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Der Kampf gegen Antisemitismus und Nationalsozialismus | Jüdisches Leben in Deutschland – Vergangenheit und Gegenwart | bpb.de

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Der Kampf gegen Antisemitismus und Nationalsozialismus Vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus

Mathias Berek

/ 9 Minuten zu lesen

Kampf gegen Antisemitismus

Vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus

Kampf gegen Antisemitismus

Der jüdische Kampf gegen den Antisemitismus und später den Nationalsozialismus beginnt schon in den Emanzipationsbestrebungen des 18. und 19. Jahrhunderts.

Der jüdische Interner Link: Kampf gegen den Antisemitismus und später den Nationalsozialismus hat eine Vorgeschichte in den Interner Link: Emanzipationsbestrebungen des 18. und 19. Jahrhunderts. Gegen Judenhass und Ausgrenzung wehrten sich schon Interner Link: Leopold Zunz (1794-1886), Interner Link: Heinrich Heine (1797-1856), Eduard Gans (1797-1839) und andere deutsche Juden, als sie 1819 in Berlin den "Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden" gründeten. Mit diesem Verein wollten sie erreichen, dass Juden durch einen von innen heraus sich entwickelnden Bildungsgang mit dem Zeitalter und den Staaten, in denen sie lebten, in Harmonie gebracht werden. Dabei sollte es dezidiert nicht um die Preisgabe jüdischer Kultur gehen, sondern im Gegenteil um deren Bedeutung für die europäische Kultur. Wie viele nach ihnen forderten sie für das Judentum – auf Basis seiner Geschichte und Kultur – selbstbewusst einen Platz in den modernen europäischen Gesellschaften. Juden und Jüdinnen sollten nicht mehr zum Christentum übertreten müssen, um respektable Deutsche werden zu können.

Als 1871 das Interner Link: Deutsche Kaiserreich gegründet wurde, war viel davon erreicht. Zwar wurden jüdischen Deutschen der Staatsdienst, das Offizierskorps und bis auf wenige Ausnahmen die Lehrstühle an den Universitäten weiterhin verweigert. Doch in allen anderen Bereichen der Gesellschaft waren viele zu anerkannten und erfolgreichen Bürgerinnen und Bürgern geworden. Diese in den liberalen Jahrzehnten der Emanzipation aufgestiegene jüdische Generation war zunächst von einem unerschütterlichen Fortschrittsoptimismus geprägt. Sie vertrauten dem Staat und der Nation. Ein Beispiel dafür war der prominente Sozialpsychologe und Philosoph Moritz Lazarus (1824-1903). Er schrieb: "In diesem Deutschen Reiche nun sollten die liberalen Parteien die eigentlichen conservativen sein. Denn wessen Ideale sind ... erfüllt? … ein einiges Deutschland, mit Preußen an der Spitze, ein Reichsparlament aus allgemeinem Wahlrecht, ein einheitliches Recht für Alldeutschland, die bürgerliche Gleichstellung aller Confessionen u. s. w. ... wir Liberalen alle, und die liberalen Juden zumeist sollten mit der Regierung gehen, sollten ihre feste Stütze bilden, um unsere in allem Wesentlichen erfüllten Ideale im Bestande zu sichern und den weiteren Ausbau zu ermöglichen."

Woher kam dieses Vertrauen, dieser Optimismus? Lazarus, Sohn eines Talmudgelehrten in der kleinen Stadt Filehne in der preußischen Provinz Posen, sollte eigentlich Kaufmann werden. Er studierte stattdessen an der Berliner Universität Philosophie, Philologie und Geschichte. Nach dem Erfolg seiner ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen lehrte er als Professor für Psychologie, Völkerpsychologie und Philosophiegeschichte an der Universität Bern, der Preußischen Kriegsakademie und der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Zwar blieb ihm als Jude an deutschen Hochschulen eine ordentliche Professur verwehrt. Dennoch war er ein anerkanntes Mitglied der gehobenen Gesellschaft. Seine Bücher und die von ihm mitgegründete Völkerpsychologie wurden nicht nur in der Wissenschaft weithin rezipiert. Zu seinen Freunden und Bekannten zählten die Schriftsteller Berthold Auerbach und Theodor Fontane oder die Pianistin Clara Schuhmann. Der preußische Kronprinz protegierte ihn. Der deutsche Nationalstaat nach 1871 war für jüdische Bürger wie Lazarus Produkt wie Garantie der Emanzipation.

Die Wende zum Schlechteren begann um das Jahr 1879. Parallel zum politischen Rechtsruck ergriff der Antisemitismus immer weitere Teile der bürgerlichen Öffentlichkeit. Eines der wichtigsten Ereignisse war ein Artikel des angesehenen Historikers Heinrich von Treitschke (1834–1896), in dem dieser die Juden zum "Unglück" der Deutschen erklärte. Lazarus war erschüttert über diesen antisemitischen Ausbruch seines Berliner Kollegen. Nicht lange vorher hatte Treitschke zu den Besuchern im Salon des Ehepaars Lazarus gehört. Und Lazarus war einer der ersten, die sich öffentlich gegen Treitschke äußerten. Sein Vortrag "Was heißt national?" wurde als Broschüre gedruckt und weit verbreitet. Darin wies er den Angriff Treitschkes vor allem mit Hilfe seiner Kulturtheorie zurück. Für Lazarus gehörten Menschen nicht aufgrund ihrer Herkunft oder Sprache zu einem Volk, sondern weil sie sich dazu zählten und daran mitwirkten. Dass die Antisemiten erneut behauptet hatten, dass das Judentum nicht zu Deutschland gehöre, empörte ihn weniger als Juden denn als Deutschen. Denn für ihn stand damit in Frage, ob Deutschland weiter Teil der zivilisierten Nationen Europas bleiben oder in die Barbarei des Mittelalters zurückfallen wollte. Er erwartete den Kampf gegen den Antisemitismus deshalb auch "nicht bloß von meinem Candidaten, den ich wähle; ich erwarte ihn von der Regierung und von dem Parlament; ich fordere und erwarte ihn von jedem für Recht und Gerechtigkeit einstehenden Manne; ich erwarte ihn von dem Genius der deutschen Nation."

Lazarus beließ es nicht bei dem Text, sondern gründete in der Berliner jüdischen Gemeinde das sogenannte Dezemberkomitee. Es war die erste organisierte jüdische Antwort auf den Antisemitismus. Man verschickte in großem Umfang Broschüren und Bücher an Multiplikatoren im gebildeten Bürgertum und arbeitete an der innerjüdischen Vernetzung. Höhepunkt der Arbeit war eine Versammlung von 2.000 jüdischen Veteranen des Interner Link: Frankreichfeldzugs in den Berliner Reichshallen. Die Veranstaltung fand durchaus Aufmerksamkeit in der nichtjüdischen Öffentlichkeit, war aber dennoch eine Niederlage, denn sie offenbarte die Spaltung des Judentums in der Frage des Umgangs mit dem Antisemitismus. Während die einen massive Kritik an der Untätigkeit des jüdischen Gemeindevorstands übten, verteidigten die anderen dessen Position: Man dürfe den Antisemitismus nicht öffentlich bekämpfen, er erledige sich schon von selbst. Diese Position war im deutschen Judentum weit verbreitet. Man fürchtete, die Gegenwehr würde der Emanzipation im Wege stehen oder sie sogar in Frage stellen. Es sollte bis in die 1890er Jahre dauern, bis sich diese Haltung änderte.

Bis dahin arbeiteten Juden wie Lazarus weiter in Organisationen wie der Alliance Israélite Universelle, Hilfsvereinen (z.B. für jüdische Studierende) oder Comités wie dem für die rumänischen Juden mit. Und 1883 gab der Deutsch-Israelitische Gemeindebund, der seinerzeit größte Zusammenschluss jüdischer Gemeinden, eine für die Epoche typische Broschüre heraus: Die wieder unter Federführung von Lazarus entstandenen "Grundsätze der jüdischen Sittenlehre" waren als Apologie gegen die antisemitischen Unterstellungen gedacht.

Erst 1893 wurden die Widerstände gegen eine offene Gegenwehr überwunden. In diesem Jahr wurde der "Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens", kurz: CV, gegründet. Er trug erheblich zu einem jüdischen Gruppenbewusstsein bei und fußte auf den liberalen und aufgeklärten Ideen der religiösen Gleichberechtigung, Partizipation und einer ethisch fundierten, aufgeklärten Religiosität, wie sie von Gabriel Riesser, Hermann Cohen oder eben Moritz Lazarus entwickelt und vertreten wurden. Auslöser der Gründung war der Artikel "Schutzjuden oder Staatsbürger" von Raphael Löwenfeld (1854-1910): Der ebenfalls aus Posen stammende Slavist und Theater-Direktor kritisierte den Berliner Gemeindevorstand für seine Unfähigkeit, sich gegen den Antisemitismus zu wehren. Es reiche nicht, den Kaiser in einem Bittbrief um Schutz zu bitten. Die Politik von honorigen Bürgern, die bei den Mächtigen interpellierten, war an ihre Grenzen gekommen. Löwenfeld, der sich in seinem Beruf darum verdient gemacht hatte, auch weniger Wohlhabenden die Welt des Theaters zu ermöglichen, erkannte, dass die Politik gegen den Antisemitismus sich auch an die "Massen" richten und der Massenmedien bedienen musste. Der CV repräsentierte durchaus eine Mehrheit der deutschen Juden, und auch einige Orthodoxe engagierten sich dort, zum Beispiel Hirsch Hildesheimer. Anfänglich konzentrierte sich der CV auf den Rechtsschutz bzw. Zivilprozesse und die meist wenig erfolgreiche juristische Auseinandersetzung mit dem Judenhass. Aber mehr und mehr begann er, sich politisch zu engagieren, Parteien zu unterstützen, die den Antisemitismus bekämpften, und breite Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Es ging nach außen um eine Rechtfertigung jüdischer Existenz in Deutschland und nach innen um ein starkes deutsch-jüdisches Selbstbewusstsein. Im Rückblick der Forschung war der CV als deutsch-jüdische Massenorganisation damit ebenso erfolgreich gegen den Taufdruck wie gegen den Antisemitismus. Wie keine andere jüdische Organisation schuf und stärkte er eine Identifikation als deutsch und jüdisch und bremste so die Erosion des Judentums durch Konversionen und Austritte; und er führte einen konsequenten und kontinuierlichen Kampf gegen den Antisemitismus, der zumindest dessen öffentliche Wirksamkeit zeitweise beschränkte.

Eine wichtige Rolle im CV nahmen Eva Reichmann-Jungmann (1897-1998) und Hans Reichmann (1900-1964) ein. Der promovierte Jurist Hans war schon als Student in jüdischen Studentenverbindungen aktiv und auch Mitglied des sozialdemokratischen Abwehr-Organisation "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold", dessen Ziel die Verteidigung der Republik gegen die radikale Rechte war. Im CV war der promovierte Jurist lange Zeit Leiter der Rechtsabteilung. Ende der 1920er Jahre richtete er das "Büro Wilhelmstraße" ein, das ein neues Tätigkeitsfeld des CV eröffnete: Es sammelte Material über die Interner Link: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) – noch während ihres Aufstiegs von einer radikalen politischen Kleinstpartei zur Massenpartei – und verbreitete es unter wechselnden Namen an Presse, Parteien und Gewerkschaften. Im CV erkannte man schon sehr früh die drohende Gefahr eines Deutschlands unter nationalsozialistischer Führung, während viele Wähler*innen und Mitglieder der demokratischen bürgerlichen Parteien sich dieser Gefahr nicht bewusst waren, Interner Link: auch unter der jüdischen Bevölkerung. Das Büro setzte seine Arbeit sogar nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Untergrund fort. 1938 wurde Reichmann im Interner Link: Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert.

Seine Frau Eva Reichmann, eine promovierte Soziologin, war ebenfalls aktiv im CV. Sie schrieb eine Vielzahl Artikel gegen den Antisemitismus und leitete die CV-Zeitschrift "Der Morgen". Nach der Entlassung von Hans aus der KZ-Haft emigrierten beide im April 1939 nach London. Von dort aus arbeitete Eva vor allem an der sozialpsychologischen Untersuchung des deutschen Antisemitismus. Nach Kriegsende beteiligten sich beide Reichmanns an der Gründung des Interner Link: Leo-Baeck-Instituts, das sich seitdem der Erforschung der deutsch-jüdischen Geschichte widmet. Leo Baeck (1873–1956) war eine bedeutende Persönlichkeit für das deutsche Judentum und setzte sich in der Zeit der NS-Herrschaft für die verfolgten und entrechteten Jüdinnen und Juden ein.

Andere bedeutende jüdische Widerstandskämpferinnen und -kämpfer gegen Antisemitismus und Nationalsozialismus entkamen der Verfolgung nicht. Ein Beispiel ist der Anwalt Hans Litten (1903-1938). Er entstammte einer Königsberger jüdischen, deutsch-nationalen Familie und bekannte sich, anders als sein konvertierter Vater, als Jugendlicher zum Judentum. Als Anwalt in der Interner Link: Weimarer Republik engagierte er sich im Rahmen der "Roten Hilfe Deutschland" für Arbeiter, die aus politischen Gründen vor Gericht gestellt wurden. Dabei vertrat er in prominenten Fällen auch Opfer von Polizeiübergriffen und nationalsozialistischen Überfällen. So klagte er etwa den sozialdemokratischen Berliner Polizeipräsidenten Karl Zörgiebel für die mehr als 30 Toten und fast zweihundert Verletzten aufgrund von Polizeiübergriffen im sogenannten Blutmai 1929 wegen Mordes an. Ferner schaffte er es im "Felseneck-Fall" (150 SA-Männer hatten eine Kleingartenkolonie überfallen und dabei zwei Menschen erschlagen) fünf Nationalsozialisten zur Anklage zu bringen. Seinen berühmtesten Auftritt hatte er 1931 im Prozess um den Nazi-Überfall auf den "Eden-Palast". Im November 1930 hatte der Berliner "SA-Sturm 33" das Arbeiterlokal überfallen und vier Männer schwer verletzt. Litten ließ darin auch Adolf Hitler als den verantwortlichen Chef der NSDAP in den Zeugenstand vorladen und führte ihn im Kreuzverhör vor, bis der Parteiführer die Beherrschung verlor. Unter anderem gelang es Litten in diesem Prozess, Hitler zur öffentlichen Distanzierung vom Berliner Gauleiter Joseph Goebbels zu zwingen. Vier Wochen, nachdem Hitler zum Kanzler ernannt worden war, in der Nacht des 28. Februar 1933, wurde Litten verhaftet. Es folgte ein langer Leidensweg in deutschen Zuchthäusern, Zwangsarbeitslagern und Konzentrationslagern, in denen er auch wiederholt gefoltert wurde. Im Februar 1938, fünf Jahre nach seiner Verhaftung, fanden Mithäftlinge im KZ Dachau Hans Litten erhängt auf.

Es ließen sich noch unzählige weitere Personen nennen, die gegen Antisemitismus und Nationalsozialismus kämpften – nur einige wenige seien noch genannt: etwa der ebenfalls aus einer jüdischen Familie stammende Schriftsteller, Bohemien, Revolutionär, Anarchist und Rätekommunist Erich Mühsam (1878-1934). Er widmete sich dem Kampf gegen Krieg, autoritären Staat und den aufkommenden Nationalsozialismus. Am selben Tag wie Hans Litten wurde er verhaftet, ins KZ verschleppt, gefoltert und schließlich 1934 von der SS ermordet. Ein anderes bekanntes Beispiel jüdischen Widerstands gegen den NS sind Marianne und Herbert Baum (beide 1912-1942). Sie führten jene jüdisch-kommunistische Widerstandsgruppe, die 1942 einen Anschlag auf die antikommunistische Propagandaausstellung "Das Sowjetparadies" verübte. Nur kurz danach wurden sie verhaftet und noch im selben Jahr ermordet. Eine weniger prominente Geschichte ist die der Philosophiehistorikerin Marie Jalowicz-Simon (1922-1998), die durch ihre Memoiren vom Überleben der Nazizeit im Berliner Untergrund bekannt geworden ist. Als junge Jüdin im Nationalsozialismus zur Zwangsarbeit verpflichtet, beging sie Sabotageakte und entzog sich schließlich der Verhaftung, indem sie untertauchte. Sie überlebte und begann eine wissenschaftliche Karriere in der DDR, bekleidete schließlich eine Professur für antike Literatur- und Kulturgeschichte.

Weitere Inhalte

Dr. habil. Mathias Berek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Ebenso ist er Koordinator und stellvertretender Sprecher Standort Berlin des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) und Ko-Projektleiter für das Projekt "Zusammenhalt und Ressentiment in Krisenzeiten: Erinnerungen an die Wende- und Nachwende-Zeit im Ost-West-Vergleich".