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Das Milieu der so genannten Unterstützer und Sympathisanten

Dr. Wolfgang Kraushaar Wolfgang Kraushaar

/ 4 Minuten zu lesen

Nicht wenige Menschen sympathisierten mit der linksradikalen Ideologie der RAF. In der öffentlichen Meinung galten sie manchen als "das stille Reserveheer des Terrorismus".

Die Hungerstreiks der RAF-Häftlinge verfehlten ihr Ziel nicht: die Mobilisierung eines Sympathisantennetzwerkes "draußen". (© AP)

Die RAF war vom ersten Moment an auch eine bevorzugte Projektionsfläche für die radikale Linke, für all jene, die eine solche Option zwar grundsätzlich nicht für unmöglich hielten, jedoch noch nicht oder gar nicht bereit waren, den Schritt, sich zu bewaffnen und in den Untergrund zu gehen, auch praktisch zu vollziehen.

Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre besucht am 4.12.1974 Andreas Baader in Stuttgart-Stammheim. (© AP)

Die sich bald ausbreitende Etikettierung als "Sympathisant", als deren Archetypen mit dem Schriftsteller Heinrich Böll und dem Psychologieprofessor Peter Brückner nicht zufällig zwei prominente Intellektuelle fungierten, diente damals zweifelsohne als "Ausgrenzungsbegriff". Im Zuge der sogenannten "Mescalero-Affäre" erreichte die Diskussion, die nach der Ermordung Jürgen Pontos und der bald darauf folgenden Entführung Hanns-Martin Schleyers immer weiter eskalierte, im Spätsommer 1977 ihren Höhepunkt. In der Folge galten "Sympathisanten" in großen Teilen der Öffentlichkeit, wie es ein Springer-Journalist in jenen Tagen formuliert hat, als "das stille Reserveheer des Terrorismus".

Selbst der damalige Berliner Wissenschaftssenator Peter Glotz hatte in einem Interview mit seiner Definition, dass unter Sympathisanten Personen zu verstehen seien, die Terror und Mord nicht nur billigten, sondern auch praktisch unterstützten, die Grenzen zwischen Sympathisierenden und Unterstützern weitgehend verwischt. Gegen ein derartig fragwürdiges Verständnis, das einer missbräuchlichen Verwendung Tür und Tor öffnete, haben sich seinerzeit nur wenige zu Wort gemeldet, die auf einer qualitativen Differenz insistierten.

Einer von ihnen war der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Günther Nollau. In einem Artikel im Spiegel betonte er vor allem, dass der stigmatisierende Begriff strafrechtlich irrelevant sei: "Das Strafrecht kennt den Begriff des Sympathisanten nicht. Es unterscheidet 'Täter', 'Gehilfen', 'Begünstiger'. Da wird nicht mit Vermutungen operiert [...] Da müssen Tatsachen bewiesen werden, Tatsachen, aus denen hervorgeht, welchen Beitrag einer zur Tat geleistet hat. Einem solchen Tatbeitrag kann (muss aber nicht) 'Sympathie' für den Täter oder die Tat als Motiv zugrunde liegen. Sympathie allein ist kein Tatbeitrag. Sympathie hegen, Wohlgefallen, Zuneigung empfinden ist nicht strafbar [...]." Diese grundlegende Unterscheidung wurde in der öffentlichen Auseinandersetzung, die mitunter Züge einer Hexenjagd annahm, jedoch weitgehend ignoriert.

Mit einem Anflug von Selbstironie hatte der Verband des Linken Buchhandels (VLB) im Oktober 1977 mit dem an einen Song der Rolling Stones erinnernden Aufkleber "Sympathy for the devil / Hexenjagd auf die Linke" für eine Podiumsdiskussion auf der Frankfurter Buchmesse geworben. Die radikale Linke fühlte sich in die Ecke gedrängt und zu Unrecht stigmatisiert. Eine Vorstellung vom Ausmaß an Projektionen auf die RAF-Häftlinge, von Delegierungen uneingestandener Wünsche an ihre noch aktiven Mitglieder, besaß sie allerdings nicht. Jedenfalls spielten sie in der erwähnten Diskussion, an der u. a. Walter Boehlich, Peter Brückner, Daniel Cohn-Bendit und Alice Schwarzer teilnahmen, keine Rolle. Diese Dimension blieb in der ansonsten wegen ihrer Bereitschaft zur Dauerdebatte so bekannten Szene sorgsam ausgespart.

Was die außerordentlich hohe Anziehungskraft der RAF für die radikale Linke und ihre wichtigsten intellektuellen Wortführer, ihren habituellen Magnetismus anbetrifft, gilt es neben dem Auschwitz-Phantasma von Ulrike Meinhof, in welchem sie die Haftbedingungen der RAF-Täter mit denen der NS-Vernichtungslager gleichsetzt, eine ganze Reihe zusätzlicher Faktoren zu benennen:

  • die Suggestivität einer Idee des bewaffneten Kampfes zu einer Zeit, in der eine pragmatische Reformpolitik von der sozialliberalen Koalition, also von Exponenten des ansonsten so verhassten Staates, selbst besetzt war;

  • das Faszinosum Krieg in einer immer saturierter, jedoch in ethisch-moralischer Hinsicht nicht unbedingt glaubwürdiger gewordenen Nachkriegsgesellschaft;

  • das Geheimnisumwitterte des Untergrunds und das Außeralltägliche des Guerillakampfes in einer an Abenteuern arm gewordenen Wohlstandsgesellschaft;

  • der existentialistische Gestus, der der tendenziellen Sinn- und Perspektivlosigkeit der eigenen Biografie ein Ende zu machen versprach;

  • die Entschlossenheit als Grundhaltung der Mitglieder der Stadtguerilla und

  • die Verlockung einer absoluten Machtphantasie, deren Auskostung Züge einer spezifischen "Lebensform RAF" annehmen konnte.

Dies alles hat das ehemalige RAF-Mitglied Volker Speitel 1980 in einer Nachbetrachtung in der Fiktion einer Sehnsucht, der größenwahnsinnigen Suche nach dem "neuen Menschen", zusammengefasst: "Der Eintritt in die Gruppe, das Aufsaugen in die Norm und die Knarre am Gürtel entwickeln ihn dann schon, den 'neuen' Menschen. Er ist Herr über Leben und Tod geworden, bestimmt, was gut und böse ist, nimmt sich, was er braucht und von wem er es will; er ist Richter, Diktator und Gott in einer Person – wenn auch für den Preis, daß er es nur für kurze Zeit sein kann."

Diese von der RAF verkörperte Machtphantasie war offenbar überaus verlockend. Oder in einer von Herfried Münkler gebrauchten und von Niklas Luhmann entlehnten Wendung, die die Allmachtsphantasien und das Suggestive des bewaffneten Kampfes auf einen gemeinsamen Nenner bringt: Die selbsternannte Guerilla der RAF sei eine "Komplexitätsreduktion mit Waffe" gewesen. Mit der Waffe in der Hand schien eine erfahrene Macht und eine absehbare politische Aussichtslosigkeit potentiell umkehrbar zu sein.

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Ausschnitt des Aufsatzes "Mythos RAF" von Wolfgang Kraushaar. Erschienen in: Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): Die RAF und der linke Terrorismus, Hamburger Edition HIS Verlag, Hamburg 2007.

Fussnoten

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Der promovierte Politologe Wolfgang Kraushaar, geboren 1948, ist Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung. Dort erforscht er Protest und Widerstand in der Geschichte der Bundesrepublik und der DDR. Seine Arbeitsschwerpunkte bilden u.a. die 68er-Bewegung sowie die Rote Armee Fraktion.