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Errichtung der Besatzungsherrschaft | Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg | bpb.de

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Errichtung der Besatzungsherrschaft

Prof. Dr. Wolfgang Benz Wolfgang Benz

/ 12 Minuten zu lesen

Nach seiner Kapitulation teilten die Alliierten Deutschland in vier Besatzungszonen auf. Rasch wurde eine provisorische Verwaltung eingerichtet, geleitet vom alliierten Kontrollrat. Parallel dazu unterstützten sie die Gründung politischer Gruppierungen, um das Land langfristig an eine eigene deutsche Regierung zu übertragen.

Großbritanniens Feldmarschall Bernard Montgomery, US-General Dwight D. Eisenhower, der sowjetische Marschall Georgi Schukow und der französische General Jean de Lattre de Tassigny (von links) vor einer Sitzung des alliierten Kontrollrates. (© AP)

Einleitung

Mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Reims und Berlin-Karlshorst am 7./8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg. Zugleich war, wenige Tage nach Hitlers Selbstmord, die staatliche Existenz des Deutschen Reiches beendet. Darüber konnte die noch von Hitler eingesetzte Regierung des Großadmirals Karl Dönitz, die bei Flensburg bis zu ihrer Verhaftung am 23. Mai 1945 ein Schattendasein führte (ihr einziger Zweck war die Kapitulation) niemanden außer sich selbst hinwegtäuschen.

Deutschland war weitgehend zerstört, militärisch erobert und von alliierten Truppen besetzt. Die Niederlage war vollständig. Es gab keine deutsche staatliche Autorität mehr. Die großen Städte lagen in Trümmern. Flüchtlinge und Vertriebene strömten aus den Ostgebieten herein, auf der Suche nach Obdach und Nahrung und einer neuen Heimat. Der Alltag der Deutschen war von Hoffnungslosigkeit und Erschöpfung, von Apathie und der Sorge um vermisste Angehörige bestimmt. Die Sieger fanden unterwürfige und abgestumpfte Menschen vor, die sich auf den Straßen nach ihren Zigarettenkippen bückten, um die Tabakreste zu Ende zu rauchen. Besiegte, die sich elend, gedemütigt und als Opfer fühlten.

Die siegreichen Alliierten hatten begeisterte Nationalsozialisten erwartet und wunderten sich, dass die Deutschen genauso fassungslos wie sie selbst die Überreste der nationalsozialistischen Verbrechen zur Kenntnis nahmen. Natürlich glaubten sie das Entsetzen der Menschen von Weimar nicht, die nach Buchenwald befohlen wurden, um das befreite KZ zu besichtigen, ebensowenig wie sie den Dachauern glaubten, dass sie nicht gewusst haben wollten, was hinter dem Lagerzaun vorgegangen war. Niemand hatte Mitleid mit den unterlegenen Deutschen.

QuellentextBefreiung und Besetzung

Am gleichen Morgen (29. April 1945 - Anm. d. Red.) erhielt das 3. Bataillon des zur 45. Infanteriedivision gehörigen 157. Infanterieregiments der US-Army den Befehl, das Lager Dachau einzunehmen. [...] Der Zugang zum gesamten Lagerkomplex war ungefähr einen Kilometer westlich vom Schutzhaftlager gelegen, und es war von dort nicht sichtbar.
Dennoch wurden die Amerikaner unmittelbar und ohne Vorwarnung mit dem äußersten Grauen der KZ-Welt konfrontiert: An der Zufahrtsstraße zum Eingang des SS-Lagers stand ein Zug, der eineinhalb Tage zuvor aus Buchenwald angekommen war - ein langer Zug mit 39 Waggons, und in den meisten lagen Leichen, die ausgemergelten Körper toter Häftlinge. Einige lagen erschossen neben dem Gleis. [...]
Dieser Anblick verstörte die US-Soldaten zutiefst: "Kampferprobte Veteranen weinten, starrten mit düsteren, unbewegten Gesichtern vor sich hin, und der Zorn zerrte an ihren ohnehin schon angespannten Nerven." [...]
Beim weiteren Vormarsch stießen die amerikanischen Soldaten auf die Lazarettgebäude, die sich in unmittelbarer Nähe des Eingangs befanden. Aus dem Lazarett wurden mindestens 100 Deutsche, darunter auch einige Frauen, auf die Straße herausgeholt. Zwei GIs überprüften, ob die in den Betten liegengebliebenen Patienten tatsächlich gehunfähig waren. Währenddessen wurden draußen auf Geheiß des Kompaniechefs die SS-Leute von den übrigen Gefangenen abgesondert. Dabei half ein polnischer KZ-Häftling, der SS-Leute identifizierte, welche ihre Uniform gegen andere Kleidungsstücke eingetauscht hatten. [...]
Zugleich hatte das Auftauchen der Amerikaner das ganze Lager in Bewegung gebracht. [...] "Alles gerät in Bewegung. - Kranke verlassen die Betten, die fast Gesunden und das Personal rennen auf die Blockstraße, springen aus den Fenstern, klettern über die Bretterwände. - Alles rennt auf den Appellplatz. - Man hört von weitem bis hierher das Schreien und Hurrarufen." [...] Die Situation drohte außer Kontrolle zu geraten [...] und die Amerikaner hatten alle Mühe, einen Massenausbruch zu verhindern und einigermaßen geordnete Verhältnisse herzustellen.
Noch die Freude über die Befreiung forderte im KZ Todesopfer. Drei Hälftlinge, die achtlos vor Aufregung an den elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun gerieten, wurden durch Stromschlag getötet.

Jürgen Zarusky, "That is not the American Way of Fighting", in: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hg.), Gericht und Gerechtigkeit, Dachauer Hefte 13. (Dezember 1997), S. 35 - 37, 44 - 47.

In einem Hauskeller verborgen erlebte der Schriftsteller Günter Kunert im April 1945 die Eroberung Berlins durch die Sowjetarmee.

Die Schlacht um Berlin beginnt. [...] Dafür schlägt man nun sein Lager im Keller auf. [...] Die Lebensmittel werden knapp. Und, weitaus schlimmer, die Zigaretten. [...]
Durch die Kellerräume wabert ein Gerücht, das auch mich erreicht. Am Königstor, am Abschluß der Greifswalder Straße, käme ein gewaltiger Lagerbestand von Tabakwaren zur Verteilung, um sie nicht den Russen zu überlassen. [...] Während einer Feuerpause überqueren wir hakenschlagend die breite Elbinger Straße, springen über herabbaumelnde Oberleitungen und landen auf der anderen Seite in einem Hausflur. Es hagelt Geschosse aller möglichen Kaliber. [...] Sobald meine russischen Freunde ihre Geschütze und Minenwerfer in Weißensee nachladen müssen, sprinten wir einige Häuser weiter. [...]
Endlich: das Königstor. Ein demolierter, kaum wiedererkennbarer Platz. Dumpfe Detonationen. Bei verängstigten Hausbewohnern erkundigen wir uns nach der Quelle unseres Verlangens. Aber hier werden nur Friedhofsplatzkarten verteilt, sonst nichts. [...] Und wir müssen den gleichen Weg zurück, ohne, wie vorher durch unsere manische Verblendung, die Gefahr zu mißachten.
[...] Im Keller nichts Neues. Einer der Mieter hat in weiser Voraussicht seinen Detektorempfänger von 1922 nicht weggeworfen. [...] Und wir werden sogleich eine Falsettstimme mit dem um zwölf Jahre verspäteten Satz vernehmen: "Der Führer ist tot!" [...]
Getümmel setzt ein. Papiere werden hervorgezerrt, Dokumente, Ausweise, Fotos, Indizien für die eigene Schuld, für die Mitverantwortung an dem Komplex "Drittes Reich". Ab ins Fegefeuer mit dem belastenden Material, auf daß man selber gereinigt und geläutert aus dem Keller in eine neue Zeit hervorgehe. [...]
Hinaus ins Freie. Etwas macht sich bemerkbar. Etwas ganz Ungewöhnliches. [...] Es ist die völlige Stille. Die zur Phrase geronnene Stille nach dem Sturm. [...]
Warten, abwarten, was kommt. Was soll schon kommen? Die Sieger natürlich. Die ersten beiden zeigen sich schon. Sechzehnjährige, jeder mit einem Fahrrad versehen, wie man es "zufällig" auffindet. Die Käppis auf den kahlgeschorenen Schädeln, Pistolen im Stiefelschaft. [...] Aus ihren weiten Uniformblusen schaufeln die Soldaten händeweise Machorka, (Tabakersatz - Anm. d. Red.), [...]. Was werden uns die Sowjets sonst noch bescheren? [...]

Günter Kunert, Erwachsenenspiele. Erinnerungen, München 1997, S. 79 ff.

Berliner Deklaration

Die Armeen der Sieger richteten sich in den vier Besatzungszonen ein, in die Deutschland zum Zweck der Verwaltung und Befreiung verabredungsgemäß eingeteilt wurde. Soweit es für die militärischen Zwecke erforderlich war, wurde die zerstörte Infrastruktur notdürftig instand gesetzt: Kanalisation und Behelfsbrücken sowie Wasser- und Energieversorgung. Für die Militärregierungen und Besatzungstruppen in den größeren Städten, Landkreisen, Ländern wurden Wohnungen und Büros beschlagnahmt. Die Sieger etablierten sich auf unbestimmte Zeit. Die Besatzungszeit, so viel war sicher, würde lange dauern.

Am 5. Juni 1945 machten die Sieger öffentlich bekannt, dass die oberste Regierungsgewalt in Deutschland von Vertretern der vier alliierten Mächte übernommen sei und von ihnen gemeinsam ausgeübt werde. Die "Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands" trug die Unterschrift der vier jetzt in Deutschland mächtigsten Männer, der Oberbefehlshaber General Dwight D. Eisenhower (USA), Marschall Georgij Schukow (UdSSR), Feldmarschall Bernhard Law Montgomery (Großbritannien) und General Jean de Lattre de Tassigny (Frankreich). Sie hatten sich in Berlin getroffen, um im Namen ihrer Regierungen neben einigen anderen Dokumenten diese "Berliner Deklaration" zu unterzeichnen, die dann in den drei künftig in und für Deutschland maßgebenden Sprachen englisch, russisch und französisch veröffentlicht wurde.

Diese Junideklaration wiederholte die militärischen Kapitulationsbedingungen und verband sie mit einer Ankündigung der Maßnahmen, die den Deutschen bevorstanden, darunter Abrüstung und Entmilitarisierung sowie Verhaftung der Naziführer und Kriegsverbrecher. Der entscheidende Satz lautete, dass die Regierungen in Washington, London, Moskau und Paris die Hoheitsrechte über Deutschland übernommen hätten "einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden".

Die vier Oberbefehlshaber setzten mit ihren Unterschriften drei weitere Schriftstücke in Kraft, in denen die Konturen des Besatzungsregimes über Deutschland festgelegt waren. Es handelte sich um "Feststellungen" über das Kontrollverfahren, über die Besatzungszonen und um ein drittes Dokument, in dem die Absicht der Regierungen der vier Mächte zum Ausdruck gebracht wurde, "sich mit den Regierungen anderer Nationen gelegentlich der Ausübung der Macht über Deutschland" zu beraten. Alle diese Papiere waren das Ergebnis interalliierter Beratungen seit Anfang 1944. Die Unterzeichnung und Verkündung in Berlin war vor allem ein demonstrativer Akt, der anzeigen sollte, dass Deutschland jetzt unter Besatzungsrecht stand. Das Treffen der vier Oberbefehlshaber war im Grunde schon die erste Sitzung des Alliierten Kontrollrats, der offiziell noch während der Potsdamer Konferenz am 30. Juli 1945 erstmals zusammentrat.

Alliierter Kontrollrat

Zwei Grundsätze sollten sich bei der Regierung Deutschlands durch die Alliierten ergänzen: die Ausübung der obersten Gewalt in der jeweiligen Besatzungszone durch den dortigen Oberbefehlshaber, der über die Angelegenheiten seiner Zone nur seiner Regierung Rechenschaft schuldete, und die gemeinsame Herrschaft "in allen Deutschland als ein Ganzes betreffenden Angelegenheiten". Zu diesem Zweck bildeten die Oberbefehlshaber zusammen den Kontrollrat als Kollektivorgan. Sie sollten dort gemeinsam "für eine angemessene Einheitlichkeit des Vorgehens" in ihren Besatzungszonen Sorge tragen und "im gegenseitigen Einvernehmen Entscheidungen über alle Deutschland als Ganzes betreffenden wesentlichen Fragen" fällen. Überstimmt werden konnte keiner der Vertreter der Vier Mächte; für alle Beschlüsse war Einstimmigkeit vorgeschrieben.

Im Koordinierungsausschuss des Kontrollrats saßen die vier Stellvertreter der Oberbefehlshaber. Das waren 1945 die Generale Lucius D. Clay (USA), Wassili Sokolowski (UdSSR), Brian H. Robertson (Großbritannien) und Louis M. Koeltz (Frankreich). Ihnen fiel die eigentliche Arbeit zu, nämlich die Vorbereitung der Kontrollratssitzungen. Diese fanden bis zum März 1948, als der Vertreter der Sowjetunion die Sitzung verließ und dadurch den ganzen Kontrollapparat zum Stillstand brachte, immer am 10., 20. und 30. eines jeden Monats statt. Konferenzort war das Gebäude des Berliner Kammergerichts, in dem zuletzt der "Volksgerichtshof" unter Roland Freisler die Gegner des NS-Regimes verurteilt hatte.

Inhaltliche Auseinandersetzungen über Probleme, die der Kontrollrat zu regeln hatte, fanden in der Regel im Vorfeld, im Koordinierungsausschuss statt. Die Oberbefehlshaber beschränkten sich auf die Beschlussfassung oder, was mit den zunehmend schlechter werdenden Beziehungen zwischen den Verbündeten zur Regel wurde, sie konstatierten, dass keine Übereinstimmung erzielt werden konnte. Die Oberbefehlshaber hatten eine Doppelfunktion: Sie bildeten die militärische Spitze der Okkupationstruppen, und sie waren als Militärgouverneure für die Verwaltung ihrer Besatzungszone zuständig.

QuellentextAufbau einer Provinzialregierung

Auftrag der britischen Militärregierung an Rudolf Amelunxen (1888 -1969, Zentrums-Politiker, Oberpräsident von Westfalen 1945, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen 1946 -1947 - Anm. d. Red.) zum Aufbau der Verwaltung in der Provinz Westfalen, 6. Juli 1945.
Von heute ab übernehmen Sie die Pflichten und die Verantwortung des Leiters der zivilen Verwaltung für die Provinz Westfalen und die Länder Lippe und Schaumburg-Lippe.
Sie bilden unverzüglich eine Provinzial-Regierung, die für die Militärregierung annehmbar ist. Einmal gewählt, haben diese Beamten ihre Pflichten redlich und treu zu erfüllen, und Sie werden ihnen zu verstehen geben, [...] daß sie ihre Ernennung lediglich nach dem Belieben der Militärregierung innehaben.
Ungehorsam gegen die Anordnungen der Militärregierung wird nicht geduldet werden. Kein tätiger Nazi oder Naziparteigänger - das heißt mit den Nazis stark Sympathisierender - erhält die Erlaubnis, irgendeine beamtete Stellung einzunehmen. [...]
Die allgemeine Politik ist in der ersten Proklamation des Obersten Befehlshabers an das deutsche Volk zusammengefaßt und wird hiermit zu Ihrer Unterrichtung wiederholt:
Wir kommen als ein siegreiches Heer, jedoch nicht als Unterdrücker. Wir werden die Herrschaft der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei beseitigen, die NSDAP auflösen, sowie die grausamen, harten und ungerechten Rechtssätze und Einrichtungen, die die Partei geschaffen hat, aufheben. [...]
Der bestehende Verwaltungsaufbau für die Mobilisierung, Beschaffung, Registrierung und Verteilung der Arbeit durch regionale und örtliche Arbeitsämter wird beibehalten werden, nur die Nazibeamten sind dabei zu entfernen. Die bestehende Lohnkontrolle bleibt aufrechterhalten, das soziale Versicherungswesen, Pensionen und Vergünstigungen bleiben gültig, soweit deutsche Fonds verfügbar sind; folgende Vorbehalte werden gemacht:
a) Zahlung von Militärpensionen und von Familienunterhalt für die Angehörigen deutscher Soldaten wird verboten, ausgenommen
1. Pensionen wegen körperlicher Gebrechen, die die Arbeitsfähigkeit vermindern und
2. Pensionen oder Vergütungen an Witwen, Waisen oder nicht militärische Personen ohne anderweitige Unterstützung.
b) Kein Familienunterhalt wird den Familien dienender Soldaten gewährt.
c) Keine Pensionen oder Unterstützungen dürfen für Mitgliedschaft oder Dienst in der Nazipartei gezahlt werden.
Alle Benachteiligungen bzw. Vergünstigungen bei Löhnen, Arbeitsbedingungen, Sozialversicherungs-Pensionen und Unterstützungen von Gruppen oder Einzelpersonen auf Grund ihrer Rasse, Abstammung, religiösen oder politischen Einstellung werden abgeschafft. Die Bildung einer demokratischen Gewerkschaftsbewegung oder anderer Formen freien wirtschaftlichen Zusammenschlusses wird zugelassen, vorausgesetzt, daß sie nicht Vertretungen von Nazigruppen sind.
Es ist sehr wünschenswert, daß die Schulen in Gang bleiben, um die Bedrohung von Ruhe und Ordnung durch zahlreiche junge Landstreicher einzuschränken. Andererseits ist heute das deutsche Erziehungssystem eine der stärksten Waffen der Nazi-Propaganda. Deshalb wird unser Weg sich wie folgt darstellen:
a) Schließung aller Schulen,
b) Wiedereröffnung aller Schulen, sobald die Militärregierung sich überzeugt hat, daß alle Mitglieder der Nazi-Partei und alle, die mit den Nazis stark sympathisiert haben, aus dem Lehrkörper entfernt sind und brauchbare Schulbücher gestellt sind.
c) Die Forderung, daß der zivile Leiter des Verwaltungsgebietes dafür garantiert, daß keine nazifreundliche oder militärische Lehre in den so eröffneten Schulen vertreten (gelehrt) wird.
Die deutschen Behörden werden Anweisung erhalten, alle Schulbücher, die nationalsozialistische oder militärische Lehren enthalten, zu beschlagnahmen.
Alle nationalsozialistischen Parteiorganisationen an Schulen und Universitäten sind abzuschaffen und ihre Akten und ihr Eigentum zu beschlagnahmen. [...] Stätten, die dem Gottesdienst geweiht sind, werden wieder geöffnet und die Freiheit der Religion gefördert werden, [...]
Es ist eindeutig klarzustellen, daß Sie allein auf Anweisung der Militärregierung handeln. In allen Angelegenheiten können Einzelanweisungen eingeholt werden, und wenn irgendein Zweifel besteht, ist bei den Offizieren der Militärregierung, die dazu bevollmächtigt sind, Rat zu suchen.
gez. G. A. Ledingham
Colonel Commanding Officer
307 (P) Mil. Gov. Det.

Thomas Berger/Karl-Heinz Müller (Hg.), Lebenssituationen 1945 -1948, Hannover 1983, S. 20 ff.

Der Alliierte Kontrollrat entwickelte sich rasch zu einer umfangreichen Bürokratie. Zwölf Fachressorts mit den Aufgaben von Ministerien sollten unter der Bezeichnung "Direktorate" die Geschicke Deutschlands auf unbestimmte Zeit lenken. Die Direktorate waren aus Gründen der Parität jeweils mit vier Leitern besetzt. Sie bildeten Kommissionen und Unterausschüsse, die Proklamationen, Befehle und Verordnungen entwarfen, die - sofern sich die Oberbefehlshaber darüber untereinander verständigen konnten - im viersprachigen Amtsblatt des Kontrollrats veröffentlicht wurden.

Besatzungszonen

Bei der Einrichtung der Besatzungszonen, wie sie in Jalta im Februar 1945 endgültig festgelegt worden waren, gab es Verzögerungen. Im Südwesten verweigerten die Franzosen die Räumung der Städte Stuttgart und Karlsruhe, die zur US-Zone gehörten. Sie waren den Franzosen im April beim Vormarsch in die Hände gefallen, und es bedurfte ernster amerikanischer Drohungen, um die Franzosen zum Abzug aus Nordwürttemberg und Nordbaden zu bewegen. Die Amerikaner standen ihrerseits noch in Thüringen, Sachsen und Mecklenburg, in Regionen also, die von den Sowjets besetzt werden sollten. Im Gegensatz zu den Franzosen hatten die Amerikaner aber nicht beabsichtigt, sich über die Vereinbarungen mit ihren Verbündeten hinwegzusetzen. Sie übergaben Anfang Juli der Roten Armee diese Gebiete, sehr zum Bedauern der Einwohner, die lieber unter amerikanischer Besatzung geblieben wären. Die Sowjets hatten als Faustpfand Berlin, das - in vier Sektoren geteilt - von den Alliierten gemeinsam verwaltetwerden sollte. Anfang Juli 1945 marschierten amerikanische und britische Truppen in Berlin ein und nahmen ihre Sektoren in Besitz, im August folgten die Franzosen. Die gemeinsame Verwaltung Berlins erfolgte in der "Kommandantur", die direkt dem Kontrollrat unterstand.

Die Präsenz der drei westlichen Alliierten in Berlin war im Grunde eher symbolischer Natur. Die Militärgouverneure residierten wegen des Kontrollrats zwar offiziell in Berlin, hatten aber ihre Hauptquartiere und Arbeitsstäbe in ihren Zonen. In Baden-Baden war General Pierre Koenigs französische Militärregierung etabliert. Die Amerikaner hatten in Frankfurt im Verwaltungsgebäude der IG Farben Industrie ihre Dienststelle eingerichtet. Die Briten hatten ihr Hauptquartier auf mehrere Orte verteilt. Das militärische Oberkommando befand sich in Bad Oeynhausen, die britische Militärregierung befand sich in Lübbecke, Herford und Minden. Während die westalliierten Stäbe ständig zwischen Berlin und den Zonenhauptquartieren pendeln mussten, hatte es die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) bequemer, sie amtierte in Berlin-Karlshorst.

Aufbau der Verwaltungen

Die Potsdamer Konferenz

Die Deutschen bekamen von dem komplizierten Mechanismus, mit dem sie regiert wurden, wenig mit. Für sie war die lokale Militärregierung die oberste Instanz, die ihren Alltag regelte, Befehle erteilte, deutsche Gehilfen und Amtsträger einsetzte und wieder ablöste, wenn sie nicht den Erwartungen der Besatzungsherrschaft entsprachen. So geschah es dem Oberbürgermeister von Köln, Konrad Adenauer, den zuvor schon die Nationalsozialisten 1933 aus dem Amt gejagt hatten. Auf der "Weißen Liste" der Amerikaner stand er als Nummer 1, Anfang Mai setzten sie ihn wieder als Oberbürgermeister von Köln ein. Anfang Oktober setzten ihn die Engländer, in deren Besatzungszone Köln inzwischen lag, wegen angeblicher "Unfähigkeit und mangelnder Pflichterfüllung" wieder ab. Nicht anders erging es dem ersten Ministerpräsidenten Bayerns und späteren Bundesfinanzminister, Fritz Schäffer, den die amerikanische Militärregierung im Mai 1945 ernannte und im September wieder entließ. Ererschien der Besatzungsmacht zu konservativ. Die Rekrutierung unbelasteten deutschen Personals erfolgte in allen vier Zonen auf ähnliche Weise nach "Weißen Listen", die die Namen von Hitlergegnern und demokratisch gesinnten Politikern aus der Zeit vor 1933 enthielten. Die Listen waren lange vor der Besetzung Deutschlands zusammengestellt worden.

In der sowjetischen Besatzungszone gab es Kaderpersonal, das aus kommunistischen Emigranten bestand, die im Gefolge der Roten Armee nach Deutschland zurückkehrten. Dazu gehörte die "Gruppe Ulbricht", die am 30. April 1945 auf dem sowjetischen Feldflugplatz Calau (heute Kaława, Polen) landete, um - in Moskau gut auf die Aufgabe vorbereitet - der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland beim Aufbau der Verwaltung in der sowjetischen Besatzungszone zu helfen. Die "Gruppe Ulbricht" war für Berlin bestimmt. Sachsen und Mecklenburg waren die Einsatzgebiete zweier weiterer Gruppen mit Anton Ackermann (1905-1973, ab 1946 Mitglied des ZK der SED, 1954 wegen Unterstützung von Rudolf Herrnstadt und Wilhelm Zaisser aus dem ZK ausgeschlossen) und Gustav Sobottka (1886-1953, 1947/48 Präsident der Zentralverwaltung für Brennstoffindustrie, 1949 - 51 tätig im Ministerium für Schwerindustrie) an der Spitze. Das politische Leben fand zunächst in allen Zonen auf der untersten Ebene statt; In denlokalen deutschen Administrationen, die der Besatzungsmacht verantwortlich waren, spielten Parteien noch kaum eine Rolle. Nur das Funktionieren der elementaren Notwendigkeiten war auf dieser Ebene zunächst verlangt.

Parteigründungen

Parallel zur Wiederherstellung einer deutschen Verwaltung, die im Auftrag der Besatzungsmacht tätig wurde, vollzog sich allmählich die Bildung politischer Gruppierungen. In der östlichen Besatzungszone waren durch Befehl Nr. 2 der Sowjetischen Militäradministration schon am 10. Juni 1945 Parteien ganz offiziell zugelassen und zur politischen Aktivität ermuntert worden. Das war gleichsam ein Handstreich der sowjetischen Besatzungsmacht gewesen, der in Szene gesetzt wurde, ehe auf der Potsdamer Konferenz die drei großen Siegermächte zusammenkamen, um die Grundsätze einer gemeinsamen Deutschlandpolitik zu besprechen. Am 11. Juni 1945 trat in Berlin die KPD mit einem Gründungsaufruf an die Öffentlichkeit, Mitte Juni folgte die SPD, Ende des Monats die CDU und am 5. Juli wurde die Liberal-Demokratische Partei (LDP) gegründet. Die Wirksamkeit dieser vier Parteien blieb auf Berlin und die Sowjetzone beschränkt.

QuellentextAufruf des Zentralkomitees der KPD vom 11. Juni 1945

[...] Wir sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland.
Wir sind vielmehr der Auffassung, daß die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes [...] für Deutschland einen -anderen Weg vorschreiben, und zwar den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk. [...]
Die unmittelbarsten und dringendsten Aufgaben [...] sind gegenwärtig [...]: Vollständige Liquidierung der Überreste des Hitlerregimes und der Hitlerpartei. [...] Völlig ungehinderte Entfaltung des freien Handels und der privaten Unternehmerinitiative auf der Grundlage des Privateigentums. [...] Herstellung der demokratischen Rechte und Freiheiten des Volkes. Wiederherstellung der Legalität freier Gewerkschaften der Arbeiter, Angestellten und Beamten sowie der antifaschistischen, demokratischen Parteien.
[...] Liquidierung des Großgrundbesitzes, [...] und Übergabe [...] an die durch den Krieg ruinierten und besitzlos gewordenen Bauern. [...]

Ernst-Ulrich Huster u. a., Determinanten der westdeutschen Restauration 1945- 1949, Frankfurt a. M., 1972, S. 356 ff.

QuellentextForderungen und Ziele der SPD, Mai 1946

[...] Der vorhandene private Großbesitz an Produktionsmitteln und das mögliche Sozialprodukt der deutschen Volkswirtschaft müssen den Bedürfnissen aller zugänglich gemacht werden. Der heutige Zustand, bei dem die große Mehrzahl alles verloren hat, eine Minderheit aber reicher geworden ist, muß durch eine gerechte Gesellschaftsordnung überwunden werden.
Die Sozialdemokratie erstrebt eine sozialistische Wirtschaft durch planmäßige Lenkung und gemeinwirtschaftliche Gestaltung. Entscheidend für Umfang, Richtung und Verteilung der Produktion darf nur das Interesse der Allgemeinheit sein. Die Vermehrung der Produktionsmittel und Verbrauchsgüter ist die Voraussetzung für die lebensnotwendige Eingliederung Deutschlands in die internationalen Wirtschaftsbeziehungen. [...] Alle Betriebe des Bergbaues, der Eisen- und Stahlerzeugung und -bearbeitung bis zum Halbzeug, der größte Teil der chemischen Industrie und die synthetischen Industrien, die Großbetriebe überhaupt, jede Form der Versorgungswirtschaft und alle Teile der verarbeitenden Industrie, die zur Großunternehmung drängen, sind in das Eigentum der Allgemeinheit zu überführen. Die Förderung des Genossenschaftsgedankens, die Lösung betrieblicher Gemeinschaftsaufgaben in Handwerk, Handel und Landwirtschaft, stärkste Unterstützung der Verbrauchergenossenschaft sindnötig. [...]
Eine grundlegende Agrar- und Bodenreform ist unter Enteignung der Großgrundbesitzer sofort einzuleiten. [...]
[...] Der Lastenausgleich fordert eine grundlegende, alles umfassende Finanz- und Währungsreform. Ein soziales Existenzminimum muß gesichert und der Massenverbrauch geschont werden. [...]
Die Demokratie ist für alle Schaffenden die beste Form des politischen Kampfes. Sie ist für uns Sozialisten ebenso eine sittliche wie eine machtpolitische Notwendigkeit.
[...] Es gibt keinen Sozialismus ohne Demokratie, ohne die Freiheit des Erkennens und die Freiheit der Kritik. Es gibt aber auch keinen Sozialismus ohne Menschlichkeit und ohne Achtung vor der menschlichen Persönlichkeit.
Auf dem Gebiet der Staats- und Verwaltungspolitik erstrebt die Sozialdemokratie die Demokratie, die getragen ist von der Mitbestimmung und Mitverantwortung aller Bürger. Sie will eine Republik mit weitgehender Dezentralisierung und Selbstverwaltung. Glaubens- und Gewissensfreiheit für alle, Trennung von Kirche und Staat. [...]
Die Schulen sollen die Jugend [...] erziehen im Geist der Humanität, der Demokratie, der sozialen Verantwortung und der Völkerverständigung. Allen Deutschen stehen die Bildungsmöglichkeiten allein entsprechend ihrer Befähigung offen. [...]
Jedem Bürger soll die Möglichkeit gegeben werden, durch Arbeit seinen Lebensunterhalt zu erwerben. Soweit ihm angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, hat er Anspruch auf Lebensunterhalt.

QuellentextAuszüge aus den Düsseldorfer Leitsätzen der CDU, 15. Juli 1949

Die "soziale Marktwirtschaft" ist die sozial gebundene Verfassung der gewerblichen Wirtschaft, in der die Leistung freier und tüchtiger Menschen in eine Ordnung gebracht wird, die ein Höchstmaß von wirtschaftlichem Nutzen und sozialer Gerechtigkeit für alle erbringt. Diese Ordnung wird geschaffen durch Freiheit und Bindung, die in der "sozialen Marktwirtschaft" durch echten Leistungswettbewerb und unabhängige Monopolkontrolle zum Ausdruck kommen. Echter Leistungswettbewerb liegt vor, wenn durch eine Wettbewerbsordnung sichergestellt ist, daß bei gleichen Chancen und fairen Wettkampfbedingungen in freier Konkurrenz die bessere Leistung belohnt wird. [...]
Marktgerechte Preise sind Motor und Steuerungsmittel der Marktwirtschaft. Marktgerechte Preise entstehen, indem Kaufkraft und angebotene Gütermenge auf den Märkten zum Ausgleich gebracht werden. Wichtigste Vorbedingung, um diesen Ausgleich herbeizuführen, ist ein geordnetes Geldwesen. [...]
Die "soziale Marktwirtschaft" steht im scharfen Gegensatz zum System der Planwirtschaft, die wir ablehnen, ganz gleich, ob in ihr die Lenkungsstellen zentral oder dezentral, staatlich oder selbstverwaltungsmäßig organisiert sind. [...]
Die Planwirtschaft hemmt die Erzeugung, indem sie in die Hand der Lenkungsstellen Machtvollkommenheiten legt, [...].
Die "soziale Marktwirtschaft" steht auch im Gegensatz zur sogenannten "freien Wirtschaft" liberalistischer Prägung. Um einen Rückfall in die "freie Wirtschaft" zu vermeiden, ist zur Sicherung des Leistungswettbewerbs die unabhängige Monopolkontrolle nötig. Denn so wenig der Staat oder halböffentliche Stellen die gewerbliche Wirtschaft und einzelne Märkte lenken sollen, so wenig dürfen Privatpersonen und private Verbände derartige Lenkungsaufgaben übernehmen. [...]
Die vorwiegend eigentumsrechtlichen und gesellschaftspolitischen Grundsätze des Ahlener Programms werden anerkannt, jedoch nach der marktwirtschaftlichen Seite hin ergänzt und fortentwickelt. [...]

Christlich-Soziale Union (CSU): Grundsatzprogramm 1946

[...] Wir erstreben den Staatsaufbau auf christlicher Grundlage. [...]
Wir bekennen uns zum demokratischen Staat. Wir kämpfen gegen jede Art von Diktatur eines einzelnen, einer Partei oder einer Klasse.
[...] Wir fordern den föderativen Aufbau Deutschlands auf bundesstaatlicher Grundlage. [...]
Wir verlangen die Ehrfurcht vor der Unverletzlichkeit der Person.
[...] Wir vertreten die Freiheit der Meinungsäußerung in Wort und Schrift, die Freiheit des Handelns und der Berufswahl, die Freiheit des Zusammenschlusses und der Religionsausübung! Nur am christlichen Sittengesetz und am Gemeinwohl findet die menschliche Freiheit ihre Grenzen.
Wir fordern die rechtliche und soziale Gleichstellung der Geschlechter. [...]
Wir bejahen eine angemessene Beteiligung der Arbeitnehmer am Reingewinn ihres Unternehmens. [...]
Wir anerkennen das Recht des Staates, die Wirtschaft nach Gesichtspunkten des Gemeinwohls zu lenken! Wir lehnen die Planwirtschaft als Ausfluß eines kollektivistischen Denkens ab. Wir kämpfen gegen den Wirtschaftsliberalismus [...]
Wir verlangen ein angemessenes Mitbestimmungsrecht der Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der Lenkung der Wirtschaft, ein Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen und Produktionsverhältnisse. [...]
Wir verlangen die unbedingte Achtung des Staates vor dem Willen der Eltern hinsichtlich der Schulerziehung ihrer Kinder. Wir bekennen uns zum eigenen Recht der Kirchen auf einen angemessenen Einfluß in der Erziehung der Jugend. [...]

Klaus-Jörg Ruhl (Hg.), Neubeginn und Restauration. Dokumente zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949, München 1982, S. 216 ff. Für die Auszüge aus den Programmen von CDU, CSU sowie SPD und FDP.

QuellentextProgrammatische Richtlinien der Freien Demokratischen Partei der britischen Zone, 4. Februar 1946

[...] Dieser Staat soll auf breitester Grundlage von unten nach oben aufgebaut werden, [...].
Völlige Rechtssicherheit soll die Freiheit des Staatsbürgers schützen. Es soll nur ein Recht in Deutschland geben, ein gleiches Recht für alle. [...] Die Gewerkschaften sollen zu verantwortlichen Organisationen des Staates ausgebaut werden, die den Schutz der Arbeit gewährleisten. [...]
Erstes Ziel der Wirtschaftspolitik ist entsprechend dem Bedürfnis der breiten Massen die Steigerung der Erzeugung auf allen Gebieten. [...] Das Ziel kann nur erreicht werden durch Wiedereinschaltung der freien Initiative unter Abbau der Wirtschaftsbürokratie. [...] Persönliche Initiative und freier Wettbewerb steigern die wirtschaftliche Leistung, und persönliches Eigentum ist eine wesentliche Grundlage gesunder Wirtschaft. [...]
Wie die Freiheit der Forschung und Freiheit der Lehre die Vorbedingung aller wissenschaftlichen Leistungen ist, so kann auch die Volksbildung nur auf dem Boden der Freiheit und Wahrhaftigkeit gedeihen. [...]
Bei der konfessionellen Zerklüftung unseres Volkes können die Schulen des Staates nicht einer Konfession dienen. Wir fordern daher die Gemeinschaftsschule, in der die von ihrer Kirche anerkannten Lehrkräfte konfessionellen Religionsunterricht erteilen. [...]

In der US-Zone wurden die Weichen nicht so rasch gestellt. In der Direktive für den Oberbefehlshaber der amerikanischen Besatzungstruppen in Deutschland, die unmittelbar nach Kriegsende galt, hieß es ganz allgemein, dass keine politische Tätigkeit ohne Genehmigung des Militärgouverneurs begünstigt werden dürfe. Rede-, Presse- und Religionsfreiheit sei den Deutschen zu gewähren, soweit dadurch nicht militärische Interessen beeinträchtigt würden. Die Verbreitung von nazistischen, militaristischen und nationalistischen Lehren sei ebenso zu verbieten wie "Aufmärsche militärischer, politischer, ziviler oder sportlicher Art". Das Vorschriften-Handbuch der US-Armee, das die Offiziere der amerikanischen Militärregierung über Maßgaben der Besatzungspolitik informierte, enthielt unter dem Stichwort "Politische Aktivitäten" vier Thesen, die ihnen als Richtschnur dienen sollten:

  • Alle demokratischen Parteien sollten unterstützt werden, und zwar möglichst in ganz Deutschland;

  • Träger politischer Mandate sollten sich regelmäßig der öffentlichen Diskussion ihres Programms und Wahlen stellen müssen;

  • Wahlen waren unter gleichen Bedingungen für alle und mit mindestens zwei konkurrierenden Parteien durchzuführen;

  • politische Parteien sollten demokratisch, durch freiwilligen Zusammenschluss entstanden und getrennt von den Organen der Regierungsgewalt sein.

Das waren Grundüberlegungen, wie sie in den USA als selbstverständlich galten. In Deutschland mussten diese Grundsätze aber erst wieder erlernt und eingeübt werden, und zwar zunächst in den Gemeinden und kleineren Städten.

CDU, CSU und SPD

Auf dieser Ebene waren in der US-Zone ab August 1945 die Aktivitäten deutscher Parteien zugelassen. Voraussetzung war, wie auch in der britischen und der französischen Zone, der Erwerb einer Lizenz. Dazu musste ein Antrag bei der zuständigen Militärregierung gestellt werden, dem außer dem Parteiprogramm, den Statuten, einem Finanzierungsplan und der Beantwortung vieler Fragen (zum Beispiel über die beabsichtigte Parteipropaganda) auch die Unterschriften der Unterstützenden beigefügt sein mussten. Die Anträge wurden, wenn alles seine Richtigkeit hatte, auf Kreisebene genehmigt. Die Aktivitäten der Parteien wurden dann von der Militärregierung überwacht.

Die Parteien der 1933 verbotenen Arbeiterbewegung, KPD und SPD, die ihre alten Organisationsstrukturen und ihr Mitgliederpotenzial wieder beleben konnten, erschienen ab Sommer 1945 an vielen Orten als erste auf der politischen Bühne, gefolgt von der neuen Gruppierung der Christlich-Demokratischen Union (CDU) bzw. in Bayern der Christlich-Sozialen Union (CSU). Diese neue Gruppierung sprach als bürgerliche Sammlungsbewegung das Wählerpotenzial des katholischen Zentrums (bzw. der Bayerischen Volkspartei) sowie auch protestantische politische Schichten an. Das Neuartige war der konfessionelle Pluralismus dieser auf christlicher Grundlage sozial engagierten Parteien CDU und CSU, die in den drei Westzonen ungefähr gleich stark wie die SPD wurden. Der Zusammenschluss in Landesverbänden wurde erst später erlaubt, die Parteiorganisation auf Zonenebene war nur in der britischen und sowjetischen Besatzungszone möglich.

Mit dem aus jahrelanger KZ-Haft zurückgekehrten Kurt Schumacher, der ab Frühjahr 1945 die SPD wiederaufbaute, bekam diese Partei außer einem in allen Zonen einheitlichen Namen eine charismatische Führergestalt, die unbeirrt durch die alliierten Vorgaben die SPD als überzonale einheitliche Partei verstand. Allerdings grenzte sich die westliche SPD gegen den Führungsanspruch der ostzonalen SPD unter Otto Grotewohl ebenso ab wie gegen alle Angebote zur Zusammenarbeit mit Kommunisten.

Vereinigung der Arbeiterparteien

Die KPD erfreute sich der bevorzugten Förderung durch die Sowjetische Militäradministration. Sie propagierte den auch von Mitgliedern der SPD geforderten Zusammenschluss der beiden Arbeiterparteien. Das sollte, im Verständnis der Sozialdemokraten, eine Lehre aus der Geschichte sein, die Konsequenz aus der erlittenen Ohnmacht gegenüber Hitler, dem die gespaltene und sich bekämpfende Arbeiterbewegung trotz ihrer zahlenmäßigen Stärke keinen wirksamen Widerstand hatte entgegensetzen können. Angesichts der Erfahrungen mit der sowjetischen Besatzungsherrschaft war die Euphorie aber längst einer tiefen Skepsis gewichen. Viele Sozialdemokraten waren überzeugt, dass die KPD mit Unterstützung der sowjetischen Militärregierung die SPD bei einem Zusammenschluss nur für ihre Absichten gebrauchen würde. Die Propaganda zur Schaffung einer einheitlichen Arbeiterpartei (die KPD betrieb sie unter dem Eindruck des schlechten Abschneidens der kommunistischen Parteien bei den Wahlen inÖsterreich und Ungarn) fand deshalb kaum Resonanz bei der SPD in den Westzonen. In der Ostzone war erheblicher sowjetischer Druck erforderlich, damit sich am 21. und 22. April 1946 der Gründungsparteitag der Sozialistischen Einheitspartei (SED) im Ost-Berliner Admiralspalast vollzog. Otto Grotewohl (SPD) und Wilhelm Pieck (KPD) wurden einstimmig zu gleichberechtigten Vorsitzenden der SED gewählt.

In den Westzonen und den Westsektoren Berlins lehnten die Sozialdemokraten mit großer Mehrheit die Vereinigung ab. Die SPD, für die die Fusion in der Ostzone zum Trauma wurde, steuerte in den folgenden Jahren unter Kurt Schumacher einen strikt antikommunistischen Kurs.

Überregionale Zusammenschlüsse

Für die christlich-demokratischen Parteien, die im Dezember 1945 in Bad Godesberg ein "Reichstreffen" veranstaltet hatten, wurde Konrad Adenauer allmählich zur führenden Figur. Er war Ende Februar 1946 zum Vorsitzenden der CDU der britischen Zone gewählt worden und benutzte diese Stellung zur Abwehr des Führungsanspruches der CDU der sowjetischen Besatzungszone.

Die Partei war sowohl programmatisch als auch organisatorisch heterogen. Die Bandbreite reichte von der Ideenwelt des christlichen Sozialismus (die im AhlenerProgramm vom Februar 1947 zum Ausdruck kam) bis zu eher konservativen Auffassungen und zum entschiedenen Föderalismus der bayerischen CSU. Außer dem gemeinsamen Namen CDU bzw. CSU (in Godesberg im Dezember 1945 beschlossen) bildeten die Christdemokraten bis zum ersten Bundesparteitag im Oktober 1950 nur eine Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Parteien.

Noch größer war die Vielfalt bei den Liberalen, die in der Ostzone im Juli 1945 die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDP) gründeten und die sich in den Westzonen unter Namen wie Demokratische Volkspartei (Württemberg) oder Freie Demokratische Partei (FDP) in Nordrhein-Westfalen zusammengefunden hatten.

Auf regionaler Basis wurden noch weitere Parteien gegründet und von den Alliierten lizenziert, und zwar neue Vereinigungen wie die Bayernpartei oder die Niedersächsische Landespartei (später Deutsche Partei) sowie alte Parteien der Weimarer Republik wie die katholische Zentrumspartei, die wieder auflebten. Auch entstanden schillernde Gebilde wie die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV) in Bayern. Sie alle wurden gewählt und waren vorübergehend wichtig.

Zwei Arten von Parteien hatten allerdings keine Chance, eine Lizenz von den Besatzungsmächten zu bekommen, nämlich rechtsradikale Gruppierungen sowie solche Parteien, die als Interessenvertretung von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen auftreten wollten.

Die ersteren waren mit dem Demokratisierungsgebot unvereinbar (deshalb wurde auch der Lizenz-Antrag einer bayerischen Königspartei abgelehnt), und Flüchtlingsparteien waren nicht erlaubt, weil die Alliierten auf raschestmögliche volle Integration aller neuen Bürgerinnen und Bürger in ihren Besatzungszonen drängten.

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Geb. 1941, Studium der Geschichte, Politischen Wissenschaft und Kunstgeschichte. Seit 1990 Professor an der Technischen Universität Berlin und Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung. Vorsitzender der Gesellschaft für Exilforschung. Mitherausgeber der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft.