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Doku-Soaps und Reality-Soaps ab den 50er Jahren | Deutsche Fernsehgeschichte in Ost und West | bpb.de

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Doku-Soaps und Reality-Soaps ab den 50er Jahren

/ 4 Minuten zu lesen

Unsere Nachbarn heute abend? Familie Schölermann, Deutschland 1954–1960, Regie: Ruprecht Essberger, Darsteller: Margit Cargill, Harald Martens, Lotte Rausch, Charles Brauer, Willy Krüger

(© picture-alliance, United Archives)

Doku-Soaps – Vermischung des Fiktionalen und des Faktischen

Auf die vielfache Verwendung fiktionaler Seriendramaturgien im Reality-TV wurde schon hingewiesen. Vor allem mit der Programmform der "Doku-Soap" ist der Prototyp einer neuen Vermischung des Fiktionalen und Faktischen geschaffen worden. Der Begriff ist zusammengesetzt aus "Doku" für Dokumentation und "Soap" für 'soap opera', der Seifenoper, wie etwas abschätzig die Serie mit Fortsetzungsgeschichten bezeichnet wird (nach den Hörfunkserien, die in den USA in den 1930er Jahren von den Seifenmittel-Konzernen finanziert wurden und sich an die Hausfrauen richteten). Die Doku-Soap thematisiert alltägliche Situationen, oftmals mit Laiendarstellern; allerdings werden in der Regel Lebenswirklichkeiten jenseits des "normalen" Alltags in Szene gesetzt.

Meistens sind es wenige Personen, mit denen sich der Zuschauer auch identifizieren soll. Diese Menschen erleben außergewöhnliche Situationen, in denen sie ihren Alltag organisieren müssen. Die Aufnahmen werden dabei wie eine traditionelle fiktionale Serie genau inszeniert und geschnitten, häufig gibt es am Ende auch einen Spannungsbogen, der auf die nächste Folge verweist, der in der Seriendramaturgie "Cliffhanger" genannt wird. Er dient dazu, dass der Zuschauer in Spannung gesetzt wird, wie die Serie weiter geht.

Serielles Erzählen mit dem Anschein gefilmter Realität

Doku-Soaps sind also Serien, die eng mit den Formen des seriellen Erzählens zusammenhängen und sich auf dessen Erzählmuster und Erzählprinzipien beziehen. Gleichzeitig wollen sie aber den Anschein von gefilmter Realität erwecken. Dies erreichen sie, indem sie u. a. auf Laiendarsteller setzen, die sich – das ist eine der inneren Widersprüche der Form – zwangsläufig im Laufe länger andauernder Produktionen professionalisieren und dann selbst wiederum zu bekannten Bildschirmpersönlichkeiten werden.

Die Zuwendung zu den Doku-Soaps lässt sich aus den Wünschen vieler Zuschauer erklären, in neuen, zumindest leicht veränderten Formen mehr von der Wirklichkeit zu erfahren, mehr Abwechslung im Programm zu erhalten, mehr von "echten" Menschen und deren Erlebnissen berührt zu werden, sich mit authentischen Personen zu identifizieren oder auch von diesen abzugrenzen.

Öffentlich-rechtliche Vorläufer von Doku-Soaps

Der Versuch, mehr Alltagsnähe, mehr Authentizität in die serielle Unterhaltung einfließen zu lassen, ist so alt wie das Fernsehen selbst. Dies resultiert auch daraus, dass das Fernsehen als Medium aufgrund seiner dokumentarischen und informationellen Programmanteile immer auch als Vermittler von Wirklichkeit gesehen wurde. Schon in der ersten lang laufenden Serie des deutschen Fernsehens, "Familie Schölermann" (1953–1960 mit 111 Folgen), wurden Laiendarsteller eingesetzt, die auch nicht mit ihren richtigen Namen im Abspann erwähnt wurden, um den Eindruck von 'echten' Personen in der Darstellung zu erwecken. Gleichwohl folgten ihre Geschichten einem Drehbuch, und einige Darsteller – etwa Uwe Friedrichsen und Charles Brauer, die hier als jugendliche Darsteller begonnen hatten – wurden professionelle und bekannte Fernsehschauspieler.

"Die Fussbroichs" (ARD/WDR)

Das Filmemacher Ehepaar Barbara und Winfried Junge am Schneidetisch (© picture-alliance/dpa)

Auch in der Folgezeit hat es immer wieder Versuche gegeben, die fiktionalen Geschichten als Darstellungen der Wirklichkeit erscheinen zu lassen. Im engeren Sinne ist ein Vorläufer der Doku-Soaps ein 1979 von der Regisseurin Ute Diehl gedrehter Dokumentarfilm über die Kölner Arbeiterfamilie Fussbroich ("Die Fussbroichs: Ein Kinderzimmer 1979", WDR). An ihn knüpfte dann zehn Jahre später die Doku-Soap "Die Fussbroichs" (ARD/WDR) an, die schließlich bis 2001 in 17 Staffeln mit 100 Folgen von jeweils ca. 30 Minuten Länge Leben und Alltag der Familie schilderte. Die Regisseurin enthielt sich in den Folgen jedes Kommentars, die Personen wurden in ihrem Alltag gefilmt bzw. spielten sich selbst und wirkten in ihrer Art, sich vor der Kamera zu bewegen, authentisch. Gleichzeitig wurden die Szenen aber nach den Mustern der fiktionalen Dramaturgie geschnitten.

Vor allem die späten Folgen wurden durch den Einsatz digitaler Bearbeitungs- und Schnitttechnik fließender und damit auch den Konventionen des fiktionalen Erzählens stärker angepasst.

Exkurs: Die Kinder von Golzow

Reality-TV oder Realitätsfernsehen hat es im DDR-Fernsehen nicht gegeben, weil diese Mischung der Formen und medialen Darstellungsweisen mit ihrer Emotionalisierung der Realität nicht den Vorstellungen von der Funktion der Medien in der DDR entsprach. Zwar ging es auch im DDR-Fernsehen nicht immer um eine objektivierende Darstellung der Welt, doch sollte die Schaffung eines 'neuen, sozialistischen Menschen' durch kognitive Einsicht in das Notwendige und durch eine positive Bereitschaft des Zuschauers, am Aufbau der Gesellschaft mitzuwirken, erreicht werden. Eine Fiktionalisierung der Wirklichkeit mit dem Ziel ihrer Emotionalisierung und Beschränkung auf eher private Probleme entsprach nicht den Vorstellungen der Fernsehmacher im DDR-Fernsehen.

Dennoch standen auch hier Menschen des Alltags wiederholt im Mittelpunkt von Sendungen. Auch die serielle Beobachtung von Menschen und ihrem Verhalten wurde erprobt.

"Wenn ich erst zur Schule geh‘"

Die Beobachtung von Alltagsmenschen und ihrem Verhalten fand mit klassischen Methoden des Dokumentarfilms statt. In Langzeitbeobachtungen verfolgten die Dokumentarfilmer Winfried und Barbara Junge 18 zwischen 1953 und 1955 geborenen Schüler/-innen einer Grundschulklasse im brandenburgischen Ort Golzow (im Oderbruch), zunächst in einem ersten Film im Jahr 1961 ("Wenn ich erst zur Schule geh‘" 13 Min.). Es folgten 18 weitere Filme (teilweise in mehreren Teilen) bis zum Jahr 2007, als sie mit dem Vierteiler "Und wenn sie nicht gestorben sind – dann leben sie noch heute… Die Kinder von Golzow – Das Ende der unendlichen Geschichte" die längste Dokumentation der Filmgeschichte beendeten (siehe Externer Link: http://kinder-von-golzow.de/index.php/zum-gegenstand/die-filme).

Die Filme wurden anfangs für die Defa gedreht, nach 1990 dann für die ARD. Über 45 Stunden Film wurden belichtet und vor allem in den Jahren ab 1990 wurden immer wieder neue Filme hergestellt, die einzelne Lebenswege dieser ehemaligen Schüler von 1961 verfolgten und mit dem in den Jahren gedrehten Material dokumentierten. Es ergibt sich hier ein Bild des 'normalen' Lebens in der DDR. Es sind dokumentarische Darstellungen, die filmische Distanz zu den Porträtierten halten, die in der Anordnung der Bilder sorgfältig komponiert sind und die sich darum bemühen, Lebenswelt und biografische Entscheidungen respektvoll anschaulich zu machen. Sie sind daher nicht vergleichbar mit den Reality-TV-Produktionen der 1990er und 2000er Jahre.

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