Auf der anderen Seite des Grenzzauns

Regelmäßig üben Menschenrechtsorganisationen scharfe Kritik an der Ausübung der Grenzüberwachung. Flüchtlinge, die es in die EU schafften, berichteten der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch, dass uniformierte Personen aus Italien und Libyen sie auf offener See in ihren seeuntauglichen Booten zur Rückkehr zwangen. In Libyen wurden die Rückkehrer in Lager gebracht [2] Ähnliche Ereignisse finden regelmäßig ihren Weg in die Presse.[3]
Für großes Aufsehen sorgte ein Abkommen, das zunächst Italien 2003 mit Libyen schloss, welches seinerzeit noch von Muammar al-Gaddafi regiert wurde.[4] Diese Kooperation wurde von der EU 2004 fortgesetzt, kurz nachdem sie ein langjähriges Embargo [5] aufgehoben hatte. Über das Programm AENEAS unterstützte die EU u.a. Libyen finanziell; das gesamte Programm AENEAS hatte zwischen 2004 und 2006 rund 120 Millionen Euro zur Verfügung. Ziel von AENEAS war es, "Migrationsbewegungen besser zu regulieren". Dazu gehört die technische Aufrüstung der Grenzüberwachung, die Ausbildung von Grenzpersonal sowie die Unterstützung "freiwilliger Rückkehr" von irregulär in Libyen lebenden Personen. Kritisiert wurde an diesem Abkommen nicht nur, dass die EU andere Staaten für die Einwanderungskontrolle bezahlte, sondern dass sie überhaupt Geschäfte mit Machthabern bzw. mit einem Land machte, gegen das die EU selbst noch bis 2004 ein Embargo verhängt hatte [6] Die Kritik an der Zusammenarbeit der EU mit Libyen verschärfte sich in den Jahren 2010 und 2011 als Libyen sich auf Wunsch und mit finanzieller Unterstützung der EU noch stärker in der Flüchtlingsabwehr engagierte [7] im Februar 2012 verurteilte schließlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) das Handeln der italienischen Küstenwache, die im Jahr 2009 über 200 Personen auf offener See aufgriff und sie ohne Prüfung ihres Flüchtlingsstatus’ nach Libyen zurückschickte. Den Flüchtlingen drohte bei ihrer Rückkehr in Libyen Folter.[8] Dieses Urteil wird auch Konsequenzen für die Arbeit von Frontex haben.[9]
Doch nicht nur die Menschenrechte und Werte der Flüchtlinge werden zuweilen missachtet. Auch die Rechte der EU-Bürger sind bei einer zunehmenden Automatisierung der Grenzübertritte Missbrauch ausgeliefert. Beschränkten sich bisher die Informationen in Pässen und Visa auf Name, Anschrift, Geburtsdatum, Körpergröße und Augenfarbe, so erlaubt es die neue biometrische Technik, weitaus mehr Informationen zu speichern. Vor allem ist der Zugriff auf diese Daten, nicht erst seit dem NSA-Skandal, die Achillesferse eines jeden Informationssystems. Auch bei der Überwachung der Grenzen durch Eurosur, das ja nicht nur irregulär einreisende Migranten sondern alle Personen überwacht, stellen sich elementare datenschutzrechtliche Fragen.
Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers "Frontex und das Grenzregime der EU".