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Flüchtlingszahlen weltweit: Kein Rückgang in Sicht | Das Jahr 2015: Flucht und Flüchtlinge im Fokus – ein Rückblick | bpb.de

Das Jahr 2015: Ein Rückblick Fluchtmigration: Hintergründe Verwaltungs- und Infrastrukturkrise EU: Reaktionen auf die Fluchtzuwanderung Flüchtlingszahlen weltweit

Flüchtlingszahlen weltweit: Kein Rückgang in Sicht

Vera Hanewinkel

/ 3 Minuten zu lesen

Deutschland und andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union werden auch im nächsten Jahr eine hohe Fluchtzuwanderung erleben. Angesichts der politischen Entwicklungen in vielen Ländern der Welt ist mit einem Rückgang der Zahl der Menschen, die weltweit vor Krieg, Not und Verfolgung fliehen, derzeit nicht zu rechnen.

Eine syrische Familie wartet im Registrierungsbüro des UNHCR-Hauptquartiers in Amman, Jordanien, um sich für ein kanadisches Flüchtlingsprogramm anzumelden. Die kanadische Regierung hat ein Programm zur beschleunigten Umsiedlung syrischer Flüchtlinge gestartet. (© picture-alliance/AP)

Weltweit sind nach Externer Link: Angaben des UNHCR im Jahr 2015 60 Millionen Menschen auf der Flucht. 19,5 Millionen davon haben als sogenannte "internationale Flüchtlinge" ihre Heimat verlassen und Schutz in einem anderen Land gesucht. Hinzu kommen 1,8 Millionen Menschen, die sich noch im Asylverfahren befinden, bei denen also noch nicht feststeht, ob sie humanitären Schutz erhalten (vgl. Abbildung 5). Blickt man auf die aktuellen Entwicklungen in den Hauptherkunftsländern internationaler Flüchtlinge – unter anderem Syrien, Afghanistan, Somalia – so scheint ein Rückgang der weltweiten Fluchtbewegungen in naher Zukunft nicht in Sicht, auch wenn sich die internationale Gemeinschaft verstärkt die Bekämpfung der "Fluchtursachen", auch mit militärischen Mitteln, auf die Fahnen schreibt. Erst seit der syrische Bürgerkrieg Millionen Menschen dazu bewegt hat, sich auf den Weg nach Europa zu machen, erst seit der Terrorismus des radikalen sogenannten "Islamischen Staates" (IS) in Form der brutalen Externer Link: Anschläge von Paris im Herzen des "alten Kontinents" angekommen ist, suchen auch die EU-Mitgliedstaaten mit Nachdruck nach Strategien zur Beendigung der blutigen Auseinandersetzungen in Syrien, insbesondere zur Bekämpfung der extremistischen Interner Link: Terrormiliz IS. Anfang September 2014 hatte sich unter Führung der USA eine Anti-IS-Koalition gegründet, die inzwischen rund 60 Länder umfasst, darunter auch Deutschland. Beschränkte sich die deutsche Mission zunächst auf die Belieferung der kurdischen Interner Link: Peschmerga mit Waffen und die Ausbildung dieser Kämpfer, so beschloss der Bundestag Anfang Dezember, bis zu 1.200 deutsche Soldaten in den Kampfeinsatz nach Syrien zu schicken. Ist der Einsatz laut Mandat zunächst auf ein Jahr beschränkt, so geht der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, André Wüstner, bereits davon aus, dass der Kampf gegen den IS weit über zehn Jahre andauern könnte. Als problematisch sehen Beobachter dabei, dass die Mitglieder der Anti-IS-Koalition alle sehr unterschiedliche Ziele und Interessen in Syrien verfolgen. Allein das Beispiel Syrien zeigt somit, dass die globalen Fluchtbewegungen andauern werden.

Ausblick

Abbildung 5: Entwicklung der weltweiten Flüchtlingszahlen 2005-2014 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Wie viele der Menschen, die Zuflucht in anderen Ländern suchen, in den kommenden Jahren Asyl in Deutschland beantragen werden, lässt sich nicht seriös beziffern, da diese Entwicklung von sehr vielen unterschiedlichen Faktoren und Fragen abhängt, von denen hier nur einige genannt werden können: Führt die EU-Kooperation mit der Türkei und anderen Staaten sowie die verstärkte Sicherung der Außengrenzen dazu, dass Flüchtlinge zunehmend davon abgehalten werden, in die EU zu gelangen? Verbessert sich die Situation syrischer Flüchtlinge in Syriens Nachbarländern durch gezielte entwicklungspolitische Maßnahmen und höhere Zuwendungen an internationale Hilfsorganisationen wie den UNHCR? Schaffen die EU-Mitgliedstaaten legale Zuwanderungsmöglichkeiten, damit das Asylsystem nicht mehr als einziger Weg erscheint, nach Europa zu migrieren? Erhöhen Länder außerhalb Europas wie die USA, Kanada und Australien ihre Resettlement-Kontingente, um Flüchtlinge aus den Nachbarländern von Krisenherden aufzunehmen und diese dadurch zu entlasten? Einigen sich die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten doch noch auf einen verbindlichen Schlüssel zur Verteilung von Asylsuchenden in Europa? Bleiben die Binnengrenzen im Schengen-Raum offen oder fällt die große Idee der offenen Grenzen und des freien Personenverkehrs langfristig einer Wiedereinführung nationaler Grenzsicherungs- und Abschottungsbestrebungen zum Opfer?

Dies sind keine Fragen, auf die es einfache Antworten gibt. Und es sind große Errungenschaften wie das Schengen-Abkommen und Menschenrechte, die von den Antworten auf diese Fragen abhängen. Auch wenn Deutschland (und andere EU-Staaten) zahlreiche nationale Ad-hoc-Maßnahmen ins Leben gerufen haben, so ist die Flüchtlingsfrage doch eine globale Frage, auf die auch nur globale Antworten gefunden werden können.

Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: Jahresrückblick Migration 2015.

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Vera Hanewinkel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück und Redakteurin bei focus Migration.
E-Mail Link: vera.hanewinkel@uni-osnabrueck.de