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Die Strukturen des Medienbetriebs | Krieg in den Medien | bpb.de

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Die Strukturen des Medienbetriebs

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In einer Fernsehnachrichtensendung von 15 bis 20 Minuten Länge lässt sich nur ein kleiner Ausschnitt der täglichen Ereignisse vermitteln. Wie wirken sich die Struktur und Organisation des Medienbetriebs darauf aus, worüber berichtet wird und worüber nicht?

Moderator des Heute-Journals Claus Kleber im digitalen Fernsehstudio des ZDF in Mainz (© AP)

Während eines Krieges steigt die Nachfrage nach Information. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und privaten Nachrichtenredaktionen versuchen, diesem gesteigerten Interesse zu begegnen: Neben Nachrichtenbeiträgen produzieren sie Sondersendungen und laden Experten ins Studio. Was am Ende auf Sendung geht, ist von vielen unterschiedlichen Aspekten abhängig. Dazu zählen der "Nachrichtenwert" eines Ereignisses, die Konkurrenz der Sender untereinander oder die Ausrichtung des Programms nach den Einschaltquoten.

Der "Nachrichtenwert" eines Ereignisses

Entscheidend bei der Auswahl von Themen sind die inneren Mechanismen des Nachrichtengeschäfts (wie die Ausrichtung nach wirtschaftlichen Grundsätzen) und die Grenzen der Darstellung, die das jeweilige Medium hat. Im Spannungsfeld von Neuigkeit, Relevanz (Wichtigkeit) und Interessantheit entscheidet sich, was einen Nachrichtenwert hat und was nicht. Interessant ist für das Fernsehen und seine Zuschauer zum Beispiel, was dramatische und spektakuläre Bilder hergibt. Die Sprengung von Hochhäusern ist keine Neuigkeit, aber manche Menschen können solche Bilder nicht oft genug sehen. Daher landen sie gelegentlich in den Nachrichten.

Weniger aufregende Bilder bietet eine Debatte zur Gesundheitsreform, doch sie betrifft alle Bürger des Landes am eigenen Leib. Deswegen ist sie wichtig und wird – zumindest in seriösen TV-Nachrichten – in der Berichterstattung ausführlich verfolgt. Dass in einigen Entwicklungsländern Hunger herrscht, wissen die meisten. Eine Neuigkeit bietet das Elend allerdings nur dann, wenn sich die Lage in einem Land dramatisch verschlechtert, zum Beispiel durch eine Dürrekatastrophe oder eine Heuschreckenplage. Erst dann sehen wir Bilder dazu in den Abendnachrichten.

In den Kriegsnachrichten gelten dieselben Auswahlkriterien. Auch Kriege kommen nur in die Nachrichten, wenn sie relevant, interessant oder neu sind. Ein Krieg ist für die Bevölkerung besonders dann relevant, wenn eigene Landsleute darin verwickelt sind. Ein Beispiel: Im Irak waren 2003 nach dem Einmarsch westlicher Truppen Entführungen eine Zeitlang fast an der Tagesordnung. Sehr viele Menschen gelangten in die Hand von Geiselnehmern, die Geld erpressen oder politische Forderungen durchsetzen wollten.

Große Aufregung produzierte aber hierzulande vor allem die Entführung der Archäologin Susanne Osthoff Ende 2005 – weil sie aus Deutschland stammte. Auch die geografische Nähe kriegerischer Ereignisse macht diese für ein Publikum relevant. Dass es beim Zerfall des Staates Jugoslawien in den Neunzigerjahren zu Kämpfen, Verletzungen von Menschenrechten und sogar zu Massakern kam, war für die Deutschen und andere Europäer empörend – schließlich lebten sie nicht weit davon entfernt. Viele Westeuropäer hatten zudem noch während der Achtziger- und zu Beginn der Neunzigerjahre ihren Urlaub dort verbracht, wo auf einmal scharf geschossen wurde. Bürgerkriege in Afrika sorgen im Vergleich dazu für weit weniger Aufregung.

Der Zwang zur bildlichen Darstellung

Muss es spektakulär sein?

Das Medium Fernsehen eröffnet viele Möglichkeiten für die Berichterstattung, weist allerdings auch einige Beschränkungen auf. Langwierige Entwicklungen in Bürgerkriegsgebieten lassen sich mit Fernsehbildern häufig nicht wiedergeben, auch wenn sie für dort ansässige große Bevölkerungsgruppen schwerwiegende Folgen haben. Für das Fernsehen gilt nämlich die Regel: Bild und gesprochener Text müssen in einem Nachrichtenbericht aufeinander verweisen. Das Bild belegt den Text, der Text erklärt das Bild.

Wenn Bilder von einer zerstörten Stadt, ausgebrannten Autowracks und Flüchtlingsströmen vorliegen, lässt sich nach dieser Regel ein Kriegsbericht gestalten. Was aber, wenn solche deutlichen Aufnahmen nicht möglich sind? Ängste und Bedrohungsgefühle prägen beispielsweise in einem Bürgerkrieg ohne konkreten Frontverlauf die Realität des Krieges für Menschen, die noch in Sicherheit scheinen, aber jeden Augenblick zum Opfer einer der Konfliktparteien werden können. Diese Ängste kann kein Kameraobjektiv einfangen.

Die Tendenz zur thematischen Angleichung

Als in Deutschland 1984 private Sendeanstalten zugelassen wurden, sahen Kritiker den Untergang der Kultur nahen. Andere waren hingegen zuversichtlich: Sie begrüßten die Chance, das starre öffentlich-rechtliche System aufzubrechen, um einer größeren Meinungs- und Themenvielfalt Raum zu geben. RTL plus und Sat.1 machten den Anfang. Seitdem sind viele andere Sender hinzugekommen. Doch haben sie tatsächlich eine größere Vielfalt ermöglicht? – Auf den ersten Blick ja, denn für jedes Interesse scheint etwas angeboten zu werden: Kinderfernsehen, Sportfernsehen, Doku-Kanäle und Sender, die den ganzen Tag über Nachrichten liefern. Doch warum ähneln sich die TV-Nachrichten auf den verschiedenen Sendern derart?

Es mag Unterschiede in der Aufbereitung geben: Der Moderationsstil ist manchmal locker, manchmal steif. Der Anteil an "bunten" Beiträgen, sogenannten "soft news", ist bei den Privaten höher als bei den Öffentlich-Rechtlichen. Was allerdings die "hard news", die wichtigen Themen aus Innen- bzw. Außenpolitik betrifft, wird man auf allen Kanälen ähnlich informiert. Die Frage ist: Beurteilen die TV-Sender die Wichtigkeit eines Themas in Bezug auf die Ereignisse und Entwicklungen weltweit oder im Hinblick darauf, worüber die Konkurrenz berichtet? Die Medien setzen sich tatsächlich gegenseitig unter Zugzwang: Was die TV-Nachrichten beispielsweise zum großen Thema machen, dürfen Tageszeitungen nicht aussparen. Deren Leser würden sich sonst beschweren. Dasselbe gilt auch für die verschiedenen Sender in Bezug auf die "hard news".

Die Konkurrenz der Sender untereinander

Das Geschäft mit Fernsehnachrichten lebt von der Schnelligkeit: Eilmeldungen, Laufbänder, Sondersendungen, Live-Übertragungen rasen über den Bildschirm. Welcher Sender bringt die Nachricht von einem wichtigen Ereignis zuerst? Wer kann als Erster einen Beitrag mit interessanten Bildern dazu liefern? Für die Nachrichtenmacher sind das schon bei einem Flugzeugabsturz entscheidende Fragen, aber noch viel mehr dann, wenn Krieg herrscht, wenn Revolutionen ausbrechen oder Regierungen mit bewaffneter Gewalt gestürzt werden. Durch die globale Verfügbarkeit des Internets und die Digitalisierung von Information und Daten hat sich der Zeitdruck für Journalisten bei der Berichterstattung deutlich erhöht. Früher mussten Foto- und Filmaufnahmen vor ihrer Ausstrahlung erst entwickelt werden.

Heute ist es möglich, diese direkt nach der Aufnahme in Sekundenschnelle zu übertragen und sie nahezu in Echtzeit zu veröffentlichen. Unter diesem Druck leiden journalistische Qualitätsmaßstäbe, denn eine gewissenhafte Recherche braucht Zeit. In den TV-Redaktionen entstehen Gewissenskonflikte: Soll man spektakuläre Bilder ausstrahlen, obwohl man noch keine gesicherten Informationen dazu hat? Der leitende Redakteur, der sich dagegen entscheidet, muss unter Umständen dann zusehen, dass ein Konkurrenzsender mit eben diesen Bildern seine nächste Nachrichtenstrecke aufmacht.

Das Korrespondentennetz

Afghanistan-Korrespondentin Kathy Gannon während der Bombenangriffe in Kabul am 26.10.2001 im Keller des Hauses der Nachrichtenagentur Associated Press. (© AP)

Bei der Berichterstattung über Kriegsereignisse aus dem Ausland machen sich Fragen der Finanzierung besonders bemerkbar. Die durch Rundfunkgebühren finanzierte Sendeanstalt ARD kann sich ein konkurrenzlos umfangreiches Netz von weltweit etwa hundert Korrespondenten an dreißig Orten leisten. Unter den deutschen Privatsendern ist RTL mit Studios in New York, Moskau, London, Paris und Jerusalem noch am besten ausgestattet. Ein Korrespondentennetz macht sich gerade dann bezahlt, wenn es im Fall von Krisen und Kriegen darum geht, die politischen und sozialen Entwicklungen, die zu den Konflikten geführt haben, richtig einzuschätzen. Das können Journalisten, die längere Zeit in einem fremden Land oder Erdteil gelebt haben, meistens viel besser als solche, die nur kurz für eine Reportage dort vorbeischauen.

"Fallschirmjournalismus" nennt die Korrespondentin Bettina Gaus die Praxis mancher Nachrichtenredaktionen, Reporter im raschen Wechsel von einer Krisenregion zur nächsten zu schicken. Richtige Vorbereitung und gewissenhafte Recherche haben keine Chance. Der Korrespondent Michael Franzke spricht in einem Artikel in der "Zeitschrift für Kulturaustausch" (2002/Ausgabe 1) in diesem Zusammenhang von "Krisenhopping". Er gibt allerdings zu bedenken, dass der längere Aufenthalt eines Journalisten in einem fremden Land auch Nachteile für die Berichterstattung haben kann. Er sieht durch die dauernde Anwesenheit die Gefahr der Gewöhnung, der mangelnden Neugier und fehlenden Distanz. Um dies zu verhindern, ist es üblich, dass Auslandskorrespondenten nach einigen Jahren das Land wechseln oder in ihre Heimatredaktion zurückkehren.

Die Einschaltquoten

Die Stunde der Wahrheit schlägt allmorgendlich für TV-Sender, wenn die Einschaltquoten des gestrigen Tages übermittelt werden. Im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) untersucht die Gesellschaft für Konsum- und Marktforschung (GfK) anhand einiger Tausend repräsentativ ausgewählter Fernsehhaushalte täglich das Sehverhalten des deutschen TV-Publikums. An den Daten, die die GfK erhebt, lässt sich ablesen, welche Zuschauergruppen wie lange bei welchen TV-Sendern und Sendungen verweilt haben. Auf der Basis der Quoten werden auch die Preise für Werbung errechnet. Vor allem Privatsender versuchen, direkt auf die Quoten zu reagieren und ihr Programm an die vermeintlichen Zuschauerinteressen anzupassen. Von den Werbeeinnahmen abgesehen, geben die Einschaltquoten ganz allgemein Auskunft über die Akzeptanz des Programms beim Publikum.

Die Quoten bei den 14- bis 49-Jährigen, die die am meisten umworbene Zielgruppe am Markt ausmachen, sind daher auch für die öffentlich-rechtlichen Sender interessant. Diesen wird immer wieder vorgeworfen, ihr Programm sei für ein jüngeres Publikum nicht attraktiv, sondern vor allem nach dem Geschmack von Senioren ausgerichtet. Zwecks einer "Verjüngungskur" orientieren sich öffentlich-rechtliche Sendeanstalten deshalb auch an Formaten und Präsentationsformen, die die Privaten zur Sicherung ihrer Werbeeinnahmen eingeführt haben. Das ARD-Frühstücksfernsehen ist ein Beispiel dafür.

Zuschauer-Marktanteile verschiedener Fernsehsender in Deutschland im Tagesdurchschnitt 2010. Quelle: AGF/GfK Fernsehforschung: TV Scope; Fernsehpanel D+EU; www.agf.de

Medienkritiker nehmen an, dass die Ausrichtung des Programms an den Einschaltquoten problematische Folgen für die Standards der Berichterstattung hat. Vor allem hinsichtlich der Privatsender wird befürchtet, dass dies bedeutet: mehr Unterhaltung, weniger Information – auch bei den Nachrichten. Doch Inhalte und Gestaltung der Nachrichtensendungen passen sich immer mehr einander an. So achten öffentlich-rechtliche Sender mehr darauf, Informationen auch in unterhaltender Weise zu präsentieren, während sich die privaten Sender um mehr Seriosität bemühen.

Kriegsmeldungen scheinen bei allen Sendern besonders berichtenswert zu sein, wenn sie Actionbilder liefern – Guerillakämpfer, Kampfflieger, Panzer und Explosionen. Oder wenn der Krieg große Gefühl bedient, zum Beispiel durch die weit aufgerissenen Kinderaugen, die uns aus Berichten über afrikanische Krisenregionen unvermeidlich anstarren. Weniger Aufmerksamkeit wird den Hintergrundinformationen über die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ursachen kriegerischer Konflikte geschenkt.

Fussnoten

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