Bildungssituation von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien
Ergebnisse internationaler Schülerleistungsvergleichsstudien
Die erste internationale PISA-Studie (2000) bescheinigt 15-jährigen Schülerinnen und Schülern des Bildungswesens in der Bundesrepublik schlechtere Leistungen in den mathematischen, naturwissenschaftlichen und Lesekompetenzen gegenüber Gleichaltrigen im Kreis der Länder mit vergleichbarem Entwicklungsstand. Viele Jugendliche, die als "Risikoschüler" bezeichnet werden, erreichen gegen Ende der Pflichtschulzeit nur ein sehr bescheidenes Kompetenzniveau: Etwa ein Viertel von ihnen sind als funktionale Analphabeten einzustufen. Selbst die Leistungen auf höheren Niveaustufen bleiben hinter denen in anderen Ländern zurück.Das schlechte Abschneiden kann dabei nicht durch den hohen Anteil an Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund erklärt werden. Einwanderungsländer wie Schweden und Kanada nehmen bei PISA einen Spitzenplatz ein. Der Rangplatz Deutschlands im internationalen Vergleich verbessert sich auch nicht nennenswert, wenn die Gruppe der Jugendlichen aus Zuwandererfamilien aus der Stichprobe künstlich herausgerechnet wird.
Zentrale PISA-Befunde
Insgesamt können folgende Befunde der PISA-Studie 2000 festgehalten werden:
In keinem anderen Land ist die Streuung zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Schülern so groß wie in Deutschland. Ebenso entscheidet die soziale Herkunft in kaum einem anderen Land so stark über den Bildungserfolg: Die Leistungen zwischen Schülerinnen und Schülern aus sozial "starken" und sozial "schwachen" (oder auch: "bildungsnahen" bzw. "bildungsfernen") Familien variieren erheblich.

Der Schwerpunkt der zweiten PISA-Studie von 2003 lag auf der Erfassung der mathematischen Kompetenzen. Anders als bei PISA 2000 liegen hier die Mittelwerte für Deutschland auf internationalem Durchschnittsniveau, die der Problemlösekompetenz darüber. Dieses zunächst positive Ergebnis wird allerdings getrübt, betrachtet man die Kopplung zwischen sozialer Herkunft und Kompetenz der beiden Studien im Vergleich. Im Bereich der mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenz zeigt sich nämlich, dass die Jugendlichen aus Familien mit einem hohen sozioökonomischen Status Zuwächse zwischen 26 und 39 Punkten gegenüber PISA 2000 erzielt haben. Daher warnte das PISA-Konsortium ausdrücklich davor, "dass sich die Kopplung zwischen sozialer Herkunft und Kompetenz nicht verstärkt" und wies in seinem Schlusswort auf die Bedeutung der Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund hin.
Verspätete Einschulungen, höheres Nichtversetzungsrisiko

Auch das Risiko, im Verlauf der Schulzeit nicht versetzt zu werden, ist für Kinder und Jugendliche aus Zuwandererfamilien höher: Ausländische Schülerinnen und Schüler wiederholen im Vergleich zu deutschen Jugendlichen zwei bis drei Mal so häufig eine Klasse (vgl. Abb. 4). Während für die Grundschule die Sitzenbleiberquote insgesamt rückläufig ist, sie bei Grundschülerinnen und -schülern mit Migrationshintergrund mehr als viermal so hoch. Sie profitieren daher vom guten Abschneiden liegt der Grundschule bei der internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) nur begrenzt.
IGLU-Ergebnisse
Die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung IGLU hat gezeigt, dass die Schere zwischen oberen und unteren Kompetenzniveaus der Schülerinnen und Schüler am Ende der vierten Klasse weit weniger geöffnet ist als bei den 15-Jährigen der PISA-Studie (2000). Nur wenige andere Länder erreichen im Vergleich zu Deutschland eine geringere Streuung. Damit übergeben sie an die Sekundarschulen eine in ihren Leseleistungen im Ganzen homogenere Schülerschaft. Auch das insgesamt erreichte Niveau ist höher als bei den 15-Jährigen und kann einem Vergleich mit europäischen Nachbarländern standhalten. Darüber hinaus sind die Leistungen in der Grundschule signifikant weniger vom sozialen Hintergrund abhängig als in der Sekundarstufe.
Beim Übergang in die Sekundarstufe zeigt sich allerdings, dass weniger die Leistung als vielmehr die soziale und kulturelle Herkunft über die Bildungschancen entscheidet. Das ist ein Indiz dafür, dass die Probleme im Sekundarschulsystem und in den damit verbundenen Selektionsmechanismen zu suchen sind (Auernheimer). Zur Veranschaulichung: Ein Kind aus einer Familie ohne Migrationshintergrund hat nach der vierten Klasse fünf Mal größere Chancen, für das Gymnasium vorgeschlagen zu werden, als ein Migrationskind. Selbst bei vergleichbarer sozialer Herkunft sowie gleicher Lesekompetenz sind die Chancen der Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund auf eine Empfehlung fürs Gymnasium um den Faktor 1,7 besser.
Vergleich: PISA und IGLU
Der Vergleich zwischen den Ergebnissen von PISA und IGLU zeigt, dass zwischen den wissenschaftlich ermittelten Kompetenzniveaus und den Übergangsempfehlungen der Grundschulen sowie der tatsächlichen Aufteilung nach Schularten kaum ein Zusammenhang besteht. Beide Studien stellen eine große Überschneidung der Leistungen mit einer Streuung über mehrere Kompetenzstufen fest. Das heißt beispielsweise, dass 10 Prozent der besten Schülerinnen und Schüler aus der Hauptschule nach den Testwerten der PISA-Studie sogar zum mittleren Leistungsbereich am Gymnasium gehören würden. Die Fragwürdigkeit der Aufteilung nach Schulformen und die offenbar wenig leistungsgerechte Verteilung auf die verschiedenen Bildungsgänge nehmen im Hinblick auf Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien zu. Es handelt sich um eine soziale Auslese mit Ethnisierungseffekten, in der sich die Kombination von Unterschichtzugehörigkeit und nicht-deutscher Familiensprache als besonders nachteilig auswirkt.