sehr geprägt hat, in der Zeit. Ich bin Pfarrerskind und war nicht bei den Pionieren und nicht bei der FDJ. Und wir hatten es in der Schule sehr schwer. Meine älteste Schwester zum Beispiel konnte nicht studieren, obwohl sie in beiden, im in der Schule und dann auch im Abitur, dass sie in der Abendschule nachgemacht hat, einen Durchschnitt von 1,0 hatte. Sie konnte nicht studieren, weil mein Vater Pfarrer war. Und viele Bildungsinhalte habe ich auch einfach durch die Familie gewonnen. Und meine Eltern haben mich sehr geprägt. Ich und meine Geschwister, wir haben alle ein Instrument gelernt, an der Musikschule. Und die Bildung des Elternhauses - sicherlich hängt das auch mit dem Pfarrhaus zusammen - war für mich sehr prägend. Ich weiß nicht, ob das so unter den westdeutschen Umständen passiert wäre. Man musste ja zu DDR-Zeiten auch sehr ideenreich und sehr fantasievoll sein Leben gestalten, flexibel sein. Ich denke, das ist etwas, was ich auch noch nutze und wovon ich auch heute noch profitiere.

5. Was wünschen Sie sich heute für die Zukunft?
Ich wünsche mir für die Zukunft, dass die Ressentiments, die Vorurteile zwischen Ost und West aufhören. Ich würde mir wünschen, dass mehr Westdeutsche in den Osten kommen, um den Osten kennen zu lernen und etwas von dem Osten zu hören und mit Ostdeutschen auch in Berührung zu kommen. Ich wünsche mir natürlich, dass nicht mehr so viele Ostdeutsche in den Westen abwandern, sondern auch hierbleiben, hier Arbeit finden, dass Betriebe auch hier in Ostdeutschland sich etablieren und neue Arbeitsplätze entstehen. Ich denke, das ist ein großes Hauptproblem. Ich wünsche mir natürlich auch, dass gerade auch in Ostdeutschland viele die Toleranz für den anders Denkenden, auch die anders Denkenden der EU gerade, sehen und auch leben lernen können.

Juni 2004

Fussnoten

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Name: Johannes Sparsbrod
Wohnort: Ossmannstadt
Alter: 37
Beruf: Pfarrer