Mehr Kinder in Kitas und Kindertagespflege
Zur aktuellen Beteiligung in der frühen Bildung und Betreuung in Deutschland und Europa
In Deutschland und in Europa wird die Nutzung frühkindliche Bildungs- und Betreuungsangebote immer mehr zur Regel. Dabei gibt es jedoch sowohl innerhalb Deutschlands als auch europaweit große regionale Unterschiede. Trotz des breiten Ausbaus der Betreuungsplätze hängt die Bildungsbeteiligung der Kinder dabei noch immer deutlich vom sozialen Hintergrund der Eltern ab.
Zunehmende Bildungsbeteiligung in Europa
Im Zuge anhaltender Debatten und politischer Reforminitiativen haben die frühkindliche Bildung und die gezielte Förderung der Erwerbstätigkeit von Müttern in den letzten Jahren europaweit an Bedeutung gewonnen. Mit der Verabschiedung der Barcelona-Ziele im Jahr 2002 (siehe Infobox) haben die Länder Europas begonnen, entweder frühkindliche Bildungs- und Betreuungsangebote neu zu schaffen, insbesondere für Kinder unter drei Jahren, oder bestehende Angebote auszubauen, insbesondere für Kinder über drei Jahren (Mehr dazu in diesem Beitrag). Dieser ab Mitte der 2000er Jahre einsetzende Ausbautrend ist somit europaweit eine länderübergreifende Entwicklung, wenngleich in einzelnen Ländern wie Griechenland, Zypern, Rumänien und der Slowakei später die Beteiligung an frühkindlicher Bildung wieder zurückging.i
Schlussfolgerungen des Vorsitzes Europäischer Rat (Barcelona)
Die Barcelona-Ziele wurden vom Europäischen Rat im Jahre 2002 festgelegt. Diese gaben erstmals auf europäischer Ebene Zielsetzungen – sogenannte Benchmarks – für den Ausbau von Angeboten vor: "Die Mitgliedstaaten sollten Hemmnisse beseitigen, die Frauen von der Beteiligung am Erwerbsleben abhalten, und bestrebt sein, nach Maßgabe der Nachfrage nach Kinderbetreuungseinrichtungen und im Einklang mit den einzelstaatlichen Vorgaben für das Versorgungsangebot bis 2010 für mindestens 90 % der Kinder zwischen drei Jahren und dem Schulpflichtalter und für mindestens 33 % der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen" (vgl. Europäischer Rat 2002, S. 13). Im Rahmen der europäischen Berichterstattung wird der Erfolg des Ausbaus in den Ländern weiterhin an diesen Benchmarks gemessen.
Der Beschluss ist online abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_PRES-02-930_de.htm
Unterschiedliche Ausgangsbedingungen für den Ausbau
Die Bedingungen für den Ausbau frühkindlicher Bildungs- und Betreuungsangebote unterscheiden sich europaweit teils deutlich voneinander. So waren in manchen Ländern frühkindliche Bildungs- und Betreuungsangebote auch vorher schon gut ausgebaut, andere Länder stehen noch am Anfang. In einigen Ländern müssen Eltern beträchtliche Geldsummen für die Betreuung zahlen, in anderen ist sie eher günstig oder gar kostenfrei. Auch die Nutzungsmöglichkeiten der Angebote variieren von Land zu Land. Dies gilt insbesondere für die täglichen Öffnungszeiten von Einrichtungen bzw. den zur Verfügung gestellten Betreuungszeiten einer Kindertagespflegeperson. Die zeitlichen Nutzungsmöglichkeiten bestimmen ganz wesentlich, unter welchen Voraussetzungen Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stemmen können.
Ebenso unterschiedlich sind die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit Blick auf Elternzeitregelungen und Erwerbsmöglichkeiten und -bedingungen für Mütter und Väter (vgl. Bettio/Plantenga 2004). So verfolgen etwa die skandinavischen Länder Dänemark, Schweden und Norwegen eine fortschrittliche und vereinbarkeitsorientierte Familienpolitik, die eine einjährige, einkommensbasierte Elternzeitregelung sowie ein daran anschließendes umfassendes Betreuungsangebot garantiert. Länder wie Großbritannien, Italien oder lange Zeit auch Deutschland haben auf eine konservative und damit zumeist primär an Geldleistungen ausgerichtete Familienpolitik gesetzt. Dabei prägte das Leitbild der traditionellen "Ernährerfamilie" die Förderprogrammatik, so dass die Unterstützung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der Ausbau von Betreuungsangeboten eher vernachlässigt wurde. Insbesondere die Betreuung von Kindern unter drei Jahren fällt hier traditionell den Müttern zu, die damit häufig keiner oder allenfalls einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen.
Nachholbedarf beim Angebot für unter dreijährige Kinder
Diese Länderunterschiede spiegeln sich auch in der Nutzung frühkindlicher Betreuungsangebote wider, vor allem bei jüngeren Kindern unter drei Jahren. So besucht ein hoher Anteil der unter Dreijährigen insbesondere in jenen Ländern eine Kindertagesbetreuung, die bereits eine längere Tradition außerfamiliärer Betreuung haben und über ein entsprechend gut ausgebautes Angebot verfügen (vgl. Abb. 1).
Viele europäische Länder lagen im Jahr 2016 [1] noch weit unter dem politisch vereinbarten Barcelona-Ziel einer Bildungsbeteiligung von 33 Prozent der Kinder unter drei Jahren. Lediglich die skandinavischen Länder, sowie die Niederlande, Frankreich, Luxemburg oder Belgien erreichen bereits 2016 eine Beteiligungsquote über dieser Zielmarke, wobei allein Dänemark mit 70 Prozent an außerfamiliär betreuten Kindern dieser Altersgruppe weit herausragt (vgl. Abb.1). Europaweit stieg deren durchschnittliche Beteiligungsquote auf 32,9 Prozent an, jedoch verbergen sich hinter diesem Durchschnittswert teils erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern (Eurostat/EU-SILC 2016). Trotz einer generellen Zunahme an Angeboten erreichten viele Länder das angestrebte EU-Ziel bisher nicht.

Hohe Besuchsquoten von Kindertageseinrichtungen bei Kindern ab drei Jahren
Ein ganz anderes Bild ergibt sich für Kinder ab dem dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt. Deren Betreuung in Kindertageseinrichtungen lag im Jahr 2016 auf einem deutlich höheren Niveau; der angestrebten Beteiligung von 90 Prozent der Kinder kam immerhin fast die Hälfte Länder nahe oder erreichte sie (vgl. Abb. 2). In Belgien (98 Prozent), Schweden (97 Prozent) und Dänemark (96 Prozent) nahmen sogar fast alle Kinder dieses Alters an der Tagesbetreuung teil, im europäischen Durchschnitt immerhin 87 Prozent. Damit gehören in den meisten Ländern Europas frühkindliche Bildungs- und Betreuungsangebote selbstverständlich zum Aufwachsen von Kindern dazu. Dies gilt auch dort, wo eine geringe Beteiligungsquote für Kinder unter drei Jahren zu beobachten ist, wie beispielsweise in Polen (61%), in Kroatien (51%) oder in der Slowakei (77%) (vgl. Eurostat/EU-SILC 2016).
