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Gnade vor Recht? Die Diskussion um eine vorzeitige Haftentlassung ehemaliger RAF-Täter

Stephan Trinius

/ 8 Minuten zu lesen

30 Jahre nach dem "Deutschen Herbst" diskutierte Deutschland erneut darüber, wie der Staat mit ehemaligen RAF-Terroristen umgehen solle.

Die Frage, ob die verurteilten RAF-Terroristen Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt vorzeitig aus der Haft entlassen werden sollen, sorgte Anfang 2007 für eine kontroverse öffentliche Debatte. (© AP)

Während des so genannten "Deutschen Herbstes" im Jahr 1977 waren Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar an führender Stelle für Entführungen, Überfälle und Morde der zweiten RAF-Generation verantwortlich. 30 Jahre später – im Frühjahr 2007 – versuchten beide, vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden. Während Mohnhaupts Antrag auf Haftentlassung stattgegeben wurde, lehnte Bundespräsident Horst Köhler das Gnadengesuch von Klar ab. Vorangegangen war eine heftige öffentliche Diskussion.

Mohnhaupt und Klar: Zwei Führungsfiguren der zweiten RAF-Generation

Als am 7. April 1977 mit dem Mord an Siegfried Buback die tödliche Serie von Anschlägen der zweiten RAF-Generation beginnt, steht Brigitte Mohnhaupt als Planerin hinter dieser Tat. Auch Christian Klar gehört dem "Kommando Ulrike Meinhof" an, das sich in Bekennerschreiben für das Attentat auf den Generalbundesanwalt verantwortet. Ob Klar oder ein anderes RAF-Mitglied die tödlichen Schüsse auf Buback und dessen Begleiter Wolfgang Göbel und Georg Wurster abfeuerte, ist bis heute ungeklärt.

Am 30. Juli desselben Jahres versuchen Mohnhaupt und Klar gemeinsam mit Susanne Albrecht den Vorstandssprecher der Dresdner Bank Jürgen Ponto zu entführen. Die Entführung misslingt – es fallen Schüsse, Jürgen Ponto wird tödlich getroffen. Und auch an der Entführung und späteren Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer sind Mohnhaupt und Klar maßgeblich beteiligt.

Am 2. April 1985 wird Brigitte Mohnhaupt als "Rädelsführerin" der RAF wegen neunfachen Mordes sowie neunfachen Mordversuches zu fünfmal lebenslänglicher Freiheitsstrafe plus 15 Jahre verurteilt. Das gleiche Strafmaß erhält Christian Klar wegen neunfachen Mordes und elffachen Mordversuches.

Menschenwürde widerspricht dem Urteil "lebenslänglich"

Allerdings hatte das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 1977 – gerade in dem Jahr also, als Mohnhaupt und Klar ihre blutige "Offensive '77" beginnen – entschieden, dass auch lebenslänglich verurteilten Straftätern grundsätzlich die Chance verbleiben müsse, "je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden". Nur mit der Perspektive, ihr Lebensende in Freiheit verbringen zu können, bleibe die Menschenwürde der Straftäter gewahrt. Eine bloße Aussicht auf Begnadigung reiche nicht aus.

Daher beschloss der Gesetzgeber, dass eine Aussetzung der Haft zur Bewährung auch bei zu lebenslänglich verurteilten Straftätern möglich sein muss. Allerdings erst nach einer Mindestverbüßungsdauer von 15 Jahren. 1986 wurde zudem festgelegt, dass lebenslange Freiheitsstrafen nur einmal verhängt werden können. Aus mehreren lebenslangen Freiheitsstrafen – zu denen auch Mohnhaupt und Klar verurteilt worden waren – wurde somit eine lebenslange Strafe gebildet.

Im Einzelfall kann das Gericht jedoch die Mindesthaftzeit verlängern – und zwar dann, wenn es eine "besondere Schwere der Schuld" feststellt. Sowohl bei Mohnhaupt als auch bei Klar war dies der Fall. Brigitte Mohnhaupt wurde daher zu einer Mindesthaftzeit von 24 Jahren verurteilt – bei Klar legte das Gericht eine Haftzeit von mindestens 26 Jahren fest. Erst nach dieser Zeit können die RAF-Terroristen mit ihrer Freilassung rechnen. Aber auch hier hat der Gesetzgeber festgeschrieben, dass dies nur dann der Fall sein kann, wenn eine Haftentlassung "unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet" werden kann.

Mohnhaupts Haftentlassung auf Bewährung und Klars Gnadengesuch

Für Brigitte Mohnhaupt lief am 26. März 2007 ihre Mindesthaftzeit ab. Auf Antrag prüfte das Stuttgarter Oberlandesgericht (OLG) daher, ob von der ehemaligen RAF-Terroristin noch eine Gefahr für die Allgemeinheit zu befürchten sei. Das OLG kam zu dem Schluss, dass es keine Anhaltspunkte für eine "fortdauernde Gefährlichkeit der Verurteilten" gebe. Somit konnte Mohnhaupt am 27. März 2007 die Justizvollzugsanstalt im bayerischen Aichach verlassen. In seinem Urteil betonte das Gericht ausdrücklich, dass es sich im Fall Mohnhaupt anders als bei Christian Klar "nicht um eine Entscheidung im Gnadenweg" handele.

Christian Klar, dessen Mindestverbüßungsdauer erst am 3. Januar 2009 abläuft, hatte nämlich bereits im Jahr 2003 an Bundespräsident Johannes Rau ein Gnadengesuch gerichtet, über das Rau allerdings nicht mehr entschied. Daher überprüfte Bundespräsident Horst Köhler im Frühjahr 2007 eine mögliche Begnadigung des zu 26 Jahren Mindesthaft verurteilten RAF-Terroristen. Das Grundgesetz räumt dem Bundespräsidenten in Artikel 60, Absatz 2 dieses Begnadigungsrecht ein. Dabei ist der höchste Repräsentant des Staates in seiner Entscheidung vollkommen frei. Er muss sich weder an rechtliche Maßstäbe halten, noch ist seine Entscheidung gerichtlich anfechtbar. Für die Länder üben je nach Ländergesetzgebung entweder Senat, Ministerrat oder Ministerpräsident das Begnadigungsrecht aus.

Aufgrund dieses Begnadigungsrechtes kamen seit 1988 insgesamt acht ehemalige RAF-Täter noch vor Ablauf ihrer Mindestverbüßungsdauer auf freien Fuß. Klaus Jünscke wurde als erstes ehemalige RAF-Mitglied im Jahr 1988 nach 16 Jahren Haft durch den damaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz Bernhard Vogel (CDU) begnadigt. Noch im gleichen Jahr begnadigte Vogel auch Manfred Grashof (nach 17 Jahren Haft). Bundespräsident Richard von Weizsäcker begnadigte insgesamt drei ehemalige Mitglieder der RAF: 1989 Verena Becker (nach 15 Jahren Haft) und Angelika Speitel (nach elf Jahren Haft) sowie 1994 Bernd Rössner (nach 19 Jahren Haft). Vier Jahre später wurde Helmut Pohl nach 19 Jahren Haft von Bundespräsident Roman Herzog begnadigt. Zuletzt wurden Adelheid Schulz (2002, nach 16 Jahren Haft) und Rolf Clemens Wagner (2003, nach 24 Jahren Haft) durch Bundespräsident Johannes Rau begnadigt.

Die öffentliche Debatte

Die Haftentlassung Mohnhaupts auf Bewährung sowie Klars Gnadengesuch lösten eine breite Debatte darüber aus, wie der Staat mit ehemaligen Terroristen umzugehen habe. Zwei prinzipielle Positionen trafen in der Debatte aufeinander: auf der einen Seite steht die Forderung, der Staat solle durch Milde und Gnade ein Zeichen der Versöhnung setzen. Die andere Seite hingegen verlangt, dass dieses Zeichen der Versöhnung von den ehemaligen Terroristen ausgehen müsse: die Terroristen sollen Reue zeigen, ihre individuelle Schuld eingestehen und sich bei den Opfern und Hinterbliebenen für ihre Verbrechen entschuldigen.

Stimmen aus der Politik

Der frühere Außenminister Klaus Kinkel hatte sich bereits 1992 als damaliger Bundesjustizminister für eine Politik der Aussöhnung mit den RAF-Tätern ausgesprochen. In der aktuellen Debatte begrüßte Kinkel (FDP) die Freilassung von Brigitte Mohnhaupt. Auf einer Parteiveranstaltung in Köln plädierte Kinkel im Fall Christian Klar "nicht für Gnade vor Recht, sondern für Gnade nach Recht". Die Grünen-Politikerin Antje Vollmer sprach sich gegenüber der Berliner Zeitung sogar für eine Begnadigung aller noch inhaftierten RAF-Täter aus: "Ich fände es richtig, wenn diese ganze Zeit mit einem politischen Schlusswort des Bundespräsidenten beendet würde."

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) befand in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel, dass nach 24 Jahren Haft die Sühne erreicht sei. Ebenfalls im Berliner Tagesspiegel sprach sich Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau von der Partei DIE LINKE dafür aus, dass Christian Klar die Möglichkeit bekommen solle "seine Weltanschauung wieder durch Anschauung der Welt zu bilden". Volker Beck (Grüne) äußerte sich in einem Interview mit der Netzzeitung: "Ein Gnadenakt wäre eine humanitär Geste, ein Signal der Versöhnung, das nach mehr als 20 Jahren Gefängnis angemessen ist."

Gegen eine vorzeitige Haftentlassung der RAF-Terroristen sprach sich hingegen der CSU-Generalsekretär Markus Söder aus. Auf seiner Homepage heißt es: "Für RAF-Terroristen, die keine Spur von Reue zeigen, darf es keine Bewährung oder Begnadigung geben. Das wäre ein Schlag ins Gesicht der Opfer und ihrer Angehörigen. Wir dürfen das Vertrauen der Menschen in unseren Rechtsstaat nicht durch die Begnadigung von RAF-Terroristen enttäuschen. Klar und Mohnhaupt wollten unser Land ins Chaos stürzen und unseren Rechtsstaat zerstören. Für diese verstockten und uneinsichtigen Terroristen darf es keine Begnadigung geben."

In einem Interview mit dem ZDF-Morgenmagazin forderte auch der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach Christian Klar auf, glaubhafte Reue zu zeigen: "Das darf kein Lippenbekenntnis sein, eine glasklare Distanzierung von den schweren Verbrechen und von den Untaten der RAF. Dazu gehört meines Erachtens auch ein Wort der Entschuldigung, des Bedauerns an die Hinterbliebenen."

Die Debatte, ob Christian Klar seine Taten bereue und somit eine Begnadigung verdiene, wurde erheblich von einem Grußwort angefacht, das Klar am 13. Januar 2007 an die Teilnehmer der Rosa-Luxemburg-Konferenz gerichtet hatte. Klar forderte darin, "die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen". FDP-Chef Guido Westerwelle reagierte auf die Veröffentlichung des Grußwortes in der BILD-Zeitung: "Herr Klar ist kein geläuterter Täter, sondern bleibt ein verurteilter Serienmörder, dessen Begnadigung ich strikt ablehne."

Stimmen der Hinterbliebenen

Auch die Witwe des 1977 von der RAF ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer sprach sich gegen eine vorzeitige Freilassung der Täter aus. "Die haben genau gewusst, was sie taten, und bisher keine Reue gezeigt ... ich wäre gekränkt, wenn sie freikämen", zitierte Spiegel-Online Waltrude Schleyer. Hergard Rohwedder, Witwe des 1992 ermordeten Treuhand-Chefs Detlev Karsten Rohwedder, warnte in der Rheinischen Post, ob durch eine Begnadigung "nicht für die Öffentlichkeit ein falsches politisches Signal" gesetzt würde.

Michael Buback plädierte hingegen für eine Begnadigung von Christian Klar. Der Sohn des 1977 ermordeten Generalbundesanwalts Siegfrid Buback hatte zuvor von dem ehemaligen RAF-Terroristen Peter-Jürgen Boock Hinweise erhalten, wonach Klar nicht unmittelbar an der Ermordung seines Vaters beteiligt gewesen sein soll.

Die Tochter der RAF-Begründerin Ulrike Meinhof, Bettina Röhl, forderte in einem Gespräch mit Spiegel-Online von Mohnhaupt und Klar "aktive Reue – insbesondere, wenn sie die humanistischen Errungenschaften dieses Rechtssystems in Anspruch nehmen wollen". Zudem kritisierte sie, dass "im Versöhnungsgesülze die einzige Chance der Versöhnung, nämlich die Aufklärung" verspielt werde.

Debatte in der Presse

Die Diskussion um eine mögliche Begnadigung Klars beschäftigte auch die Kommentatoren verschiedener Tages- und Wochenzeitungen. Christian Semler schrieb in der Tageszeitung: "Gnadenerweise könnten als späte Geste gewertet werden, dass der Staat Verfolgung und Strafe nicht bis zum Letzten auskosten will. So könnte die Gnade eine politische integrative Wirkung entfalten. Und damit, anders als die Gnade in früherer Zeit, zur Festigung der Demokratie beitragen." (taz vom 24.01.2007)

Heribert Prantl argumentierte in der Süddeutschen Zeitung, dass das Leiden der Opfer niemals durch Strafe ausgeglichen werde könne: "Wer wollte behaupten, dass 30 Jahre Haft dem Leid eher entsprechen als 25? Es mag eine Grenze geben, wo ein Defizit an Strafe eine Verhöhnung der Opfer bedeutet. Nach einer so langjährigen Haftstrafe wie bei Mohnhaupt und Klar kann man davon kaum reden. Ein Gnadenerweis nach 24 Jahren Haft ist kein Widerruf des Urteils. Es ist ein Akt der Menschlichkeit von Staats wegen." (SZ vom 12.02.2007)

Diesem Argument widersprach Reinhard Müller in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sehr deutlich: "Das von manchen Politikern geforderte Signal der Versöhnung durch den Staat zeigt sich im gesetzlich geregelten, humanen und begrenzten Strafvollzug mit der Chance, die Freiheit wiederzuerlangen. Für Gnade gibt es keinen Grund." (FAZ vom 08.02.2007)

Keine Begnadigung für Christian Klar

Am 7. April 2007 lehnte Bundespräsident Horst Köhler Christian Klars Gnadengesuch ab. In einer Mitteilung des Bundespräsidialamtes heißt es: "Der Bundespräsident hat entschieden, von einem Gnadenerweis für Herrn Christian Klar abzusehen." Der Entscheidung des Bundespräsidenten haben unter anderem "Stellungnahmen der Bundesministerin der Justiz, des erkennenden Gerichts, der Generalbundesanwältin und der für den Strafvollzug verantwortlichen Justizvollzugsanstalt sowie ein kriminalprognostisches Gutachten zu Grunde" gelegen. Zudem hatte Horst Köhler zahlreiche Gespräche mit Hinterbliebenen der RAF-Opfer geführt. Abschließend hatte sich Köhler am 4. Mai sogar mit Christian Klar persönlich zu einem Gespräch getroffen. Klar wird nun frühesten Anfang 2009 aus dem Gefängnis entlassen werden – nach Ablauf seiner Mindesthaftzeit von 26 Jahren.

Brigitte Mohnhaupt lebt seit ihrer Haftentlassung in Südwestdeutschland und wird dort von einer privaten Bewährungshilfeorganisation betreut. Laut offiziell nicht bestätigten Zeitungsberichten hat die heute 58-Jährige ihren Namen geändert und arbeitet in einer Autoteilefabrik.

Stephan Trinius

Stand: 3. September 2007

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