Meinung: Geteilte Bildung ist doppelte Bildung
Warum der Bildungsbereich hochgradig von einer Kultur des Teilens profitiertDer Austausch von Wissen ist für die Bildungsarbeit unverzichtbar und nur wenige Projekte verkörpern diese "Kultur des Teilens" so wie die Wikipedia, meint Leonhard Dobusch, Juniorprofessor für Organisationstheorie an der Freien Universität Berlin. Damit ganze Gesellschaften vom offenen Zugang zu Wissen profitieren können, fordert er ein Umdenken im Umgang mit offenen Lizenzen.


Teilen als Bildungsgrundlage
Wikipedia basiert dabei ganz grundlegend auf einer Kultur des Teilens. Menschen teilen ihr Wissen und ihre Werke wie Foto- und Videoaufnahmen mit anderen in einem nicht immer einfachen, kollaborativen Prozess. Aber nicht nur die Autorinnen und Autoren der Wikipedia teilen untereinander ihr Wissen. Auch das Ergebnis ihrer Anstrengungen steht wieder zur Weiternutzung zur Verfügung. Die offene Lizenz der Wikipedia macht das Teilen von Wissen nachhaltig. Und so finden sich beispielsweise Fotos aus der Wikipedia an den verschiedensten Ecken des Internets zur Bebilderung von Webseiten, in Vorträgen und wissenschaftlichen Arbeiten.Die Wikipedia ist natürlich nur der jüngste Beleg für die allgemeine Regel, dass Bildung und Wissenschaft, Kunst und Kultur, ja die ganze Gesellschaft vom offeneren Zugang zu Wissen profitieren. Von der Einführung der allgemeinen Schulpflicht und entsprechenden Investitionen in Schulen und Lehrkräfte über Lehr- und Lernmittelfreiheit bis hin zur Öffnung der Hochschulen lässt sich beobachten, wie Bildungsexpansion mit einer Zunahme an Wohlstand und Lebensqualität einhergeht.
Gerade im Bildungsbereich selbst ist es nun aber an der Zeit, die von Projekten wie der Wikipedia demonstrierten Potenziale von Internet und Digitalisierung auszuschöpfen. Die Voraussetzungen dafür sind gut. Auch Schulen und Universitäten leben eine Kultur des Teilens. Der Sinn von Bildungseinrichtungen liegt genau darin, einen Ort für den Austausch – das Teilen – von Wissen, Erfahrungen und Meinungen, nicht zuletzt aber auch von Lehr- und Lernmaterialien bereitzustellen. Die Nutzung von offenen Lizenzen wie jene der Wikipedia auch für professionell erstellte Lernmaterialien würde das Teilen von Wissen und Erfahrungen über die Grenzen der Bildungseinrichtung hinaus erlauben. Wo heute wieder und wieder das Rad neu erfunden, dasselbe Arbeitsblatt neu zusammengestellt wird, könnten Lehrkräfte aus einer globalen Wissensallmende schöpfen und gleichzeitig ihre Erkenntnisse und Ideen beisteuern. Wissensallmende meint dabei den offenen, freien und gleichen Zugang zu Bildungsmaterialien, um diese zu nutzen, zu übersetzen, anzupassen, zu rekombinieren und mit anderen zu teilen. Im Ergebnis ginge es weniger darum, immer wieder Neues zu schaffen, sondern darum, etwas gemeinsam besser zu machen. Voraussetzung dafür wäre jedoch, dass jene öffentlichen Gelder, die heute schon in die Erstellung von Lehr- und Lernmitteln fließen, vermehrt offen lizenzierte Inhalte und deren kontinuierliche Weiterentwicklung und Aktualisierung finanzieren. Erforderlich ist dazu ein Umdenken von Politik und Verlagen, die bislang das analoge Modell von Schulbuchentwicklung und -vertrieb einfach in die digitale Welt fortschreiben. So unabdingbar die Verlagsfunktionen der professionellen Konzeption und Qualitätssicherung von Bildungsmaterialien auch in der digitalen Bildungswelt sind, so verzichtbar ist ein System das auf dem Passus "Alle Rechte vorbehalten" des herkömmlichen Urheberrechts aufsetzt.
Politische Unterstützung für offene Lizenzen
Die Chancen der Digitalisierung für offeneren Zugang zu Wissen und Bildung lassen sich nicht realisieren, wenn aus gedruckten Schulbüchern einfach nur E-Books werden. Mehr noch, die Chancen liegen zu einem großen Teil gerade nicht im verstärkten Einsatz digitaler Medien im Unterricht. Die größte Chance der Digitalisierung für den Bildungsbereich ist verbunden mit dem einfachen und kostenlosen Teilen von Wissen im Allgemeinen und Lernmaterialien im Speziellen. Der in Bildungseinrichtungen ohnehin vorhandenen Kultur des Teilens mit digitalen Technologien und offenen Lizenzen zum allgemeinen Durchbruch zu verhelfen, ist deshalb das politische Gebot der Stunde.Gegenposition - Geteilte Bildung ist halbe Bildung

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