Irreguläre Migration
Es wird geschätzt, dass irreguläre Wanderungen, also die Zu- oder Abwanderung oder der Aufenthalt ohne die Genehmigung des betreffenden Staates, zu den weltweit am schnellsten wachsenden Migrationsbewegungen gehören.
Es ist offensichtlich, dass es sich bei irregulärer Migration um ein globales Phänomen handelt. In den Industriestaaten weckt die irreguläre Migration wie kaum eine andere Wanderungsform Ängste vor zusätzlicher Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, vor einer Belastung der Sozialsysteme, vor einem Anstieg der Kriminalität und vor einer Erosion der staatlichen Kontrolle über die Grenzen. Meist wird den Regierungen vorgeworfen, nicht genug gegen die irreguläre Zuwanderung zu unternehmen. Tatsächlich aber bemühen sich viele Regierungen seit langem intensiv um eine Reduzierung dieser Zuwanderung und investieren erhebliche Mittel in die nationalen Steuerungsinstrumente.
Gleichwohl haben die Industriestaaten es bislang nicht vermocht, die irreguläre Migration nachhaltig zu reduzieren, und es ist zu erwarten, dass dies auch in Zukunft nicht gelingen wird. Eine Triebkraft für diese Wanderungen sind die wirtschaftlichen und demographischen Entwicklungsunterschiede zwischen den Staaten und Regionen der Welt. Diese Diskrepanzen werden aller Wahrscheinlichkeit nach weiter zunehmen, und als Folge werden noch mehr Menschen als bisher wünschen, in den Industriestaaten leben und arbeiten zu können. Bislang ist die Aufnahmebereitschaft aller Industrieländer aber sehr begrenzt, und keine Regierung eines Industriestaats hat erkennen lassen, dass sie eine weitgehende Öffnung der Grenzen für Immigranten beabsichtigt. Nur sehr wenige Staaten überhaupt befürworten eine vorsichtige Ausweitung der Zuwanderung.
Die Industriestaaten als die bisherigen Hauptzielländer irregulärer Migration müssen daher weiter nach Strategien für den Umgang mit diesen Wanderungsbewegungen suchen. Aber auch für viele weniger entwickelte Staaten stellen irreguläre Wanderungen ein zunehmendes Problem dar.
Ein wesentlicher Grund ist die restriktive Zuwanderungspolitik der Industriestaaten. So gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der Verschärfung der Grenzkontrollen in den Industrieländern und der Zahl der Migranten in den weniger entwickelten Staaten. Viele Migranten, die diese Staaten nur als Transitstationen betrachten und in die Industriestaaten weiterwandern wollen, es aber wegen der Zugangsbeschränkungen nicht können, sehen sich gezwungen, länger als beabsichtigt oder sogar dauerhaft dort zu bleiben. Die Transitstaaten werden damit faktisch selbst zu Aufnahmestaaten für irreguläre Migranten.
Einige dieser Länder, beispielsweise die nordafrikanischen Staaten, sehen schon jetzt ihre Aufnahmekapazität als erschöpft an, befürchten Destabilisierungen und versuchen, die Zuwanderung zu reduzieren. Häufig handelt es sich dabei um Staaten, die bisher ihre Grenzen nicht kontrolliert und die Zuwanderung weitgehend und in allen möglichen Formen toleriert haben. Diese Staaten bemühen sich nun ihrerseits, Grenzregime aufzubauen – auch wenn sie, wie einige westafrikanische Staaten, zu einem historisch zusammenhängenden Wanderungsraum mit traditionell durchlässigen Grenzen und erheblicher Binnenmigration gehören. Eine solche Entwicklung reduziert die Chancen für Migranten, diese Staaten als Transitstaaten zu nutzen, und es setzt der gleiche Mechanismus ein, der seit der Verschärfung der Grenzkontrolle an den EU-Außengrenzen zu beobachten ist: Die Migranten nehmen längere, kostspieligere und gefährlichere Wege in Kauf, um an ihr Ziel zu gelangen.
Zweifellos stellen irreguläre Wanderungen eine besondere politische Herausforderung dar. Sie höhlen die staatliche Souveränität aus, stellen die Legitimität des Regierungshandelns in Frage und bringen zahlreiche Risiken für die staatliche, gesellschaftliche und individuelle Sicherheit mit sich. Herkunfts-, Transit- und Aufnahmeländer haben ebenso wie die Akteure in den Ländern, beispielsweise Staat, Unternehmen, Gewerkschaften und Haushalte, in Bezug auf irreguläre Migration unterschiedliche Interessen. Diese Unterschiede erschweren einen nationalen und internationalen Interessenausgleich. Hinzu kommen rechtliche und andere Rahmenbedingungen, welche die Handlungsmöglichkeiten der Staaten beschränken.
Über diese grundsätzlichen Schwierigkeiten hinaus sind irreguläre Wanderungen für die Staaten mit spezifischen Gefahren verbunden. In politischer Hinsicht gehört dazu, dass eine Regierung das Vertrauen der Öffentlichkeit in ihre Handlungsfähigkeit riskiert, wenn sie die Reduzierung der irregulären Zuwanderung verspricht, ihr dies aber nicht gelingt. In wirtschaftlicher Hinsicht kann irreguläre Migration negative Folgen für den Arbeitsmarkt, die Arbeitseinkommen, die Arbeitsbedingungen, die Arbeitsproduktivität und die Wirtschaftsstruktur eines Landes haben. Allerdings bietet sie den Staaten, Unternehmen, Haushalten und nicht zuletzt den Migranten selbst auch erhebliche Vorteile, und wird daher in manchen Staaten auch weitgehend geduldet.