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Die „Autoperforationsartisten“ | Autonome Kunst in der DDR | bpb.de

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Die „Autoperforationsartisten“

Uta Grundmann

/ 3 Minuten zu lesen

Die "Autoperforationsartisten“ mit ihren theatralischen Aktionen der körperlichen Selbstverausgabung waren ohne Zweifel die wirksamste Performancegruppe der 1980er Jahre.

Als die drei Studenten Micha Brendel, Else Gabriel und Volker (Via) Lewandowsky 1982 ihre Ausbildung in der Abteilung Bühnenbild an der Interner Link: Hochschule für Bildende Künste Dresden begannen, war nicht vorauszusehen, welche Wirkung sie hier und in den Kunstszenen in Dresden, Leipzig und Berlin entfalten sollten. Von Anfang an verstanden sie ihr Studium als eine Rückzugs- und Aktionsberechtigung, die zum einen ein unbehelligtes künstlerisches Arbeiten ermöglichte, zum anderen soziale Absicherung und Schutz vor politischer Stigmatisierung bot. Im sonst vorherrschenden Klima vorauseilenden Gehorsams war es vor allem Günther Hornig, Lehrer im Grundlagenstudium des Fachbereichs Bühnenbild, der den Studenten zu ihren unbändigen Material- und Interaktionsexperimenten Anregungen gab. Selbst als das Atelier unvorhergesehen in Brand geraten war, kommentierte er trocken, das sei durchaus "eine ganze eigene Kreativität“, mit der man arbeiten könne.

Autoperforationsartisten Eine Bildergalerie

(© Andreas Rost) (© Andreas Rost) (© Karin Wieckhorst, (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2018) (© Karin Wieckhorst, (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2018) (© Ernst Goldberg) (© Ernst Goldberg) (© Uwe Frauendorf, (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2018) (© Uwe Frauendorf, (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Die erste Performance, bei der Micha Brendel, Else Gabriel, Via Lewandowsky und Rainer Görß 1985 anlässlich einer Diplomverteidigung debütierten, trug den mehrdeutigen Titel "langsam nässen“. Ein Jahr später folgte – getarnt als Beitrag zu einem der legendären, die offiziellen ästhetischen Auffassungen von Kunst immer konterkarierenden Hochschulfaschingsfeste – die Aktion "Spitze des Fleischbergs“ (gemeinsam mit Peter Dittmer und der Tänzerin Hanne Wandtke).

Nach der Hommage "Beuys Beine machen“ zum ersten Todestag des Künstlers im Rahmen der Hochschulausstellung "Ode Terrazzo“ im Januar 1987 trat die Gruppe erstmals unter dem Namen "Autoperforationsartisten“ zur eigenen Diplomverteidigung auf, diesmal ohne Rainer Görß. Mit enormen Aufwand hatten die Künstler ein Jahr an der Bühne, den Kostümen, eigenen Texten und Kompositionen für die streng choreografierte Inszenierung „Herz Horn Haut Schrein“ gearbeitet, die in ihrer komplexen Vernetzung von Sprache, Gestik, Geräusch, Musik und Installation eine radikale Abwendung vom herrschenden Kunstbegriff bedeutete und insofern auch als politische Provokation verstanden wurde. Der Vortrag blieb "aus Mangel an Kriterien für diese Kunstform“ unbenotet.

Die Autoperforationsartisten waren weder eine homogene Gruppe, noch lag ihren Aktionen ein Manifest zugrunde. Es gab nur wenige programmatische Äußerungen, keine lesbaren Botschaften und ein Dialog mit dem Publikum fand nicht statt. In ihren Performances – einer "Mischform aus Fluxus, theatralischem Verabredungsspiel, Gruppenkonzert, szenischer Lesung und angewandter, aktionistischer Kunst“ (Durs Grünbein) – stand der eigene Körper im Zentrum. Er wurde verausgabt und bis zur totalen Erschöpfung attackiert. Der von der Kunstrezeption vermutete Bezug zu den Blutorgien der Wiener Aktionisten ist lediglich zutreffend, wenn es um das Material des Organischen ging, nicht um den Sinn des Spektakels. Vielmehr entzog sich der Gebrauch von Blut, Fleisch und Ausscheidungsersatz ebenso wie der von Objekten aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen, von Bildern, Fotos, Super-8-Filmen, Skulpturen und Texten der eindeutigen Zuschreibung. Die Verwendung im Kontext der "Autoperforation“ als Selbstverletzung war verstörend. Die beabsichtigte Wirkung zielte denn auch auf die Störung selbst: die Entladung des „Gefühlsstaus“ und das Ausbrechen aus der "ästhetischen Schockstarre“ – Begriffe, die den wahrnehmungspsychologischen Zustand von Kunst und Mensch zum Ende der DDR treffend bezeichnen.

Ohne Zweifel waren die Autoperforationsartisten die wirksamste Performancegruppe dieser Zeit. Der Erfolg ihrer wichtigsten Aktionen und Ausstellungen nach dem Diplom – das zehnstündige Happening "Panem et circenses“ im Rahmen des Hochschulfestes "Nachmär“, die Ausstellung "Von Ebben und Fluten“ im Interner Link: Leonhardi-Museum in Dresden, die zehntätige Aktion "Allez! Arrest“ als Teil des Werkstatt-Zyklus Interner Link: "Nach Beuys“ in der Leipziger Interner Link: Galerie Eigen+Art (alle 1988) oder die Ausstellung "Menetekel“ in der Galerie Nord in Dresden – haben maßgeblich dazu beigetragen, dass der Verband der Bildenden Künstler sich veranlasst sah, während der letzten Berliner Bezirkskunstausstellung im Frühsommer 1989 ein fast dreißigtätiges Aktions- und Performance-Festival zu planen. Die Kunsthistoriker Christoph Tannert und Eugen Blume wurden offiziell beauftragt, das Programm der "Permanenten Kunstkonferenz“ in der Berliner Interner Link: Galerie Weißer Elefant zu gestalten. Die Autorperforationsartisten traten dort in unterschiedlichen Konstellationen gleich mehrmals auf.

Literatur: Autoperforationsartistik/Bemerke den Unterschied: Micha Brendel, Peter Dittmer, Else Gabriel, Rainer Görß, Jörg Herold, Via Lewandowsky and Durs Grünbein (Katalog). Hrsg. von Liane Burkhardt und André Meier. Nürnberg 1991.

Ordnung durch Störung. Auto-Perforations-Artistik (Katalog). Hrsg. von der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Nürnberg 2006

"Der Versuch, sich die größtmöglichen Freiräume zu schaffen"

"Man greift ein in alltägliche Prozesse"

Fussnoten

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Geb. 1965, Kunsthistorikerin, arbeitet als freiberufliche Autorin und Lektorin in Berlin.