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Die RAF und die Medien Ein Fallbeispiel für terroristische Kommunikation

Prof. Dr. Andreas Elter Andreas Elter

/ 14 Minuten zu lesen

Das Verhältnis der RAF zu den Medien war ambivalent. Auf der einen Seite galten die etablierten Medien als Feind. Andererseits (miss)brauchte die RAF sie zur Verbreitung ihrer Botschaften.

Das Bild des entführten Arbeitgeberpräsidenten hat sich bis heute in das kollektive Bildgedächtnis eingebrannt. (© AP)

Die RAF und die Medien als Fallbeispiel

Die gelernte Journalistin Ulrike Meinhof verfasste die Schriften der RAF. (© wikipedia.org)

Das Thema "Die RAF und die Medien" hat unzählige Facetten: So lassen sich z.B. die Erklärungen, Verlautbarungen und theoretischen Texte der RAF als Teil ihrer Medienpolitik verstehen, die entweder auf die breite Öffentlichkeit zielte oder (bei anderen Texten) auf die Sympathisantenszene als spezifische Zielgruppe fokussierte.

Des Weiteren gibt es bei einzelnen Akteuren einen eindeutigen biografischen Medienhintergrund: Ulrike Meinhof war Journalistin und Publizistin. Sie engagierte sich bereits in der Anti-Atomtod-
Bewegung, wurde Mitglied der illegalen KPD, solidarisierte sich mit den sozialen Protestbewegungen der 1960er Jahre und war Aktivistin der APO, bevor sie in den Untergrund ging. Holger Meins, um nur ein weiteres RAF-Mitglied exemplarisch herauszugreifen, hatte, bevor er in den Untergrund ging, Design und Film studiert.

Darüber hinaus gab es zahlreiche direkte Kontakte von RAF-Terroristen zu Medienschaffenden, Journalisten, Künstlern, Verlegern oder Designern. Nach einer unbelegten Anekdote ist so auch das RAF-Logo entstanden bzw. von dem professionellen Werbegrafiker Holm von Czettritz "geprüft" worden, mit dem Andreas Baader kurzfristig befreundet war. Das berichtete von Czettritz zumindest selbst in einem Interview mit der tageszeitung:

Andreas Baader wollte das Logo der RAF von einem Werbegrafiker "gefälliger" gestalten lassen. Foto: AP (© AP)

tageszeitung: In Klaus Sterns TV-Dokumentation 'Andreas Baader, der Staatsfeind' kommen Sie als früher Weggefährte zu Wort. Darin erwähnen Sie eine ganz unglaubliche Geschichte: dass Baader zu Ihnen kam und das Logo der RAF von Ihnen als Grafikdesigner überarbeiten lassen wollte.

Holm von Czettritz (lachend): Richtig. Heute würde man Relaunch dazu sagen. Weil ich dazu aber keine Lust hatte und ich das irgendwie so naiv fand, hab ich ihm damals gesagt: In seiner Rustikalität hat das eine Originalität, die würde ich nicht verändern. Das muss diesen rauen Ursprungscharakter behalten. Das sag ich dir als Markenartikler. (lacht) Weil er diesen Beruf ja als kapitalistischen Beruf verachtete. Lässt sich aber von einem beraten.

tageszeitung: Hatte er denn konkrete Vorstellungen?

Holm von Czettritz: Die Elemente sollten wohl bleiben. Das war ja wie ein Kartoffeldruck. Aber das wollten sie irgendwie gefälliger.

(zitiert aus: die tagesezeitung, 12. April 2003)

Von der Unterstützung, die die RAF aus der Sympathisantenszene und zum Teil von namhaften Literaten direkt oder indirekt erfuhr, wird hier noch in anderem Zusammenhang die Rede sein. Um sich aber nicht in den biografisch-anekdotischen Aspekten zu verlieren, soll hier weiter nach den Kommunikationsstrategien der RAF geforscht werden. Diese Suche führt unwillkürlich wieder zurück zu Ulrike Meinhof. Mit dem Problem des illegalen Widerstands setzte sie sich schon früh auseinander.

In ihrem konkret-Artikel zum Frankfurter Prozess gegen die Warenhausbrandstifter schreibt sie: "Das progressive Moment einer Warenhausbrandstiftung liegt nicht in der Vernichtung der Waren, es liegt in der Kriminalität der Tat, im Gesetzesbruch. [...] Hat also eine Warenhausbrandstiftung 1968 dies progressive Moment, daß verbrechensschützende Gesetze dabei gebrochen werden, so bleibt zu fragen, ob es vermittelt [Hervorhebung A. E.) werden kann, in Aufklärung umgesetzt werden kann. Was können – so bleibt zu fragen – die Leute mit einem Warenhausbrand anfangen?"

In der Retrospektive wurde dieser Artikel von vielen Beobachtern als Ausgangspunkt für die Radikalisierung von Ulrike Meinhof gewertet, weil sie sich vermeintlich mit den Brandstiftern dadurch solidarisierte, dass sie Fritz Teufel mit den Worten "Es ist immer noch besser, ein Warenhaus anzuzünden, als ein Warenhaus zu betreiben" zitierte. Liest man den Artikel aufmerksam, kann man auch zu einem anderen Schluss kommen – die Solidaritätsbekundungen mit den Brandstiftern sind keineswegs so eindeutig. Aber dies ist in unserem Zusammenhang nicht der Punkt.

Vielmehr zeigt sich an dem Zitat, dass Meinhof bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt (1968) über den Aspekt der Vermittlung einer gewaltsamen Tat, also deren potentieller propagandistischer Wirkung nachdachte. Das Ergebnis des Gedankengangs war in diesem Fall: »So bleibt, daß das, worum in Frankfurt prozessiert wird, eine Sache ist, für die Nachahmung [...] nicht empfohlen werden kann.« Ulrike Meinhof hatte andere, größere Ziele im Sinn.

Wenn man die zahlreichen Artikel, die sie für konkret und später für die RAF verfasst hat – z.B. ihr Grundlagenpapier "Das Konzept Stadtguerilla" –, nimmt und die Literatur, die sie sich von Rechtsanwalt Klaus Croissant später in ihre Zelle hat liefern lassen, dazuaddiert, so lässt sich daraus zweierlei ableiten: Zum einen legte Ulrike Meinhof bei ihren Veröffentlichungen einen Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit programmatischen Schriften der revolutionären Linken (z. B. Mao, Lenin, Bakunin); zum anderen beschäftigte sie sich aber auch mit dem Mediensystem der BRD:

"An die Karl Marx Buchhandlung Frankfurt/Main
Jordanstraße 11; 15. 11. 1974

Sehr geehrte Herren! Bitte, senden Sie an:
Frau Ulrike Meinhof
1000 Berlin 21
Alt Moabit 12 a Justizvollzugsanstalt
Folgende Bücher
1. Sante Notarnicola: Die Bankräuber aus der Bacciera (Trikont Verlag)
2. Hans Jürgen Koschwitz: Publizistik und politisches System (Piper Verlag)
[...]
5. Jürgen Alberts u. a.: Mit IBM in die Zukunft – Rotbuch
6. Klaus Berpohl: Die Massenmedien – Nymphenburger
[...]
Rechnung erbitten wir an uns. Mit freundlichen Grüßen Rechtsanwalt Dr. Croissant."

Von einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Mediensystem und seinen "kapitalistischen Strukturen" kann also zumindest bei einzelnen Mitgliedern der RAF mit Fug und Recht gesprochen werden. Darüber hinaus fehlte es nicht an Schulungs- und Aufklärungsmaterial für die anderen. Darin fanden sich auch viele Artikel und Literaturverweise zu den Medien, ihrer Wirkung und ihrer Rolle im gesellschaftlichen System.

Auch wenn es – wie Laqueur bemerkt – den einen großen Theoretiker des Terrorismus wohl nicht gibt, so gibt es doch unzählige verschiedene Theoretiker und Praktiker des Anarchismus (z. B. Bakunin und Kropotkin), der revolutionären Bewegung (z. B. Mao oder Che Guevara) oder des Stadtguerillakampfes (z. B. Marighella oder die Tupamaros in Uruguay).

Diese Theoretiker und Praktiker der "Propaganda der Tat" waren den Mitgliedern der RAF nicht nur bekannt – in vielen Punkten orientierten sie sich an ihnen: Sie waren gewisser-
maßen die geistigen Väter. Es dürfte daher kein Zufall gewesen sein, dass Andreas Baader ausgerechnet bei einem Schreiben "An die Nachrichtenredakteure der westdeutschen Presse ", welches er bei der Deutschen Presse-Agentur in den Briefkasten warf, Carlos Marighella zitierte: "Die Bullen werden solange im Finstern tappen, bis sie sich gezwungen sehen, die politische in eine militärische Situation umzuwandeln." Baaders Schreiben sollte als Beleg dafür dienen, dass er nach einem Schusswechsel mit der Polizei und seiner anschließenden Flucht noch lebte. Deswegen unterzeichnete er es auch mit seinem Daumenabdruck, um die Authentizität zu "beurkunden".

Spiegel-Titel vom 12. September 1977: Die RAF erstellte regelmäßige Pressespiegel. (© Spiegel-Verlag / HDG)

Ein weiterer Zweck des Schreibens war, einen Frontalangriff gegen die etablierten Medien zu fahren, "weil die westdeutsche Presse die Erklärung der Stadtguerilla-Kommandos nahezu vollständig unterschlagen hat. Stattdessen hat die Frankfurter Rundschau einen aus Buchstaben zusammengesetzten Brief verbreitet, dessen Charakter als Fälschung bei einem Vergleich mit authentischen Veröffentlichungen der RAF offensichtlich ist, um den Eindruck zu vermitteln, die Bombenattentäter seien Wirrköpfe, die chaotisch handeln, was die Bevölkerung in der Tat beunruhigen müsste. [...] Springer hat unter der Drohung weiterer Bombenanschläge die an ihn gerichteten Forderungen, wenn auch verstümmelt, publiziert. Die übrige Presse muß wissen, daß sie selbst Aktionen gegen den Springerkonzern provoziert, wenn sie sich aufgrund des ökonomischen Drucks, der von Springer ausgeht, freiwillig und opportunistisch seiner Zensurpraxis unterwirft. Wir fordern sie deshalb auf, die Bevölkerung nicht länger über den politischen Inhalt der Bombenanschläge zu täuschen [...]."

Die Massenmedien als Manipulator der öffentlichen Meinung spielten in den verschiedenen Erklärungen der RAF immer wieder eine Rolle. Als ein weiteres Beispiel sei hier die "Erklärung zum Bombenanschlag im Hamburger Hauptbahnhof" zitiert. In diesem Aufruf "gegen den Versuch der staatlichen Propaganda, den Anschlag im Hamburger Hauptbahnhof in die Nähe der RAF zu rücken" geht es der Gruppe zunächst darum, deutlich zu machen, dass nicht sie für den Anschlag verantwortlich war.

Es folgt ein Abschnitt, der sich explizit mit der Funktion der Medien und sogar einzelner Journalisten beschäftigt: "tatsache ist, daß der staatsschutz sein innerhalb der reaktionären struktur der durch medienkonzerne und öffentliche anstalten [ARD und ZDF, A. E.] institutionalisierten öffentlichkeit operierendes netz von staatsschutz-journalisten benutzt, um die rezeption des anschlags gezielt gegen die stadtguerilla zu steuern. profilierte figuren in diesem netz, das an die pressestelle des bka und die pressekonferenz angeschlossen ist, sind krumm in der fr, busche in der faz, leicht und kühnert in der sz und rieber und zimmermann, die in mehreren überregionalen zeitungen publizieren. der artikel von zimmermann, der einen zusammenhang zwischen dem anschlag, der raf, der bewegung 2. juni und siegfried haag behauptet, ist außer in der springer-presse parallel in acht überregionalen tageszeitungen erschienen."

Diese Erklärung ist gleich in doppelter Hinsicht für das Verhältnis Medien – RAF höchst interessant. Zum einen zeigt sie, dass die Gruppe offensichtlich so etwas wie einen Pressespiegel erstellt hatte, um festzustellen, wer was über sie berichtete. Wie hätte sie sonst wissen können, dass der Zimmermann-Artikel "außer in der springer-presse parallel in acht überregionalen tageszeitungen" erschienen war. Pressespiegel, Sammlungen von Zeitungsartikeln und ihre Systematisierung sind ein klassisches Instrument jeder Presse- und Öffentlichkeitsabteilung und ein Hilfsmittel für die externe Kommunikation.

Die Erklärung ist zum anderen aber deswegen besonders aufschlussreich, weil sie die Ambivalenz der RAF in Bezug auf die Massenmedien zeigt. Denn während einerseits die etablierten Zeitungen und explizit die Frankfurter Rundschau (FR) als Instrument des Staatsschutzes kritisiert werden, wird in derselben Erklärung nur einige Zeilen zuvor die FR von den Terroristen zitiert, um eine Verschwörungsthese zu belegen: "Inzwischen hat ein Bericht in der fr bestätigt, daß die Counterprojekte des Staatsschutzes seit ´72 – [...] nach dem Konzept der CIA-Zentrale entwickelt sind."

Die RAF brauchte die traditionellen Medien aber nicht in erster Linie als Quellenfundus für ihre Agitation – in diesem Bereich waren vor allem die Untergrundzeitschriften aktiv –, sondern als massenmedialen Vermittler ihrer Botschaften. Der Ansatz, durch Anschläge und Entführungen Presseveröffentlichungen zu erzwingen, ist fester Bestandteil der Forderungen von Terroristen und ihrer Kommunikationsstrategie. Für die RAF war der bekannteste Fall dieser Strategie die Schleyer-Entführung. Sie ist eng mit den wohl ersten Videobotschaften einer Terrororganisation überhaupt verbunden. Das Bild des entführten Arbeitgeberpräsidenten vor dem Hintergrund des RAF-Logos steht wie kaum ein anderes für die Geschichte der RAF. Bereits das erste Ultimatum der Entführer enthielt zwei publizistische Forderungen:

  • "[U]m 10 Uhr vormittags wird einer der Gefangenen das Kommando in Direktübertragung durch das Deutsche Fernsehen über den korrekten Ablauf ihres Abflugs informieren."

  • "[D]ie Erklärung wird [...] heute abend um 20 Uhr in der Tagesschau veröffentlicht."

Trotz Forderungen seitens der RAF werden Erklärungen der Terrororganisation nicht in den Nachrichten verlesen. (Tagesschau vom 5.9.1977) (© ARD-aktuell/tagesschau.de)

In der dritten Nachricht der Schleyer-Entführer wurde gefordert, "daß die Video-Aufnahme, in der Schleyer seinen beiliegenden Brief vorliest, heute ab 18 Uhr in allen Nachrichtensendungen des Fernsehens abgespielt wird". Kopien von Videobändern und Polaroidfotos, von Ultimaten und Erklärungen gingen stets an die in- und ausländische Presse.

Obwohl selbst der damalige Regierungssprecher Klaus Bölling betonte, die Medien hätten bei der Schleyer-Entführung außerordentlich verantwortungsbewusst gehandelt, wurden Teile des Schleyer-Videos ausgestrahlt. Die RAF hatte also eine viel größere Medienöffentlichkeit bekommen, als sie sie durch eigene Publikationen oder Artikel in Untergrundzeitschriften, wie der Agit 883, jemals erreicht hätte. Insofern war ihre Erpressungs-Kommunikationsstrategie aufgegangen.

Es gab kaum ein Bekennerschreiben zu einer spektakulären Aktion der RAF, das keine Forderung nach einer Presseveröffentlichung enthielt. So auch bei der Besetzung und Geiselnahme in der deutschen Botschaft in Stockholm. Im Bekennerschreiben heißt es unter anderem: "2. Diese Erklärung von uns, Erklärungen von den Gefangenen [in Stammheim, A. E.] oder ihren Anwälten werden sofort an die internationalen Nachrichtenagenturen weitergegeben und in der BRD über Rundfunk und Fernsehen ungekürzt verbreitet. Während des gesamten Ablaufs der Aktion muß die Regierung ihre Entscheidungen über die Massenmedien öffentlich machen. Der Abflug der Genossen wird vom BRD-Fernsehen und vom schwedischen Fernsehen direkt übertragen."

Bereits im "Kaufhausbrand"-Prozess sorgten die Angeklagten (hier: Horst Söhnlein, Thorwald Proll und Andreas Baader, von links) für medienwirksame Auftritte. (© AP)

Natürlich – mag man inzwischen schon fast sagen – gingen sofort nach der Entführung weitere Meldungen der Terroristen an die Nachrichtenagentur dpa heraus. Nachrichtenagenturen waren für die RAF besonders wichtig, da durch sie ein wesentlich größerer Multiplikationseffekt erzielt werden konnte, als mit einer Meldung in einer einzelnen Zeitung oder einem Sender. Die dpa belieferte damals über Fernschreiber fast alle bundesdeutschen Zeitungen und Sender mit Nachrichten.

Die Nutzung der Medien durch Terroristen hat aber auch noch einen anderen Aspekt, wie in dem Gespräch von Ralf Reinders und Roland Fritzsch mit der Bewegung 2. Juni deutlich wird. "Wie haben Polizei und Krisenstab mit euch kommuniziert? Über die Medien. Manchmal haben sie auch angekündigt, heute abend kommt was in der Abendschau. Am Samstag dem 1. 3. um 0.05 Uhr wurde über die Sender SFB und RIAS folgende Erklärung der Polizei augestrahlt: [...] Woher wußtet ihr, daß das um 0.05 Uhr über den Sender geht? Meinst du, wir hätten in der Zeit das Radio auch nur fünf Minuten ausgeschaltet? Meistens wurde das ja lange vorher angekündigt und dann auch noch wiederholt. Sie haben die Mitteilungen auch zur Fahndung benutzt, in dem sie diese immer später in der Nacht ausstrahlten. Und in der vierten Nacht waren sie soweit, daß sie die ganzen Postpeilwagen unterwegs hatten, weil sie gehofft haben, daß um 4.00 Uhr in Berlin nicht mehr so viele Fernseher an sind. Aber, die ganze Stadt hat am Fernseher gehangen."

An diesem Beispiel zeigt sich, dass die Terroristen mit den Medien sozusagen "über Bande spielten", sie also nicht nur zur Veröffentlichung ihrer Erklärungen bewegten und Botschaften aussandten, sondern über die Medien auch Botschaften empfingen. So wie bei der Lorenz-Entführung der Bewegung 2. Juni dienten vor allem Rundfunk und Fernsehen auch den RAF-Terroristen als Träger ihrer Zwei-Wege-Kommunikation mit der Polizei und den Krisenstäben.

Die Terroristen haben aber nicht nur die Medien benutzt; umgekehrt haben auch die Medien die Terroristen benutzt, um Auflage zu machen. Neben der "normalen" Berichterstattung über die RAF waren Interviews mit und Fotos von den Terroristen besonders begehrt. Dies zeigte sich vor allem bei den Gefangenen in Stammheim. Denn erstens war nur mit ihnen ein persönliches Gespräch überhaupt möglich, da sie bereits inhaftiert waren und sich nicht mehr verstecken mussten. Und zweitens besaßen sie aus Sicht der Medien eine gewisse Prominenz. Für große Publikumsmagazine – die möglichst viele Leser erreichen wollen, wie etwa der Stern – war das ein wichtiger Punkt.

Denn unabhängig davon, was die Leser von den Terroristen hielten, waren Interviews und erst recht Exklusivfotos von ihnen damals für die Medien eine "heiße Story", die jeder gern vor der Konkurrenz gehabt hätte. Das geht unter anderem aus einem Gespräch zwischen Vertretern des Stern und den Rechtsanwälten hervor. Die Anwälte vermittelten die Interviews mit den Gefangenen in Stammheim und waren ihr Sprachrohr nach außen. Croissant, der sich auch in anderem Zusammenhang sehr um die Medienöffentlichkeit der RAF bemühte, legte über seine Gespräche mit den Medienvertretern Aktennotizen an:

"unger vom stern kam mit einem weiteren kollegen – alsen – gegen 20h30 ins büro. zuerst nochmals die klage von unger wegen konkret – es war dasselbe wie in hh [...] er sagte eben, obwohl konkret nur 100 000 Auflage habe und der leserkreis ein anderer, könne der stern eben nicht mehr sagen, zum ersten mal – exklusiv – veröffentliche er fotos der gefangenen aus dem knast."

Die RAF und vor allem ihre prominenten Vertreter waren den Medien fast immer eine Geschichte wert. Und obwohl die RAF die etablierten Medien als Feind auserkoren hatte, ging sie – durchaus gewollt – das eine oder andere Mal eine Symbiose mit ihnen ein, von der beide Seiten profitierten.

Der Mythos Stammheim und ein vorläufiges Fazit

Die Medienöffentlichkeit spielte vor allem im Zusammenhang mit dem Hungerstreik der Gefangenen in Stammheim eine entscheidende Rolle. Auch in diesem Fall kann von einer Kommunikationsstrategie der RAF und ihrer Anwälte, namentlich dem bereits erwähnten Klaus Croissant, gesprochen werden. Die Haftbedingungen sollten aus Sicht der RAF nicht nur deswegen thematisiert werden, um – wie sie stets betonte – den Gefangenen Schutz vor einer möglichen Ermordung durch die Sicherheitsbehörden zu bieten. Die Berichterstattung über "Hungerstreik" und "Isolationshaft als Folter" war aus Sicht der RAF vor allem ein Mittel, um der Öffentlichkeit die "Fratze" des Staates zu offenbaren und die Sympathisantenszene zu mobilisieren.

Ob es allein der Kommunikationsstrategie der RAF zu verdanken ist, dass ein "Mythos Stammheim" entstand und die Diskussionen über den Tod der Gefangenen bis heute andauern, ist nicht eindeutig zu belegen. Dabei spielten noch zahlreiche andere Faktoren eine Rolle. Die Klärung der tatsächlichen Haftbedingungen bleibt bis heute ein Thema.

Dass es die RAF aber darauf anlegte, die Diskussion um die Haftbedingungen propagandistisch auszuschlachten und einen "Mitleidseffekt" zu erzielen, lässt sich kaum bestreiten. Dabei spielte die ideelle Unterstützung von Intellektuellen – wenn auch nicht für die Mittel, so doch für die Gesellschaftskritik der RAF – eine enorme Rolle. Denn dies war die Zielgruppe, in der die RAF-Kommunikation am ehesten positive Wirkung erzielte, und nicht etwa die Arbeiterschaft. Sie konnte am besten dadurch erreicht werden, dass sich Personen, mit denen sich diese Zielgruppe identifizierte oder deren Meinungen sie schätzte, für die RAF und ihren Kampf gegen die "Isolationsfolter" einsetzten.

Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre besucht am 4.12.1974 Andreas Baader in Stuttgart-Stammheim. (© AP)

Und so war der Besuch des französischen Philosophen und Literaten Jean-Paul Sartre in Stammheim für die externe Kommunikation der RAF ein gelungener Coup. Bereits in ihrer Bitte an Sartre, sie zu besuchen und ein Interview mit Andreas Baader zu führen, machten die RAF-Gefangenen keinen Hehl daraus, dass sie diesen Besuch nach außen kommunizieren und ihn auch für politische und nicht nur für humanitäre Zwecke nutzen wollten: "um das interview mit andreas zu machen ist es nicht notwendig, daß du uns in allem zustimmst. was wir von dir wollen ist, daß du uns den schutz deines namens gibst und deine fähigkeit als marxist, philosoph, journalist, moralist für das interview einsetzt, um uns die möglichkeit zu geben, dadurch bestimmte politische inhalte für die praxis des antiimperialistischen, bewaffneten kampfes zu transportieren."

Es lassen sich noch weitere Belege dafür finden, dass die RAF Kommunikationsstrategien verfolgte. So hatten – wie das ehemalige RAF-Mitglied Gerhard Müller 1976 in einem seiner Verhöre zu berichten wusste – die meisten der inhaftierten RAF-Mitglieder die Aufgabe, systematisch Zeitungen und Zeitschriften auszuwerten. Dies geschah in einer zuvor verabredeten und zum Teil vom "info"-Büro koordinierten, arbeitsteiligen Form. So soll etwa Irmgard Möller für die Auswertung der französischen Tageszeitung Libération zuständig gewesen sein, Gudrun Ensslin für Le Monde, Brigitte Mohnhaupt für britische Zeitungen, Werner Hoppe und Carmen Roll für amerikanische sowie Manfred Grashof für deutsche Militärzeitschriften.

Im April 2007 trafen der Ex-Terrorist Peter-Jürgen Boock (links) und Michael Buback (Sohn des ermordeten Generalbundesanwaltes Siegfried Buback) in einer TV-Sendung aufeinander. (© AP)

Ob dies auch in anderer Hinsicht koordiniert geschah, darf allein schon wegen der inneren Struktur der RAF bezweifelt werden. Da sie nicht zu jedem Zeitpunkt streng hierarchisch geordnet war, dürfte eine völlig einheitliche Außenkommunikation nur schwer zu praktizieren gewesen sein. Ebenso wenig ist anzunehmen, dass es ein eigenes "Pressezentrum" oder eine spezielle Abteilung nur für Öffentlichkeitsarbeit oder für Agitation und Propaganda gab. Das Grundproblem bei der Klärung dieser Frage wird auch in Zukunft sein, glaubwürdige interne Informationen zu bekommen und diese quellenkritisch überprüfen zu können.

Bereits bei dieser kursorischen Untersuchung ist aber deutlich geworden, dass es einzelne RAF-Mitglieder gab, die über ein hohes Medienwissen verfügten, die in Kommunikationsstrategien dachten und diese auch in die Praxis umsetzten. Diesen "Spuren" unter den hier etablierten methodischen Fragestellungen weiter nachzugehen, ist die Voraussetzung dafür, allgemein gültigere Erkenntnisse über das Wechselspiel zwischen der RAF und den Massenmedien zu erzielen.

Bei diesem Artikel handelt es sich um eine gekürzte Fassung des Aufsatzes "Die RAF und die Medien" von Andreas Elter. Erschienen in: Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): Die RAF und der linke Terrorismus, Hamburger Edition HIS Verlag, Hamburg 2007.

Fussnoten

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Andreas Elter ist seit mehr als 15 Jahren als CvD, Redakteur und Reporter für Presse, Rundfunk und TV tätig. Seit 2007 arbeitet er als Professor für Journalistik an der Macromedia Fachhhochschule der Medien in Köln. Zuletzt veröffentlichte er das Buch "Propaganda der Tat" in der edition suhrkamp.