Migration, Ausländerbeschäftigung und Asylpolitik in der DDR
1949–1989/90
Auch die Ausländerpolitik in der DDR kennzeichnete sich durch eine aktive Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte und die Aufnahme politisch Verfolgter aus befreundeten Staaten – nicht zuletzt deshalb, weil bis 1961 rund 2,7 Mio. Übersiedler in die Bundesrepublik auswanderten, was den Arbeitskräftemangel verschärfte.Ost-West-Flucht

Vom Bau der Mauer 1961, die im SED-Jargon "antifaschistischer Schutzwall" hieß, bis Ende 1988 fanden nach Angaben des Bundesausgleichsamts immerhin insgesamt 616.051 Menschen ihren Weg von Deutschland-Ost nach Deutschland-West, wobei die regulären Ausreisegenehmigungen gegen Ende dieses Zeitraums zunahmen. Andere, denen der reguläre Weg über genehmigte Ausreiseanträge nicht offen stand, überwanden die Grenze auf irregulären Wegen, meist unter Verlust ihrer gesamten Habe, oft unter Einsatz des Lebens. Ihre Geschichte ist die Einzelner und kleiner Gruppen.
Sie liegt, im Gegensatz zum Massendrama von Flucht und Vertreibung, schon der oft konspirativen Umstände wegen vielfach noch im Dunkeln. Die "Republikflüchtigen" kamen über Drittländer, als "Sperrbrecher" auf dem direkten Weg durch die Todeszonen von Stacheldraht, Minenfeldern und Selbstschussanlagen, aber auch auf anderen, zum Teil abenteuerlichen Wegen und Umwegen – vom eigenhändig gegrabenen Fluchtstollen und der Luftmatratze mit Hilfsmotor bis zur Familienflucht unter dem Heißluftballon. Einzelne DDR-Flüchtlinge aus dem Grenzdienst schossen sich den Fluchtweg frei, andere wurden an der Grenze selber erschossen, von Selbstschussanlagen oder Minen zerfetzt.
Die Wachsamkeit der NVA-Grenzer am "Schutzwall" hat viele Opfer gekostet. Die meisten Flüchtlinge aber vertrauten sich Fluchthilfeorganisationen an; nicht wenige wurden dabei erpresst und betrogen. Viele scheiterten unverletzt, landeten nicht im Westen, sondern wegen versuchter "Republikflucht" in Gefängnissen der DDR. Manche wurden von dort in die Bundesrepublik freigekauft. Nicht wenige wurden rätselhafterweise verhaftet, bevor sie ihren insgeheim vorbereiteten, streng geheim gehaltenen und nur mit zuvor geflohenen Bekannten und Verwandten abgesprochenen Fluchtplan überhaupt in die Tat umgesetzt hatten. Das Rätsel löste sich erst, als sich nach dem Untergang des eingemauerten Staats herausstellte, dass es im Personal der westdeutschen Grenzdurchgangs- und Aufnahmelager auch DDR-Agenten gab, die entsprechende Informationen an den Staatssicherheitsdienst und seine Häscher zurückmeldeten.
1980er-Jahre: Legale Ausreise von "Übersiedlern"
Ende der 1980er-Jahre dominierte schließlich die legale Ausreise von "Übersiedlern", vorwiegend in Gestalt des mehrere Milliarden DM teuren Freikaufes. Vordem waren "Antragsteller" in der oft langen Zeit zwischen Antragstellung und Ausreisegenehmigung vielfach denunziert und ausgegrenzt, beruflich benachteiligt und persönlich geächtet worden. Die DDR geriet unter inneren und äußeren Druck. Im Zeichen der unblutigen Revolution und im Licht der – außerhalb der DDR-Grenzen nicht ausschließbaren – Weltöffentlichkeit nutzten 1989 Tausende meist junger Menschen aus der DDR ihre Urlaubsaufenthalte im "sozialistischen Ausland", um unter Vermittlung der bundesdeutschen Botschaften in Prag und Budapest den Weg ins Land ihrer Träume anzutreten. Um das Gesicht nicht ganz zu verlieren, ließ das torkelnde SED-Regime die geschlossenen Züge mit den Botschaftsflüchtlingen zunächst noch über die schwer bewachten Gleisanlagen der DDR in den Westen rollen.
Dann fegte die gewaltlose Revolution der Bürgerinnen und Bürger das Regime der alten Männer hinweg. "Friedenswall", Minen und Stacheldraht verschwanden, und von den schwer armierten Todeszonen an der Grenze blieben Biotope, die sich im Schutz des Grauens gebildet hatten. An die Stelle von "Republikflucht" und legaler "Übersiedlung" aus der DDR in die "alte" Bundesrepublik traten Ost-West-Binnenwanderungen aus den neuen in die alten Bundesländer.
Quelle: Bade, Klaus J./Jochen Oltmer: Normalfall Migration (ZeitBilder, Bd. 15). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2004, S. 90-96.