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Die Kunst des Involvierens | Kulturelle Bildung | bpb.de

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Die Kunst des Involvierens Eine Ausstellung begegnet ihrer Stadt

Wanda Wieczorek

/ 13 Minuten zu lesen

Der documenta 12 Beirat ist ein Beispiel für den Versuch, den Wirkungsradius einer Kunstausstellung auf neuen Wegen zu erweitern und dadurch zum Gelingen des gesellschaftlichen Zusammenlebens beizutragen. Die Autorin berichtet über Chancen und Probleme einer solchen Herangehensweise.

"Für die Stadt ist es eine wichtige Frage, wo die Weltkunstausstellung documenta ihren Auftakt findet und wie sie sich präsentiert. Dafür wurde in diesem Fall kein offizieller, kein bisher üblicher Rahmen gewählt, sondern auf einmal tauchte ein Akteur wie der Schlachthof auf, von dem man eigentlich ein anderes Bild hatte: verknüpft mit sozialer und soziokultureller Arbeit, mit Anliegen wie Beteiligung, Interaktion, Auseinandersetzung und Kommunikation. Da stellte sich für viele die Frage, was wir eigentlich mit Kunst zu tun haben, was wir davon verstehen und warum wir dabei mitreden sollten [...]." Christine Knüppel, Geschäftsführerin des Kasseler Kulturzentrums Schlachthof e.V. (Knüppel/Gülec 2009: 42).

Seit einiger Zeit steigt wieder das Interesse an den Überschneidungen zwischen Kunst und Politik. Eine Nähe zur Politik wird von der Kunst aus zwar schon länger gesucht – ein prägender Diskursstrang des letzten Jahrzehnts beschäftigte sich mit Arbeiten, die politische Themen verhandeln und mit Theorien, die die politische Dimension der Kunst herausstellen. Diese Auseinandersetzung wurde allerdings vor allem innerhalb der Grenzen des Kunstfelds betrieben. Ausstellungen, kunstphilosophische Abhandlungen und Kongresse diskutierten die politische Wirkmächtigkeit der Kunst hauptsächlich mit Kennern, Könnern und Eingeweihten, im Rahmen der bewährten analytischen Maßstäbe und handwerklichen Mittel. Dass sich Akteure aus der Kunst nach vorne wagen und über die politische Bildung Handlungsmöglichkeiten im Feld der Politik suchen, ist dagegen eine jüngere Entwicklung. Sie betreten dabei unbekanntes Terrain. Weder können sie sich darauf verlassen, dass ihre Fachkenntnisse in den neuen Zusammenhängen etwas wert sind, noch dass die in der Kunstwelt eingeübten habituellen Regelsysteme Bestand haben werden.

Dafür verspricht die Allianz mit der politischen Bildung einen Ausweg aus einer Krise der Kunst, die sich parallel zu ihrem erstarkten politischen Interesse aufgetan hat: Die Kunstinstitutionen als ehemals allgemein akzeptierte Träger eines kulturellen Bildungsauftrags werden sowohl von den öffentlichen Geldgebern als auch von ihrem Publikum in Frage gestellt. Die gesellschaftlichen Realitäten haben sich verschoben und insbesondere die öffentlichen Institutionen der Kunst sind in dieser sozialen und politischen Dynamik gezwungen, ihre Position zu überprüfen und ihr Selbstverständnis neu zu formulieren. Überall werden neue Wege eingeschlagen: Medial intensiv begleitete Blockbuster-Ausstellungen sollen durch große Publikumsströme Relevanz belegen. Bildung und Pädagogik werden mit den Mitteln der Kunst zum Thema gemacht, was feldintern bereits als "pedagogical turn" bezeichnet wurde. Die Aktivitäten der Kunstvermittlung werden intensiviert und die Zusammenarbeit mit Bildungsinstitutionen gesucht.

Viele Ansätze bleiben jedoch an der Oberfläche des Problems. Sie setzen zwar die bestehenden Mittel von Öffentlichkeitsarbeit, Marketing und Museumskommunikation aufwändiger oder auch effektiver ein, eine ehrliche Infragestellung der eigenen Position bleibt aber aus: Welche Rolle soll Kunst heute im gesellschaftlichen und persönlichen Leben spielen? Welche Form der Kunst erachten wir als wichtig und förderungswürdig? Wer soll Zugang zu Kunst haben? Welche gesellschaftliche Verantwortung schreiben wir Kunstinstitutionen zu, und wie können sie zum Gelingen des Zusammenlebens beitragen? Diese Fragen berühren den Kern der Krise und müssen daher ausgesprochen und diskutiert werden – und zwar nicht nur innerhalb der Kunstwelt, sondern in einem weiteren gesellschaftlichen Rahmen. Das bedeutet, dass die Institutionen der Kunst einen qualitativ veränderten Kontakt zu ihrem Publikum aufbauen müssen und es nicht bloß als Konsumenten ihres Angebots begreifen können - im Sinne einer "reproduktiven" Nachbesserung, mit der "das Publikum von morgen" herangebildet werden soll (vgl. Mörsch 2009: 9f). Sie müssen ihr Publikum involvieren und sich dabei auch an Personen wenden, die nicht bereits zu ihren etablierten Publikumskreisen (vor allem aus den bürgerlichen Mittelschichten) gehören. Personen also, die ihnen neue Impulse und unvorhersehbare Antworten auf die Fragen nach der Neubestimmung der eigenen Position hin zu einer aktualisierten gesellschaftlichen Relevanz geben können.

Die meisten Institutionen der Kunst verfügen allerdings nicht über die notwendigen Kontakte und Erfahrungen, um Menschen außerhalb des traditionellen Kunstpublikums anzusprechen und für einen Austausch zu gewinnen. Dafür fehlen ihnen neben der Kenntnis lokaler Zusammenhänge eine adäquate Sprache und geeignete Vermittlungsmethoden. Eine Allianz mit der politischen Bildung macht die Möglichkeit einer neuen, kooperativen Beziehung zum Publikum greifbarer. Die politische Bildung mit ihren Netzwerken und methodischen Werkzeugen, so die Vermutung, könnte der Kunst einen Weg zu weisen, wie sie ihr politisches Potenzial tatsächlich zu gesellschaftlicher Wirksamkeit bringen kann.

Der documenta 12 Beirat

Der folgend dargestellte documenta 12 Beirat ist ein Beispiel für den Versuch, den Wirkungsradius einer Kunstausstellung entlang neuer Bahnen zu erweitern und dadurch zum Gelingen des gesellschaftlichen Zusammenlebens beizutragen. Der Beirat entstand im Jahr 2005 im Vorfeld der 12. documenta in Kassel und arbeitete bis 2007 an einer Verbindung der Kunstausstellung mit der Kasseler Stadtgesellschaft.

Der künstlerische Leiter der Ausstellung Roger M. Buergel und die Kuratorin Ruth Noack sahen die Notwendigkeit, die Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung der documenta 12 an ihrem konkreten Ort, in Kassel, zu beantworten. Zwar hat sich die documenta in den gut fünfzig Jahren ihres Bestehens zu einer der einflussreichsten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst weltweit entwickelt. Dabei blieb jedoch ihr Herkunftsort hinter der Orientierung am internationalen Kunstgeschehen zurück. Die Stadt und ihre Bewohnerschaft haben daher ein ambivalentes Verhältnis zur documenta entwickelt. Einerseits ist die Identifikation mit dem bedeutenden Ereignis enorm, andererseits bleiben große Teile der Kasselerinnen und Kasseler von der Teilnahme daran ausgeschlossen. Gleichzeitig ist Kassel von seiner wechselvollen Geschichte zwischen Glanz und Zerstörung geprägt und besitzt eine höchst fragmentierte Bebauungs- und Bewohnerstruktur. Der Leitung der documenta 12 war bewusst, dass sie die Orientierung in dieser komplexen Situation und die Kontaktaufnahme zu diversen sozialen Milieus nicht aus eigener Kraft leisten könne. Nicht etwa, weil die documenta nicht die symbolische Macht und Durchsetzungskraft besäße, sondern weil es in ihren Augen nicht genügte, mit den Mitteln der Kunstwelt eine Organisationsform zu entwickeln, die nur in Kunstkreisen wahrgenommen und lediglich nach Kunstmaßstäben bewertet wird – nicht zuletzt vorherige documenta-Ausstellungen hatten Beispiele für die Begrenztheit solcher selbstreferentieller, "politischer" Kunstproduktionen geliefert. Sie suchten daher nach einem Partner aus dem gesellschafts- und bildungspolitischen Bereich und fanden das Kulturzentrum Schlachthof und seine beiden Mitarbeiterinnen Ayşe Güleç und Christine Knüppel. Zu diesem frühen Zeitpunkt der documenta-Vorbereitungen wurde ich als Koordinatorin für die lokale Anbindung eingesetzt und war damit eine der ersten Mitarbeiterinnen der documenta 12.

Der Schlachthof ist eine große soziokulturelle Einrichtung in der Kasseler Nordstadt mit Jugendzentrum, kulturellem Veranstaltungsprogramm und umfangreichem Bildungsangebot. Er stellt einen wichtigen Knoten im Netz der gesellschaftspolitisch engagierten Szene Kassels dar. Als soziokulturelles Zentrum hat sich der Schlachthof den Zielen der politischen Bildung verpflichtet und ist daran interessiert, möglichst allen Mitgliedern eines Gemeinwesens politische Teilhabe zu ermöglichen. Daher werden umfangreiche Ressourcen in die Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Gruppen investiert, die von den gängigen politischen Partizipationsmodellen weitgehend ausgeschlossen sind. Das Kooperationsangebot der documenta war für den Schlachthof in zweierlei Hinsicht interessant: Zum einen kommen mit der Kunst neue, möglicherweise inspirierende und aktivierende Formen der inhaltlichen Auseinandersetzung in das Haus. Gerade für die Arbeit mit Jugendlichen, bildungsbenachteiligten Personen und Personen mit anderen sprachlichen und kulturellen Herkünften ist es so wichtig, Formen der Kommunikation zu finden, die nicht nur die ohnehin dominanten Ausdrucksmuster bevorzugen. Die Kunst bietet ein enorm ausgefeiltes Reservoir an Kommunikationsmöglichkeiten, die für diese Zusammenhänge sehr wertvoll sind. Zum anderen erfährt diese Auseinandersetzung durch den hohen symbolischen Wert der Kunst (und der Institution documenta) eine Aufwertung, die gerade den gesellschaftlichen Randgruppen zu Gute kommen kann. Genau diese Gruppen wiederum erreichte die documenta bislang nicht und hatte dies auch nie als Ziel formuliert.

Der Schlachthof und die documenta 12 wurden also Partner in dem geteilten Anliegen, die documenta enger mit Kassel zu verbinden. Sie einigten sich auf eine Kooperationsform, und der sogenannte documenta 12 Beirat wurde gegründet: eine Gruppe von etwa 25 "lokalen Expertinnen und Experten" – Personen aus verschiedenen beruflichen und sozialen Feldern (schulische, außerschulische und universitäre Bildung, Kinder- und Jugendarbeit, soziokulturelle Arbeit, Architektur und Stadtplanung, Gewerkschaften, Fraueninitiativen und weitere) – die sich regelmäßig mit der künstlerischen Leitung, mit Künstlerinnen und Künstlern sowie Teammitgliedern der documenta 12 traf.

Der Verlauf des Projektes

Die inhaltliche Arbeit des Beirats folgte zunächst der Herangehensweise von Buergel und Noack, die drei Leitfragen für die Konzeption der Ausstellung entwarfen. Sie bezogen sich auf die Beschaffenheit heutiger Gesellschaften ("Ist die Moderne unsere Antike?"), die Verletzbarkeit der menschlichen Existenz ("Was ist das bloße Leben?") und die Frage von Bildung ("Was tun?"). In den Beiratstreffen wurden diese Motive auf ihre konkreten Ausprägungen in Kassel überprüft: Was bedeuten sie für den lokalen Kontext? Welche Geschichte und Aktualität verbindet sich damit in Kassel? Wie können sie für dringliche Probleme umformuliert und zur Anregung öffentlicher Debatten eingesetzt werden? Die Diskussion dieser zentralen Fragen half den Beiratsmitgliedern, sich auf einen gemeinsamen Arbeitsprozess einzulassen, dessen Ziel noch weitgehend offen war. Etwa ein Jahr vor Eröffnung der Ausstellung begann der Beirat, eigene Aktivitäten zur lokalen Konkretisierung der Fragestellungen in Veranstaltungen und Pressekonferenzen der Öffentlichkeit vorzustellen. Die jeweiligen Arbeitsgruppen beschrieben ihre Themen und luden zu öffentlichen Diskussionen und Aktionen ein, deren Frequenz sich bis zum Ausstellungssommer 2007 steigerte.

Neben der inhaltlichen Arbeit entlang der Leitmotive und ihrer Ausprägung in Form von Aktivitäten in Kassel stand der Austausch untereinander im Mittelpunkt der Beiratsarbeit. Davon profitierten auch die Mitglieder des documenta 12 Teams. Ihnen wurde lokales Wissen über Kassel in konzentrierter Form zugänglich gemacht und sie knüpften vielfältige Kontakte, die sie in der Arbeit für die documenta 12 einsetzen konnten. Insbesondere für Künstlerinnen und Künstler, die ihre Arbeit vor Ort und in Bezug auf Kassel entwickeln wollten, war der Beirat eine unersetzliche Wissens- und Kontaktressource. Von Beginn der Beiratstreffen an stellte in nahezu jeder Sitzung eine Künstlerin ihre oder ein Künstler seine Arbeitsweise und die noch vagen oder bereits konkreten Ideen für ein Projekt in Kassel vor. Die Beiratsmitglieder unterstützten die Entwicklung der Arbeiten durch ihre lokalen Kenntnisse, stellten Kontakte zu Jugendlichen oder anderen Bevölkerungsgruppen her und begleiteten die Durchführung der Projekte.

Mit Hilfe von Drittmitteln wurde eine "Schnittstelle" zwischen dem Vermittlungsteam der documenta 12 und den Aktivitäten des Beirats organisiert. Je zwei Vermittlerinnen widmeten sich einer Aktivität und realisierten mit den Beteiligten Workshops, Ausstellungsbesuche und andere Vermittlungsformate. Diese Zusammenarbeit intensivierte die Anbindung der Aktivitäten an die Ausstellung selbst und unterstützte die Präsentation und Diskussion der Aktivitäten mit dem angereisten (internationalen) Ausstellungspublikum.

Mit den Aktivitäten und den von ihnen ausgehenden Kooperationen in der Stadtgesellschaft entwickelte sich der Beirat zu einem dynamischen Netzwerk, das höchst unterschiedliche Personen in Kassel erreichte. Ausgehend vom wichtigsten Knotenpunkt dieses Netzwerks, dem Schlachthof, formierten sich über die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Leitmotiven Arbeitsgruppen, die weitere Personen gewannen, um mit ihnen Aktivitäten umzusetzen, die wiederum Kooperationen mit Institutionen und informellen Zusammenhängen in Kassel aufnahmen. Nach diesem Multiplikationsprinzip wurden die Ideen und Diskussionen der Beirats-Kerngruppe durch unterschiedlichste Formate in die Stadtgesellschaft getragen und im Laufe der Auseinandersetzung umgeformt – eine Kontrolle von Inhalten und Formaten durch die documenta war dabei weder erwünscht noch möglich. Es entstanden neue Verbindungen durch die Stadtgesellschaft, die sich quer zu den existierenden Strukturen legten. Und so kam es, dass sich eine beachtliche Vielzahl an Personen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen an Aktivitäten des Beirats beteiligte und darin ihre Anliegen zur Sprache brachte. Die Reichweite des Beirats lässt sich erahnen, wenn man die Fülle der Veranstaltungen und Angebote betrachtet (vgl. Wieczorek et al. 2009). Vielleicht mag auch der Hinweis aufschlussreich sein, dass bei der documenta 12 mehr als doppelt so viele Besucherinnen und Besucher (14 Prozent) im Vergleich zur vorigen documenta (7 Prozent) aus dem Raum Kassel kamen. Die Öffnung der documenta 12 hin zur Stadt wurde sehr wohl wahrgenommen und durch ein gestiegenes Interesse an der Ausstellung beantwortet.

Auch das Kulturzentrum Schlachthof erhielt Rückenwind durch die Kooperation. Die Potentiale und Fähigkeiten der Institution wurden der Öffentlichkeit und den städtischen Behörden eindringlich vor Augen geführt. Dies brachte eine größere symbolische Anerkennung mit sich, die auf der ökonomischen Seite wiederum zu einer besseren Verhandlungsposition um die finanziellen Grundlagen des Schlachthofs führte. Die Anregungen aus der Zusammenarbeit inspirierten den Schlachthof zu einer längerfristig angelegten inhaltlichen Neuausrichtung: einer Öffnung hin zu mehr kultureller Bildung sowie zu einer selbstbewussten Positionierung als erfahrender Partner in der Kooperation mit der Kunst.

Grenzen und Sollbruchstellen

Neben den vielen positiven Erfahrungen und der sehr guten Resonanz in Kassel wurden aber auch die Grenzen und Sollbruchstellen der Zusammenarbeit von documenta und Schlachthof deutlich . Als Hauptproblem stellte sich schnell die finanzielle Unterversorgung des Beirats heraus. Ohne planbare Budgetierung mussten sich alle Aktivitäten aus der Kraft der Beiratsmitglieder entwickeln und forderten von diesen ein umfangreiches unbezahltes Engagement. In manchen Projekten gelang dies recht gut, da die beteiligten Personen über institutionellen Rückhalt verfügten. Andere scheiterten an dieser Hürde oder fielen deutlich bescheidener aus als geplant. Die Schieflage zwischen der von der documenta 12 behaupteten Relevanz des Beirats und seiner finanziellen Ausstattung wurde zum Streitpunkt. Zwar waren die Aktivitäten im Rahmen der documenta 12 erwünscht und brachten ihr erhebliche symbolische Vorteile ein, schließlich sicherte sie sich mit dem Beirat auch international ihren guten Ruf als lokal eingebundene Ausstellung von hohem gesellschaftlichem Interesse. Gleichzeitig nahm der Beirat in der Budget-Hierarchie der documenta eine äußerst untergeordnete Rolle ein und wurde damit zu einem netten, aber verzichtbaren Zusatz zur "eigentlichen Ausstellung" degradiert.

Ein weiteres Missverhältnis zeigte sich in der unklaren Beziehung von Beiratsarbeit und künstlerischer bzw. kuratorischer Arbeit. Zwar gingen die Diskussionen von den Ideen und Konzepten der künstlerischen Leitung aus, zwar stellten Künstlerinnen und Künstler ihre Praxis dem Beirat vor. Die Aktivitäten des Beirats wurden aber ausdrücklich nicht als Kunst betrachtet. Sie waren daher auch nicht Teil der Ausstellung, sondern platzierten sich in anderen Öffentlichkeiten und Räumen der Stadt. Dies entsprach dem Anliegen für die lokale Verankerung, in und für Kassel zu agieren, dennoch fehlte eine systematisierte Vermittlung des spezifischen Wissens der "Kunst-Akteure" im Beirat. So wurde das spezifische lokale Wissen der Beiratsmitglieder für die Personen aus dem Team der documenta 12 auf vielen Ebenen verfügbar, besaß jedoch keine bindende Kraft für künstlerische Entscheidungen. Umgekehrt waren die Beiratsmitglieder kaum in der Lage, ihre aktivistischen, pädagogischen oder anderen Formate vor dem Hintergrund zeitgenössischer Kunstentwicklung zu reflektieren und als Teil des Diskurses um die documenta zu positionieren. So blieben das Verhältnis von Ausstellung und Beiratsaktivitäten ungeklärt und die gegenseitigen Ansprüche und Erwartungen unausgesprochen.

Die mediale Rezeption des Beirats spiegelte die Trennung von Kunstwerken und kommunikativ-vermittelnden Aspekten der Ausstellung: während die lokale Presse den Beirat kontinuierlich begleitete und seine Veranstaltungen ankündigte und diskutierte, spielte die lokale Verankerung bei der Besprechung der Ausstellung in der überregionalen Fachpresse keine Rolle. Die Kritik bezog sich meist auf die Person des künstlerischen Leiters sowie auf inhaltliche und formale Aspekte der kuratorischen Arbeit mit den künstlerischen Werken. Weitgehend ignoriert wurden dagegen die Kunstvermittlung und insbesondere die lokale Verankerung. Die Fachöffentlichkeit zeigte sich ein weiteres Mal uninteressiert an der Wahrnehmung der Ausstellung durch das breitere Publikum, das nur zu einem geringen Teil der Kunstwelt angehört und das die Ausstellung als Ort der Bildung und der gesellschaftlichen Verständigung versteht.

Fazit

Der documenta 12 Beirat ist Geschichte – mit dem letzten Tag der Ausstellung im September 2007 wurden sämtliche Formate der documenta 12 für beendet erklärt und das Team zerstreute sich zurück an die diversen Herkunftsorte. Für die documenta GmbH (die ausrichtende Trägerinstitution) ist damit ein Ausstellungszyklus abgeschlossen, der erst wieder mit der Ernennung der neuen künstlerischen Leitung für die nächste Ausstellung beginnt – und dieser Leitung soll maximale künstlerische Freiheit eingeräumt werden, die durch keine "Altlasten" aus vorherigen Ausstellungen eingeschränkt werden darf. Formell kann eine Initiative wie der Beirat so nicht fortbestehen, dazu würde ein kontinuierliches Engagement und Bekenntnis der documenta GmbH benötigt. Informell hat sich jedoch einiges verändert: Innerhalb der Stadt sind unzählige neue Verbindungen entstanden, drängende Fragen des Zusammenlebens in Kassel wurden diskutiert und viele Personen in diese Auseinandersetzungen einbezogen. Zahlreiche Menschen haben die documenta zum ersten Mal als eine Veranstaltung erlebt, die für sie selbst und für die Fragen, die sie beschäftigen, von Belang sein kann. Und nicht zuletzt hat die Erfahrung der Kooperation zwischen Schlachthof und documenta bei den beteiligten Akteuren nachhaltig die Vorstellung dessen erweitert, was es bedeuten kann, politische und kulturelle Bildung als eine produktive Einheit zu begreifen – die reelle Möglichkeit, dass Kunst und ihre Institutionen zu Orten gesellschaftlicher Verständigung und Partizipation werden.

Noch ist es alles andere als üblich, solche Allianzen einzugehen und das Risiko bzw. die Chance einer Veränderung der eigenen Rolle anzunehmen. Dazu müssen die Kunstinstitutionen bereit sein, aus der Logik der Distinktion auszubrechen und die Kunst als Medium der gesellschaftlichen Verständigung allen zugänglich zu machen. Die Institutionen der politischen Bildung wiederum müssen dann die Kunst weniger als kreative Spielwiese denn als Methodenkasten zur Erschließung von Themen begreifen, die jeden Einzelnen, das Zusammenleben und die Artikulation politischen Wollens betreffen. Beide müssen die Konsequenzen annehmen, die aus einer Kooperation entstehen: Ansprüche an Qualität und an die inhaltliche Ausrichtung und Mitgestaltung sowie die Infragestellung der akzeptierten Spielregeln beider Bereiche. Der Beirat jedenfalls zeigt, dass es sich lohnt, dieses unsichere Terrain zu betreten und die Arbeit am Gelingen unseres Gemeinwesens in Allianz mit anderen gesellschaftlichen Feldern zu verfolgen.

Literatur

Glasmeier, Michael/Karin Stengel (Hrsg.): 50 Jahre/ Years documenta. archive in motion. Kassel/ Göttingen 2005.

Knüppel, Christine/Ayşe Güleç: Das Gefüge verschieben. In: Wanda Wieczorek/Claudia Hummel/Ulrich Schötker/Ayşe Güleç/Sonja Parzefall (Hrsg.): Kunstvermittlung 1. Arbeit mit dem Publikum, Öffnung der Institution. Formate und Methoden der Kunstvermittlung auf der documenta 12. Zürich/Berlin 2009, S. 42ff.

Mörsch, Carmen: Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen: die documenta 12 Vermittlung zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und Transformation. In: Mörsch, Carmen: Kunstvermittlung 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts. Zürich/Berlin 2009, S. 9f.

Wieczorek, Wanda/Claudia Hummel/Ulrich Schötker/Ayşse Güleç/Sonja Parzefall (Hrsg.): Kunstvermittlung 1. Arbeit mit dem Publikum, Öffnung der Institution. Formate und Methoden der Kunstvermittlung auf der documenta 12. Zürich/Berlin 2009.

Wieczorek, Wanda/Ayşe Güleç/Carmen Mörsch: Von Kassel lernen. Ein Leitfaden zur gelingenden Zusammenarbeit von kultureller und politischer Bildung. Bonn 2011.

Mörsch, Carmen: Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen: die documenta 12 Vermittlung zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und Transformation, in: Mörsch, Carmen: Kunstvermittlung 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts, Zürich/ Berlin 2009. S. 9f.

Wanda Wieczorek studierte Angewandte Kulturwissenschaften in Lüneburg. Sie wirkte als Assistentin der künstlerischen Leitung der documenta 12 und entwickelte den documenta 12 Beirat sowie die documenta 12 Halle (2005-2007) mit; seit 2010 leitet sie das Projekt ÜBER LEBENSKUNST.Schule, ein Bildungsprogramm der Freien Universität Berlin.