Geschichtsvermittlung in virtuellen Räumen: Eine kleine Geschichte technologischer Möglichkeiten und eine Prognose zur Zukunft historischen Lernens
Welche Rolle spielen die technischen Mittel in der historisch-politischen Bildungsarbeit? Das Lernen hat sich durch die Entwicklung digitaler Medien in den letzten Jahrzehnten stark verändert, dies hat auch Auswirkungen auf die Auseinandersetzung mit Geschichte.
Geschichte ist Teil der Gegenwart, in der sie erfahren, angeeignet, durchdacht und erzählt wird. Dass Technologie hierbei eine Rolle spielt, galt lange Zeit als Selbstverständlichkeit, die weitestgehend unhinterfragt blieb. Geschichtswissenschaft und -didaktik schenken erst in jüngster Zeit dem Zusammenhang von Technologie, Medien und Bildung stärkere Aufmerksamkeit.
Dies belegen Veröffentlichungen von Lehrerinnen und Lehrern zu Fragen einer digitalen Geschichtsdidaktik im Netz[1] sowie akademisch-wissenschaftlich ausgerichtete Tagungen und Publikationen. Sie alle kreisen um ähnliche Fragestellungen:
- Wie sind die Wirkungen des sich beschleunigenden medialen und digitalen Wandels im Allgemeinen sowie im Besonderen für die historisch-politische Bildung einzuschätzen?
- Verändert digitale Technologie historisch-politisches Denken, Lernen und Handeln?
- Bedarf es des Trainings und der Förderung besonderer Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften, wie z.B. der vom Schweizer Geschichtsdidaktiker Jan Hodel eingeführten "Historischen Online-Kompetenzen"[2]?
- Sind andere Techniken des medial vermittelten und technologiebasierten Arbeitens und Lernens nötig, die eine eigene didaktisch-methodische Reflexion erfordern?
- Oder können hergebrachte Formen und Methoden historisch-politischer Bildung an veränderte Bedingungen angepasst werden?
Im Folgenden werden drei Phasen[4] historisch orientierten E-Learnings aufrissartig identifiziert und in ihren Hauptlinien beschrieben. Ab 1994/1995 spricht der Text von der Entgrenzung traditioneller Lehr-Lernräume sowie der Entschriftlichung und Entlinearisierung von Lerninhalten. Die zweite Phase ab 2004/2005 ist gekennzeichnet durch die Enthierarchisierung von Lehr-Lernbeziehungen und die (Ent-) Individualisierung von Lernprodukten. Seit 2010/11 kann man von der Entkoppelung des räumlich an einen Klassenraum gebundenen und in bestimmten Sozialformen arrangierten Lernens und der individuellen Entdeckung von Lernsituationen im Alltag sprechen. Die Begrifflichkeiten zeigen dabei den prozessualen Charakter des technologisch-medialen Wandels an. Zugleich deuten sie darauf hin, dass sich die Entwicklungen im Fluss befinden und aktuell auch zusammenfallen. Oftmals sind sie ineinander verschränkt.
Historisches E-Learning 1.0: Entgrenzung, Entschriftlichung, Entlinearisierung
Mit der Einführung des Home- und Personalcomputers sowie der Ausstattung der Betriebssysteme mit leicht zugänglichen Benutzeroberflächen hielten seit Mitte der 1980er-Jahre digitale Medien Einzug in eine breite Öffentlichkeit. Es dauerte allerdings eine Weile, bis der Rechner auch für das Geschichtslernen entdeckt wurde.[5] Zwar existierten schon früh Computerspiele in Form von Abenteuer-, Rollen-, Arcarde-, Strategie- und Aufbauspielen zu historisch-politischen Inhalten (Kaiser, SimCity etc.). Ihr Anspruch war allerdings kaum ein echt didaktischer. Sie zielten auf Unterhaltung und Zeitvertreib.
Der Computer galt vielen – gerade auch im akademischen Bereich – als elektronische Schreibmaschine, welche die Eingabe, Verarbeitung und Ausgabe schriftlicher Texte erheblich vereinfachte und ökonomisierte. Texte durchliefen immer seltener unterschiedliche Phasen der Vor- und Reinschrift, da sie zu jedem Zeitpunkt noch korrigiert werden konnten.[6]
Erst das World Wide Web sowie die Entwicklung grafischer Webbrowser verhalfen Mitte der 1990er-Jahre Computern und Internet im Bildungsbereich zum Durchbruch. Groß aufgelegte Kampagnen, wie die Gründung des Vereins "Schulen ans Netz"1996, plädierten für die Vernetzung der Schulen und die Entgrenzung der Klassenräume ins World Wide Web.
Während Rechnerleistungen, Speicherkapazitäten und Bandbreite zunahmen, setzte eine erste Welle des E-Learning auch im historisch-politischen Bereich auf das Lernen mit "neuen" Medien. In diese Zeit fällt die insbesondere von der Mediendidaktik vorangetriebene Reflexion digitaler Lernumgebungen. Sie versuchte die veränderten technologischen Möglichkeiten in entsprechende Unterrichtsarrangements zu integrieren.
Auf der einen Seite reflektierte ein Ansatz die Nutzung des Computers als nicht vernetztes Einzelmedium. Hierbei gerieten sowohl der Computer als auch die zur Anwendung kommende Software in den Blick. Office-Programme wurden hinsichtlich ihrer Möglichkeiten zur Aufbereitung historischer Informationen diskutiert, da sie die Erstellung und Formatierung umfangreicher Texte, die Gestaltung von Schaubildern, Schemata und Präsentationen erleichterten.[7] Der Computer galt auch aufgrund der grafischen Möglichkeiten als Visualisierungs- und Simulationsmedium[8] – ein erster und noch kaum wahrnehmbarer Hinweis auf die Entschriftlichung historischen Lernens.
Zudem galt die Hoffnung spezieller Lernsoftware in sogenannten Computer-based-Trainings (CBT). Sie sollte selbstgesteuertes historisches Lernen fördern.[9] Selbstlernprogramme mit didaktischem Anspruch kamen, insbesondere als CD-ROM, für die historisch-politische Bildung auf den Markt (z.B. Stadt im Mittelalter). Sie machten sich die technologischen Vorteile der enormen Speicherkapazität zunutze. Text, Bild, Ton und Bewegtbilder (Animationen und Videosequenzen) konnten nun von CD, also gleichsam aus dem virtuellen Raum, auf den Bildschirm geholt werden.[10]
Obwohl hier oft ein riesiger Materialfundus an Quellen und Darstellungen zur Verfügung gestellt wurde, hielt sich die Qualität dieser Programme für historisches Lernen meist in Grenzen. Lernaufgaben beschränkten sich auf einfache Testformate, wie z.B. Zuordnungsübungen und Multiple-Choice-Abfragen.[11] Die CD-ROM setzte letztlich mit ihren Potenzialen den Trend zu multimedialen Repräsentationen und zur Entschriftlichung historischer Information fort.
Auf der anderen Seite rückten Überlegungen zum sogenannten Web-based-Training die kommunikativen Möglichkeiten und Vernetzungspotenziale von Rechnern und Dokumenten in den Mittelpunkt. Sie fragten danach, wie E-Mail, Foren und Newsgroups – also Ansätze des computervermittelten kooperativen Lernens in Gruppen – für historische Lehr-Lernsettings sinnvoll eingesetzt werden könnten. Geschichte kam auf diese Weise als Aushandlungsgeschäft in den Blick, in dem unterschiedliche Annahmen, Interpretationen und Urteile konkurrierten.[12]