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Monatsrückblick – August 2020 | Migrationspolitik – Monatsrückblick | bpb.de

Monatsrückblick – August 2020

Anne Lisa Carstensen

/ 5 Minuten zu lesen

Was ist in der Migrations- und Asylpolitik im letzten Monat passiert? Wie haben sich die Flucht- und Asylzahlen entwickelt? Wir blicken zurück auf die Situation in Deutschland und Europa.

Aus Seenot gerettete Migranten auf einem Schiff der britischen Küstenwache im Hafen von Dover, 11.06.2020. Immer wieder geraten Flüchtlingsboote auf der gefährlichen Passage im Ärmelkanal in Seenot. (© picture-alliance, empics | Gareth Fuller)

Asylzahlen weiterhin deutlich unter Vorjahresniveau

Die Zahl der im ersten Halbjahr in Deutschland Externer Link: gestellten Asylanträge liegt deutlich unter den Vorjahren. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurden im ersten Halbjahr 2020 (Januar bis Ende Juni) 54.798 Asylanträge verzeichnet, davon waren 47.309 Erstanträge und 7.489 Folgeanträge. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2019 waren insgesamt 165.938 Anträge gestellt worden, 2018 waren es 185.853.

Im Juli 2020 stellten 7.588 Personen erstmals einen Antrag auf Asyl in Deutschland. Dies sind rund 38 Prozent weniger als im selben Monat im Vorjahr (Juli 2019: 12.298). Anträge wurden am häufigsten durch Menschen aus Syrien, Irak und Afghanistan gestellt. Auch die Anzahl der Folgeanträge lag mit 1.277 fast 30 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor (Juli 2019: 1.810).

Streit um Landesprogramme zur humanitären Aufnahme von Geflüchteten

Die Bundesländer Berlin und Thüringen erwägen eine gemeinsame Klage gegen den Bund, nachdem ihnen das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) Ende Juli das notwendige Einvernehmen für landeseigene Programme zur Aufnahme von Geflüchteten verweigert hatte. Die beiden durch rot-rot-grüne Koalitionen (SPD, Linke, Grüne) regierten Länder hatten eigene Programme zur humanitär begründeten Aufnahme von 500 Personen in Thüringen und 300 Personen in Berlin aus Interner Link: griechischen Flüchtlingslagern aufgelegt. Beide Länder hatten wiederholt ihre Aufnahmebereitschaft über die Zusagen des Bundes hinaus bekräftigt. Die Bundesregierung hatte entschieden, insgesamt 243 kranke Kinder und ihre Familien aus Griechenland zu übernehmen.

Landeseigene Programme zur Aufnahme von Geflüchteten bedürfen Externer Link: nach dem Aufenthaltsgesetz (§ 23) des "Einvernehmens" mit dem BMI. Dieses hat das Ministerium mit Hinweis auf die "Wahrung der Bundeseinheitlichkeit" bei der Aufnahme Geflüchteter abgelehnt. Während bei den Landesprogrammen aus humanitären Gründen direkt Aufenthaltstitel erteilt würden, durchlaufen Schutzsuchende bei Bundesprogrammen ein ergebnisoffenes Asylverfahren.

Da die Dauer und Erfolgsaussichten einer gemeinsamen Klage unklar sind, streben einige Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen die Einrichtung einer Bund-Länder-Konferenz zu Regelung von Aufnahmeprogrammen an. Zudem wollen einige SPD-geführte Länder sowie die Regierung Nordrhein-Westfalens das direkte Gespräch mit Bundesinnenminister Horst-Seehofer (CDU) suchen. Dieser signalisierte Ende des Monats dafür seine Bereitschaft, betonte aber, dass die Entscheidung über die Aufnahme von Geflüchteten aus seiner Sicht eine Bundesangelegenheit sei. Zugleich wiederholte er seine Forderung nach einer gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik im Rahmen derer die Entscheidung über Asyl an die EU-Außengrenzen verlagert werden soll.

Seenotrettung – auch im Ärmelkanal

Immer mehr Migrantinnen und Migranten versuchen, über den Ärmelkanal von Frankreich nach Großbritannien zu gelangen. Seit Jahresbeginn sollen etwa 4.000 Menschen die Meerenge mit kleinen Booten überquert haben. Alleine im August hätten rund 1.500 Personen so die britische Küste erreicht, berichtet unter anderem die BBC. Die britische Regierung warf den französischen Behörden vor, die illegalen Überfahrten über den Ärmelkanal nicht entschieden genug zu bekämpfen.

Die etwa 35 Kilometer lange Strecke gilt aufgrund ihres hohen Schiffahrtaufkommens als gefährliche Passage. Immer wieder rettet die französische Küstenwache Personen, die im Ärmelkanal in Not geraten. So wurden am 14. August 38 Menschen, unter ihnen insgesamt zehn Kinder aus Schlauchbooten gerettet, die nördlich der französischen Stadt Sangatte nahe Calais im Wasser trieben. Tags darauf wurden 31 Personen aus nicht seetauglichen Booten aufgenommen.

Mitte des Monats verstärkte die britische Regierung die militärische Präsenz von Marine und Luftwaffe im Ärmelkanal. Bereits seit Herbst 2019 gibt es zudem ein Übereinkommen zwischen Frankreich und Großbritannien zur Sicherung der Grenzregion, in dessen Rahmen Großbritannien die französische Grenzschutzpolizei finanziell unterstützt.

Der Grenzschutz im Ärmelkanal spielt auch für die zukünftigen Beziehungen Großbritanniens zur EU eine Rolle. Mit dem Ende einer Übergangsperiode nach dem Brexit verlässt das Land ab 2021 auch das Interner Link: Dublin-Abkommen, das Rückführungen innerhalb der EU regelt.

Mehr Geflüchtete in Privatwohnungen: Ergebnisse einer Studie des BAMF

Eine Studie des Forschungszentrum Migration, Integration und Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) hat die aktuelle Externer Link: Wohnsituation Geflüchteter in Deutschland untersucht. Auf Grundlage einer repräsentativen Befragung kommen die Autorinnen und Autoren zu dem Ergebnis, dass 2018 rund 75 Prozent der in Deutschland lebenden Geflüchteten in Privatwohnungen lebten – 21 Prozentpunkte mehr als noch 2016. Erklärt wird das unter anderem mit der Zahl der neu ankommenden (meist zunächst in Interner Link: Sammelunterkünften untergebrachten) Flüchtlingen, die 2018 deutlich geringer war. Die Studie legt auch offen, dass mehr als die Hälfte der Befragten (55 Prozent) nach eigenen Angaben bei der Wohnungssuche Hilfe erhielten.

Bezüglich der Wohnlage zeigt sich, dass – ähnlich wie in den Vorjahren – rund 72 Prozent der Geflüchteten in Privatwohnungen 2018 in städtischen Regionen lebten. Die befragten Personen lebten in erster Linie in Mehrfamilienhäusern in Haushalten mit durchschnittlich 4,1 Personen und einer Wohnfläche von 28 m² pro Person. (Zum Vergleich: Laut Statistischem Bundesamt standen 2018 in privaten Haushalten in Deutschland im Durchschnitt rund 46 m² pro Person zur Verfügung.) Die durchschnittliche Miete wurde mit 682 Euro beziffert – etwa 13,5 Prozent mehr als drei Jahre zuvor.

Ein weiteres Ergebnis der Studie: Rund 38 Prozent der Befragten mussten bei der Wahl ihres Wohnsitzes Interner Link: behördliche Auflagen berücksichtigen (Residenzpflicht). Besonders hoch war dieser Anteil unter den Geduldteten, von denen nur drei Prozent ihren Wohnort frei wählen konnten. Dies hat Auswirkungen darauf, ob die Menschen in privaten Wohnungen oder Gemeinschaftsunterkünften leben: Nur 30 Prozent derjenigen, deren Wohnsitz Auflagen unterliegt, lebten 2018 in einer Privatwohnung.

Was vom Monat übrig blieb…

Mitte August ertranken 45 Personen vor der libyschen Küste. 37 weitere Personen konnten gerettet werden. Externer Link: Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und die internationale Organisation für Migration (IOM) sprachen vom größten Schiffsunglück vor der libyschen Küste 2020 und kritisierten die rechtliche und logistische Einschränkung der Seenotrettung.

Die Wiedereinführung der bayerischen Grenzpolizei im Frühjahr 2018 verstößt in Teilen gegen die Bayerische Landesverfassung. Das hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof Externer Link: Ende August entschieden. Die bayerische Grenzpolizei war durch Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) eingeführt worden und sollte vor allem Zuwanderung kontrollieren. Der Verfassungsgerichtshof dagegen argumentierte, Grenzschutz sei Aufgabe des Bundes, daher dürfe die bayerische Grenzpolizei nur im Rahmen der Amtshilfe für die eigentlich zuständige Bundespolizei agieren.

2019 wurden deutlich mehr Menschen aus Deutschland ausgewiesen als in den Vorjahren. Dies geht aus den Externer Link: Antworten der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Abgeordneten der LINKEN hervor. Wurden 2018 insgesamt 7.408 Personen ausgewiesen, waren es 2019 11.081 Ausweisungen. Bei einer Ausweisung wird einer Person ohne deutsche Staatsangehörigkeit der Aufenthaltstitel entzogen – z.B. dann, wenn angenommen wird, dass sie eine Straftat begangen hat.

Alle Monatsrückblicke zur Migrationspoltitik finden Sie Interner Link: in unserer Übersicht.

Fussnoten

Dr. Anne Lisa Carstensen ist Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) an der Universität Osnabrück. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Feldern Arbeit, Migration, globale Produktionszusammenhänge und Gewerkschaften. Sie promovierte mit einer Arbeit über Moderne Sklavenarbeit in Brasilien. Email: E-Mail Link: anne.lisa.carstensen@uni-osnabrueck.de