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Ende 89 hatte man viel Hoffnung André Schäfer

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André Schäfers Leben hat sich seit 1989 rasant geändert: Der ehemalige Bausoldat ist mitlerweile im Bildungsbereich tätig. Was er für die Zukunft wünscht, ist: "viel mehr Miteinander."

1. Wie haben Sie den Herbst 1989 erlebt?
Die Wende habe ich erlebt bei Berlin, zwischen Berlin und Potsdam, in Blankenfelde, in einer Kaserne, als Bausoldat, also als Soldat ohne Waffe. Spannend war in dem Zeitraum, dass alle dort stationierten Soldaten, die Waffen hatten, die weder Ausgang hatten noch Urlaub machen durften, also Ausgangssperre hatten, die einzigen waren, die noch raus gekommen sind – es war bis zur Hälfte reduziert, aber die durften noch raus. Was spannend war, waren zwei Punkte: Der erste ist: Ich wollte eigentlich nie eine Uniform tragen. Und zu diesem Zeitpunkt war ich richtig stolz, eine Uniform zu tragen. Das war ganz eigenartig. Wenn man sich in einen Bus rein setzt und einfach Applaus bekommt, das ist schon spannend. Wenn man in einen Bäckerladen rein geht, wo ganz viele Leute reden und tuscheln, und die Leute dann plötzlich ruhig sind, weil ein Uniformierter rein geht, einem auf die Schulter gucken, einen Spaten sehen und plötzlich aufatmen und weiterreden, das war auch spannend. Das waren so kurze Erlebnisse, in Potsdam konkret. Und was auf der anderen Seite spannend war, ist, dass wir an den Tagen, als die großen Montagsdemos waren – die waren nicht nur in Leipzig, sondern auch in Potsdam, beispielsweise – am Abend vorher die Soldaten uniformiert, mit Waffen, aufsitzen durften, auf den Lkws raus gefahren sind, draußen geblieben sind und irgendwann nachts wieder rein gefahren sind.

Oder wir hatten auch, von dieser Kompanie gab es noch einen zweiten Ableger, bei Lenin, das ist in der Nähe von Brandenburg, bei Fallschirmjägern, die eingesetzt werden sollten in Leipzig, zur Montagsdemo. Die durften nicht raus, diese Leute. Dort hatte man ganz konkret gesagt, so erzählte man hinterher, dass diese Leute im Endeffekt die gesamte Kaserneneinrichtung total zerschlagen haben. Die wurden vorher so motiviert und heiß gemacht, dass sie das irgendwo raus lassen mussten.

Das sind so die Erlebnisse, die ich hatte. Vielleicht noch eines: An dem Tag, als in Arnstadt sehr viel los war – hier gab es ja auch Prügeleien, Polizei mit Schlagstöcken und Hundeeinsatz, und zwar war das am 7. Oktober, das war, glaube ich, vor Dresden sogar noch – und an diesem Tag wurde der Telefonkontakt zu meiner Frau, zum Beispiel, unterbrochen. Also, das war auch in der Richtung ziemlich spannend. Die ersten Demos waren ja nicht nur in Leipzig, sondern vor allem hier, in Arnstadt. Es gab drei Orte, an denen es gleichzeitig war. Eine war noch eine Woche vor den Feierlichkeiten, also Ende September waren hier die ersten Demos. Hier auf diesem Platz.

2. Was hat sich nach dem Ende der DDR für Sie verändert?
Eigentlich alles. Das liegt auch am persönlichen Lebenswandel, wenn man heiratet und Kinder kriegt. Das war eben auch zu diesem Zeitpunkt gewesen. Dem entsprechend hat sich alles geändert. Ansonsten kann man sagen: Vorwiegend beruflich. Ich war vorher im Metallbau tätig, als Werkzeugmacher. Und seit 1990 bin ich nach und nach im Bildungsbereich gelandet. Das hat sich eigentlich sehr zum Positiven geändert. Wobei natürlich die Dauerbelastung, der Dauerstress, äußerst negativ sind, muss man sagen. Die Belastung ist wesentlich höher. Wiederum die Freiheiten, die man genießt – während des Arbeitslebens, davon rede ich meist, die Reisefreiheiten meine ich jetzt nicht – die sind wesentlich positiver. Wobei, solche Nischen gab es vorher auch. Und ansonsten: Das Leben verändert sich. Und Nischen gab es damals genauso, wie es sie heute gibt. Und Möglichkeiten – vielleicht nicht in dieser Form, dieser Art – aber die gab es auch.

3. Wie haben Sie sich 1989 die Zukunft vorgestellt?
Anfang '89, das war kurz vor der Armee, da war viel los, hat sich viel bewegt. Gerade mit dieser Kirchenbewegung, beispielsweise, ist viel passiert, was spannend war. Generell muss ich sagen: Es war zu merken, dass eine gewisse Aufbruchstimmung irgendwo da war. Der Staat lag darnieder, aber die Leute, die was wollten, da gab es relativ viele. Und Möglichkeiten gab es ja auch. Ich denke mal, das war nicht so eng, wie es von Vielen gesehen wird, behauptet wird. Und es ist wie heute auch, im Endeffekt: Man muss sie nutzen. Nicht nur in privaten Bereichen, sondern auch in gesellschaftlichen. Was heute eben auch nicht so richtig passiert und auch nicht läuft. Ich kann mich gar nicht so an den Anfang 1989 erinnern. Ich fand: Klar, DDR, die Zukunft sah nicht so doll aus. Ich kann mich eher an das Ende des Jahres '89 erinnern. Da hat man viel Hoffnung gehabt. Und nicht das, was heute ist. Das war nicht so das Ziel.

4. Welche Erinnerung an die DDR ist für Sie die Wichtigste?
Ich fand's cool. Einfach aus dem Grund heraus, was gegenüber heute viel leichter war: Dass man für sich selber mehr unterscheiden konnte zwischen dem ganz banalen Gut und Böse. Ich will jetzt nicht sagen, dass die DDR böse war und dass die Leute, die dagegen waren, gut waren. Das meine ich eigentlich gar nicht damit. Aber die Alternative wahrnehmen zu können, wahrnehmen zu wollen, ein Stück weit anders sein zu wollen, alternativ zu sein und zu schauen, dass man was ändern möchte, das war mit einem sau guten Gefühl verbunden. Wenn man heute noch etwas alternativ verändern möchte, ist man eine Randgruppe, wird zum Teil denunziert. Damals war es cool, weil viele Leute insgeheim wollten, dass mehr von diesen Leuten da sind, die etwas anderes wollten. Das heißt, man hat sich selber im Positiven nicht sehen können. Und heute spielt man da mehr so eine Außenseiterrolle, die manchmal sogar schief angeguckt wird. Das ist ein Punkt, der damals einfach richtig schön war: Cool sein zu können, ein bißchen alternativ sein zu können. Das war schön.

5. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Viel mehr Miteinander. Es ist paradox, was in diesem Lande läuft, wie sich Parteien, Verbände und Sonstiges immer als Gegner positionieren, wie im Mittelalter mit ihren Schilden rasseln und dann damit die Probleme lösen wollen, egal in welchem Bereich. Im Bildungsbereich bricht es zur Zeit am kräftigsten, genauso auch wie am Arbeitsmarkt. Und da gibt es keine gemeinsamen Lösungen, da gibt es nur Streit. Und was da raus kommt, ist schlimmer als faule Kompromisse. Was ich mir auch wünschen würde, ist, dass man die Menschen einfach ernster nimmt. Hartz 4 zeigt, dass man das nicht tut. Und dass man nach neuen Lösungen sucht. Die Wirtschaft allein, oder die Marktwirtschaft allein, ist im Moment nicht in der Lage, das Ding zu reißen. Es ist eine Frage der gesamtheitlichen Gestaltung. Und Marktwirtschaft ist halt bloß ein Teil davon. Die Teile des Marktes am Kapitalmarkt, am Arbeitsmarkt, sind auch bloß Teile davon. Wenn wir zukünftig denken wollen, brauchen wir ein gesellschaftliches Denken. Das fängt vom Säugling an, bis hin zum Rentner, und eben nicht nur fixiert auf Geld und auf ein, zwei, drei Märkte. Es gibt viele Märkte. Selbst die Senioren bedienen Märkte, nicht nur die Einkaufsmärkte. Das wird alles vernachlässigt, vernachlässigt gegenüber Geld und Kapitalmarkt. Das wäre schön, wenn das anders werden würde.

Juni 2004

Fussnoten

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