Geschichte wiederholt sich
Das zeitgenössische deutsche Kino
Der Himmel über Deutschland

Unterdessen gelang es Wim Wenders nach seiner Rückkehr nach Deutschland mit "Der Himmel über Berlin" 1987 einen historischen Moment einzufangen, eine radikal poetische Sicht auf eine geteilte Stadt, die schon kurz darauf durch den Mauerfall nicht mehr wiederzuerkennen war. Es war, als habe der Autorenfilm alter Schule all den anderen noch einmal gezeigt, wozu er fähig ist. Dafür gab es in Cannes wieder einen Regiepreis, ausgerechnet auf jenem Festival, das 20 Jahre lang alle deutschen Versuche, an die Vorgänger anzuknüpfen, beharrlich ignorierte.
Die verschlafene Geschichte
Auch in den neunziger Jahren blieb das deutsche Kino in seiner Wirkung auf seine Landesgrenzen beschränkt. Die Wiedervereinigung blieb ein Thema, an dem es sich lange vergeblich abarbeitete, bis 2003 Wolfgang Becker mit "Good Bye, Lenin!" kam, der Tragikomödie einer Frau, die das Ende der deutsch-deutschen Geschichte verschlafen hatte und deren Kinder für sie eine Travestie der DDR aufführen, um sie im Glauben zu halten, alles sei beim Alten. Die Art und Weise, wie es Becker gelang, dieses einschneidende Kapitel deutscher Geschichte konsumierbar zu machen, brachte ihm einen Europäischen Filmpreis und weckte vor allem eine Neugier auf den deutschen Film, die bis dahin völlig eingeschlafen war. Man darf die Signalwirkung von solchen Erfolgen nicht unterschätzen, denn seither reiht sich nicht nur ein internationaler Preis an den anderen, sondern man hat geradezu den Eindruck, dass Deutschland plötzlich wieder auf der Landkarte anderer Länder aufgetaucht ist und sich die Leute auch für jene Arbeiten interessieren, die kein größeres Publikum erreichen, aber nicht weniger aussagekräftig sind, was den Stand der Dinge angeht – seither sind auch die Arbeiten der so genannten Berliner Schule um Christian Petzold in Frankreich und England Gegenstand kritischer Aufmerksamkeit.
Der Rest des Eisbergs
Das Merkwürdige ist, dass all diese Preise ja immer nur die Spitze des Eisbergs sind und der Rest für die Weltöffentlichkeit unsichtbar bleibt. Dabei gibt es durchaus Regisseure, die über den Fluch des talentierten Erstlings hinausgekommen sind, der die meisten Karrieren hierzulande spätestens nach dem zweiten Film einholt: Am Prominentesten natürlich die von Tom Tykwer, dessen "Lola rennt" mit seiner kinematografischen Energie die neue Metropole Berlin filmisch verankerte und weltweit Wellen schlug und der mit der Bestseller-Verfilmung "Das Parfüm – Die Geschichte eines Mörders" und dem Thriller "The International" Anschluss an internationale Standards herstellt.Aber auch jenseits des Weltmarktes gibt es Regisseure, die auf dem heimischen Markt nach einem Kino suchen, das überlebensfähig ist, ohne in gefällige Muster zu verfallen: Detlev Buck mit seinem verschrobenen norddeutschen Humor, Andreas Dresen mit seinem genauen Blick auf die ostdeutsche Wirklichkeit, Hans-Christian Schmid mit seinen zarten Erkundungen des Gefühls, Christian Petzold mit seinem fast französischen Blick auf die Welt, Helmut Dietl mit seinem Sinn für die klassische Komödie, Romuald Karmakar mit seinem detailversessenen Bohren in der Vergangenheit, Oskar Roehler mit seinem Totentanz der Gefühle, Rudolf Thome mit seinen unbeirrten Seelenerforschungen, aber auch Außenseiter wie Christoph Schlingensief, Herbert Achternbusch und Rosa von Praunheim mit ihrem radikalen Eigensinn, der gerade in Zeiten, als überall nur noch gefällige Beziehungskomödien zu entstehen schienen, dem deutschen Kino so etwas wie Reibungshitze bescherte.
Das Problem des deutschen Kinos bleibt weiterhin, dass es im Grunde nur einen einzigen Star besitzt, nämlich Til Schweiger, dessen Zugkraft von "Der bewegte Mann" bis "Keinohrhasen" ausreicht, um die Leute ins Kino zu locken. Und entsprechend bleibt vieles auf den deutschen Markt beschränkt: Auch die immensen Erfolge von Michael "Bully" Herbig, der in seinen Genre-Parodien wie "Der Schuh des Manitu" und "Lissi und der wilde Kaiser" ausgerechnet an Papas Kino zwischen Sissi und Winnetou anknüpft, gegen das der Autorenfilm einst Stimmung gemacht hatte. Zumindest so viel ist sicher im deutschen Kino: Geschichte wiederholt sich.