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Die Franzosen und die Marne

Emmanuel Saint Fuscien

/ 6 Minuten zu lesen

Im September 1914 brachten die Franzosen den deutschen Vormarsch aus Paris zum Stehen. Es dauerte nicht lange, da wurde aus einer Schlacht östlich von Paris das "Wunder an der Marne". Doch dieses Wunder kostete 25.000 französische Soldaten das Leben.

Französische Soldaten warten auf den Angriff (Agence Ro, Guigui169, Pmx, Diannaa; Externer Link: Wikimedia Commons) Lizenz: cc publicdomain/zero/1.0/deed.de

Die Front kommt zum Stehen

Nach einem anstrengenden Rückzug von 500 Kilometern befahl der französische Generalstabschef Joffre seinen Streitkräften am 6. September 1914 die Kehrtwende. Die französischen Armeen schickten sich an, ganz unerwartet eine Gegenoffensive zu starten.

Die Kämpfe fanden südlich des Marne-Tals zwischen dem 50 Kilometer östlich von Paris gelegenen Meaux und Vitry-le-François statt und verlagerten sich schließlich nach Nordosten bis Verdun. Auf dieser etwa 250 Kilometer langen Linie standen sich nun an die zwei Millionen Einberufene gegenüber. 750.000 deutsche Soldaten hatten die Marne infolge eines blitzschnellen Vordringens nach ihren Siegen im Grenzkrieg überschritten. Sie glaubten kurz vor dem Einzug in Paris zu stehen und stellten sich einer Million französischer Soldaten, die mit dem britischen Expeditionskorps einen strapaziösen und zermürbenden Rückzug aus Belgien und Lothringen vollzogen hatten.

All das ist bekannt. Auch die Tatsache, dass der rechte Flügel der deutschen Armee daraufhin einen folgenschweren taktischen Fehler beging, indem er die Franzosen nach Südosten verfolgte und damit seine rechte Flanke verwundbar machte, anstatt in Richtung Nordosten von der Hauptstadt aus zu marschieren, wie es der Schlieffen-Plan vorgesehen hatte.

Die Franzosen nutzten die Gelegenheit aus, indem sie mit allen verfügbaren Soldaten angriffen. Beide Seiten sahen den Zusammenstoß als entscheidende Wende an. Das war falsch. Zwar rettete er Paris vor der deutschen Bedrohung und führte zu einem Rückzug der Deutschen hinter die Linie Ribécourt-Souain. Doch dann "gruben" sich die beiden Armeen auf einer Linie von 700 Kilometern von den Vogesen bis zur Nordsee ein. Bis zum März 1918 wird sich an diesem Frontverlauf nur wenig ändern.

Die unmittelbare Erinnerung

In Frankreich bildete sich unmittelbar nach den Kämpfen die Erinnerung an einen heroischen Kampf. Eine der in Frankreich meistgelesenen Zeitschriften, Le Miroir, erwähnte bereits im September 1914 die "Kämpfe von der Marne" und publizierte Fotos von deutschen Leichen in Château-Thierry, von zerstörten Brücken und von am Fluss gelegenen Waschhäusern, die versenkt wurden, damit die deutsche Armee ihr Material nicht als Brücke bei der Überquerung der Marne benutzen konnte.

In der Presse wurde die Schlacht als ein "großer Sieg" dargestellt, und der Generalstab betrachtete das ebenso. Die Armeechefs vereinnahmten den Sieg umso nachdrücklicher, als Frankreich durch die Niederlagen während der Grenzkriege zwischen dem 19. und 25. August erschüttert worden war.

Heroische Parolen und leidenschaftliche Erklärungen wechseln sich ab. Der spätere Oberkommandierende der Alliierten, Ferdinand Foch, begründete seine Legende, indem er einen Satz verbreiten ließ, der dem vorhergehenden Jahrhundert entstammte. Als er in den Sümpfen von Saint-Gond durch von Bülows 2. Armee bedroht gewesen war, soll er laut Pierre Gosa Folgendes gesagt haben: "Meine Rechte weicht zurück, meine Linke ist bedroht, mein Zentrum ist durchbrochen. Eine hervorragende Situation, um anzugreifen."

Galliéni, Militärchef von Paris und mit der Verteidigung der Hauptstadt beauftragt, nachdem die Regierung nach Bordeaux verlegt worden war, beanspruchte ebenfalls den Sieg für sich. Er hatte unter anderem die Interner Link: Taxis an die Marne beordert, mit denen 4.000 Soldaten der Infanterie-Brigade der 7. Division an die Front gebracht wurden.

Joffre seinerseits war für die Namensgebung der Kämpfe verantwortlich, indem er am 11. September schrieb: "Die Schlacht von der Marne endet mit einem unbestreitbaren Sieg." Dieser Satz wurde am nächsten Tag mehrfach in der Presse zitiert. Joffre, ob laizistisch oder katholisch, strickte an der Erinnerungskonstruktion weiter, indem er die Dimension des Wunders beim Erfolg der Gegenoffensive nach dem schmerzlichen Rückzug im August hinzufügte. Im l’Echo de Paris vom 22. Dezember 1914 soll der Schriftsteller und Politiker Maurice Barrès als Erster den Ausdruck benutzt haben, der sich bald in der Erinnerung festsetzte, das "Wunder von der Marne".

Ab 1915 wurden die ersten Bücher mit Fotos über die Schlacht veröffentlicht. Unter ihnen war Les champs de bataille de la Marne von Gervais-Courtellement, dem zwei Reiseführer von Michelin folgten, die die Kämpfe am Kanal vom Ourcq und der Marsch von Saint-Gond südlich des linken Flussufers beschrieben.

Woran erinnert sich die Geschichte?

Joffres Tagesbefehl vom 5. September 1914 (Jebulon; Externer Link: Wikimedia Commons) Lizenz: cc publicdomain/zero/1.0/deed.de

In den ersten Berichten stand noch nichts von der Höhe der Verluste. Eher ging es darum, das "Wunder" zu feiern als die Opfer zu zählen. Erst die Untersuchungskommissionen der 1920er Jahre und eine Neubewertung durch Historiker gelangten zu einer realistischen Einschätzung. Zwischen dem 6. und dem 10. September 1914 waren etwa 25.000 Soldaten getötet worden.

Unter den durchschnittlich 5.000 Toten pro Kampftag befand sich sozusagen auch ein Toter des Vortages, der in der nationalen Erinnerung dauerhaft das Opfer verkörperte. Am 5. September wurde in der Nähe von Villeroy der Leutnant und Schriftsteller Charles Péguy durch einen Kopfschuss getötet. Seitdem schrieben ihm die Biographien und Geschichtsbücher eine Reihe von angeblich letzten sehr lehrreichen Sätzen zu: vom kriegerischen "Schieß, aber schieß verdammt noch mal!", zum sehr christlichen "Schießen Sie im Namen Gottes" bis zum pathetischen "Mein Gott! Meine Kinder."

In der Person von Charles Peguy sahen sich die Sozialisten, Christen und die Anhänger von Alfred Dreyfus verkörpert. Dreyfus war als französischer Offizier 1895 zu Unrecht wegen angeblicher Spionage für das deutsche Kaiserreich verurteilt worden und wurde erst 1906 rehabilitiert. Dieses Frankreich solidarisierte sich mit Peguyund und war bereit, die Deutschen jenseits des Flusses zurückzutreiben.

Auch die Historiographie stützte sich lange Zeit auf eine heroische Erinnerung an die Schlacht. 1970 publiziert Henry Contamine unter dem Titel 9. September 1914. Der Sieg an der Marne das bedeutendste Werk über die Kämpfe von 1914 in der angesehenen Reihe von Gallimard "30 Tage, die Frankreich gemacht haben". Obwohl sich weniger als ein Drittel des Buches den Kämpfen zwischen dem 6. und 10. September widmete, wurde gerade diese Schlacht als Symbol des Burgfriedens von 1914 hervorgehoben.

Dies fand sich bald in einer Anekdote wieder, die lange Zeit als Sinnbild der Erinnerung an die Schlacht stand: die Taxis von der Marne. Am 6. September requirierte Galliéni Interner Link: Pariser Taxis, um ungefähr 4.000 Soldaten an die Front östlich von Paris zu bringen. Zwar stellte dies eine geringe Zahl im Verhältnis zu der Armeestärke dar, die für den Kampf eingesetzt wurde, aber die symbolische Bedeutung war gewaltig.

Das Ereignis wurde selbst zu einer Illustration der totalen Mobilisierung von Heimatfront und Front, die im Kampf gegen die Angreifer geeint waren. Noch in den 1980er Jahren waren in den Schulbüchern Fotos dieser Taxis der Marke Renault abgebildet. Erst mit der "Europäisierung" der Geschichte des Ersten Weltkrieges Mitte der 1990er Jahre verschwanden sie aus einem Unterricht, der nunmehr auf Distanz ging zur nationalen Erinnerung des Konflikts.

Europäische und lokale Erinnerung

Die Europäisierung des Ersten Weltkrieges schließt nicht das Wiederaufleben (oder die Fortdauer?) einer lokalen und nationalen Erinnerung an die Marneschlacht aus. Eigentlich müsste man Schlachten im Plural sagen, so wie die Reiseführer, die Museen und die Monumente der Marne auf den beiden Schlachten bestehen – die von 1914 und die, die ab dem 15. Juli 1918 geführt wurde. Sie läutete den Beginn der siegreichen Gegenoffensive der alliierten Truppen ein und somit die Niederlage der deutschen Armee. Aufgrund seiner Nähe zu den beiden Schlachten ist der Standort des Museums von Meaux ausgesucht worden, das am 11. November 2011 vom Kultusminister Frédéric Mitterand und dem Bürgermeister von Meaux, Jean-François Copé, eingeweiht worden ist.

Auch wenn die zweite Schlacht sich als entscheidend erwiesen hat, ist sie in keiner Hinsicht mit der ersten zu vergleichen, was ihren Stellenwert in der nationalen Erinnerung betrifft. Sie gehört auch weniger zu den Vorstellungen eines Krieges des Jahres 1914 als zu einer Ära neuer Kämpfe in der Zukunft. In der zweiten Schlacht gab es zehnmal mehr Flugzeuge, die Armeen überquerten Pontonbrücken aus Stahlkabeln, Panzer wurden eingesetzt, das Maschinenfeuer hatte sich vor allem aufgrund des Gebrauchs von Maschinengewehren verzehnfacht.

Aus dem Französischen von Karen Denni

Fussnoten

Weitere Inhalte

Emmanuel Saint Fuscien ist Historiker an der Hochschule für Sozialwissenschaften (EHESS) in Paris. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen der Erste Weltkrieg und insbesondere die Militärjustiz sowie die Geschichte der Schule und Lehrinhalte im 19. und 20. Jahrhundert.