Wir wollen versuchen, es näher zu beschreiben
Illegaler Brief aus Ravensbrück von Zofia Pocilowska
In diesem Jahr wurde der Kurs gegenüber Polinnen verschärft. Wir fühlen das nicht nur in der Art, wie man uns behandelt, sondern auch darin, daß: 1) Polinnen nicht zur Arbeit bei Landwirten geschickt werden, 2) man Polinnen von allen verantwortungsvolleren Funktionen im Lager entfernt. Es gibt hingegen eine Tendenz zur Verschickung von Polinnen und Ukrainerinnen in Fabriken. Verschickt wurden bereits 2 Transporte nach Grünerberg (Munitionsfabrik) und in eine Porzellanfabrik bei Karlsbad. Weitere Transporte sind geplant.Hinrichtungen: Weiterhin gibt es Transporte ins "Unbekannte". Hinrichtungen werden nach Transporten und Städten vorgenommen. Die letzte Vorbereitung eines solchen Transports löste eine Reaktion unter Polinnen aus. Bei Dämmerung, als die Verurteilten hinter das Tor geführt wurden, strömte eine Schar von Polinnen auf die Hauptallee, um die Fortgehenden zu verabschieden. Auf dem Wege stellten sich Beamtinnnen und versprerrten uns den Durchgang. Eine von ihnen wurde zusammengeschlagen als sie nach Häftlingen griff und ihre Nummern aufschreiben wollte. In der Dämmerung hatte dieser Vorfall keine weiteren unmittelbaren Folgen. Innerhalb einiger Tage wurden Polinnen von den "Effekten" (Kleidungslager) entfernt, wo sie die Möglichkeit hatten, die zürückkehrende Wäsche und Kleidung der Ausgeführten zu identifizieren, man drohte Repressionen an.
Die in den Tod Gehenden bewahren Ruhe und Ernst.
Chirurgische Versuche: es wurden bislang 80 Operationen durchgeführt (ausschließlich an Polinnen, fast nur an Frauen aus Lublin), ohne Rücksicht auf Proteste der für die Operationen Vorgesehenen. Fünf starben. Der Rest – sind Krüppel, unfähig, normal zu laufen. Es wurden Beine operiert und vermutlich Knochen herausgenommen. Die Operationen werden unter Geheimhaltung vollzogen; Häftlingskrankenschwestern dürfen dabei nicht assistieren. Die Operierten leiden sehr. Sie bleiben wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang Krüppel.
Es operiert Dr. Gebhard aus Hohenlychen (wo sich ein Sanatorium für Invaliden befindet). Das Verbrechen dieser Operationen hat nicht seinesgleichen.
Ungeachtet der schwierigen Bedingungen bleiben wir stark. Wir warten auf den Tag der Befreiung. Wir warten auf ein Großes und Mächtiges Polen. Wir glauben, Polen werde herrlich und strahlend, es werde Empfindungen aller Polen vereinen, Arme und Schwache in Schutz nehmen und starke und schöne an Geist Menschen hervorbringen. Wir lernen, wir schreiben. Und wir leben erfüllt von Briefen aus der Heimat. Wir fügen Lagerpoesie bei. Planmäßig führen wir Selbstunterrichtsstunden durch (Gesch., Poln., Philosophie, Astronomie, Geologie, Sprachen). Sonntags kommen wir zusammen, um zu diskutieren. Vertreterinnen verschiedener pol. Gruppierungen diskutieren über das künftige Polen. Auch wenn wir in manchen Dingen bei unterschiedlichen Ansichten bleiben, so versuchen wir, im ideologischen Kampf das Giftige zu vergessen, und wir lernen, uns gegenseitig zu achten. Wir lesen Zeitungen.
Wir glauben, daß auch Ihr, ungeachtet des schweren Schicksals, von ähnlichem Geist und ähnlichen Ideen bestärkt seid. Wir glauben, daß wir gemeinsam zurückkehren werden, um an einem solchen Polen zu bauen, dessen Liebe uns in diese Gegenden hingetrieben hat. Wir drücken herzlich Eure lieben und von Arbeit gezeichneten Hände. Wir warten auf Euch. – Auf Wiedersehen.
Wir danken Zofia Pocilowska für die Nutzung des Briefes.
Ebenso danken wir der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, bei der die Rechte für die Arbeitsübersetzung des Briefes aus dem Polnischen ins Deutsche liegen. Eine Abschrift des vollständigen Briefes findet sich in: "Aby swiat sie dowiedzial...Nielegalne dokumenty z obozu Ravensbrück, hg. von Krystyna Oleksy/Irena Polska, Panstwowego Muzeum w Oswiecimiu, Oswiecim 1980 (dt. Übers. in: ARa), S. 49-52, "Damit die Welt es erfährt...: Illegale Dokumente aus dem Konzentrationslager Ravensbrück".