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Caruso auf Platte | Sound des Jahrhunderts | bpb.de

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Caruso auf Platte Die Geschichte der Tonspeicherung und der Tonträger

Heinz Hiebler

/ 14 Minuten zu lesen

Der Zauber(er) der Musik – das Erlebnis Caruso

"Viele hätten ihn gern gehört, viele hätten sich gern an ihm berauscht, viele, deren Jahreseinkommen kaum die Hälfte einer Abendgage des Maestro beträgt: 10.000 Mark für einige Arien. Aber diesen vielen, denen das Schicksal den Wunsch wohl mitgegeben, aber nicht das Vermögen, diesen vielen war geholfen. Diese vielen flüchten sich zum Grammophon, zu dieser Maschine, die es ermöglicht hat, allen alles zu geben. Gerade Caruso ist ebenso ein Liebling der Grammophonhörer geworden, wie er ein Liebling der verhältnismäßig kleinen Gemeinde geworden ist, die ihn von ­Angesicht sehen durften. Man kann wohl sagen, gerade das Grammophon hat ihm seine wirklich große Popularität verschafft. Und man nennt ihn nicht umsonst den Napoleon des Grammophons. […] Caruso im Trichter: Alles verstummt […]. Die Arbeit wird weggelegt, der Gott zieht über den Wolken. Die Mienen glätten sich […]. – Das Dienstmädchen horcht an der Küchentür, das Vögelchen im Bauer hüpft auf die unterste Stange und lauscht mit dem Kopf auf der ­Seite. Die Puppen der Kinder fliegen in die Ecke, Vaters Augen leuchten und Lottes Augen leuchten und Kurt ist ausnahmsweise ganz mucksstill: Caruso. Ein Zauberwort, ein Zauberer er selbst."

Als die deutsche Grammophon-Zeitschrift Die Stimme seines Herrn im Dezember 1909 diese Lobeshymne veröffentlicht, ist Enrico Caruso als "Napoleon des Grammophons" bereits Interner Link: der Inbegriff des Opern- und Grammophonstars. Als Opernstar ist er auf allen Bühnen der Welt zu Hause und als Grammophonstar bringt er den Glanz der großen weiten Welt auch in die elendsten Hütten. So jedenfalls will es die Werbung. Dass die Geräte immer noch ein kleines Vermögen kosten und dass selbst eine Schallplatte von Caruso einen guten Teil eines durchschnittlichen Monatsgehalts verschlingen kann, steht auf einem anderen Blatt. Wo immer ein Grammophon mit klassischer Musik erklingt, liegt der Verdacht nahe, dass es Caruso ist. Caruso ist populär und er ist ein Naturereignis, was selbst Singvögel, deren Metier hier direkt angesprochen ist, anerkennen müssen. Wenn Caruso erklingt, werden die Unterschiede zwischen Tier und Mensch, gesellschaftlichen Klassen und Generationen egalisiert. Alles lauscht. Wenn Caruso erklingt, ist die Welt in Ordnung.

Alte Träume werden wahr – die Anfänge der Ton­aufzeichnung

Caruso galt lange Zeit als Ikone für die Erfüllung zweier uralter Menschheitsträume durch die moderne Tonträgertechnologie: die Verewigung der menschlichen Stimme und die Verewigung von Musik. Die Erfüllung beider Träume schien zunächst nur auf dem Feld der Literatur möglich. Sowohl die Hörbücher, die Cyrano de Bergerac in seiner Reise zum Mond (1657) beschrieb, als auch die eingefrorenen Trompetentöne, die in Gottfried August Bürgers Münchhausen (1786) erst erklingen, nachdem sie in einem russischen Wirtshaus aufgetaut sind, gehörten bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts in den Bereich der Science Fiction. Die Wiedergabe eines einmal aufgezeichneten Musikstücks oder gar einer Rede konnten weder mechanische Musikinstrumente noch mechanische Sprechmaschinen leisten. Bei Ersteren kamen verschiedene Toninformationsträger wie Stiftwalzen (seit dem 9. Jahrhundert) oder Lochplatten (um 1900) zur Steuerung von Musikinstrumenten und sonstigen Klangkörpern zum Einsatz. Letztere wurden seit dem späten 18. Jahrhundert gebaut und waren komplexe mechanische Klangerzeuger, denen virtuose Spieler sprachähnliche Laute entlockten. Die berühmteste dieser Sprechmaschinen wurde von dem österreichischen Erfinder und Staatsbeamten Wolfgang von Kempelen gebaut und 1791 ausführlich beschrieben.

Wo trotz der begrenzten technischen Möglichkeiten tatsächlich gesprochenen Worten oder musikalischen Einfällen Dauer verliehen werden sollte, gab es neben dem menschlichen Gedächtnis nur ein Jahrtausende altes Hilfsmittel: die Schrift. Aber die Schrift – selbst in ihren leistungsfähigeren Varianten wie dem phonetischen Alphabet oder der modernen Notenschrift – bedurfte immer eines lesenden und schreibenden Interpreten und konnte dabei trotzdem nicht alle individuellen und unverwechselbaren Aspekte von Stimmen und Melodien erfassen.

Das Wunder des 1877 von Thomas A. Edison erfundenen Interner Link: Phonographen bestand deshalb zunächst darin, ein Gerät zur Hand zu haben, mit dessen Hilfe Töne und Stimmen sich gewissermaßen wie von selbst aufzeichnen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder hörbar machen ließen. Ähnlich wie die Fotografie, die einer ihrer Erfinder als "Pencil of Nature" bezeichnet hatte, waren Phonographen und Grammophone wundersame Technologien einer automatischen Schrift.

1905: Mitarbeiter Thomas Edisons beim Abspielen eines Phonographen. (© http://www.nps.gov/edis/photosmultimedia/photographs-of-theo-wangemann.htm National Park Service / Thomas Edison National Historical Park)

Ein zentrales Problem beim Phonographen stellte ein Kopierverfahren für die wenig widerstandsfähigen Wachswalzen dar. Edison konnte dieses Problem erst um 1902 mithilfe eines aufwändigen Verfahrens lösen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren alle Walzen – ähnlich wie die kostbaren Bilder der Daguerreotypie – Unikate. Sollten mehrere Exemplare eines Liedes verkauft werden, so musste dieses mehrfach eingespielt werden. Ein gleichzeitiger Mitschnitt auf mehreren Geräten oder die Überspielung einer Aufnahme auf andere Walzen führte zu zusätzlichen Qualitätseinbußen. In puncto Vervielfältigung erwies sich deshalb ein anderes Verfahren zur Aufnahme, Reproduktion und Wiedergabe von Tönen als weitaus erfolgversprechender: das Grammophon.

1887 meldete Emile Berliner das Grammophon zum Patent an, zwei Jahre später wurde es in Deutschland auf dem Markt erprobt. Anders als das kostspielige Präzisionsgerät Edisons verfügte das Grammophon über keine eigene Aufnahmevorrichtung mehr. Eine exakt gedrehte feinmechanische Spindel, wie sie beim Phonographen zum Vorbeiführen der Walze an der fest montierten Aufnahme- und Wiedergabenadel erforderlich war, war so entbehrlich. Die zentralen Unterschiede zu Edisons Phonographen bestanden darin, dass Berliner Platten statt Walzen und Seitenschrift statt Tiefenschrift verwendete. Da die Tiefe der Schallplattenrille beim Grammophon durch das Seitenschriftverfahren konstant gehalten wurde, konnte Berliner die Schallplattenrille zur Führung von Wiedergabenadel und Tonarm nutzen. Die Entwicklung eines günstigen Wiedergabegeräts mit Federantrieb und die relativ einfache Möglichkeit der Reproduktion der originalen Wachsaufnahmen in einem widerstandsfähigeren Material wie Hartgummi oder später Schellack entpuppten sich als essentielle Vorteile für die Vermarktung der Schallplatte als Unterhaltungsmedium.

Galerie: Grammophon

Galerie: Grammophon

(© picture-alliance/akg, Otto Haeckel) (© picture-alliance/akg, Otto Haeckel (digital koloriert)) (© picture-alliance/akg) (© picture alliance/IMAGNO ) (© picture-alliance/dpa, Fotoreport Deutsche Grammophon) (© picture-alliance, IMAGNO) (© picture-alliance/dpa) (© picture-alliance/akg) (© picture-alliance, arkivi ) (© picture-alliance/akg) (© picture-alliance/akg) (© picture-alliance, Heritage Images / Fotograf: The Print Collector) (© picture-alliance/akg) (© Public Domain, Library of Congress / Reinhold Lessmann, nachbearbeitet Stern at German Wikipedia) (© picture-alliance, Tagesspiegel)

Enrico Caruso, der zur Symbolfigur für den Siegeszug des Grammophons über den Phonographen werden sollte, partizipierte ganz zu Beginn seiner Karriere an beiden Welten. Einige seiner ersten Aufnahmen erschienen auf Phonographenwalzen der französischen Firma Pathé. Der Durchbruch jedoch gelang ihm mit jenen legendären Schallplattenaufnahmen, die er im Frühjahr 1902 in einem Mailänder Hotel für die damals ungeheuerliche Summe von 100 Pfund Sterling einsang. Nur zwei Jahre später war er der erste, der mit einer Aufnahme von Vesti la giubba aus Ruggero Leoncavallos Oper Pagliacci über 1 Mio. Schallplatten verkaufte. Der Erfolg Carusos war so überzeugend, dass selbst namhafte Komponisten wie Leoncavallo für das neue Medium eigens ein Lied komponierten und dieses gemeinsam mit Caruso einspielten. Eldridge R. Johnson, der Gründer der damals namhaftesten Plattengesellschaft, der Victor Talking Machine Company, erkannte das ästhetische und ökonomische Potenzial Carusos bereits im Januar 1904 und schloss mit dem Sänger einen Exklusivvertrag auf 25 Jahre.

Hörbeispiel im Internet:Enrico Caruso singt

Mit Stars wie Caruso konnte Edisons Verkaufsstrategie nicht mithalten. Selbst die viel gerühmte Multifunktionalität des Phonographen, der – ähnlich wie der Interner Link: Kinematograph der Brüder Lumière – nicht nur als Vorführgerät, sondern auch für Selbstaufnahmen einsetzbar war, konnte dieses Manko langfristig nicht ausgleichen. Die Grammophon-Gesellschaften etablierten dagegen ein Vermarktungsprinzip, das in Analogie zum zeitgleich aufstrebenden Filmgeschäft die Inhalte und nicht die Medientechnik zur eigentlichen Attraktion erklärte. Die Leistungsfähigkeit der Geräte definierte sich über das reichhaltigere und interessantere Angebot an Aufnahmen. Ähnlich wie im heutigen Computerzeitalter triumphierte schon damals die Software über die Hardware.

Das Grammophon verkaufte keine leblose Technologie, es verkaufte Wünsche, Träume, Phantasien. Vergleichbar mit dem Film verführte es in die Traumwelten lebendiger Sinnlichkeit und gelebter Authentizität. Der Medienstar Caruso war eines der Idole, denen man so nah wie möglich sein wollte. Die Victor Talking Machine Company stellte die Erfüllung dieses Wunschtraums unter dem Slogan "Both are Caruso" in Aussicht. Ein farbiges Foto von Caruso in der Rolle des Rhadames sowie die Abbildung der dazugehörigen Schallplatte mit einer von Caruso gesungenen Arie aus Verdis Aida sollten die Käufer davon überzeugen, dass Victor-Schallplatten Carusos Stimme genauso authentisch und wahrhaftig wiedergeben wie Caruso selbst.

Hörbeispiel im Internet:Enrico Caruso singt

In Wirklichkeit jedoch litten die Tonaufnahmen der mechanischen Ära unter großen technischen Beschränkungen. Die einfachen Mittel von Phonographen und Grammophonen reichten auch bei der raffiniertesten Aufnahmeanordnung nicht aus, das Leben in seiner vollen akustischen Bandbreite von 20 bis 20.000 Hertz (Hz) abzudecken. Als Enrico Caruso am 2. August 1921 starb, erfassten die Trichteraufnahmen der Zeit gerade einmal ein Frequenzspektrum von 200 bis 2.400 Hz. Die Medientechnologie, mit deren Hilfe diese Beschränkung innerhalb kürzester Zeit überwunden werden sollte, zeichnete sich jedoch bereits ab.

Die "elektrisierenden" 1920er Jahre: Radio, Tonträger, Tonfilm und Tonband

Werbeanzeige für eine Schallplatte des Opernsängers Enrico Caruso. (© picture-alliance, Everett Collection)

Die grundlegende Erfindung für die Unterhaltungsmedien der folgenden Jahrzehnte war die Elektronenröhre. Ihr Einsatz führte nicht nur zu deutlichen Verbesserungen im Telefonverkehr, sie war auch die Basis für die Sende- und Empfangstechnologien des Rundfunks und spielte im Audiobereich vor allem als Aufnahme- und Verstärkertechnologie eine zentrale Rolle. Das wegweisende Medium bei der Einführung eines elektrischen Aufnahmeverfahrens war das Radio, das Anfang der 1920er Jahre seinen weltweiten Siegeszug begann. Am 2. November 1920 nahm in Pittsburgh (USA) der erste kommerzielle Rundfunksender seinen Betrieb auf. Interner Link: Erste Hörfunksender in Deutschland, Österreich und der Schweiz folgten in den Jahren 1923 / 24.

Im Kontext des Radios wurden mechanische Audiotechnologien unbrauchbar. In den Sendestudios ersetzten Mikrofone die Aufnahmetrichter und in den Wohnzimmern verdrängten Kopfhörer und Lautsprecher die Blumentrichter der Grammophone. Die Zeiten, in denen man ein Grammophon mit integriertem Trichter besitzen musste, um die Lautstärke einer Schallplatte durch den Öffnungsgrad der Trichterverdeckung regeln zu können, waren damit vorbei. Mit der Einführung elektrischer Aufnahmesysteme erweiterte sich der reproduzierbare Frequenzbereich auf 100 bis 5.000 Hz, bis 1934 erhöhte sich die Frequenzreichweite auf bis zu 8.000 Hz. Vorhandene mechanische Aufnahmen wurden angesichts der deutlichen Klangverbesserungen über Nacht zu Ladenhütern und mussten neu eingespielt werden.

Mit dem Radio und der Elektrifizierung des Audiobereichs brach nicht nur eine neue Ära des Sounds an, es entstand auch ein neuer ökonomischer wie technologischer Medienverbund, der Ende der 1920er Jahre durch Interner Link: die Einführung des Tonfilms erweitert wurde. In den Interner Link: "Roaring Twenties" etablierte sich das Grammophon endgültig als bezahlbares Massenmedium. Jazz und Tanzmusik kratzten an der Vorherrschaft der klassischen Musik in den Schallplattenregalen und im Äther, wobei die großen Erfolge des frühen Tonfilms und die populären Genres des Tanz- und Musikfilms eine zentrale Rolle spielten.

Der Film avancierte mit seinem auf maximale Illusionswirkung berechneten Soundkonzept in den 1930 / 40er Jahren zum Experimentierfeld für innovative Tonträgertechnologien. Beispielgebend dafür war der Mehrkanalsound, der bei den Musikeinspielungen des englischen Dirigenten Leopold Stokowski zu Walt Disneys Zeichentrickfilm Fantasia (1940) zum Einsatz kam. Das Lichttonverfahren, das bei den meisten frühen Tonfilmen genutzt wurde, konnte sich außerhalb des Tonfilms nicht etablieren. Die meisten erhaltenen Rundfunksendungen der 1930er und der 1940er Jahre liegen auf Platten vor. Die Elektrifizierung des Aufnahme- und Wiedergabebereichs brachte in Anbetracht des in allen Medienbereichen wachsenden Bedarfs eine Technologie in Erinnerung, die der dänische Physiker und Ingenieur Valdemar Poulsen bereits Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt hatte: das elektromagnetische Aufzeichnungsverfahren.

Eine zentrale Verbesserung dieses ursprünglich mit Stahldraht (Klaviersaiten) ausgestatteten Systems stellte 1928 das Magnetbandverfahren des deutsch-österreichischen Ingenieurs Fritz Pfleumer dar. BASF und AEG entwickelten es weiter und konnten 1935 das erste wegweisende Tonbandgerät, das sogenannte Magnetophon, präsentieren. Die schrittweise Verbesserung dieser Gerätelinie, deren Produktion bis Kriegsende fortgesetzt wurde, ließ die Tonbandtechnik nach dem Krieg zur tonangebenden Entwicklung auf dem Tonträgersektor werden. Die 1940 von Walter Weber und Hans Joachim von Braunmühl eingeführte Hochfrequenz-Vormagnetisierung und die Konstruktion eines ersten Stereo-Magnetophons im Jahr 1943 durch Walter Weber bildeten die technologische Grundlage für die nach 1945 von den Amerikanern betriebene Etablierung des Tonbandgeräts als High-End-Medium im professionellen und privaten Bereich.

Auf zu neuen Ufern: Tonband, Langspielplatte und Kassette

In den Nachkriegsjahren wurden Tontechnologien und Tonträgerformate eingeführt, die der Soundkultur der nächsten Jahrzehnte langsam, aber sicher ganz neue Möglichkeiten eröffneten. Mit dem Einsatz des Tonbands bei der Plattenproduktion wurde es endlich möglich, die Aufnahmezeiten entscheidend zu verlängern und die Qualität einer Einspielung sofort nach der Aufnahme zu kontrollieren. Zuvor musste man mehrere Versionen ein- und derselben Nummer auf Wachsplatten schneiden und konnte die Testpressungen erst zwei, drei Wochen später überprüfen. Die Einführung des "Full Frequency-Range Recordings" (FFRR), das während des Krieges zur besseren akustischen Unterscheidung von englischen und deutschen U-Booten entwickelt worden war, ermöglichte es der britischen Plattenfirma Decca, noch während des Krieges die Frequenzreichweite ihrer FFRR-Schallplatten auf 14.000 Hz auszuweiten. Mit dem Piccadilly-Modell brachte Decca schon im Weihnachtsgeschäft 1944 einen Plattenspieler auf den englischen Markt, der sich durch besondere Klangqualität und High-Tech-Komponenten wie einen leichtgewichtigen Tonarm, ein magnetisches Abnahmesystem und eine Saphirnadel auszeichnete.

1947 entwickelte Peter Goldmark für Columbia eine Vinylschallplatte mit Mikrorillenaufzeichnung und einer verminderten Abspielgeschwindigkeit von 33 1 / 3 Umdrehungen pro Minute, wodurch eine Mindestspieldauer von 23 Minuten pro Schallplattenseite erreicht wurde. Goldmarks neue Technologie, die als Langspielplatte (LP) vermarktet wurde, ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Änderung eines einzelnen technischen Parameters (die erhöhte Anzahl der Rillen pro Inch) eine ganze Reihe von weiteren Neuerungen nach sich zieht: Neben der Einführung von Vinyl als Plattenmaterial, der Ersetzung von Saphir- durch Diamantnadeln, der Entwicklung von neuen Motoren und Antriebssystemen oder der Konstruktion besonders leichter Tonabnehmer mussten zur Optimierung der Klangqualität auch neue Kondensatormikrofone für die Tonaufnahme und neue Lautsprecher für die Wiedergabe entwickelt werden.

Die Einführung der Single, einer kleineren Variante der Vinylschallplatte mit 45 Umdrehungen pro Minute und einer Laufzeit von bis zu vier Minuten, durch die Konkurrenzfirma RCA-Victor entfachte Anfang der 1950er Jahre einen Formatstreit zwischen den großen Plattenfirmen, wodurch sich die Verbreitung von LP und Single verzögerte. Die LP führte aufgrund der langen Spielzeit und der besseren Tonqualität vor allem im klassischen Bereich zu einer revolutionären Erweiterung des erhältlichen Repertoires. Viele Sinfonien oder Konzerte wurden erstmals eingespielt, da sie nun in voller Länge und ohne Unterbrechung aufgenommen werden konnten. Trotzdem war die erste Bayreuther Live-Einspielung einer Wagner-Oper, die Anfang der 1950er Jahre durch den Einsatz der Tonbandtechnik möglich wurde, zunächst noch in beiden Formaten auf 34 78er-Schallplatten oder fünf LPs erhältlich. Die ersten Aufnahmen von Elvis Presley bei Sun-Records erschienen ebenfalls noch auf 78er-Schallplatten und nicht auf Single, obwohl diese bald zum bevorzugten Format für Unterhaltungsmusik werden sollte. Auf längere Sicht setzten sich LP und Single durch und verhalfen einer neuen Dimension authentischen Hörerlebens zum Erfolg.

Im deutschen Radio brachte die Einführung der Ultrakurzwelle (UKW) Ende der 1940er Jahre eine wesentliche Klangverbesserung mit sich, die sich aufgrund der notwendigen Umstellung der Empfangsgeräte aber erst im Lauf der 1950er Jahre in größerem Ausmaß bemerkbar machte. Dank der geringeren Bandbreite von UKW-Sendern konnten in dem zur Verfügung stehenden Frequenzspektrum mehr Sender untergebracht werden, was auch eine größere Programmvielfalt zur Folge hatte.

Der Stereoton war zunächst ein Privileg des Tonbands, sein Einsatz beim Film führte Anfang der 1950er Jahre zur Durchsetzung des Stereoformats im Kontext der aufwändigen Breitwandfilmsysteme. Nachdem in den USA schon Ende der 1940er Jahre die ersten Stereotonbandgeräte angeboten worden waren, erreichten 1953 die ersten bespielten Stereotonbänder den High-End-Markt. Bis renommierte Plattenfirmen ihre Mitte der 1950er Jahre auf Tonband eingespielten Studioaufnahmen in Stereoqualität präsentierten, vergingen oft mehrere Jahre. Vereinzelte Stereoschallplatten kamen in den USA dennoch bereits im Dezember 1957 in die Läden. Das Stereoradio konnte schließlich Anfang der 1960er Jahre umgesetzt werden. Voraussetzung dafür war das sogenannte Pilottonverfahren, das die Kompatibilität bestehender Empfangsgeräte berücksichtigte und Stereo wie Mono-Empfang ermöglichte.

Philips Cassetten-Recorder EL 3302 (1963) (© Wikimedia, mib18/Commons)

Dass nicht immer die optimale Tonqualität für die Durchsetzung eines Mediums entscheidend ist, wurde nicht nur im Kontext des Fernsehens deutlich, das Ende der 1950er Jahre das Radio auch in Deutschland als Leitmedium ablöste. Der 1963 von der holländischen Firma Philips vorgestellte Kassettenrekorder verfügte anfangs nur über eine sehr bescheidene Tonqualität. Trotzdem eroberte das günstige, handliche und multifunktionale Gerät mit seinen wiederbespielbaren Compact-Cassetten (CC) und den seit 1965 produzierten bespielten MusiCassetten (MC) im Laufe der folgenden Jahrzehnte den Weltmarkt. In Kombination mit Radios sowie Schallplattenspielern verschärfte die Einführung des Kassettenrekorders das bereits mit den Tonbandgeräten der 1950er Jahre aufkommende Problem der Tonträgerpiraterie.

Ihre Kopierfreundlichkeit verlieh der Kassette insbesondere in Niedriglohnländern wie Indien besondere Attraktivität. Die Einführung eines effizienten Rauschunterdrückungssystems (Ray Dolby, ab 1966) ließ sie mit den Jahren auch klanglich zu einer ernsthaften Konkurrenz der LP werden. Die Einführung des Walkmans durch Sony 1979 und die relativ späte Einführung von CD-Brennern, deren erste Audio-Modelle um 1990 noch für fünfstellige D-Mark-Beträge gehandelt wurden, bescherte dem Kassettenformat in den 1980er Jahren noch einmal ein überraschendes Zwischenhoch.

Die digitale Ära – Caruso revisited

Sieht man von mechanischen Musikinstrumenten ab, deren zentrale Steuerungselemente ebenfalls bereits nach dem binär-digitalen Prinzip von Ton oder Nicht-Ton funktionierten, so lassen sich die Ursprünge digitaler Audiotechnologien bis in die 1930er Jahre zurückverfolgen. Erstes Einsatzgebiet war einmal mehr die Telefonie. Mit dem von Alec Reeves entwickelten Verfahren, der sogenannten Pulscodemodulation (PCM), konnten Störgeräusche verringert und Kabelkapazitäten besser ausgelastet werden. Weil PCM keine analogen kontinuierlichen Signale, sondern – ähnlich wie die Telegraphie – nur einzelne konstante Impulse überträgt, hatte das System während des Zweiten Weltkriegs auch den Nebeneffekt, dass es zur Verschlüsselung von Telefongesprächen genutzt werden konnte. Mit der allgemeinen Einführung digitaler Übertragungssysteme in der Telefonie ist dieser Nebeneffekt allerdings verloren gegangen.

Die digitalisierte Klanginformation, welche in den 1970er Jahren noch auf datenintensive Videobänder gebannt wurde, fand ihren Einsatz zunächst im Bereich der professionellen Musikeinspielung. Die Vorteile des digitalen Verfahrens liegen hier vor allem in der Umgehung der Eigengeräusche von Tonträgern und in der weitgehend verlustfreien Nachbearbeitung digitalisierter Sounds.

Das erste erfolgreiche digitale Tonträgermedium für Privatkonsumenten war die Compact Disc Digital Audio (CD-DA). Dieser von Philips und Sony entwickelte Standard wurde Anfang der 1980er Jahre eingeführt und schaffte es innerhalb eines Jahrzehnts, die altbewährte LP fast vollständig zu verdrängen. Erneut verkaufte die Musikindustrie alten Wein in neuen Schläuchen. Während viele digitale Technologien wie das Digital Audio Tape (DAT), die Digitale Compact Cassette (DCC), die Mini Disc (MD) oder hochauflösende digitale Audioformate wie Audio-DVDs und Super Audio CDs Nischenprodukte blieben, machten sich die digitalen Formate dank Datenkompression und schneller Übertragungsraten für das Internet zunehmend unabhängig von konkreten physikalischen Trägern. Die Kompaktanlagen und Musiktürme der 1970er und 1980er Jahre wurden von den unterschiedlichsten Formen miniaturisierter Musikcomputer abgelöst. Heute sind die Platten- und CD-Sammlungen von einst weitgehend in den virtuellen Playlisten von Windows Media Player oder iTunes verschwunden. Eine zentrale Rolle spielen dabei das seit Mitte der 1990er Jahre verbreitete MP3-Format sowie die dazugehörigen Abspielgeräte wie der iPod (2001) oder das iPhone (2007) von Apple.

Generell steht die Entwicklung digitaler Audioformate ganz im Zeichen von Mobilität und Bedienungskomfort. Was digitale Techniken im Audio-Bereich auszeichnet, ist weniger die neue Klangqualität als vielmehr die absolute Verfügbarkeit und Beherrschbarkeit von akustischem Material. Durch die Digitalisierung, welche physikalische Größen zu mathematisch berechenbaren und manipulierbaren Codes macht, wird nicht nur jeder vorhandene, sondern auch jeder denkbare Klang zum musikalischen Abruf bereitgestellt. Apps wie GarageBand von Apple machen deutlich, dass die Grenze zwischen Tonträgern und Musikinstrumenten im Zeitalter digitaler Klangsynthese pulverisiert wird. Während dies aktuellen Musikproduktionen einen nahezu unbegrenzten Spielraum für innovative Soundgestaltungen eröffnet, wird der authentische Sound von einst durch die Möglichkeiten der nachträglichen Bearbeitung zu einer variablen Größe.

Die Aufnahmen Enrico Carusos liegen heute in den unterschiedlichsten Formaten vor. Von den ursprünglich an die 500 Aufnahmen, die Caruso gemacht hat, enthält die aktuelle CD-Gesamtausgabe auf insgesamt 15 CDs immerhin 245. Den Großteil dieser Einspielungen findet man auch als kostenlosen Stream oder Download im Netz. Allein die Externer Link: National Jukebox der Library of Congress hält 176 Caruso-Titel abrufbereit. Wer davon immer noch nicht genug hat, kann einem restaurierten und mit Hall unterlegten Caruso 2000 (1999) in Begleitung des Radio Sinfonieorchesters Wien lauschen oder doch lieber den "authentischen Caruso" mit Musikbegleitung von Tommaso Farinetti aus dem Jahr 2006 genießen.

Quellen / Literatur

Michael Chanan: Repeated Takes. A Short History of Recording and its Effects on Music, London / New York 1995 

Mark Coleman: Playback. From the Victrola to MP3. 100 Years of Music, Machines, and Money, Cambridge 2005 

Timothy Day: A Century of Recorded Music. Listening to Musical History, New Haven /  London 2000 

Pekka Gronow / Ilpo Saunio: An International History of the Recording Industry, London / New York 1999 

Herbert Haffner: "His Master’s Voice". Die Geschichte der Schallplatte, Berlin 2011

Heinz Hiebler: Akustische Medien, in: Hans H. Hiebel u. a.: Die Medien, München 1998, S. 127 – 177 

ders.: Akustische Medien, in: ders. u. a.: Große Medienchronik, München 1999, S. 541 – 782 

William Howland Kenney: Recorded Music in American Life. The Phonograph and Popular Memory, 1890 – 1945, New York 1999

Andre Millard: America on Record. A History of Recorded Sound, Cambridge 1995 

André Ruschkowski: Elektronische Klänge und musikalische Entdeckungen, Stuttgart 1998 

Jonathan Sterne: The Audible Past. Cultural Origins of Sound Reproduction, Durham / London 2003

Fussnoten

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Heinz Hiebler für bpb.de

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Heinz Hiebler, Dr., Privatdozent, Leiter des Medienzentrums der Fachbereiche Sprache, Literatur, Medien der Universität Hamburg. E-Mail: E-Mail Link: heinz.hiebler@uni-hamburg.de