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Kriegsideologie und moderne Massenkultur | Der Erste Weltkrieg | bpb.de

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Kriegsideologie und moderne Massenkultur

Wolfgang Kruse

/ 7 Minuten zu lesen

Die Vorstellung, dass Nationen soziale Konstrukte sind, wäre im Deutschen Kaiserreich kaum auf Zustimmung gestoßen. Gerade in Zeiten des Krieges galt die Nation als edelste Inkarnation des "deutschen Wesens". Das Deutsche Reich verstand sich ganz bewusst als Stellvertreter preußischer "Tugenden". Der Erste Weltkrieg galt deshalb auch als eine Auseinandersetzung der Ideen.

Propagandamarsch für Kriegsanleihen

Der Erste Weltkrieg fand nicht nur auf den Schlachtfeldern statt, sondern er wurde auch in den Köpfen der Menschen ausgetragen. Parallel zum realen Kriegsgeschehen entwickelte sich ein "Krieg der Geister" oder auch ein "Kulturkrieg", in dem ein Krieg für gegensätzliche politische, gesellschaftliche und kulturelle Prinzipien propagiert wurde. Auf allen Seiten bemühten sich führende Dichter und Denker, den Sinn des Krieges zu bestimmen, den Vorrang der eigenen Nation zu begründen und die Kriegsgegner herabzusetzen. Dabei trat oft ein erschreckender Chauvinismus zutage, der nicht zuletzt zu einem "Zusammenbruch der internationalen Gelehrtenrepublik" führte. Während auf westlicher Seite der universelle Kampf von Zivilisation, Demokratie, Selbstbestimmung und Menschenrecht gegen die Autokratie und den preußisch-deutschen Militarismus beschworen wurde, hatten die deutschen Sinnstiftungen des Krieges einen mehr selbstbezogenen Charakter. Sie propagierten den Kampf um die Bewahrung und Verbreitung von "deutscher Freiheit" und "deutscher Kultur" durch den deutschen Militarismus, zu dem sich führende deutsche Intellektuelle wie Gerhart Hauptmann, Friedrich Naumann und Ernst Haeckel in ihrem Aufruf "An die Kulturwelt" 1914 feierlich bekannten, der international große Empörung hervorrief.

QuellentextAufruf der 93 "An die Kulturwelt!"

Verfasst September 1914 von Ludwig Fulda als Schriftführer, von 93 Wissenschaftlern, Künstlern und Schriftstellern Deutschlands unterzeichnet und im Oktober 1914 veröffentlicht.

Wir als Vertreter der deutschen Wissenschaft und Kunst erheben vor der ganzen Kulturwelt Protest gegen die Lügen und Verleumdungen, mit denen unsere Feinde Deutschlands seine Sache in dem ihm aufgezwungenen schweren Daseinskampfe zu beschmutzen trachten. […] Es ist nicht wahr, daß Deutschland diesen Krieg verschuldet hat. Weder das Volk hat ihn gewollt noch die Regierung noch der Kaiser. Von deutscher Seite ist das Äußerste geschehen, ihn abzuwenden. […] Es ist nicht wahr, daß wir freventlich die Neutralität Belgiens verletzt haben. […] Es ist nicht wahr, daß eines einzigen belgischen Bürgers Leben und Eigentum von unseren Soldaten angetastet worden ist, ohne dass die bitterste Notwehr es gebot. […] Es ist nicht wahr, daß unsere Kriegsführung die Gesetze des Völkerrechts missachtet. Sie kennt keine zuchtlose Grausamkeit. Im Osten aber tränkt das Blut der von russischen Horden hingeschlachteten Frauen und Kinder die Erde, und im Westen reißen Dumdumgeschosse unseren Kriegern die Brust. Sich als Verteidiger europäischer Zivilisation zu gebärden, haben die am wenigsten das Recht, die sich mit Russen und Serben verbünden und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen.
Es ist nicht wahr, daß der Kampf gegen unseren sogenannten Militarismus kein Kampf gegen unsere Kultur ist, wie unsere Feinde heuchlerisch vorgeben. Ohne den deutschen Militarismus wäre die deutsche Kultur längst vom Erdboden getilgt. Zu ihrem Schutze ist er aus ihr hervorgegangen in einem Lande, das jahrhundertelang von Raubzügen heimgesucht wurde wie kein Zweites. Deutsches Heer und deutsches Volk sind eins. [...]

Aus: Klaus Böhme (Hg.), Aufrufe und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1975.

Zunehmend waren aber auch die Regierungen immer intensiver darum bemüht, durch aktive Propagandamaßnahmen die Berechtigung der eigenen Sache zu propagieren, die Kriegsmoral der Bevölkerung aufrecht zu erhalten und die Menschen zum Kriegseinsatz weiter zu mobilisieren. Dies kam allerdings nicht immer gut an. Je länger der Krieg sich hinzog, desto mehr suchten viele Menschen zum Entsetzen nationaler Tugendwächter nach Ablenkung und Zerstreuung von den Schrecken des Krieges.

Das "Augusterlebnis" und die "Ideen von 1914"

Der Kriegsbeginn stand politisch und gesellschaftlich im Zeichen einer überraschenden nationalen Einheit, die unter den Chiffren "Augusterlebnis" und "Geist von 1914" schnell mythisiert wurde und eine wesentliche Grundlage für die deutsche Ideologisierung des Krieges bot. Nachdem die bildungsbürgerlichen Vordenker im "Kulturpessimismus" der Vorkriegszeit wie Paul de Lagarde, Julius Langbehn oder Stefan George innere Zerrissenheit und kulturellen Verfall des deutschen Volkes diagnostiziert hatten, waren viele Menschen nun häufig überwältigt von der bei Kriegsbeginn entstandenen nationalen Geschlossenheit und dem nationalen Engagement großer Bevölkerungsteile. Das "Augusterlebnis" der nationalen Einheit schien einen neuen deutschen "Geist" hervorzubringen, in dem alle Probleme der Vorkriegszeit auf einmal "wie weggefegt" waren. Das deutsche Volk und die deutsche Nation schienen unter dem Einfluss des Krieges zu ihrem eigentlichen Wesen zurückzufinden und im Krieg zur Geltung zu bringen.

QuellentextHermann Bahr: Das deutsche Wesen ist uns erschienen!

[…] Und wenn ich hundert Jahre würde, diese Tage werde ich nicht vergessen! Es ist das Größte, was wir erlebt haben. Wir wußten nicht, daß so Großes erlebt werden kann. (…) Wir haben einander endlich erblickt. Wir wissen jetzt zum ersten Mal, wie wir wirklich sind. Das ist das unbeschreibliche Geschenk dieser großen Zeit. Davon schlagen in dieser schweren Stunde die Herzen alle so hoch. Niemals sind wir ernster gewesen, aber auch nie so froh. In einer gläubigen Frömmigkeit stehen wir zusammen, die wir uns niemals kannten. Denn uns ist das deutsche Wesen erschienen. Wir haben uns wieder, nun sind wir nichts als deutsch; es genügt uns auch ganz, wir sehen jetzt, daß man demit völlig auskommt, fürs Leben und fürs Sterben. (…) In allen deutschen Herzen schlägt jetzt derselbe heilige Zorn. (…) Alle deutschen Wunden schließen sich. Wir sind genesen. Gelobt sei dieser Krieg, der uns am ersten Tag von allen deutschen Erbübeln erlöst hat! Und wenn dann erst wieder Friede sein wird, dann wollen wir es uns aber auch verdienen, diesen heiligen deutschen Krieg erlebt zu haben. […]


Aus: Das Eiserne Buch. Die führenden Männer und Frauen zum Weltkrieg 1914/15, Hamburg 1915, S. 76f.

Alexander Moissi rezitiert 1915 Dehmels "Deutschlands Fahnenlied"

Alexander Moissi rezitiert 1915 Dehmels "Deutschlands Fahnenlied"

Inhalt

Dieses "deutsche Wesen" wurde sehr schnell und nachhaltig ideologisiert. Eine zentrale Rolle spielte dabei der Gegensatz zum westlichen Politik- und Gesellschaftsverständnis, das zum eigentlichen Feindbild der deutschen Kriegsideologie wurde. Dabei wurde die Tiefe der "deutschen Kultur" einer oberflächlichen westlichen "Zivilisation", die "Gemeinschaftlichkeit" des deutschen Volkes der Zerrissenheit westlicher "Gesellschaft", die Gebundenheit der "deutschen Freiheit" dem zerstörerischen Freiheitsbegriff des individualistisch-revolutionären Westens gegenübergestellt und zu Sinnstiftungen des Krieges verarbeitet. Kein geringerer als Thomas Mann brachte den Gegensatz 1918 in seinen "Betrachtungen eines Unpolitischen" auf den Punkt, als er das Deutschtum als "Kultur, Seele, Freiheit, Kunst" bestimmte, das es vor der Bedrohung durch die westliche Verbindung von "Zivilisation, Gesellschaft, Stimmrecht und Literatur" zu bewahren gelte.

QuellentextErnst Troeltsch: Die Ideen von 1914 - Rede, gehalten in der Deutschen Gesellschaft von 1914 am 20.3.1916

[…] Die militärisch und wirtschaftlich stark organisierte Volkseinheit wird auf lange Zeit die Idee sein, die unser inneres Leben bestimmt und die die ihr entsprechenden realen und geistigen Kräfte aufruft. […] In dieser Selbstbesinnung aber ging uns die Idee einer Freiheit auf, die in der Tat anders ist als die der Westvölker, die von dem Individualismus des englischen Herrenmenschen ebenso verschieden ist wie von der enthusiastischen Gleichheitsidee der Menschenrechte, die nicht im Puritanismus und nicht in Rousseau wurzelt, sondern in eigentümlich deutschem Geiste. Es ist die Idee einer selbständigen und bewussten Bejahung des überindividuellen Gemeingeistes, verbunden mit der lebendigen Anteilnahme an ihm, die Freiheit einer freiwilligen Verpflichtetheit für das Ganze und einer persönlich-lebendigen Originalität des Einzelnen innerhalb des Ganzen, die Freiheit des Gemeinsinns und der Disziplin, beide zusammen beruhend auf der Selbsthingabe an die Ideen und darum eng zusammenhängend mit unserem ganzen ethisch-religiösen Wesen, das vom englischen und französischen so tief verschieden ist. […] Ein deutscher Imperialismus in der Art des englischen, russischen, amerikanischen und japanischen, deren Art das sinkende Frankreich mit letztem Aufgebot aller Kräfte nachstrebt, ist für uns aus vielen Gründen […] nicht möglich. Wohl aber ist uns die Bildung eines mitteleuropäischen Blocks möglich, an den wir hoffen können, alle Bedrohten und Verschluckten anzuschließen, und der unter wesentlichem Einfluß der deutschen politisch-militärischen, wissenschaftlich-technischen und ethisch-geistigen Kultur steht […] Ein solcher Block bedeutet dann natürlich in gewissem Sinne eine deutsche Führung, aber keine deutsche Herrschaft, und die Führung wiederum muß vor allem auf die geistige Leistung und politisch-sittliche Kraft gegründet werden […]


Aus: Ernst Troeltsch: Deutscher Geist und Westeuropa. Gesammelte kulturphilosophische Aufsätze und Reden, Tübingen 1925, S. 31-58.

Die "deutschen Ideen von 1914" firmierten als Gegenentwurf zu den "Ideen von 1789", die als historisch überholt galten und im Krieg überwunden werden sollten. Zugleich erlebten die bislang eher konservativ geprägten, teilweise aber auch unpolitischen kulturpessimistischen Vorstellungen der Vorkriegszeit nun durch ihre Verbindung mit den Bedingungen des Krieges eine deutliche Politisierung und gewannen zugleich eine zukunftsgerichtete Form. Die Organisation der Kriegswirtschaft wurde zur "deutschen Gemeinwirtschaft", ja zu einem typisch deutschen "Kriegssozialismus" verklärt, in dem das deutsche Volk als ein "Volk von Organisatoren" die organisierte Gesellschaft der Zukunft - die "Volksgenossenschaft des nationalen Sozialismus" - entwickele und im Krieg durch den Sieg Deutschlands zum Durchbruch verhelfe. "Zum zweiten Mal zieht ein Kaiser durch die Welt als Führer eines Volkes mit dem ungeheuer weltbestimmenden Kraftgefühl der allerhöchsten Einheit", so interpretierte der Nationalökonom Johann Plenge Wilhelm II. als neuen Napoleon. "Und man darf behaupten, daß die 'Ideen von 1914', die Ideen der deutschen Organisation zu einem so nachhaltigen Siegeszug über die Welt bestimmt sind, wie die 'Ideen von 1789‘".

QuellentextJohann Plenge: Die Ideen von 1914

Tausendfach ist von Organisation gesprochen worden oder von der notwendigen „Konzentration“ aller nationalen Kräfte! Tausendfach ist die deutsche Vereinigung von Freiheit und Ordnung als das gelehrt und verteidigt worden, was uns den inneren Sieg und die Erhaltung unseres von der Vernichtung bedrohten Wirtschaftslebens allein möglich gemacht hat. Alle haben es sofort gewußt: schaffe mit, gliedere Dich ein, lebe im Ganzen. Wohl noch nie war ein Wort so schnell und so selbstverständlich als der wichtigste Begriff für die allgemeine Betätigung im Dienste der gemeinsamen Sache so schnell in aller Munde, wie 1914: „Organisation“. […] Das lebenskräftige Ganze von Staat und Wirtschaft, das den einzelnen mit seiner freiwilligen Arbeit in sich aufnimmt und ihm die Eingliederung in das größere Leben, in dem er als mitwirkender Teil zu Geltung kommt, zu seiner eigenen Lust und Freude macht: das ist die Idee von 1914. Sie geht nicht von den einzelnen als vereinzelten Willensatomen aus, denen Forderungen vorgehalten werden, die sie für sich anerkennen und zu deren Verfolgung sie sich zusammentun mögen. Sie ist vielmehr das von allen als ihr größeres Selbst erfaßte tatsächliche Zusammenleben des nationalen Staatskörpers, das jeder einzelne in seiner besonderen Weise miterlebt, in dem der einzelne über sich selbst hinauswachsen kann und in dem er dieses sein Wachstum als seine verstärkte Kraft und seine verstärkte innere Sicherheit genießt. [...] Aber wenn man demgemäß das Grundbewußtsein von 1914 als die bewusst gewollte Gesinnung der Eingliederung in das Ganze betont, so ist auch klar, dass in ihr, obwohl sie der Gegensatz von 1789 ist, damit doch der Geist von 1789, der Geist der Freiheit, weiter lebt. Denn der echte Entwicklungsgegensatz muß beides einbegreifen: Gegensatz und Erhaltung. Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit! „Schaffe mit“ ist die Freiheit der Tat! „Gliedere Dich ein“ die Gleichheit des Dienstes! „Lebe im Ganzen“ die Brüderlichkeit des echten Sozialismus!


Aus: Johann Plenge: 1789 und 1914. Die symbolischen Jahre in der Geschichte des politischen Geistes, Berlin 1916, S. 85ff.

Die Mobilmachung am 1. August 1914

Die Mobilmachung am 1. August 1914

Inhalt

Im Kontext der deutschen Weltkriegsideologie gab es allerdings durchaus unterschiedliche politische Ausprägungen, die von rechts bis links reichten. Mit der antiwestlichen Stoßrichtungen waren mehrheitlich jedoch Tendenzen verbunden, die dem Pluralismus konkurrierender Interessen und den freiheitlich-individualistischen Tendenzen der modernen Gesellschaft ablehnend gegenüberstanden und ihnen volksgemeinschaftlich-autoritäre Konzepte entgegenstellten. Und je deutlicher mit der Zeit die inneren Widersprüche der deutschen Kriegsgesellschaft hervortraten, desto schärfer traten neben den äußeren auch die inneren Feindbilder des "Geistes von 1914" hervor. Sein anfänglich inklusiver, alle Gruppen der deutschen Gesellschaft integrierender Charakter wurde zunehmend abgelöst durch die Wendung gegen den "inneren Feind", gegen Pazifisten, Sozialisten und Juden. Die Stigmatisierung und Unterdrückung kriegsgegnerischer Organisationen, aber auch die "Judenzählung" in der deutschen Armee, die den Vorwurf prüfen sollte, dass die Juden sich dem Militärdienst entzögen (was de facto falsch war), waren ein deutlicher Ausdruck davon. Mit dem "Geist von 1914" wurde, wie der Historiker Reinhard Rürup geurteilt hat, deutlich, "in welchem Maße die Gesellschaft in der Schlußphase des Kaiserreichs bereits für faschistische Krisenlösungen vorbereitet war". Dies spiegelte sich auch in der deutschen Kriegspropaganda wider.

Von der Zensur zur Propaganda

"Der letzte Hieb ist die 8. Kriegsanleihe" - Historisches Plakat. (© Bundesarchiv: Plak 001-005-044)

Bei Kriegsbeginn war von aktiver staatlicher Propaganda noch kaum die Rede. Zuerst ging es den zuständigen Militärbehörden vor allem darum, die öffentliche Meinung zu kontrollieren. Als Ergänzung zur Zensur organisierte und propagierte das neu geschaffene Kriegspresseamt die offiziellen Nachrichten und Verlautbarungen, und mit der Verbreitung der Kriegsschriften berühmter deutscher Schriftsteller und Gelehrter sollte im neutralen Ausland der "deutsche Krieg" gerechtfertigt werden. Bald kamen aber auch andere, modernere Formen hinzu. Die Werbung für die Zeichnung von Kriegsanleihen stützte sich zunehmend auf moderne Propagandaplakate, auch Schulkinder wurden für Werbekampagnen und Sammelaktionen mobilisiert. Das Programm einer für alle Jungen verpflichtenden "vormilitärischen Jugendausbildung" kam allerdings über freiwillige Ansätze nicht hinaus. Durchgesetzt wurde dagegen der Sparzwang für junge Arbeiter, dessen Erträge in die Kriegsanleihen flossen.

"Durch Arbeit zum Sieg! Durch Sieg zum Frieden!" - Historisches Plakat. (© Bundesarchiv: Plak 001-003-045)

Insbesondere nach dem Machtantritt der 3. Obersten Heeresleitung im Sommer 1916 rückten die aktive "Volksaufklärung" und Mobilisierung der Bevölkerung immer stärker in den Mittelpunkt der staatlichen Propagandaaktivitäten. Im Januar 1917 wurde das "Bild-und-Film-Amt" (Bufa) gegründet, aus dem später die berühmte Filmfabrik UFA hervorging. Moderne Medien, die Fotografie und der Film rückten nun immer stärker in den Mittelpunkt der Propaganda. Drei Monate später wurde das Programm des "Vaterländischen Unterrichts" aufgelegt, in dem die Bevölkerung über die Ursachen und Notwendigkeiten des Krieges "aufgeklärt" werden sollte. Es folgte die Bildung einer Presseabteilung der Reichsregierung, die Gründung der Zentralstelle für Heimataufklärung und weiterer Aufklärungsorganisationen in den einzelnen Bundesstaaten. Schließlich war ganz Deutschland, ähnlich wie die anderen am Krieg beteiligten Länder, von Propagandaorganisationen und Propagandaaktivitäten durchzogen. Ihre Erfolge allerdings sind schwer zu ermessen, und angesichts der Realitäten der Kriegsgesellschaft ließ nicht erst der Zusammenbruch von 1918 deutlich werden, dass die moderne Propaganda sich in einem deutlichen Spannungsverhältnis zur Realität des Krieges und zu den Bedürfnissen der Menschen entwickelt hatte.

QuellentextRichtlinien für die Aufklärungs- und Propagandatätigkeit im Bereich des Stellvertretnden Generalkommandos des X. AK, 10.5.1917

Unter unbedingtem Ausschluß politischer Streitfragen will die Aufklärungsstelle des Generalkommandos alle Mittel: Presse, Flugblätter, Flugschriften, Vorträge, Kirche, Schule, Vereine, Theater, Kino usw. ausnützen, um Klarheit über Ursache und Zweck des Krieges zu verbreiten, der Verhetzung und Verärgerung mancher Kreise mit Erfolg entgegenzuarbeiten, die Zuversicht und Opferwilligkeit der Bevölkerung zu stärken und das Verständnis für die Kriegsereignisse zu erhöhen. Jeder Deutsche muß erkennen lernen, welche Gründe zu diesem Krieg gegen Deutschland geführt haben, daß es um Sein oder Nichtsein des deutschen Volkes geht, und daß wir gerade in den kommenden Monaten durchhalten müssen, um den Siegespreis für dreijährige Opfer und Entbehrungen zu erringen. [...]


Aus: Wilhelm Deist (Hg.), Militär und Innenpolitik im Weltkrieg 1914-1918, 2 Bde., Düsseldorf 1970, hier Bd. 2, S. 816 f.

Massenkultur in der Kriegsgesellschaft

"Donnerwetter - tadellos!" - Historische Postkarte, gestempelt 1916.

Die Bevölkerung war aber nicht nur ein fremdbestimmtes Opfer der Propagandaapparate. Die Menschen versuchten vielmehr auf vielfältige Weise dem Zugriff von Propaganda und Mobilisierung zu entgehen und ihrem Leben noch etwas Freude abzugewinnen. Statt nationaler und kriegerischer Erbauung rückte so der Versuch, sich von den Schrecken und Zumutungen des Krieges zumindest für eine kurze Zeit abzulenken, in den Mittelpunkt der populären Massenkultur. Variété und Kino, Unterhaltungsliteratur, Sport und Tanzvergnügen erlebten deshalb im Ersten Weltkrieg trotz aller Not bzw. gerade deshalb eine teilweise stürmische Entwicklung, die auch die Nachkriegszeit prägte. Daran waren auch die Soldaten beteiligt. Spontane, bald aber auch von den Militärbehörden förmlich organisierte Schützengrabenzeitschriften und "Fronttheater" versuchten die Soldaten in Kampfpausen zu informieren und zu unterhalten, wobei ein Klamauk wie "Charleys Tante" zum beliebtesten Theaterstück wurde. Und die Soldaten begannen massenhaft, ihre Kriegserlebnisse auf Fotos festzuhalten. Sie lösten so geradezu einen Boom der Photographischen Industrie aus, der sich in der Amateurfotographie der Weimarer Republik fortsetzte. Eine ähnliche Entwicklung war für die Schallplatte und das Grammophon zu verzeichnen, technische Neuerungen, die das Musikerlebnis über die traditionellen Aufführungen hinaus verbreiteten. An die erste Stelle aber rückte zunehmend das Kino. Während hier offensichtliche Propagandafilme wenig Anklang fanden, waren mehr oder weniger realistische Darstellungen des Krieges weitaus beliebter. Vor allem aber waren die Menschen an Unterhaltungsfilmen interessiert, so wie sie in großer Zahl Groschenromane lasen und Tanzlokale besuchten - zum Entsetzen konservativer Beobachter, die immer lauter die Herrschaft einer "Schundkultur" und den öffentlichen Sittenverfall beklagten.

"Deutscher Sieg" - Historischer Zeitungsausschnitt, aus: Die Woche, Nr. 47, 21. November 1914.

Ausgewählte Literatur:

Martin Baumeister, Kriegstheater. Großstadt, Front und Massenkultur 1914-1918, Essen 2005.

Steffen Bruendel, Volksgemeinschaft oder Volksstaat. Die "Ideen von 1914" und die Neuordnung Deutschlands im Ersten Weltkrieg, Berlin 2003.

Martin Creutz, Die Pressepolitik der kaiserlichen Regierung während des Ersten Weltkriegs. Die Exekutive, die Journalisten und der Teufelskreis der Berichterstattung, Frankf./M. 1996.

Kurt Flasch, Die geistige Mobilmachung. Die deutschen Intellektuellen und der Erste Weltkrieg. Ein Versuch, Berlin 2000.

Helmut Fries, Die große Katharsis. Der Erste Weltkrieg in der Sicht deutscher Dichter und Gelehrter, 2 Bde., Konstanz 1994/96.

Bernd Hüppauf (Hg.), Ansichten vom Krieg. Vergleichende Studien zum Ersten Weltkrieg in Literatur und Gesellschaft, Königstrein Ts. 1984.

Anne Lipp, Meinungslenkung im Krieg. Kriegserfahrungen deutscher Soldaten und ihre Deutung 1914-1918, Göttingen 2003.

Wolfgang J. Mommsen, Bürgerliche Kultur und künstlerische Avantgarde 1870-1918, München 1994.

Sven Oliver Müller, Die Nation als Waffe und Vorstellung. Nationalismus in Deutschland und England im Ersten Weltkrieg, Göttingen 2003.

Ulrike Oppelt, Film und Propaganda im Ersten Weltkrieg. Propaganda als Medienrealität im Aktualitäten- und Dokumentarfilm, Stuttgart 2002.

Aribert Reimann. Der große Krieg der Sprachen. Untersuchungen zur politischen Semantik in Deutschland und England zur Zeit des Ersten Weltkriegs, Essen 2000.

Anne Schmidt, Belehrung – Propaganda – Vertrauensarbeit. Zum Wandel amtlicher Kommunikationspolitik in Deutschland 1914-1918, Essen 2006.

Jürgen u. Wolfgang von Ungern-Sternberg, Der Aufruf "An die Kulturwelt!" Das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1996.

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Apl. Prof. Dr. Wolfgang Kruse, geb. 1957, ist Akademischer Oberrat und außerplanmäßiger Professor im Arbeitsbereich Neuere Deutsche und Europäische Geschichte am Historischen Institut der Fernuniversität Hagen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte des Ersten Weltkriegs, die Geschichte der Französischen Revolution, Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung und die Geschichte des politischen Totenkults. Von Kruse ist u.a. erschienen: Wolfgang Kruse: Der Erste Weltkrieg, Darmstadt 2009 (Geschichte Kompakt der WBG).