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Impulsreferat "Woher kommen die Werte?" | Fachtagung "Philosophie für Kinder und Jugendliche als Zukunftsaufgabe für die demokratische Gesellschaft" | bpb.de

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Impulsreferat "Woher kommen die Werte?" Dr. h.c. Nikolaus Schneider

/ 5 Minuten zu lesen

Dr. h.c. Nikolaus Schneider (© Ast/Jürgens)

Nikolaus Schneider beginnt seinen Vortrag zum Thema "Woher kommen Werte?" mit der Anführung einer Werteinitiative von 1993, im Rahmen derer festgehalten wurde, dass Werte in einem mühseligen Prozess immer wieder gemeinsam neu definiert, akzeptiert und angezeigt werden sollen. Zudem erklärt er in seiner Vorbemerkung, dass Recht und Gewalt, in Form von Gesetzen und Verträgen, nicht ausreichend seien, um Werte in einer Gesellschaft zu bewahren. Notwendig seien vielmehr das Zusammenkommen von der Einsicht der Menschen zur Notwendigkeit der Werte und die Selbstbindung der Menschen an diese.

Schneider selbst betrachtet den Schutz des Lebens selbst als lebensdienlichen Wert. Dies beinhaltet den Schutz des einzelnen Menschen, sowie den Schutz des Zusammenlebens der Menschen. Als unverzichtbare Lebenshaltung für das Gelingen dieses Schutzes nennt er sowohl die Achtung der Würde eines jeden Menschen, als auch nachhaltiges Vertrauen als Basis des Zusammenlebens. Ohne diese Komponenten könne ein Zusammenleben nicht funktionieren.

Anschließend widmet er sich der Frage, woher lebensdienliche Werte kommen und wie sie sich beim Individuum ausbilden. Schneider arbeitet dazu zwei unterschiedliche Grundvorstellungen heraus: In der philosophischen und kirchlichen Tradition herrsche die Vorstellung, dass Menschen von außen durch einen Wertekanon inspiriert würden, was zur Prägung ihrer Realität führe. Das heißt, Werte würden unserer Realität von außen aufgeprägt. Eine weitere Vorstellung geht davon aus, dass Werte von Anbeginn in der Realität enthalten seien und als Teil unserer Realität immer neu erkannt, entwickelt, tradiert und verbreitet würden.

Im Weiteren kommt Schneider auf Paulus‘ "Hohelied der Liebe" zu sprechen, in welchem lebensdienliche Grundwerte formuliert würden, die blieben: Glaube, Liebe, Hoffnung. Die Herausbildung einer an diese Werte gebundene Lebenshaltung geschehe laut Schneider durch Sozialisation, Bildung und Erfahrung. Eine erste Vermittlung von Werten findet in der Familie statt, beispielsweise indem Eltern als Vorbild dienen. Kirchen unterstützen diesen Prozess der Herausbildung von wertgebundenen Lebenshaltungen begleitend. Konkrete Lebenserfahrungen regen zum Nachdenken über Bewährung, Bewahrung und Verteidigung von Grundwerten an. Für Jugendliche sind hierbei besonders Gleichaltrige ein wesentlicher Reflexionspunkt.

Dr. h.c. Nikolaus Schneider

Dr. h.c. Nikolaus Schneider, geboren 1947 in Duisburg, absolvierte von 1967 bis 1972 das Studium der Evangelischen Theologie in Wuppertal, Göttingen und Münster. Danach war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für neutestamentliche Textforschung in Münster tätig und ab 1974 als Vikar der Evangelischen Kirche im Rheinland. Ab 1976 war Schneider Gemeinde- und Diakonie-Pfarrer in Duisburg Rheinhausen, später dann auch in Moers. Von 1987 bis 1997 fungierte er als Superintendent des Kirchenkreises Moers. Anschließend übernahm Nikolaus Schneider für sechzehn Jahre zunächst die Position des Vizepräses und anschließend des Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. 2003 wurde er außerdem Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und übernahm nach dem Rücktritt von Landesbischöfin Margot Käßmann 2010 dessen Vorsitz. 2014 trat Schneider aufgrund der Krebserkrankung seiner Ehefrau von diesem Amt zurück. Schneider ist Träger der Buber-Rosenzweig Medaille und des Leo-Baeck-Preises sowie weiterer kirchlicher und staatlicher Auszeichnungen. Er erhielt Ehrenpromotionen der Kirchlichen Hochschule Wuppertal sowie der Reformierten Universität Budapest.

Die letzte These Schneiders lautet, dass das Herausbilden einer wertebasierten Lebenshaltung weniger ein Auswendiglernen von Werten sei, als vielmehr ein Prozess der Herausbildung, der ständigen Erneuerung der Haltung und Änderung durch Erfahrungen des Gelingens und des Misslingens.
Alisa-Katharina Dumke

Dr. h.c. Nikolaus Schneider und Prof. Dr. Markus Gabriel (© Ast/Jürgens)

Diskussion


An die beiden Vorträge anschließend, wirft Jürgen Wiebicke die Frage auf, wie das Verhältnis zwischen Philosophie und Theologie zu verorten sei. Könne man von Alliierten oder müsse man von Konkurrenten sprechen? Gabriel antwortet daraufhin, dass man sich wohl die Zusatzfrage stellen könne, auf welche Art und Weise Einsicht in das Moralische befördert wird. Um jedoch in der Aufklärungstradition zu bleiben, bestehe kein Konflikt solange die Theologie vernünftig ist. Auch Schneider sieht die beiden Disziplinen eher als Verbündete, ihm gehe es um die Werte per se. Ihm sei die Tatsache wichtiger, dass Menschen wertgebunden leben, als dass es sich bei diesen Werten um "seine" handle. Somit sei auch ein Wertesystem, das philosophisch begründet ist ‚in Ordnung‘ – so lange es trage.

Die Philosophie behandle systematische Fragen, er finde allerdings, dass man fragen müsse: "Was macht man damit? Wie wird es Teil der menschlichen Realität?". An dieser Stelle sei die Kirche ganz besonders gefragt.

An Gabriel gerichtet fragt Wiebicke, wie seine Überlegungen in unserer Zeit stünden.
Gabriel antwortet, dass es derzeit ein Motiv gäbe, welches die Neuzeit präge. Es handle sich um die überzogene Vorstellung der Revision alles Überkommenen: das Motiv der Endzeit. Dieses präge auf symbolischer Ebene auch den Zeitgeist. Der allgemeine Tenor sei, dass jetzt das Andere, das Neue, das ‚Ereignis‘ käme – dies sei allerdings ein Interpretationsfehler. Da die Geschichte nicht teleologisch verläuft, kann es auch keine Endzeit geben.

Die eigentliche Dramatik sei nicht, dass wir nach Werten fahnden müssen. Die Dramatik sei, dass jemand glaubt, dass wir nach Werten fahnden müssen. Schließlich sei klar, was unsere Europäischen Werte seien: unbedingter Universalismus – kodifiziert im Rechtsstaat. Man müsse nur fragen, was dem im Weg stehe.
Wiebicke wendet ein, dass der Akt der Kommunikation auch ein Akt der Vergewisserung sei. Bundeskanzlerin Merkel verwendete die Begrifflichkeit: "Menschen in Deutschland" – diese, so Gabriel, seien alle Rechteträger. Nun frage man sich, was dem im Wege stehe? Es stehe dem nur im Wege, dass andere das anders sehen. Dies ist der Akt der Vergewisserung – nicht aber was unsere Werte seien. Das Vergewissern ist kein Rüsten für die nächste Schlacht um die Werte.
Schneider stimmt Gabriel zu. Zum Bild der Endzeit fügt er hinzu, dass aus diesem oft Fundamentalismus entstehe. Dieses schüre oftmals Ängste gegen "Andere". Theologisch betrachtet, befinde man sich immer im Zustand der Endzeit, denn die Rückkehr des Herrn kann jederzeit stattfinden. Erschwerend könne der Mensch die Zeichen der Zeit nicht deuten. Also müsse er sich immer so verhalten, als würde Gott morgen wiederkehren.

Daraufhin erwidert Gabriel, dass ein Leben im "als ob" auch philosophisch möglich sei. Gott finde beispielsweise Kinderquälen falsch, weil es falsch ist. Nicht aber sei das Kinderquälen falsch, weil Gott dies finde. Werte sind objektiv da.
Abschließend möchte Jürgen Wiebicke nochmal auf die latente Konkurrenz der beiden Disziplinen zu sprechen kommen.
Die Religion sei ein Subsystem der Gesellschaft, erklärt Gabriel. Philosophie behandle eben nicht die Begründung eines Subsystems der Gesellschaft, sondern sie beschäftige sich mit der Struktur der menschlichen Vernunft. Zudem seien in einem säkularen Staat der Ethikunterricht dem Religionsunterricht vorzuziehen (nicht, dass man im Sinne des Pluralismus sowieso beides zulassen sollte). Allerdings, so Gabriel, sollte Ethikunterricht an alle Menschen in Deutschland adressiert sein. Jeder sollte diesen so früh es geht erhalten.

Schneider führt dagegen an, dass auch Gabriel nur ein Subsystem der Philosophie vertrete. Die Reflexion des Religiösen habe genau den gleichen Anspruch die Wirklichkeit zu erkennen. Dies solle dazu führen, dass die Menschen bewusst, vernünftig und aufgeklärt seien.
In diesem Falle hätte man im Sinne der Aufklärung den Fanatismus ausgerottet. Allerdings, so Gabriel, fehlen im heutigen Kanon einige Informationen. Beispielsweise über die islamische Welt (so auch den Zusammenhang zwischen Islamischer Welt und Aufklärung).
Schneider findet, dass man auch über die persönliche Realität im Bilde sein sollte. Er findet, dass es notwendig sei die Wertevermittlung in einem bestimmten identitätsbewussten Rahmen stattfinden zu lassen.
Simon Clemens

Nach diesem theoretischen Einstieg folgten Vorträge zur praktischen Einbindung der Philosophie in den Unterricht.

Fussnoten