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Fake News als aktuelle Desinformation | Digitale Desinformation | bpb.de

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Fake News als aktuelle Desinformation

Matthias Kohring Fabian Zimmermann

/ 7 Minuten zu lesen

Was ist das Neue an Fake News? Kommuniziert werden wissentlich und empirisch falsche Informationen zu Sachverhalten mit dem Anspruch auf Wahrheit. Die Korrektur von Falschmeldungen reicht im Kampf gegen diese Desinformation nicht aus: Es geht darum, das Vertrauen in Politik und Medien wiederherzustellen.

Fake News sind keine Erfindung des Internet-Zeitalters. (© picture alliance / blickwinkel)

Während des Präsidentschaftswahlkampfes in den USA 2016 lösten einige Nachrichten ungläubiges Staunen aus: Der Externer Link: Papst unterstütze die Kandidatur Donald Trumps. Hillary Clinton führe einen Externer Link: Kinderpornoring, getarnt als Pizzeria. Auch im Bundestagswahlkampf 2017 gab es brisante Meldungen: Angela Merkel habe mit einem Externer Link: islamistischen Attentäter auf einem Selfie posiert. Der Externer Link: Vater von Martin Schulz sei ein KZ-Aufseher gewesen. "Fake News" wurden solche "Nachrichten" bald genannt, falsche Informationen im Gewand echter Nachrichten. Schon bald instrumentalisierten aber Politiker den Begriff, um ihnen unliebsame Berichterstattung zu diskreditieren. Aus diesem Grund sprechen wir stattdessen von "aktueller Desinformation".

Das Phänomen aktueller Desinformation ist an sich nicht neu – immer schon hat sich Propaganda falscher Tatsachenbehauptungen für ihre Zwecke bedient. Der Aufwand war früher allerdings vergleichsweise hoch und die Verbreitung begrenzt. Nun aber ermöglichen es digitale und hier vor allem die sozialen Medien wie Facebook oder Twitter, falsche Informationen zu aktuellen politischen Themen in kürzester Zeit massenhaft zu verbreiten. Das ist eine neue Qualität. Aktuelle Desinformationen untergraben, so die Befürchtung, die Möglichkeit eines legitimen Meinungs- und Willensbildungsprozesses auf Basis korrekter Informationen. Mehr noch: Der Gesellschaft scheine zunehmend die Fähigkeit abhanden zu kommen, sich bei aller Meinungsverschiedenheit wenigstens auf gültige Fakten einigen zu können: Diese Befürchtungen sind nicht unberechtigt, sie haben aber, wie wir gleich zeigen, gar nicht in allererster Linie etwas mit "falsch" oder "wahr" zu tun.

Die Merkmale aktueller Desinformation

Will man die Auswirkungen von aktueller Desinformation auf zum Beispiel Wahlen analysieren, sollte man eine sehr genaue Vorstellung davon haben, was man eigentlich untersuchen will. Wie schon am Namen ersichtlich, reden wir von einem Untertypus von Desinformation. Wenn wir im Folgenden dessen Merkmale aufzählen, nehmen wir die komfortable Position eines Beobachters ein, der über genügend Zeit und Wissen verfügt, aktuelle Desinformation auch tatsächlich zu identifizieren. Deren Gefahr liegt aber natürlich vor allem darin, dass Mediennutzer sie nicht als solche erkennen.

Das Besondere dieses Typs von Desinformation liegt in seinem Aktualitätsbezug. Damit ist gemeint, dass sowohl der Neuigkeitswert einer Information behauptet wird als auch deren gesellschaftliche Wichtigkeit. Aktuelle Desinformation tut also so, als sei sie ganz normaler Journalismus. Sie simuliert, dass sie dem Bürger genauso wie eine journalistische Nachricht dabei hilft, sich in einer komplexen Gesellschaft zu orientieren. Wie selbstverständlich erhebt sie daher auch einen Wahrheitsanspruch für ihre Faktendarstellung. Da aktuelle Desinformation zudem die Darstellungsweisen des Journalismus übernimmt, um ihre Glaubwürdigkeit zu steigern, kann man sie von einer journalistischen Nachricht im Prinzip nicht unterscheiden – denn dass sie falsch ist, kann man ihr ja nicht unmittelbar ansehen. Falsch ist die aktuelle Desinformation nämlich immer. Ihr irreführendes Potential kann sie nur entfalten, wenn sie tatsächlich unzutreffende Tatsachenbehauptungen aufstellt.

Bis jetzt trifft unsere Definition auch auf einen bloßen journalistischen Irrtum zu. Die aktuelle Desinformation ist zusätzlich aber auch unwahrhaftig, das heißt sie wird im Wissen um ihre Falschheit in Umlauf gebracht. Eine mögliche Irreführung der Nutzer erfolgt somit nicht unbewusst, sondern wissentlich. Dabei ist keineswegs vorausgesetzt, dass aktuelle Desinformation direkt von einem unwahrhaftigen Kommunikator bezogen wird. Wissentlich in die Welt gesetzte Falschmeldungen werden auch von Menschen weiterverbreitet, die irrtümlicherweise von deren Wahrheit ausgehen. Aufgrund ihres Ursprungs betrachten wir sie aber weiterhin als aktuelle Desinformation.

Damit können wir aktuelle Desinformation als Kommunikation wissentlich und empirisch falscher Informationen zu neuen und relevanten Sachverhalten mit dem Anspruch auf Wahrheit definieren. Was sicherlich überrascht: Aktuelle Desinformation ist nicht notwendigerweise mit der Absicht zu täuschen verknüpft. Dies trifft nur auf propagandistische Desinformation zu, deren Urheber die Vorstellungen der Menschen manipulieren wollen, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Sogenannte Clickbait-Desinformationen bedienen sich dagegen falscher Informationen nur, um Werbeeinnahmen zu erzielen. Die reißerischen Überschriften solcher Angebote dienen als Köder (bait), um die Neugier der Mediennutzer zu wecken und für Aufmerksamkeit in Form von Clicks und damit klingende Münze zu sorgen. Ob diese Falschmeldungen geglaubt werden oder nicht, ist den Produzenten gleichgültig. Die Wirkung dagegen ist potenziell dieselbe wie die von propagandistischer Desinformation.

Aktuelle Desinformation und die Desinformationsordnung

Die öffentliche Debatte um aktuelle Desinformation dreht sich zumeist um die problematische Verbreitung von offensichtlichen Unwahrheiten. Aus dieser Problemsicht geht es zuvorderst darum, der Wahrheit wieder zu ihrem Recht zu verhelfen. So überprüfen Faktenchecker dubiose Nachrichten im Netz, bewerten ihren Wahrheitsgehalt und korrigieren sie. Diese Maßnahme ist auf den ersten Blick plausibel, scheint aber kaum geeignet, das eigentliche Problem zu lösen, mit dem wir es zu tun haben.

Das Problem liegt dabei weniger in den Urhebern von politischer Desinformation, die es immer geben wird. Es besteht vielmehr darin, dass aktuelle Desinformationen von nicht wenigen Menschen geglaubt werden. Wie kann man sich das erklären? Die Antwort lautet: Aktuelle Desinformationen werden vor allem deshalb für wahr gehalten, weil sie einer gänzlich anderen Sicht auf unsere Gesellschaft und deren Institutionen wie Politik, Wissenschaft und Medien entsprechen. Es geht hier mithin gar nicht um die übliche Unterscheidung von wahr und falsch – es geht vielmehr allein darum , ob eine Informationsquelle als vertrauenswürdig oder eben nicht vertrauenswürdig angesehen wird.

Um das nachzuvollziehen, lohnt ein Perspektivenwechsel. Aus der Sicht normaler MediennutzerInnen sehen aktuelle Desinformationen genauso aus wie journalistische Nachrichten: Keiner Information kann man ansehen, ob sie falsch oder richtig ist – auch nicht der Nachricht aus der Tageszeitung. Dass man diese dennoch glaubt, hat mit Vertrauen zu tun. Um unseren Alltag zu meistern, verlassen wir uns auf ExpertInnen und gehen davon aus, dass diese kompetent und aufrichtig genug sind, um unsere Erwartungen zu erfüllen. Ohne dieses Vertrauen wären wir schlicht aufgeschmissen, denn wirklich wissen können wir nicht, ob die Diagnose der Ärztin zutrifft, die Kinder in der Kita gut aufgehoben sind, die journalistische Information wirklich relevante Orientierung bietet. Der Trick beim Vertrauen ist: Wir kompensieren unser mangelndes Wissen in diesen Bereichen durch das Wissen über deren Vertreter: die ÄrztInnen, die ErzieherInnen, die Presse usw. usf. Auf die Nachrichtenmedien bezogen heißt das also: Wir halten eine Nachricht vor allem deshalb für wahr, weil wir dem Urheber dieser Nachricht vertrauen – nicht, weil sie wahr ist.

Was aber passiert, wenn dieses Vertrauen schwindet, gar in Misstrauen umkippt? Dann wenden sich die Menschen von den vormaligen ExpertInnen ab und suchen nach Alternativen. Wenn sie den etablierten Nachrichtenmedien nicht mehr vertrauen, gehen sie ins Netz und suchen dort nach Informationen, die ihnen eine andere Art der Orientierung bieten. Schon allein der Umstand, dass diese der Sicht der traditionellen Medien widersprechen, erhöht dann die Wahrscheinlichkeit, dass sie geglaubt werden. Wenn die Bürger der Politik nicht mehr vertrauen, suchen sie auch im politischen Bereich nach Alternativen. Informationen, die ihre skeptische Sicht auf die etablierten Parteien bestätigen, werden dann schon allein deshalb eher geglaubt. In beiden Fällen profitieren die Urheber aktueller Desinformation also von schwindendem oder gar verlorenem Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen wie Politik und Medien. Wäre das Vertrauen bei allen BürgerInnen weiterhin hoch, hätte aktuelle Desinformation deutlich weniger Chancen.

Die Gegner der Demokratie machen sich genau diesen Vertrauensverlust demokratischer Institutionen zunutze und versuchen, ihn systematisch zu befördern. Aktuelle Desinformation ist dabei nur eines ihrer Instrumente. Manche Autoren sprechen sogar von einer regelrechten Desinformationsordnung. Die Urheber dieser Desinformationsordnung halten sich nicht mit dem Streit um Fakten auf, ihnen geht es um nicht weniger als einen Gegenentwurf zur gegenwärtigen demokratischen Ordnung. Etwas sehr Ähnliches meint der Begriff des postfaktischen Zeitalters. Was man daraus lernen kann, ist zum Ersten, dass es gar nicht primär um den Wahrheitsgrad von Informationen geht, sondern um eine alternative Weltsicht, die sich den üblichen Kriterien der Beweisführung entzieht. Zum Zweiten geht es auch nicht um Einzelaussagen, sondern um ganze Narrative, miteinander verknüpfte Aussagen und Bewertungen, die zusammen eine ganz andere Sichtweise verkörpern. In Deutschland, wie in den meisten Ländern, liegt diesen Narrativen zumeist rechtes Gedankengut zugrunde. So werfen aktuelle Desinformationen ein schlechtes Licht auf Migranten und forcieren die (angeblich) negativen Folgen der Flüchtlingssituation.

Was (nicht) zu tun ist

Wir verkennen die Brisanz des Problems, wenn wir uns auf die Korrektur einzelner falscher Fakten fokussieren. Es geht vielmehr darum nachzuvollziehen, warum ein gewisser Teil der Bevölkerung Politik und Medien das Vertrauen weitgehend entzogen hat (in Deutschland sind das etwa 20 Prozent der Bevölkerung) und sich deshalb vermehrt alternativen Informationsquellen zuwendet – darunter eben auch aktueller Desinformation. Man sollte das Problem nicht unterschätzen: Zwar zeigen Studien, dass der durchschnittliche Kontakt mit aktueller Desinformation (noch) eher gering ist. Gleichzeitig weiß man aber aus den USA, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen (zum Beispiel Konservative und Ältere) einen intensiveren Kontakt haben.

Es scheint eine unzureichende Lösung, auf aktuelle Desinformation bloß mit Richtigstellungen zu reagieren. Diejenigen, die auf diese "alternativen Fakten" anspringen, erreicht man damit erst gar nicht. Sie würden diese Korrekturen ohnehin nicht glauben, da die Faktenchecker sich aus den gleichen Institutionen rekrutieren, denen sie mit großer Skepsis oder gar Misstrauen begegnen. Medienkompetenz scheint einen gewissen Schutz gegen Desinformation zu gewährleisten. Der Schlüssel aber, um den Einfluss von Desinformation zurückzudrängen, liegt darin, das verlorene Institutionenvertrauen wiederherzustellen. Dafür müssen sich Politik und Medien auch auf die Debatte einlassen, inwiefern die Gründe des Vertrauensverlusts mitverantwortet sind und ob sie mehr als bisher tun müssten, um Vertrauen zurückzugewinnen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Zimmermann, F./Kohring, M.: "Fake News” als aktuelle Desinformation. Systematische Bestimmung eines heterogenen Begriffs. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, 66, 2018, S. 526-541.

  2. Vgl. Jowett, G. S./O’Donnell, V.: Propaganda and persuasion. Los Angeles 2012 (5. Aufl.), S. 24.

  3. Vgl. Jowett, G. S./O’Donnell, V.: Propaganda and persuasion. Los Angeles 2012 (5. Aufl.), S. 24.

  4. Vgl. Bennett, W. L./Livingston, S.: The disinformation order: Disruptive communication and the decline of democratic institutions. In: European Journal of Communication, 33, 2018, S. 122-139.

  5. Vgl. Lewandowsky, S./Ecker, U. K. H./ Cook, J.: Beyond misinformation: Understanding and coping with the ‘post-truth’ era. In: Journal of Applied Research in Memory and Cognition, 6, 2017, S. 353-369 und Harsin, J.: Regimes of posttruth, postpolitics, and attention economies. In: Communication, Culture & Critique, 8, 2015, S. 327-333.

  6. Vgl. Humprecht, E.: Where ‘fake news’ flourishes: A comparison across four Western democracies. In: Information, Communication & Society, 21, 2018, S. 1-16.

  7. Vgl. z. B. Bayerischer Rundfunk: Informationen fürs Leben: BR-Studie zum Vertrauen in die Medien. München 2.5.2016 und Ziegele, M./Schultz, T./Jackob, N./Granow, V./Quiring, O./Schemer, C.: Lügenpresse-Hysterie ebbt ab: Mainzer Langzeitstudie "Medienvertrauen". In: Media Perspektiven, Nr. 4, 2018, S. 150-162.

  8. Grinberg, N./Joseph, K./Friedland, L./Swire-Thompson, B./Lazar, D.: Fake news on Twitter during the 2016 U.S. presidential election. In: Science, 363, 2019, S. 374–378.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Matthias Kohring, Fabian Zimmermann für bpb.de

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Weitere Inhalte

ist Professor für Medien- und Kommunikationswissenschaft am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Mannheim.

ist Akademischer Mitarbeiter am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Mannheim.