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Ohne Fans nichts los Kleine Geschichte organisierter Fankulturen im Spiegel ihrer historischen Entwicklung, sozialen Beschaffenheit und Gewaltförmigkeit

Gerd Dembowski

/ 26 Minuten zu lesen

Fußball war schon immer ein Ort von Aufbegehren, jugendkultureller Suche nach Gemeinschaft und Selbstverwirklichung. Wie wirkt sich der moderne Fußball auf eine heterogene Fanszene aus und wie verändert sich deren Verhältnis zu Verein, sozialem Umfeld und Gewaltförmigkeit?

"Ein wichtiger Reiz liegt im Aufgehen in einer individualisierten Gemeinschaft." (© picture alliance / Sven Simon)

Fußball – nirgendwo sonst treffen so viele Menschen in ihrer Freizeit, Woche für Woche und an den gleichen Orten selbst gewählt zusammen. Fußball auf dem Sportplatz und im Stadion hat eine weit über die Zeit der Regelvereinheitlichung im Jahre 1863 hinausgehende Tradition als Massenpublikumssport. Noch mehr Menschen sind selbst auf dem Rasen aktiv – und wieder mehr sind zu Fußballfans vor den heimischen Bildschirmen geworden. Von Arbeitern bis hin zu Universitätsprofessoren können in und um das Spektakel in den Arenen alle den kleinsten gemeinsamen Nenner finden – eine produktive Klammer zwischen Hoch-, Populär- und Alltagskultur.

Das Stadion und sein Umfeld werden über den Spieltag hinaus zum sozialen und kulturellen Ereignis mit engagierter Verabredungskultur. Die ständige Sozialisation, Identitätssuche und Demokratisierung, ob nun in der Jugend oder dem häufig nicht mehr so übersichtlich verlaufenden Erwachsenenleben, findet im Fußball für viele Menschen ein symbolisches Interaktionsfeld. Durch seine permanente Öffnung an jedem Wochenende entsteht der Ort Fußball als gelebte, angewandte Demokratie der Menschen im Umgang miteinander. Neben Trauer und Freude um das eigene Team oder gute Stimmung kann sich diese Alltagsdemokratie je nach Zusammensetzung der Menschen und Situationen sozial unterschiedlich füllen.

Fußball ist von verschiedenen Seiten gleichzeitig aufladbar. Einerseits ist er ein Ort von sozialer Inklusion (jeder Mensch wird in seiner Individualität von der Gemeinschaft akzeptiert), Gemeinschaft, gelebter Vielfalt und gegenseitiger Hilfe. Andererseits kann er durch sein Regelsystem mit den Säulen aus Befehl - Gehorsam - Strafe auf einfache Weise Eigenschaften unterstützen, die ein nützlichkeits- und häufig auch ellenbogenorientiertes Fortkommen in einer postmodernen Risikogesellschaft implizieren. Das passiert im Verbund mit einer Verdoppelung von Effizienz und Flexibilität, Durchsetzungsfähigkeit von stark leistungs- und rekordfokussiertem Denken sowie Elementen von antidemokratischem Überlegenheitsdenken wie Autoritarismus und Sozialdarwinismus.

QuellentextAlbert Camus

Alles, was ich über Moral und Verpflichtung weiß, verdanke ich dem Fußball.

"Alles, was ich über Moral und Verpflichtung weiß, verdanke ich dem Fußball", so ist ein Zitat des Literaturnobelpreisträgers Albert Camus überliefert. So gesehen ist Fußball für die Masse vielmehr ein mehr oder weniger unbewusstes Lernzentrum der Aushandlung von sozialem Zusammenleben und zwischenmenschlichen Machttechniken, als ein Hort der häufig beschworenen Kompensation des Alltags. Am Ort Fußball illusioniert man sich einen Freiraum, wo der sich im Alltag anstauende, "ganze kleine Hass abgelassen werden kann", wie es ein Fan des MSV Duisburg treffend formulierte. Vor allem an dem expressiven Sozialverhalten des Publikums lässt sich ablesen, wie Menschen (massen-)körperorientiert das Feld Fußball zum Abreagieren von Selbstdisziplinierung und Rollenverhalten im Alltag zu nutzen glauben.

ZitatWir wollen einen 'wirklichen' Ausbruch

Unsere Lebensscripts bieten unseren Phantasien nicht immer hinreichend Platz. Wir suchen anderswo nach Mitteln, um Routine, Langeweile, mangelnde Individualität und Frustration zu bekämpfen. Wir wollen einen 'wirklichen' Ausbruch, eine Flucht, um uns zeitweilig von der beherrschenden Realität zu absentieren, uns im Spiel zu finden.

Quelle: Stanley Cohen/Laurie Taylor 1977, S. 94

Ein solcher Effekt ist am Ort Fußball für einen Fan nur von kurzer Dauer und muss somit permanent wiederholt werden: Portioniertes Abreagieren bzw. Konfliktverschiebung, parallel zum nicht endenden Verlauf von Rollenverhalten (als Berufstätiger, Schüler, Student etc.) und Selbstdisziplinierung im Alltag. Dies wird umso schwieriger, wenn Vereine immer weniger Identitätsangebote von Dauer bereitstellen.

Der Ort Fußball als Ausgleich zum Ausleben innerer Konflikte und verdrängter Emotionen und Aggressionen wirkt plazebohaft – ein Ausgleich wird nicht erreicht. Es funktioniert häufig als Idee dennoch, weil es sich historisch überliefert und gefestigt hat, am Ort Fußball daran zu glauben: Der ewige Versuch eines Ausgleichs – uneingelöst permanent scheiternd. Es verspricht zu funktionieren – durch den Glauben. Hier äußern sich Frustration und Hoffnung, Verzweiflung und Trotz gleichermaßen. So entsteht ein Ort für Ersatzfreiheit – die Geselligkeit in der Gruppe, das Jubeln für den eigenen Verein, die Selbstorganisation mit Bannern und Fahnen als Ausflucht aus den eigenen Problemlagen.

Ein wichtiger Reiz liegt im Aufgehen in einer individualisierten Gemeinschaft, die sich um einen herum darüber einig ist, zu demselben Verein zu halten. Einzeln befragt differieren die Bilder der Fans von ihrem Verein individuell jedoch äußerst vielfältig. Die Frage ist, inwiefern sogar die von Fans viel zitierte Entladung von Emotionen beim Fußball ritualisiert ist – kaum spontan, sondern durch regelhaft vorgegebene Momente mimetisch (nachahmend) abgerufen.

Befördert durch die unumstößliche, territorial sichtbare Figuration von 'Wir' und 'Die Anderen' können sich individuelle Ventile des Alltags von Menschen jedweder Couleur im vermeintlichen Schutz der anonymen Masse dabei auch über geltendes Recht und moralethische Grenzen hinaus öffnen. Die aggressive, kaum reflektierte soziale Auffüllung dieser Figuration kann immer neue Schmähungen für gegnerische Spieler, Trainer und das Schiedsrichterteam, für gegnerische Vereine und Fans finden – bis hin zu unterschiedlichen Formen von Diskriminierungen und Ausprägungen von Gewalt.

"Mit diesem Ort der Ersatzfreiheit geht die Simulation eines Freiraums einher, in dem soziale Normen auf ihre Grenzen hin getestet und in Frage gestellt werden können." (© imago/Kicker)

Die Geschichte des Fußballs und seines Publikums und insbesondere seiner organisierten Fans ist ein nicht geradlinig verlaufender, eher wuchernder Kultivierungsprozess von sozialem Verhalten und Ritualität. Fluchen, stampfen, trinken, spucken, Faustrecht und andere als betont männlich konstruierte Attitüden fanden nicht erst in Zeiten der Industrialisierung im Kampf um den Ball ein Ventil. Das symbolisch erkämpfte Besetzen autonomer, sozialer Freiräume spielte schon im massenaktiven, vom Mittelalter zum Teil bis heute in Großbritannien gespielten 'Folk Football' eine nicht unwesentliche Rolle. Hier fand sich z.B. ein Ersatz für den Besitz des Adels, aber auch für das Jagen und Fischen, was den "unteren Schichten" verboten war.

Waren vormoderne 'Folk Football'-Bräuche "nichts anderes als Gesetzesverletzungen", so Norbert Elias, ließe sich diese symbolische, überaus hegemonial männlich geprägte Aufführung, ja Aushandlung des Lebens mit Horst Bredekamp gar als "Überführung der Gewalt in eine Kunstform" bezeichnen. Während es in hochmittelalterlichen 'Folk Football'-Zeiten kaum Regeln oder eine Limitierung der Mitspieler, aber schon zahlreiche, nicht selten ins Spiel eingreifende Schaulustige gab, hat sich das Publikum und sein Verhalten im Verlaufe von Professionalisierung, Kommerzialisierung und Eventisierung des Kampfspiels bis heute schrittweise domestiziert (entschärft). In Deutschland kann angesichts von erheblich erhöhten TV-Geldern und der veränderten medialen Erzählung seit 1992 gar von einem fortschreitend gentrifizierten, postmodernen Fußball und seinem Publikum gesprochen werden.

FA Cup-Halbfinale 1924: Fans von Newcastle United. (© imago/Colorsport)

Regelmäßig sich formierende Fan- und Zuschauerkulturen im Verlaufe der Industrialisierungsphasen und der Urbanisierung in Großbritannien spiegeln wider, wie Menschen ihre sich verändernde Jugend sowie neu gewonnene Freizeit bei sinkenden Lebenshaltungskosten Fußball spielend und schauend füllen. Eingespielte Eigenheiten des ländlichen Sozialgefüges wie z.B. die auf dem Land üblichen periodischen Feste, die einen sozialen Zusammenhalt und Austausch mitetablierten, hatten sich verschoben. Im urbanisierten, industriellen Diskurs des Sozialen suchten Menschen passende, neue sinnstiftende Manifestationen. Wurden zuvor Feste zum Anlass von Spielen, so begannen die britischen Stadtbewohner nun, das Spiel zu einem Fest zu machen. Der Ort Fußball bot neben der Kneipe um die Ecke ein leicht zugängliches, weniger von gesellschaftlichen Zwängen behaftetes Identitätsfeld.

Mit diesem Ort der Ersatzfreiheit geht die Simulation eines Freiraums einher, in dem soziale Normen auf ihre Grenzen hin getestet und in Frage gestellt werden können. Dies gilt heutzutage nicht nur für (sozial-)identitäre Suchbewegungen Jugendlicher und Jungerwachsener, sondern im Angesicht der stärkeren Durchbrechung von chronologisch verlaufenden Biografien auch für erwachsene Menschen, die Fußball patchworkidentitär als Ort eines portionierten Karnevals nutzen.

ZitatDie Ketten der Kultur lasten

Die domestizierte Sittlichkeit", so Wolfgang Sofsky, "steigert das Bedürfnis nach Entfesselung. Der Exzess lauert auf seine Stunde, und er drängt um so heftiger hervor, je schwerer die Ketten der Kultur auf den Menschen lasten.

Quelle: Wolfgang Sofsky 1996, S. 212

Die ersten Kiebitze des modernen Fußballs in Deutschland waren Vereinsmitglieder und Mäzene, die für die Organisation des Spielbetriebs sorgten. Es waren Menschen, die weniger begabt, invalid oder alt waren, was sie selbst zumindest nicht regelmäßig gegen den Ball treten ließ. In Deutschland setzte sich der Fußballsport in den 1920er Jahren gegen die Kritik der Turnbewegung auch als Massenzuschauersport durch. Sahen 1903 nur 1.200 Zuschauer das erste Endspiel um die Deutsche Meisterschaft, waren es 1920 schon 35.000, 1922 sogar 58.000. Als sich 1931 über 70.000 Menschen zur Schalker Glückauf-Kampfbahn aufmachten, um ein Freundschaftsspiel zwischen dem FC Schalke 04 und Fortuna Düsseldorf zu verfolgen, brach schlussendlich eine Betonmauer zwischen Laufbahn und Zuschauerrängen.

Befindlichkeiten und Wünsche wurden symbolisch für 90 Minuten vom Publikum auf die entsprechenden elf Akteure als lokaltreue Helden übertragen. Die Spieler und Funktionäre kamen noch aus dem gleichen Ort. Sie erschienen als Gesprächspartner im Alltag noch greifbar. Mit der zunehmenden Aneignung der Ränge durch die Arbeiterschaft seit etwa 1910 verlor der Fußball aus Sicht höherer Schichten seine Exklusivität und Abgrenzungskraft. Schnell spielten massenformierende Fahrten zu Auswärtsspielen, fröhliche wie aggressive "Schlachtrufe", Massenchoreografien wie gewalttätige Auswüchse eine Rolle als Bestandteil von Ritualen und sozialidentitärer Performanz. Bereits 1927 z.B. beobachtete Rudolf Kirchner einen eher zügellosen 'Football Crowd'.

ZitatSie spielen den Narren

Fürwahr, dieser Sport, unterstützt durch Ströme von alkoholischen Getränken, löst die Gefühle, schafft wundervolle Crescendos der Empfindung und erfüllt das Herz mit einer Regung und einem dramatischen Leben […]. Sie schreien, sie toben sich aus und sie spielen den Narren, sie tragen groteske Hüte, gewaltige Papierblumen in den Farben der Spieler, […] sie sind voller Spannung, sie können sich beim geringsten Anlass ausschütten vor Lachen, sie sind unzweifelhaft hysterisch.

Quelle: Rudolf Kirchner 1998, S. 147

ZitatDie Hausherren verlieren sehen

Es ist ein Phänomen des deutschen Fußballs der 1920er und 1930er, dass ein Verein aus dem Zentrum oder der angrenzenden Stadt permanent mit einem feindlich gesinnten Publikum zu rechnen hatte, das nur aus einem einzigen Grund erschienen war: Nicht um die eigene Elf gewinnen, sondern um die Hausherren verlieren zu sehen.

Quelle: Rudolf Oswald 2008, S. 225

Es ist markant, dass solche zuschauerkulturellen Rituale gebündelt unter dem Dach eines jeweiligen Stammvereins immer wieder feste und verlässliche Bindungen unter so vielen Menschen miterzeugt haben. Identifikatorische, gruppenorientierte Bindungen fallen bei Fans von Mannschaftssportarten stetiger aus als im Umfeld von Individualsportarten. Im Gegenteil zur begrenzten, in absehbarer Zeit abgeschlossenen Karriere eines Einzelsportlers lassen sich die Erfolge von und die Anekdoten rund um verschiedene Generationen eines Profiteams unter dem Dach des Vereins eher als eine Tradition erfinden. Über solche Bindungsangebote versuchen Zuschauer bzw. Fans auf unterschiedlichen Niveaus, sie real betreffende, z. B. bürokratische, politische und sozialnormierende Rahmenbedingungen oder Verfasstheiten zugunsten einer 'Wir'-Konstellation möglichst auszublenden oder umzuleiten: Auch wenn 'Wir' ein wichtiges Spiel gewinnen, ändert sich bspw. nichts an der Situation auf dem Arbeitsmarkt, an den Mietpreisen, an familiären Drucksituationen.

Der 1. FC Kaiserslautern feiert nach dem 33. Spieltag der Saison 1968/1969 den Klassenerhalt. (© imago/Ferdi Hartung)

Dass dies eine Verstärkung der in zutiefst irrationaler Weise erfolgenden Abgrenzung zu den entsprechenden 'Anderen' bergen kann, liegt auf der Hand. Verdrängung äußert sich nicht nur in organisierten Fangruppen vor allem über Projektionen von Unzufriedenheiten auf andere. Förderlich sind hierbei Verschränkungen mit gemeinschaftlich empfundenen Traditionen aus lokalpatriotistischen bzw. regionalistischen Symbolversatzstücken, die im Gegensatz zu Nationalismus und Rassismus bspw. in ihrer Wahrnehmung als unverdächtig oder zumindest unverdächtiger gelten. Die offensive Verteidigung eines vereins-, stadt- und regionalbezogenen Gruppenidentitätsdachs ist als Gewohnheitkonstrukt heutzutage fanszenenübergreifend etabliert und wird sozial belohnt. Die verallgemeinerten Vorstellungen von 'Verein' in der Fangruppe werden kontinuierlich verheimatet und wirken dabei nahezu naturalisiert.

Zur Gewaltförmigkeit im deutschen Hooliganismus

1983: Prügelei zwischen Fans von Schalke 04 und Borussia Dortmund innerhalb des Stadions. (© imago/Kicker)

Gewaltförmigkeit hat es im Umfeld der Entwicklung des Fußballs auf dem Feld wie auf den Rängen immer gegeben. Zusammenhänge von Fußball und Alltag haben lediglich zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Ausprägungen von Gewalt hervorgebracht. Die Verletztenzahlen verließen dabei nie den Promillebereich. Die Anzahl beteiligter Hooligans im deutschen Profifußball lag angesichts der Zuschauerzahlen selbst zu ihren Hochzeiten Ende der 1980er bis Mitte der 1990er Jahre immer deutlich unter einem Prozent.

Umso bemerkenswerter ist es zu sehen, wie extrem der Themenkomplex Gewalt die Erzählung und Erinnerungsweise über Fankulturen prägt – in der Politik, der Medienberichterstattung, der Forschung und der gesprochenen Geschichte selbst unter Fußballfans. Vorwiegend werden Fußballfans zu abweichenden Gruppen reduziert, abweichend in gesellschaftlich besonders auffälliger Art und Weise. Die regelmäßig wiederkehrende, optische und akustische Präsenz von Fußballfangruppen auf Straßen, in Zügen und an öffentlichen Orten ist für Unbeteiligte und Institutionen schwer einzuschätzen und wird schnell zu einem Gewaltpotential verallgemeinert. Verstärkend wirkt dabei, dass nicht nur zwischen Fanszenen, sondern auch in der Draufsicht auf Fankulturen Freund-Feind-Konstellationen überhöht werden.

Inzwischen hat sich in der Erzählung über den Fußball und seine Entwicklung das Gewaltkapitel so enorm tradiert (überliefert), dass sie jenseits von Realitäten mit ihren rundum sicheren Stadien vielmehr als Mythos grassiert (um sich greift). Dies führt - kaum reflektiert - zu voreiligen öffentlichen Aussagen, die sich dann zu "Moralpaniken" (Stanley Cohen) verdichten. Flankiert von Medienträgern (z.B. Fernsehen, Presse) und wechselseitig zwischen Politikern und Verbänden, Polizei und auch der Wissenschaft wird nahezu regelmäßig ein öffentlicher Handlungsdruck erzeugt. Auf diesen folgen häufig Ad-hoc-Maßnahmen mit aus demokratischer Sicht z. B. unpräzisen und undemokratischen Kollektivstrafen sowie relationsfernen Forderungen nach Flugdrohnen und "Nacktzelten" gegen die so produzierten "Folk Devils" (Stanley Cohen) als "Taliban der Fans" (Sandra Maischberger). Wenn Ad-hoc-Pläne und auch Maßnahmen seit den 1990er Jahren erfolgreich gewesen wären, gäbe es heute die sich stets diskursiv zuspitzende Gewaltdebatte nicht mehr.

Zur Optimierung nachhaltiger, nicht nur ordnungspolitischer Maßnahmen und zur Anpassung von Strukturen an jugendkulturorientierte Realitäten fehlt häufig der strukturelle Weitblick und die finanzielle Ausstattung. So sind die 52 sozialpädagogischen Fanprojekte bspw. dazu verdammt, weit unter dem im Nationalen Konzept Sport und Sicherheit (NKSS) vorgesehenen Mitarbeiterschlüssel ein strukturelles, von Überstunden überhäuftes Feigenblattdasein zu fristen. Parallel dazu erhöht sich das erheblich teurere Polizeiaufkommen, während Einsatzstrategien kaum flächendeckend qualitativ hinterfragt werden. Schon für 1908 recherchiert Gunter A. Pilz eine von der Polizeidirektion Bremen empfundene "Schutzlosigkeit gegenüber dem pöbelhaften und auch schädigenden Benehmen ganzer Truppen halbwüchsiger und auch älterer Burschen" und die damit verbundene, reflexartige Anfrage nach mehr Polizei.

1990er Jahre: Die medial äußerst auffällige Hooligangewalt geriet in der Folge zum Anlass für eine völlige Trennung gegnerischer Fangruppen durch entsprechende bauliche und polizeiliche Maßnahmen. (© imago/Claus Bergmann)

Während der schrittweisen Etablierung von Fantrennung im Verlaufe polizei- und ordnerdienstlicher Interpretationen von Sicherheit verdichteten sich Freund-Feind-Konstellationen noch. Gewalt wurde von kleinen Fangruppen zunehmend strategischer gesucht, statt spontan erlebt: Sie verformte sich zur effizienter organisierten, sozialen Technik, "um die im Stadion erlebte Euphorie vom eigentlichen Spiel unabhängig zu machen. Dabei ist Gewalt im Fußball nicht als milieuspezifisches Phänomen zu betrachten. "Tatsächlich", so Oswald über die in den 1920er Jahren häufig eher lokalrivalitätsbezogenen, stärker als heute auch spielverlaufsbezogenen Ausschreitungen, "gingen Agitation und Gewalt gegen fußballsportliche Kontrahenten keineswegs nur von den proletarischen Segmenten eines Viertels aus.

ZitatNotorische Schläger auf der Haupttribüne

Oftmals waren jene dem lokalen Bürgertum zuzurechnenden Vereinsvorstände und Sponsoren Anstifter von Krawallen. Nicht selten gingen Ausschreitungen von der Haupttribüne aus, saßen dort notorische Schläger.

Quelle: Rudolf Oswald 2008, S. 217

Auch für Hooligans der 1980er und 1990er Jahre in Deutschland galt eine Durchmischung hinsichtlich der sozialen Herkünfte, orientiert an autoritären und antiintellektuellen Vorstellungen, an Vorrechten vermeintlich Stärkerer sowie an Formen aggressiver hegemonialer Männlichkeit, wie z.B. althergebrachte und auf unterschiedliche Weise weiterhin wirksame, strukturelle Männerbündeleien und Härteideale.

QuellentextWas bedeutet 'Hegemoniale Männlichkeit'?

Der Begriff hegemoniale Männlichkeit bezieht sich hier auf Raewyn Connell (geb. 1944), eine australische Soziologin, die sich kritisch mit Kultur, Medien, politischer Herrschaft und Geschlechterforschung beschäftig hat. Wichtig für das Verständnis dieses Begriffs ist vor allem die männliche Historie der Beschaffenheit von Institutionen: Alle Institutionen wurden von Männern gegründet, ihnen ist eine männliche Historie, ein männlicher Diskurs eingeschrieben, den Frauen z.B. verdoppeln, um in ihnen erfolgreich zu sein.

Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit bezieht sich sowohl auf Dominanzverhältnisse gegenüber Frauen als auch unter Männern. Dass sich männliche Macht in modernen Gesellschaften nicht nur halten, sondern immer wieder neu durchsetzen kann, männliche Machtgruppen auch von vielen anderen Männern gewollt oder ungewollt unterstützt werden und damit ihre hegemoniale Funktion behaupten, wird einem kulturell wie tiefenpsychisch wirksamen Bindungsverhältnis unter Männern zugeschrieben.

Quelle: Interner Link: APUZ 40/12, Lothar Böhnisch: "Hegemoniale Männlichkeit und die Dialektik von Dominanz und Verfügbarkeit"

Während missverstandener Weise die Stehplatzareale institutionell per se als Sicherheitsschwachstelle und z.T. als gewaltförmige Brutstätten ausgemacht wurden, waren die zunehmend unauffällig und markenbewusst gekleideten Hooligans der 1980er und 1990er Jahre als selbst ernannte Fanelite in Abgrenzung vom "Pöbel" bereits in die vermeintlich schickeren Sitzplatzbereiche abgewandert.

Der Hooliganbegriff etablierte sich in Deutschland endgültig Mitte der 1980er Jahre. Beschleunigt wurde dies durch den tödlichen Steinwurf eines Hamburger Fans gegen den Bremer Jugendlichen Adrian Maleika 1982 und die Vorkommnisse vor dem Finale des Europapokals der Pokalsieger 1985: Vor dem Spiel Juventus Turin – FC Liverpool hatte sich vor den Augen von Millionen Zuschauern an den Bildschirmen nach Ausschreitungen im Stadion eine Massenpanik gebildet. Eine Mauer im baufälligen Brüsseler Stadion stürzte ein – insgesamt starben 39 Menschen, 600 wurden verletzt. Dass es sich um ein "Paradebeispiel für die Unzulänglichkeit von einigen Verbandsfunktionären und Polizeibeamten" handelte, ging unter. Heysel gilt bis heute einseitig verzerrt als Synonym für 'Hooliganterror'.

Für Fußballfans als vermeintlich unberechenbare Masse kommt historisch betrachtet vorurteilsbefördernd die Katastrophe von Hillsborough in Sheffield hinzu, wo 1989 während des FA-Cup-Spiels zwischen dem FC Liverpool und Nottingham Forest in einem völlig überfüllten Block 766 Menschen verletzt wurden und 96 starben, weil sie z. B. erdrückt wurden. Erst 2012 klärte sich offiziell, was Experten von Anfang an einleuchtete: massive Fehler im 'Crowd Management' der Polizei waren in erheblichem Ausmaße verantwortlich.

Nichtsdestotrotz operierten gewaltorientierte Fußballfans weiter mit dem Begriff "Hooligan" als bestätigende Selbstbezeichnung. Im Zentrum stand die Suche nach Grenzerlebnissen und Gewaltsituationen. Wichtig ist also nicht nur der situativ körperliche (Adrenalin-)Kick, sondern vielmehr noch die sich ständig wiederholende und über die beteiligten Akteure hinausgehende, gemeinschaftsbildende Erzählung darüber.

ZitatKämpfe werden nachträglich verklärt

Obwohl Kämpfe die Höhepunkte im Dasein eines Hooligans bilden, beanspruchen sie eine verschwindend geringe Zeitspanne im Leben dieser Fans. Die Kämpfe werden von beiden Gruppen nachträglich interpretierend verklärt, sind jedoch fast ausnahmslos kurz und ergebnislos. Die Gespräche über Kämpfe dauern dagegen wesentlich länger.

Quelle: Randall Collins 2011, S. 498 f.

Die zunehmende Fantrennung und z.B. der Einsatz sogenannter szenekundiger und fankundiger Polizeibeamter (SKB/FKB) führte dazu, dass ein Hooligandasein am Spieltag vornehmlich mit der Suche nach Hooligans anderer Vereine und daran anschließenden 'Rennereien', mit dem Austricksen der Polizei und z.B. dem Überwinden baulicher Sicherheitsmaßnahmen sowie mit der Glorifizierung der eigenen Gruppe zu tun hatte, als mit tatsächlichen, physisch realen Gewaltakten. Gewalt erschien hier als überzeichneter Ausdruck der Figuration 'Wir' – 'Die Anderen', als übertragenes Leistungsdenken, als kollektive Erregung.

Ungeachtet von Straftatbeständen sahen Hooligans ihre Gewaltfokussierung zunehmend als "Extremsport" an, der sich durch Repression und Überwachung immer mehr aus den Stadien auf An- und Abfahrtswege, in Innenstädte und schließlich in Wälder und auf Äcker verlagerte. Sozialpädagogische Fanprojekte, wissenschaftliche Szenebeobachter und Hooligans selbst erzählen von einem "Ehrenkodex". Dieser enthielt z.B. die Vorgabe der Waffenlosigkeit, das ausschließliche Ausrichten auf Gleichgesinnte sowie das Ablassen vom Gegner, wenn dieser auf dem Boden liegt und "genug hat". Andere von ihnen sehen diesen Kodex als Mythos oder zumindest als nur vage, verklärte Richtlinie, die situativ schlichtweg ignoriert werden konnte.

Hooligans in Lens. (© picture-alliance/dpa)

Hooliganismus symbolisierte ebenso eine Überzeichnung von erfolgsorientierten Kategorien wie Leistung, Effizienz und Nützlichkeit im Zeitalter der zunehmenden "Durchkapitalisierung" einer "Risikogesellschaft". Während ein "Volkswagen"-Manager fünf Tage nach dem Angriff auf den französischen Polizisten Daniel Nivel der "Süddeutschen Zeitung" erklärte, er sei im wirtschaftlichen Erfolgskampf mit symbolischen Ellenbogen "lieber Hooligan als "Muckefucktrinker", setzten Hooligans über ihre Körper eine solche sozialdarwinistische Mentalität um, die sich auf autoritäre und antiintellektuelle Vorstellungen, auf Vorrechte von vermeintlich Stärkeren sowie auf hegemoniale Männlichkeit, wie z.B. althergebrachte Männerbündeleien und Härteideale gründet. Zuvor hatten sich 650 Hooligans, davon vorneweg ca. 80 Neonazis, zur Fußball-WM im französischen Lens verabredet. Nach Auseinandersetzungen mit der Polizei auf den Straßen von Lens verletzten einige deutsche, z.T. neonazistische Hooligans Nivel lebensgefährlich, so dass dieser bis an sein Lebensende an den Folgen leiden wird.

Dass es bei Hooligans stets Schnittpunkte vieler Gruppen mit einzelnen Neonazis und Sympathisierenden von Neonazis gab, situativ auch mit neonazistischen Gruppen, liegt auf der Hand. Die aggressive Auslegung einer hegemonial männlich, autoritaristisch geprägten Figuration von 'Wir' und 'Die Anderen', die sich dann gruppenbezogen menschenfeindlich z.B. in gelebtem (Hetero-)Sexismus und Homophobie äußern konnte, bot zahlreiche niedrigschwellige Anknüpfungspunkte. Die offensichtlichere Attraktivität lieferte allerdings das körperlich orientierte Erlebnisangebot mit dem Geruch des Verbotenen, mit dem individualistischen Aufrührergestus, dem Gruppenzusammenhalt und dem dadurch entstehenden, z.T. über Drogen beschleunigten (Adrenalin-)Kick am Spieltag.

1998 befand sich die marginale, besonders bei Auswärtsspielen von Mitläufern situativ angereicherte Hooligangesamtheit bereits über ihrem Zenit, u.a. offenbarten ihre eher geschlossenen Formationen zunehmend ein Nachwuchsproblem. 2013 gibt es Hooligans als älter gewordene Gruppierungen in deutschen Stadien nach wie vor, die besonders im Umfeld symbolisch speziell aufgeladener Spiele (z.B. sogenannter "Derbys") auffallen. Durch ihre Gegenwärtigkeit in den Erzählungen über Fankulturen und ihr dadurch historisches, heroisches und z.T. romantisiertes Ansehen genießen sie nach wie vor einen gewissen Einfluss auf zurzeit dominierende Fangruppen. Hooligans setzen wirkungsmächtige Duftnoten und bieten körperlich und unkommerziell orientierte Abenteuer an. Oftmals wird ihnen von organisierten Fanszenen ein beinahe mystisches Gewaltmonopol zugesprochen. Das führt dazu, dass Hooligans in manchen Fankurven immer wieder symbolische Ansprüche stellen und in Teilen von Ultragruppierungen auf situative Überschneidungen und Nachwuchs hoffen.

Zum organisierten Self-Empowerment von Ultras im postmodernen Fußball in Deutschland

Gunter Gebauer führt aus, "dass schon bei der Begründung des modernen Sports das Ökonomische dessen Leitkategorie darstellt". In der hegemonialen, nach Leistungsdenken ausgerichteten Logik von Industriegesellschaften und ihren Verfasstheiten in Nationalstaaten ist dies somit als Versuch zu betrachten, "dem künstlichen System des Sports einen Sinn zuzuschreiben".

1971: Promotionaktion für den Fanklub Hannover 96 (© imago/Kicker)

Während die Professionalisierung des Fußballs historisch eine soziale Inklusion, die Verbesserung der Situationen für Spieler aller sozialer Schichten im Sinne einer Annäherung an Chancengleichheit bedeutete, konstatierte Gerd Hortleder bereits elf Jahre nach Gründung der Bundesliga für das Publikum folgende Auswirkungen: Es "betrachtet die Spieler und insbesondere die Stars als Produkte der Dienstleistungsindustrie. In den rasant steigenden Eintrittspreisen insbesondere bei wichtigen Spielen findet es seine Meinung bestätigt. […] Der Abstand zwischen Publikum und Spielern ist inzwischen so groß geworden, dass eine totale Identifikation immer seltener wird und darüber hinaus zeitlich begrenzt ist. Mit der schrittweisen Entfernung des Fußballs von seinen organisierten Fans, entlang der Entwicklung des Profifussballs, lassen sich seit den 1970er Jahren die jeweiligen sich modernisierenden Herausbildungen von Fangruppen auf der Suche nach Identitätsangeboten nachzeichnen.

Auf den Stehplätzen sammelten sich vorwiegend männliche Jugendliche lose und zunächst weitgehend ungeordnet, um sich und ihren Verein zu inszenieren. Inszenierung in der Gruppe diente der Selbstbestätigung und der Vergewisserung von Zusammenhalt und Selbstwertgefühl an einem Ort, der nicht von Eltern, Lehrern, Vorgesetzten und auch noch nicht von so vielen baulichen Maßnahmen kontrolliert war. Auch die Unverbindlichkeit spielte eine Rolle: ohne groß zu planen war klar: wenn man am Samstag zum Stadion geht, würde man irgendwie Gleichgesinnte treffen. Speziell das Umherziehen im noch nicht allzu sehr verzäunten Stadion (bevor die Fantrennung im Zuge des NKSS realisiert wurde), mit Vorliebe auch in den Stadionpart der gegnerischen Fans, formte (bis zur sicherheitstechnische Massnahmen verschärfenden Wende Mitte der 1980er Jahre) einen Ausdruck von Mut, Kameradschaft und ein symbolisches Eroberungsritual.

Einmal mehr erwuchsen englische Fankulturen in den Stadien zu einer kaum zu umgehenden Referenzgröße. Bislang eher auf kurze Schlachtrufe beschränkt, übernahmen die deutschen Fans von ihnen besonders seit der WM 1974 in Deutschland das Umdichten von Popsongs und das Singen eigener Texte. Es gründeten sich mehr und mehr Fanklubs als soziale Gemeinschaften. Sie waren auf subtile Weise althergebracht und strukturell männlich geprägt, mit eigenen Festen, Fahrten, Rundbriefen, Abzeichen und Satzungen. In den Namen der Fanklubs spiegelte sich ihr Wohnort, Standort im Stadion oder ganz einfach das postpubertäre Bekenntnis zu Fußball und Bier wider.

1978: Fans des Hamburger SV vom Fanklub Rotröcke (© imago/Kicker)

ZitatFußballfans der 1970er Jahre

Es kommt zu einer vorübergehenden Anerkennung einer Reihe von Sonder- oder Gegennormen, die die sonst verbindlichen Verhaltensregeln aufheben, bzw. mehr oder weniger von ihnen abweichen und eine gewisse Einmütigkeit der Vorstellungen über legitime Handlungsweisen in der gegebenen Situation mit sich bringen.

Quelle: Hans-Ulrich Herrmann, 1977

Treuer, organisierter Fan sein bedeutete nach außen oftmals sich mit einer gewissen rebellischen Respektlosigkeit gegenüber kleinbürgerlichen Tugenden auseinanderzusetzen. Hans-Ulrich Herrmann konstatiert in einer Studie über Fußballfans der 1970er Jahre die Bedeutung der gefühlten oder tatsächlichen Grenzüberschreitung. Nach innen kopierten Fanklubs, deren Mitglieder sich – entlehnt von Rockergruppen – häufig in mit Aufnähern bestickten Jeanskutten kleideten, bei verhältnismäßig niedrigschwelligen Organisationsgrad oftmals den Rahmen bürgerlicher Vereine mit einer lockeren Adaption (Übernahme) entsprechender Hierarchien vom Präsidenten bis zum Kassenwart. Durch den Zusammenschluss von unorganisierten Fans und Cliquen im Stadion zu Fanklubs erhofften sich die Mitglieder einen besseren Stand zum Verein.

Dabei konnte beobachtet werden, dass "ihr Gruppenzusammenhang über die bloße Teilnahme am Ereignis [gemeint ist der Spielbesuch, d. Verf.] hinausreicht, sich in einem Mindestmaß formaler Arbeitsteilung und Aufgabenbestimmung als verhältnismäßig dauerhaft erweist und sich in regelmäßigen Treffen auch jenseits des Sportplatzes immer wieder aktualisiert“. Fanklubs als begrenztes "Lernfeld sozialer Partizipation" und "soziale Kristallisationspunkte vielfältiger und erlebnisintensiver organisierter Geselligkeit" standen für eine erlebnisreiche soziale Spielwiese. Die Mitarbeit im Fanklub konnte gerade Jugendlichen Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein vermitteln – der Fanklub als sozialer Ort.

Durch die fortschreitende Kommerzialisierung und Eventisierung des (Profi-)Fußballs wird es für Fußballfans des 21. Jahrhunderts zunehmend schwieriger, auf den Rängen eine als eingebüßt empfundene Gemeinschaft (er)leben zu können. Dieser Prozess vollzieht sich als Drahtseilakt zwischen suggerierter Nähe und einer fortschreitenden Distanzierung des Sports von seinen Fans. Wenn bspw. Stadionnamen und Vereinsfarben, Spieler und Trainer sowieso ständig wechseln, Werbebanden Fanbanner verdrängen, der Spielplan sich verstärkt an den Bedürfnisse der Fernsehrechteinhaber und ihrer Kunden ausrichtet, dann laufen Vereine stärker denn je Gefahr, kaum noch Identifikationsangebote anzubieten.

Das die seit Ende der 1990er Jahre entstehenden und besonders im Verlaufe der ersten Jahre des neuen Jahrzehnts sich herausbildenden Ultras dies erkennen, zeigt sich in ihrem provokativen Einsatz für Traditionspflege, Authentizität und gegen Kommerz. Mit der zunehmenden Kommerzialisierung der 1990er Jahre verschob sich parallel die Bedeutung von Fanklubs und sogenannten "Kuttenträgern". Während alteingesessene Fanklubs zunehmend an Einfluss in den Fankurven einbüßten, stieg ihre Anzahl und ihr Einfluss gegenüber dem Verein als verbindlicher, durchaus stark konsumorientierter Zuschauerstamm.

"Spieler kommen, Trainer gehen – wir bleiben"

Frankfurter "Ultras" feiern 10 Jahre Fan-Choreografien während der Bundesliga-Partie gegen Schalke 04 am 8. Dezember 2007 in der Commerzbank-Arena in Frankfurt. (© dpa)

Jugendkulturell geprägt entwickelten Ultras "eine immer größere Sensibilität für ihre eigene Anwesenheit", ein instrumentelles Verhältnis zum Verein. Sie entdeckten sich als eine identitätscharakteristische Konstante und bildeten gewissermaßen einen Verein im Verein: "Spieler kommen, Trainer gehen – wir bleiben". Im Zentrum stehen seitdem ihre neuen Formen organisierter Stimmung als eine Reaktion auf Stimmungsflauten seit Mitte der 1990er Jahre. Dies verlief stark inspiriert von den italienischen Fankurven: Schillernde und stets wechselnde Choreografien mit Fahnen, Bannern, Spruchbändern, Doppelhaltern, vielfältigen Gesängen sowie Vorsängern mit Megafon auf dem Zaun als Garant für Gemeinschaftserleben und abrufbereite, durch den Ort vorstrukturierte Emotionalität.

Darüber hinaus prägte sich eine Wettbewerbsmentalität im Bezug auf Stimmung ebenso wie eine häufig – zumindest latent – elitäre Selbstwahrnehmung der eigenen Gruppe aus. Alles in allem wird so kollektive Identität kommunikativ, über soziale Performanzen und Rituale erzeugt, eine erfundene, "imagined community".

Ultras empfinden sich inzwischen als Stichwortgeber der Kurve, obwohl sie nur einen minimalen Teil der Fanszene ausmachen: "Ultras", so Jonas Gabler, "haben einen gewissen Vertretungsanspruch, sie wollen die Fanszene nach außen und nach innen prägen. Dazu schaffen sie sich Strukturen und organisieren Aktivitäten, wie regelmäßige Gruppentreffen, die nicht selten in selbstfinanzierten und -verwalteten Räumlichkeiten stattfinden". Dabei sind sie in ihrer milieu- und (politisch) interessenspezifischen Zusammensetzung schon gruppenintern äußerst heterogen. Noch deutlicher wird eine solche Heterogenität dann, wenn sich von Gruppe zu Gruppe unterschiedliche Schwerpunkte im Fandasein ausprägen.

Ultras bieten - im Unterschied zu Hooligans - ein breites Spektrum für soziales Engagement, kritisches Hinterfragen und Integration Jugendlicher in die Gruppe an. Die "Horda Azzuro" des 1. FC Carl Zeiss Jena. (© imago/Bild 13)

Hier spielt die Entwicklung eines eigenen unterscheidenden "Styles" eine wichtige Rolle. Dazu wird aus dem sozialen Handeln und aufrührerischem Habitus anderer Jugend(sub)kulturen kreativ gepatchworkt. Dieses Identitätspatchwork ermöglicht den Einzelnen trotz der Beschwörung von Gemeinschaft weiterhin die Pflege ihrer individuellen Anteile und Positionierungen.

Ihre fließenden Ausdifferenzierungsprozesse mit ihren Möglichkeiten der Partizipation machen Ultragruppen für Jugendliche als Suchbewegung interessant. In ihrer inneren Gruppenvielfalt schaffen sie es zwischen Hackordnungen und Gegenseitigkeit Wünsche nach Zusammenhalt, Nähe, Loyalität, Solidarität und einer Steigerung des Selbstwertgefühls zu bedienen. Ultras bewegen sich frei innerhalb eines Bedürfnisdreiecks aus Gemeinschaft, in der das Ganze mehr verspricht als die Summe seiner Teile, aus Individualismus und gegenseitiger Hilfe. Trotz ihrer geringen Größe gemessen am gesamten Stadionpublikum halten sie derzeit eine Art Stimmungsmonopol und sind somit in ihrem Einfluss und ihrer Wirksamkeit im Bezug auf Fankulturen richtungsweisend.

So hat sich 'Self-Empowerment' und eine proaktive Faninteressenvertretung etabliert, die sich in fließenden Aushandlungsprozessen gegen eine eskalierende Disziplinierung des o.g. Freiraums wehrt. Gleichzeitig wirkt sie über Wohltätigkeitsaktionen, gemeinwesenarbeitsähnliches Ehrenamt mit Hilfe zur Selbsthilfe regionalgesellschaftlich: von der Unterstützung bei Hausaufgaben und dem Schreiben von Bewerbungen bis hin zur Unterstützung von gewerkschaftlichen Streiks und sozialen Inklusionsbestrebungen für Asylsuchende.

Ultras gegen Rechts (© picture alliance / Stefan Haehnsen )

In zahlreichen Fanszenen haben Ultras durch ihr Verhalten gar antirassistische Gruppenkonsense einführen oder zumindest bestärken können. Es ist bemerkenswert, dass Ultras nicht selten ein beachtliches Engagement für den Holocaust-Gedenktag und Aktionen gegen Antisemitismus, Antiziganismus, Nationalismus, (Hetero-)Sexismus und Homophobie an den Tag legen. Durch ihre Fragilität, Momenthaftigkeit im 'Setting' eines stets abrufbaren Klimas "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" (Wilhelm Heitmeyer) können solche Tendenzen jedoch ebenso leicht ins Rechtsoffene kippen.

Erschwert wird der Kampf um die Positionen noch durch den Wechsel von handelnden Personen ("Lautsprecherpersönlichkeiten"), die in drei Jahren nicht mehr unbedingt die soziale Gruppenposition innehaben müssen, die sie heute noch bestimmt. Jugend(sub)kulturen sind mehrheitlich immer auch temporär begrenzte Durchlaufzentren für prägende (Alters-)Phasen ihrer Mitglieder in der Austarierung von intrapersonellen und sozialen Identitäten.

Dass man aktuell mehrheitlich weit von antihomophoben und antisexistischen Konsensen entfernt ist und sich immer wieder die Akzeptanz rechtsoffener Positionen einzelner Gruppen äußern kann, zeigt die Entwicklung zahlreicher einzelner Gruppen in der Gegenwart.

Die "Karlsbande" mit einem Blockbanner: "Euer Karl ist unser Liebesknecht" (© imago/Matthias Koch)

Homophobe Sprüche und Banner werden krude, zum Teil unreflektiert, aber auch gezielt als "Humor" getarnt – etwa wenn die rechtsoffene Aachener Ultragruppe "Karlsbande" im März 2013 in Anspielung auf den Namen "Karl-Liebknecht-Stadion" des SV 03 Babelsberg ein großes Blockbanner spannt, auf dem steht: "Euer Karl ist unser Liebesknecht".

Dazu verstecken sich viele unter dem zweifelhaften Schutzmantel "Keine Politik im Stadion", der als Diskursstrang in auffällig schwierigen Szenen überhaupt erst zu Diskussionseinstiegen und Anknüpfungspunkten für zivilcouragierte Fans führen kann. So wird menschenrechtsorientiertes Engagement bisweilen als "Parteipolitik" abqualifiziert und werden zivilcouragierte Menschen als "linksorientierte Nestbeschmutzer" beschimpft. In solchen Fällen wird jedoch ein schmaler Grad begangen, der in noch mehr Szenen zu einer subtilen Etablierung von gruppenbezogen menschenfeindlichen Äußerungskulturen führen kann.

Hegemoniale Männlichkeit und Gewaltförmigkeit bei Ultras

Der "Capo" gibt den Ton an. (© imago/Schiffmann)

Partizipative Aushandlungen befinden sich im ständigen Balancekampf mit den auffälligen, durchsetzungsfähigen Köpfen der Gruppe. Sie finden häufig auf der Folie althergebrachter Männlichkeit und Heteronormativität statt, inklusive ihrer scheinmodernisierten Facetten "weicher" und "trendqueerer" Männlichkeiten. Umringt von imaginären Hackordnungen und hegemonialer Männlichkeit war und ist es besonders für die wenigen Frauen schwer, in den fankluborientierten Szenen eigene (Gruppen-)Identitäten zu entfalten.

Frauen galten oft als Anhängsel. Bis heute müssen sie – wie auch junge Männer – durch die diskursive Schule hegemonial männlich vorgeprägter Fanstrukturen und Hackordnungen, um sich zu etablieren. Mit dem Unterschied zu Männern, dass Frauen meistens Fans auf Bewährung bleiben: Ihr Interesse droht ständig auf der Folie einer konstruierten Authentizität hinterfragt und überprüft zu werden. Im Gegensatz dazu steht die "patriarchale Dividende" der Männer, deren Interesse für den Fußball als "natürlich" gilt. In zahlreichen Fanklubs gab es Aufnahmestopps für Frauen und bis heute werden Frauen aus bevormundendem Schutzdenken und wegen des Gruppenansehens bei den sogenannten Ultramärschen zum Stadion immer mal wieder aus den vorderen Reihen verbannt.

Dennoch fügen sich zahlreiche Frauen heutzutage nicht mehr einer ihnen zugetragenen, potentiellen Opferrolle. In organisierten Fanszenen versuchen sie mit unterschiedlichen Herangehensweisen klassische wie subtile (Hetero-)Sexismen zu enttarnen und Alternativen zu schaffen. Sie besetzen den Ort Fußball zunehmend selbstbewusst, während die Massenwirksamkeit der Männer sie je nach Situation weiterhin auf sozial konstruierte Zuschreibungen wie Mildtätigkeit und Friedfertigkeit, zur "Mutter der Kompanie" und zum Sexualobjekt reduzieren kann. Somit bleiben Ultras in ihrer Entwicklung insgesamt betrachtet stets ambivalente Gruppen, die konservative Werte und Traditionsbewusstsein einbinden können.

Immer bezeichnender werden dabei territoriale, sozialdarwinistisch geprägte Ausdeutungen gegenüber anderen Fangruppen. Ultras erfahren sich als erheblich jugend(sub)kulturell geprägte Gruppen in einer multiplen Druckkonstellation aus 'Wir' und 'Die Anderen': Sie und die Ultras des anderen Vereins, sie und "die Polizei", sie und "die Medien", sie und "der DFB" sowie "die DFL", sie und "die Politik", sie und "ihr" anders interessengesteuerter Verein, sie und andere Fans des eigenen Vereins, die den Ultra-Interpretationen von Fankultur nicht unbedingt wohlwollend gegenüber stehen müssen.

Fankultur im Stadion.

(© imago/Hartenfelser)

Ultras haben sich nicht gegründet, um aktiv Gewalt zu suchen, sondern um die Stimmung im Stadion verbessernd zu organisieren. Ihre Ausprägungen von Gewaltförmigkeit unterscheiden sich jedoch erheblich von denen der Hooligans. Auf das nach außen sehr organisiert und zum Teil uniform wirkende Auftreten von Ultragruppen, ihre expressive, teilweise brachial wirkende Selbstinszenierung, ihr Aufgreifen überhöhter Freund-Feind-Konstellationen mit Revierdenken und Eroberungsritualen wurde häufig verkürzend, überwachungs- und repressionsfixiert von Polizei und Politik, von Vereinen und Verbänden, von zahlreichen Medienvertretern reagiert.

Zu erinnern ist an die häufig zu beobachtende, erschrockene Überraschung der ersten deutschen Ultrageneration auf häufig tatsächlich unverhältnismäßige Reaktionen der Polizei. Hinzu kommt die öffentliche Umwertung der von Ultras gern verwendeten Bengalfackel. Juristisch als Ordnungswidrigkeit und Bagatelldelikt zu werten, galt sie in der öffentlichen Wahrnehmung zunächst häufig gar als "südländische, tolle Stimmung". Heutzutage werden Bengalfackeln von Ultraszenen ebenso wie von den Ordnungsinstanzen symbolisch auf- und überbewertet. In der öffentlichen Debatte werden Bengalfackeln inzwischen regelmäßig unzulässig mit Gewalt gleichgesetzt, was insgesamt hin zu maßlosen Empörungen führt.

Forderung nach Kennzeichnungspflicht der Polizei - Zeichen für einen massiven Vertrauensverlust? (© imago/Martin Hoffmann)

Definitionsohnmächtig gegenüber einer als entfremdend empfundenen Kommerzialisierung des Fußballs mit seinen immer weniger werdenden Identitätsangeboten entwickelte sich bei der Mehrheit der Ultras eine "resistance identity" mit organisierter Provokation als soziale Technik.

In der "resistance identity" erleben Ultras ihre gewaltförmigen Ausprägungen im Gegensatz zu den Hooligans betont als reaktiv. Heutzutage schließt die weit überwiegende Mehrheit deutscher Ultragruppen gewaltförmiges Verhalten längst nicht mehr aus. Vielmehr als bei den Hooligans formiert sich Gewalt in den situativen Ausbrüchen von Ultras als Ausdruck der als überzogen empfundenen Kommerzialisierung.

Verschränkt damit empfinden Ultras die Bedrohung eines wichtigen sozialen Freiraums sowie ihre Wahrnehmung von Polizeieinsätzen als Willkür und Repression. Während Hooligans die Polizei als gegeben akzeptierten und auf einer hegemonial männlichen Ebene respektierten, nehmen Ultras eine politische Protesthaltung gegenüber der Polizei ein und kritisieren organisiert polizeiliche Vorgehensweisen. Solidarisierungseffekten von Ultragruppen gegen die Polizei stehen Solidarisierungseffekte innerhalb der Polizei gegen Ultragruppen gegenüber. Insgesamt hat sich ein diffizil strukturiertes, festgefahrenes, gegenseitiges Feindbild entwickelt.

Zusätzlich zu dieser im Ursprung als reaktiv empfundenen Gewaltkonstellation, haben sich unabhängig vom o.g. Gemeinschaftsleben innerhalb vieler Ultragruppen sogenannte "Ackergruppen" herausgebildet. In zahlenmäßig minimaler wie loser Zusammensetzung lösen sie sich im Stile einer Arbeitsgruppe regelmäßig aus den hauptsächlichen Ultrakontexten heraus, um sich z.T. auch unabhängig von Spielen zu körperlichen Auseinandersetzungen mit Gleichgesinnten aus anderen Ultragruppen in beiderseitigem Einverständnis körperlich gewalttätig zu messen.

Seismografen in der Kurve

All die o.g. Merkmale verdeutlichen: Es macht Sinn, Ultras weniger als eine Gruppe, sondern vielmehr als "Temporäre Autonome Zone" zu begreifen. Bliebe man bei den eingeführten, seit jeher stark verkürzenden Polizeikategorien A (konsumorientiert), B (vereinszentriert und situativ zur Gewalt neigend) und C (erlebnisorientiert, Hooligans), so könnte man sagen, die Verteilung dieser Kategorien bildete sich innerhalb einer Ultragruppe noch einmal wie unter einem Brennglas als Mikrokosmos ab.

Ultragruppen können Masken je nach Tagesform und auf die Außensituation reagierend wechseln – z.T. können das ihre einzelnen Mitglieder als Individuen. Ultras haben gelernt sich in ihrem Auftreten und Verhalten kreativ zu verformen. Sie können positiv wie negativ verstärkend – wie das innere Rädchen eines Kugellagers – adäquat auf die Bewegungen des äußeren Rades aus den funktionstragenden Institutionen wie Verein, DFB und DFL, Politik und Polizei reagieren und teilweise antizipieren. So gesehen bleibt der Weg organisierter Fanszenen mit Ultragruppen als seismografischem Faktor auch künftig ein wandelbarer Weg mit zahlreichen Gabelungen.

Quellen / Literatur

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Anzumerken ist, dass sich der nachfolgende Text ausschließlich auf den Männerfußball und seine organisierten Fankulturen bezieht.

  2. Autoritarismus bezieht sich hier auf antidemokratische Ausrichtungen, die autoritäre, tendenziell gar diktatorische Persönlichkeitszüge bzw. eben solche Gesellschaftsformen bevorzugen.

  3. Sozialdarwinismus meint hier ein absolut gesetztes Vorrecht des Stärkeren, eine biologische, natürliche Auslese als grundlegend für die menschliche Entwicklung hinsichtlich moralischer, sozialer und ökonomischer Elemente.

  4. vgl. Elias/Scotson 1993, S. 11ff

  5. zit. nach Eggers 2005: 83

  6. Robert W. Connell

  7. zit. nach Bredekamp 2006: S. 128

  8. vgl. Brändle/Koller 2002, S. 50 f.

  9. vgl. Pilz 1988a, S. 18

  10. vgl. Oswald 2008, S. 219

  11. vgl. Brändle/Koller 2002, S. 33

  12. vgl. Dembowski 2004, S. 12 f.

  13. Das Konzept der "Moral Panics" und "Folk Devils" (Cohen 72) untersuchte die öffentliche Reaktion auf das jugendkulturelle Phänomen der Mods and Rocker der 1960er Jahre. Zentral ist das Phänomen der Abweichungsspirale, wonach die Medien in übersteigerter Form von abweichendem Verhalten berichten, welches als Herausforderung gesellschaftlicher Normen definiert wird. Die daraufhin aufkommende moralische (Massen-)Panik blendet zugrundeliegende strukturelle Probleme aus.

  14. zit. nach Pilz 1988a, S. 15

  15. vgl. Collins 2011, S. 498 f.

  16. vgl. Pilz 1988b: 139

  17. vgl. Beck 1986 und bpb.de: Interner Link: Risikogesellschaft ist ein politisch-soziologischer Begriff, der darauf verweist, dass in hoch entwickelten Industriegesellschaften inzwischen mehr (soziale, ökologische, individuelle und politische) Risiken entstanden sind und laufend entstehen, als die bestehenden Sicherungsmechanismen und Kontrolleinrichtungen des Staates bewältigen können (z. B. Langzeit- und Dauerarbeitslosigkeit, Reaktorkatastrophe in Tschernobyl etc.). Quelle: Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 5., aktual. Aufl. Bonn: Dietz 2011.

  18. zit. nach Buderus 2001, S. 105

  19. vgl. Connell 2006

  20. vgl. Connell 2006

  21. vgl .Heitmeyer 2007

  22. vg. Gebauer 2009: 45

  23. ebd. 43; vgl. Bourdieu 1986: 108 f. & Elias 2003

  24. vgl. Claussen/Blecking 2010, S. 22 & 27

  25. vgl. Hortleder 1974, S. 68 f.

  26. vgl. Connell 2006

  27. vgl. Friebel et al 1979, S. 48 f.

  28. vgl. Pilz/Wölki 2010, S. 7

  29. Die Selbstzurechnung und Zugehörigkeit zu solchen Gemeinschaftsformen basiert nicht mehr wie bei den traditionalen Formen auf gemeinsamer Abstammung oder Herkunft, sondern vielmehr auf geteilten Interessen, Anliegen und Werten. Die im Fußball vorzufindenden Gemeinschaften lassen sich daher auch im Sinne von Benedict Anderson (1983) als "Imagined Communities", als vorgestellte Gemeinschaften, bezeichnen.

  30. vgl. Gabler 2012, S. 6

  31. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit umfasst Vorurteile und Diskriminierungen gegen Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu schwachen Gruppen in der Gesellschaft, kurz: die Abwertung von Gruppen. Einerseits umfasst die Abwertung soziale Distanzierungen oder Absichten, eine Fremdgruppe zu schädigen. Andererseits werden nicht nur Personen fremder Herkunft abgewertet, sondern auch Personen gleicher Herkunft erleben Diskriminierung und Gewalt. Vgl.: Interner Link: APUZ 17/2012

  32. vgl. Tajfel/Turner 1986

  33. vgl. R. Connell 2006.

  34. In der soziologischen Geschlechterforschung ist die Deutung von Homophobie untrennbar mit dem Begriff Heteronormativität, der als legitim erachteten sozialen Norm von heterosexuell codierten Geschlechterverhältnissen, verbunden. Homophobie kann demnach als Ausdruck eines heteronormativen Sanktionsmechanismus für nicht-heterosexuelles Verhalten definiert werden. Vgl. Interner Link: APUZ 17/12

  35. vgl. G. Dembowski, "Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber …". Stichworte zur Modernisierung von hegemonialen Männlichkeiten im deutschen Fußball, in: Faninitiative Innsbruck (Hrsg.), Fußball ohne Vorurteile. Begleitband zur Ausstellung Tatort Stadion, Innsbruck 2011.

  36. nach Robert W. Connell, vgl.: Lothar Böhnisch in Interner Link: APUZ 40/12: "Dass sich männliche Macht in modernen Gesellschaften nicht nur halten, sondern immer wieder neu durchsetzen kann, männliche Machtgruppen auch von vielen anderen Männern gewollt oder ungewollt unterstützt werden und damit ihre hegemoniale Funktion behaupten, wird einem kulturell wie tiefenpsychisch wirksamen Bindungsverhältnis unter Männern zugeschrieben. Dieses wird als patriarchale Dividende bezeichnet. Mit diesem Begriff ist die allen Männern gleichsam kulturgenetisch eingeschriebene, in der Entwicklungsdynamik des Kindes- und Jugendalters immer wieder aktivierte und eingeübte Haltung gemeint, dass der Mann "im Grunde“ doch der Frau überlegen sei, egal ob das der Überprüfung durch die soziale Wirklichkeit standhält."

  37. vgl. Sülzle 2011

  38. Während Eroberungsrituale sich bspw. über Schal- und Bannerklau abzeichnen können, führt das Revierdenken so weit, dass Ultragruppen den Ultragruppen anderer Vereine mitteilen, dass diese sich an markanten oder szenefixierten Orten ihrer Stadt nicht aufhalten "dürfen". Diese Orte werden mit einschüchternder Präsenz und ggf. dem Einsatz körperlicher Gewalt "geschützt", z.T. spielunabhängig z.B. gegen durchreisende und am jeweiligen Bahnhof umsteigende Ultras anderer Vereine.

  39. vgl. John M. Hagedorn. Im Gegensatz zu den von Hagedorn untersuchten Jugendgangs handelt es sich bei Ultras jedoch um eher bildungsbürgerlich beeinflusste Gruppierungen, die sich – als vorwiegend weiße, deutsche Männer, die außerhalb des Fußballumfeldes relativ privilegiert leben können – ohne äußere Not in repressive Situationen bringen.

  40. vgl. Hakim Bey, T.A.Z. – Die Temporäre Autonome Zone, Berlin 1994

  41. Diese, auf Wilhelm Heitmeyer zurückgehenden, Definitionen müssen aus Platzgründen an dieser Stelle leider arg verkürzt bleiben.

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Dipl.-Sozialwissenschaftler, geb. 1972; seit Oktober 2014 tätig als Corporate Social Responsibility Programme Manager (for Equality and Anti-Discrimination) bei der FIFA Zürich; zuvor wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Kompetenzgruppe Fankulturen & Sport bezogene Soziale Arbeit (KoFaS) am Institut für Sportwissenschaft der Leibniz Universität Hannover; Mitglied der AG Antidiskriminierung beim Deutschen Fußball-Bund; KoFaS, Moritzwinkel 6, 30167 Hannover. gerd.dembowski@sportwiss.uni-hannover.de