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Amsterdam Mahzor | Geteilte Geschichte | bpb.de

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Amsterdam Mahzor

Ephraim Shoham-Steiner Christiane Twiehaus

/ 6 Minuten zu lesen

Dieses reich verzierte Gebetbuch zeigt Kraft und Wohlstand von Angehörigen der jüdischen Gemeinde im Köln des 12. Jahrhunderts.

Der Amsterdam Machsor, Externer Link: Shared History Projekt. (MiQua – LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln/Joods Historisch Museum (Amsterdam)) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Das Objekt

von Christiane Twiehaus

Der Amsterdam Machsor wurde im Mittelalter in Köln von Hand geschrieben. Dort wurde er vermutlich bis zur Interner Link: Vertreibung der Jüdinnen und Juden im Jahr 1424 genutzt. Erst ab 1669 ist der neue Aufenthaltsort des Machsor auf Grund von zwei Anmerkungen von Uri Fayvesh ben Aaron Halevi sicher belegt, einem berühmten Drucker in Amsterdam. Er stiftete den Kodex – den er von seinem Großvater erhalten hatte, dem Rabbiner Moses Uri Halevi – im Jahr 1669 der aschkenasischen Gemeinde von Amsterdam, um auf diese Weise einen Streit beizulegen. Seitdem blieb der Machsor im Besitz der jüdischen Gemeinde von Amsterdam (NIHS). Seit dem Jahr 1955 war der Machsor dem Jüdischen Historischen Museum Amsterdam als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt worden.

Historischer Kontext

Die Ursprünge des Amsterdamer Machsors
von Christiane Twiehaus

Der Amsterdam Machsor ist ein aschkenasisches Gebetbuch für die Interner Link: jüdischen Feiertage. Bei dem Kodex handelt es sich um eine der ältesten überlieferten mittelalterlichen Handschriften in hebräischer Sprache des deutschsprachigen Raums. Der Buchblock umfasst 331 Blätter und ist üppig mit Illustrationen, Schmuckbuchstaben und Schmuckwörtern sowie den Zeichen des Tierkreises verziert. Die Abbildungen nehmen Bezug auf den Text. An den Details der Ausführung lässt sich ablesen, dass mindestens drei verschiedene Kunsthandwerker den Machsor gestaltet und erstellt haben. Zwar ist der Schreiber nicht bekannt, doch verrät die markante Form der Buchstaben, dass er aus Nordfrankreich stammte. Tatsächlich bildeten Nordfrankreich und das Rheinland eine gemeinsame kulturelle Region.

Der Amsterdam Machsor enthält Gebete und hauptsächlich liturgische Verse. Diese Kompositionen werden an den verschiedenen Festtagen vorgetragen und sind als Pijjutim bekannt. Liturgie und Pijjutim können sich von Stadt zu Stadt unterscheiden. Die Pijjutim im Amsterdam Machsor entsprechen den in der Kölner Gemeinde bestehenden Traditionen. Der Machsor enthält außerdem eine Haggada, in welcher der rituelle Ablauf des Festmahls für Pessach mit den Gebets- und Liedtexten festgeschrieben ist. Diese Haggada enthält Pijjutim, die noch heute rezitiert werden.

Zwar wurde der Machsor zum Gebrauch in der Synagoge gefertigt, doch wurde er wahrscheinlich nicht dort aufbewahrt, sondern im Haus eines Gemeindemitglieds. An den jüdischen Feiertagen brachte ihn entweder ein Würdenträger der Gemeinde oder der Stifter der Handschrift in die Synagoge und legte ihn auf das Lesepult. Während des Gottesdienstes sang der Interner Link: Chasan (Kantor) die Gebete und Verse aus dem Machsor. Das Singen der Gebete ist ein Kernbestandteil des Feiertagsgottesdienstes. Angeleitet vom Chasan singt und betet die Gemeinde miteinander. Der Chasan ist in der jüdischen Liturgie ausgebildet und nimmt eine wichtige Position innerhalb der Gemeinde ein. Er rezitiert die Gebete für die Gemeinde als ein Bote zu Gott.

Die Herstellung einer illuminierten Handschrift wie des Amsterdam Machsor ist ein langwieriger und teurer Prozess, in den viele Kunsthandwerker eingebunden sind. Der Stifter eines solchen Werks ist häufig eine wohlhabende Persönlichkeit. In vielen Fällen wird eine so wertvolle Arbeit der jüdischen Gemeinde gestiftet und verweist auf den Wohlstand, den gesellschaftlichen Stand und die Frömmigkeit des Stifters. Schenkungen an die Gemeinde konnten dem Gedenken an eine Person oder ein Ereignis dienen oder dazu, Streitigkeiten aus der Welt zu schaffen.

Der Amsterdam Machsor wurde für die jüdische Gemeinde in Köln hergestellt. Schriftliche Quellen und archäologische Funden belegen, dass diese mittelalterliche Gemeinde seit dem 11. Jahrhundert in der Stadt bestand. Der Machsor entstand während des 13. Jahrhunderts, einer Zeit der kulturellen Blüte und der friedlichen Koexistenz von Juden und Christen in Köln. Im Jahr 1248 wurden der Grundstein für den neuen Kölner Dom gelegt und in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wurde die Bima, das in der Mitte des Synagogenraumes angeordnete Vorlesepult, neu gestaltet. Es ist davon auszugehen, dass die im Stil der Gotik gestaltete Bima von Steinmetzen der Kölner Dombauhütte für die jüdische Gemeinde gebaut wurde.

In dieser Epoche stellte der Erzbischof von Köln den Juden regelmäßig Schutzbriefe aus, in denen auch ein bestimmter Katalog an Rechten gewährt wurde. Üblicherweise wurden Urkunden dieser Art auf Pergament geschrieben. Im Kölner Dom findet sich allerdings das erzbischöfliche Privileg des Engelbert von Falkenburg, das er der jüdischen Gemeinde im Jahr 1266 gewährte und das in Stein gehauen wurde; noch heute ist dies im Chorumgang des Doms zu besichtigen.

Judenprivileg, Steintafel im Kölner Dom (Public Domain, Wikimedia Commons) Lizenz: cc by-sa/4.0/deed.de

Ein wesentliches durch das Privileg gewährtes Recht war dasjenige, die Toten auf einem jüdischen Friedhof zu bestatten. Im Mittelalter hatte nicht jede jüdische Siedlung einen eigenen Friedhof. Damit hatte eine jüdische Gemeinde, die einen Friedhof ihr Eigen nannte, einen Sonderstatus, da sie über alle diejenigen jüdischen Siedlungen die Rechtsprechung ausübte, die diesen Friedhof nutzten. Vor dem Interner Link: Pogrom von 1349 gehörten 40 jüdische Siedlungen dem Friedhofsbezirk der jüdischen Gemeinde von Köln an. Dies ist ein Hinweis darauf, dass im Mittelalter eine jüdische Gemeinde weder in organisatorischer noch in religiöser noch in geografischer Hinsicht auf das sogenannte jüdische Viertel oder die Grenzen der Stadt beschränkt war.

Im Jahr 2017 haben das Jüdische Historische Museum in Amsterdam und das MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln die weltberühmte Handschrift gemeinsam erworben. Dieser großartige gemeinsame Kauf wurde mit einer kleinen Ausstellung in den Jahren 2018 und 2019 gefeiert. Darüber hinaus haben die beiden Institutionen alle Blätter des schönen Amsterdam Machsor online unter Externer Link: www.amsterdammahzor.org verfügbar gemacht.

Persönliche Geschichte

Der geheimnisvolle Förderer des Amsterdamer Machsors
von Ephraim Shoham-Steiner

Der Amsterdam Machsor ist eine reich illuminierte jüdische liturgische Handschrift, die im gemeinsamen Eigentum des Jüdischen Historischen Museums in Amsterdam und des MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln steht und mit beiden Städten eine historische Verbindung aufweist. Zusätzlich zu den im Text und an den Blatträndern angebrachten Illuminationen sind auch einzelne Worte durch geometrische Verzierungen in Farbe und Blattgold hervorgehoben. Machsorim (Pluralform von Machsor) waren großformatige liturgische Handschriften, die vom Chasan (Kantor) der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde beim Vorbeten genutzt wurden.

Doch wo hat dieser Machsor seine Ursprünge, wann und wie ist er entstanden? Die Auswahl der liturgischen Verse (Pijjutim) war im deutschsprachigen Raum des Mittelalters von Gemeinde zu Gemeinde verschieden. Anhand der in der Handschrift enthaltenen Pijjutim und anderer Hinweise können wir sicher feststellen, dass der Amsterdam Machsor aus der jüdischen Gemeinde in Köln stammt. Üblicherweise enthielten mittelalterliche Handschriften einen Kolophon, in dem sich Angaben über den Auftraggeber eines so teuren Kunstwerks sowie über den Schreiber und den die der Kennzeichnung der Vokale und Worttrennungen dienende Punktation anbringenden Bearbeiter finden. Der Kolophon des Amsterdam Machsor fehlt, so dass Fragen zu Auftraggeber und genauem Zeitpunkt der Erstellung ohne Antwort bleiben.

Ein jüdischer Machsor (Gebetbuch) im Kölner Wallraf-Richartz-Museum. (© picture-alliance/dpa, Oliver Berg)

Aus kodikologischen Besonderheiten lässt sich folgern, dass die Handschrift in den 1250ern bis 1260ern Jahren entstanden sein muss. Mithin stellt das Manuskript einen der ältesten überlieferten illuminierten Machsorim dar. Zum Zeitpunkt seiner Entstehung stand die Kölner Gemeinde in voller Blüte; sie wurde geführt und finanziert von wohlhabenden jüdischen Händlern, die anscheinend darum bemüht waren, in verschiedener Weise ihr Gedenken zu verewigen. Die Ausschmückung und Verschönerung der eigenen Synagoge war eine Möglichkeit, dies zu tun; so wurde genau zu dieser Zeit die Bima neu ausgestaltet. Es scheint so, als sei der Machsor genau zur Zeit der Renovierungsarbeiten in der Synagoge geschrieben und illuminiert worden. Aus Antworten des Rabbi Meir von Rothenburg an seinen ehemaligen Schüler Rabbi Ascher ben Jechiel von Köln bezüglich der Sorge des letzteren, dass beide künstlerische Vorhaben möglicherweise einen Verstoß gegen das zweite Gebot darstellen könnten, geht hervor, dass die Erstellung des Machsor und die Beauftragung der das Gotteshaus verschönernden Bima tatsächlich in diese Zeit fallen.

In den Illuminationen des Machsor verweisen einige Anhaltspunkte und Spuren auf eine konkrete Person, die in zeitgenössischen Dokumenten als der ha-nadiv (wörtlich der "Wohltäter") bezeichnet wird: Juda ben Schmuel. Mit dem Geschenk eines liturgischen Gegenstandes wie etwa eines Gebetbuchs verband sich für den Schenker die Hoffnung, sein Gedenken und vielleicht auch das naher Angehöriger zu verewigen. Juda ben Schmuel war von seinem Heimatort Düren in die Großstadt Köln gezogen; diese Schenkung belegt auch seine Macht, seinen Reichtum und seinen politischen Einfluss als Darlehensgeber und Sprecher seiner Gemeinschaft.

Dank der Großzügigkeit von Juda ben Schmuel, dem Auftraggeber des Amsterdam Machsor, haben wir heute dieses prachtvolle Erinnerungsstück an die blühende jüdische Gemeinde des mittelalterlichen Kölns und an ihre Laienvorsteher.

Dieser Beitrag ist Teil des Externer Link: Shared History Projektes vom Externer Link: Leo Baeck Institut New York I Berlin.

Weitere Inhalte

Ephraim (Effie) Shoham-Steiner (geb. 1968) ist Historiker, spezialisiert auf mittelalterliche jüdische Geschichte. Er ist außerordentlicher Professor an der Abteilung für jüdische Geschichte an der Ben-Gurion Universität des Negev in Be'er-Shevah Israel (BGU). Er ist auch der Direktor des Zentrums für das Studium der Konversion und interreligiösen Begegnungen an der BGU. Seine Forschung konzentriert sich auf die sozialen Aspekte der jüdischen Geschichte mit einem besonderen Interesse an sozialen Informationen, die aus rabbinischem Quellenmaterial aus dem mittelalterlichen Westeuropa extrahiert werden können. Sein erstes, ursprünglich auf Hebräisch erschienenes Buch mit dem Titel: חריגים בעל כורחם: משוגעים ומצורעים בחברה היהודית באירופה בימי הביניים (מרכז שז "ר: ירושלים 2007) ist auf Englisch erschienen: On the Margins of a Minority (Wayne State University Press: Detroit 2014). Er ist Herausgeber der gesammelten Aufsätze mit dem Titel: Intricate Interfaith Networks: Quotidian Jewish Christian Contacts in the Middle Ages (History of Daily Life 5 -Brepols; Turnhout 2016). Sein zweites Buch trägt den Titel: Jews and Crime in Medieval Europe (Wayne State University Press; Detroit 2020). Derzeit erforscht er die mittelalterliche jüdische Gemeinde Kölns.

Christiane Twiehaus wurde 1976 in Hannover geboren. Seit 2014 leitet die Judaistin die Abteilung für jüdische Geschichte und Kultur am MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln. Zu ihren letzten Publikationen gehört die Einführung zum Reprint der Haggadah von Isaac Offenbach von 1838.