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Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Zuwanderung

Andreas Steinmayr

/ 7 Minuten zu lesen

Hat Zuwanderung negative Auswirkungen auf die Beschäftigung und die Löhne von Einheimischen? Wie wirkt sie sich auf die öffentlichen Finanzen, das Wirtschaftswachstum und die Produktivität aus? Ergebnisse aus der Wirtschaftsforschung.

Junge MigrantInnen in Chemnitz bei der Berufsausbildung zum sogenannten Mangelberuf Mechatroniker. (© picture-alliance/dpa)

Der Anteil der im Ausland geborenen Bevölkerung in den Interner Link: OECD-Ländern stieg im Durchschnitt von 7 Prozent im Jahr 1990 auf mehr als 12 Prozent im Jahr 2019. In Ländern wie Deutschland und den USA sind rund 15 Prozent der Bevölkerung im Ausland geboren, in Australien oder der Schweiz sind es fast 30 Prozent.

In diesem Zusammenhang gibt es in vielen Ländern polarisierte Debatten über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Zuwanderung. Auf der einen Seite befürchten einige, dass MigrantInnen den Einheimischen die Arbeitsplätze wegnehmen, die Löhne unter Druck setzen und ihre Zuwanderung sich negativ auf die öffentlichen Finanzen auswirken könnte. Auf der anderen Seite betrachten BefürworterInnen von Zuwanderung diese als wichtig für die Interner Link: Sozialsysteme in alternden Gesellschaften und behaupten, dass Zuwanderung Wirtschaftswachstum und Produktivität fördere.

Dieser Artikel gibt einen kurzen Einblick in die Forschung zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Einwanderung in OECD-Ländern. Dabei werden sowohl theoretische Überlegungen als auch Interner Link: empirische Erkenntnisse berücksichtigt. Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Zuwanderung empirisch zu messen ist eine Herausforderung, da dies den Vergleich der beobachteten Ergebnisse mit geschätzten kontrafaktischen Ergebnissen erfordert. Zum Beispiel: wie hoch wäre die Arbeitslosigkeit unter Einheimischen gewesen, wenn die Zuwanderung höher oder niedriger ausgefallen wäre, als die tatsächlich erlebte? Diese Größe ist naturgemäß nicht direkt beobachtbar. Ein unten beschriebenes Beispiel soll veranschaulichen, wie versucht wird, solche Fragen dennoch zu beantworten.

Effekte von Zuwanderung auf Löhne und Beschäftigung

In einem einfachen Modell des Arbeitsmarktes kommt Zuwanderung einer Ausweitung der Zahl der Arbeitskräfte gleich. Das zusätzliche Arbeitsangebot würde in der Regel dazu führen, dass Löhne sinken und Arbeitslosigkeit steigt. Dieses einfache Modell berücksichtigt jedoch nicht, dass Zuwanderung noch weitere Veränderungen nach sich zieht. MigrantInnen bieten nicht nur ihre Arbeitskraft an, sondern fragen auch Güter und Dienstleistungen nach. Aus dem zusätzlichen Bedarf resultiert wiederum mehr Nachfrage nach Arbeit. Auch berücksichtigt dieses einfache Modell nicht, dass Zuwanderung zu zusätzlichen Investitionen führt, die den Interner Link: Kapitalstock vergrößern. Die öffentliche Hand baut Infrastruktur aus und Firmen investieren in zusätzliche Betriebe und Maschinen. Wichtig ist daher eine Unterscheidung in kurz- und langfristige Effekte. Kurzfristig können negative Arbeitsmarkteffekte auftreten. Nach einer Anpassung des Kapitalstocks ist die Gesamtwirtschaft jedoch insgesamt größer und die Durchschnittslöhne sind ähnlich hoch wie vor der Zuwanderung.

Eine tiefergehende Betrachtung muss zudem berücksichtigen, dass der Effekt nicht nur von der Zahl der zugewanderten Personen, sondern auch deren Eigenschaften (Qualifikation, Alter, ...) abhängt. So hat beispielsweise die Zuwanderung geringqualifizierter MigrantInnen einen negativen Effekt auf den Lohn geringqualifizierter Arbeitskräfte, da diese mit den MigrantInnen direkt um Arbeitsplätze konkurrieren. Auf den Lohn höherqualifizierter Arbeitskräfte gibt es aber einen positiven Effekt, da deren Qualifikation zu jener der MigrantInnen komplementär ist, sich die Qualifikationen also ergänzen, statt miteinander in Konkurrenz zu treten. Durch eine Veränderung der Qualifikationsstruktur der Arbeitskräfte kann Zuwanderung daher Einfluss auf die Lohnstruktur über alle Qualifikationsgruppen hinweg haben. Ein zusätzlicher Aspekt ist, dass die Qualifikationen von Einheimischen und MigrantInnen keine perfekten Substitute sind, sich die Qualifikationen also nicht eins zu eins entsprechen. So haben Einheimische bessere Kenntnisse der jeweiligen Landessprache, wodurch es zu einer Spezialisierung kommen kann: MigrantInnen mit niedriger Qualifikation spezialisieren sich eher auf manuelle, jene mit hoher Qualifikation auf mathematiklastige und analytische Tätigkeiten, während einheimische Arbeitskräfte eher kommunikationsorientierte Tätigkeiten ausführen. Je geringer der Grad der Substituierbarkeit und je größer die Möglichkeit zur Spezialisierung, desto geringer sind die zuwanderungsbedingten Arbeitsmarkteffekte für Einheimische.

Eine Vielzahl empirischer Studien untersucht, wie groß die oben beschriebenen Effekte tatsächlich sind. David Card – Wirtschaftsnobelpreisträger 2021 – führte 1990 eine der ersten und sehr bekannten empirischen Studien zu den Arbeitsmarkteffekten von Zuwanderung durch. Dabei untersuchte er die Konsequenzen des Mariel boatlift: Im Jahr 1980 erlaubte Interner Link: Fidel Castro auswanderungswilligen KubanerInnen den Hafen von Mariel zu verlassen. Mehr als 100.000 entschieden sich in das nahegelegene Miami zu migrieren, wodurch die Erwerbsbevölkerung der Stadt an der Südspitze Floridas in kurzer Zeit um etwa sieben Prozent wuchs. Um die Auswirkungen dieses Arbeitsangebotsschocks abzuschätzen, vergleicht Card die Entwicklung von Löhnen und Beschäftigung in der Zeit nach der Einwanderungsepisode mit denen in Vergleichsstädten. Da sich Löhne und Beschäftigung in Miami sehr ähnlich entwickelten wie in den Vergleichsstädten, schloss Card daraus, dass die Zuwanderung aus Kuba keine negativen Arbeitsmarkteffekte bedingte. Diese Studie wird auch heute noch intensiv diskutiert und ihre Ergebnisse hinterfragt. Sie illustriert jedoch anschaulich, wie man durch das Heranziehen einer Vergleichsgruppe das kontrafaktische Ergebnis schätzen und damit einen kausalen Effekt identifizieren kann.

Fiskalische Effekte

Ein anderer häufig diskutierter, aber im Vergleich zu den Arbeitsmarkteffekten noch weniger erforschter Bereich, sind die Auswirkungen von Zuwanderung auf Interner Link: öffentliche Finanzen. Auf der einen Seite stehen Befürchtungen, dass MigrantInnen das Sozialsystem überdurchschnittlich beanspruchen würden. Auf der anderen Seite steht die Hoffnung, dass gerade durch Zuwanderung die durch zunehmende Alterung der Gesellschaft bedrohte Finanzierung des Sozialsystems gesichert werden kann.

Die fiskalische Wirkung von Zuwanderung hängt von verschiedenen Faktoren ab. Entscheidende Bedeutung hat die Altersstruktur der zugewanderten Personen. MigrantInnen, die nach Ende ihrer Ausbildung, aber relativ am Beginn ihres Erwerbslebens zuwandern, haben in der Regel einen positiven fiskalischen Effekt. Sie zahlen über einen langen Zeitraum mehr Steuern und Abgaben als der Wert der Leistungen beträgt, die sie beziehen. Mit höherem Alter nimmt in der Regel der Bezug von Leistungen zu (Rente, höhere Kosten der Gesundheitsvorsorge, ...), wodurch Zuwanderung in höherem Alter zu einem negativeren fiskalischen Effekt führt.

Neben den Eigenschaften der MigrantInnen spielen auch die Institutionen im Zielland eine Rolle. Je schneller neu zugewanderte Personen in Beschäftigungsverhältnisse kommen, die ihrem Qualifikationsniveau entsprechen, desto positiver ist der fiskalische Effekt. Als Beispiel seien Probleme bei der Interner Link: Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen genannt. Diese führen oftmals dazu, dass MigrantInnen in Berufen unter ihrem Qualifikationsniveau arbeiten und dadurch einen geringeren Beitrag zum Steuer- und Sozialsystem leisten.

Effekte auf Wirtschaftswachstum und Produktivität

Darüber hinaus beschäftigen sich Studien mit der Frage, wie sich Zuwanderung auf Wirtschafts- und Produktivitätswachstum auswirkt. Eine besondere Rolle spielt dabei internationaler Handel. Durch ihre Netzwerke, Sprachkenntnisse und Wissen um Kultur und Institutionen in ihren Herkunftsländern, können MigrantInnen die Kosten, Handel zu treiben, signifikant senken. Empirische Studien bestätigen dies und zeigen, dass die Zuwanderung aus einem bestimmten Land zu einer Erhöhung der Exporte in dieses Land führen. Ähnliches gilt für Investitionen.

Zuwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften wirkt sich positiv auf Forschung und Innovation und damit auch auf Produktivität und Löhne aus. Mehrere empirische Studien zeigen, dass die Zahl von Patentanträgen als Folge von hochqualifizierter Zuwanderung steigt. Eine große Rolle spielt dabei das Einbringen von Wissen und Fähigkeiten aus dem Herkunftsland, sogenannte knowledge spillovers.

Zusammenfassung

Die wirtschaftlichen Effekte von Zuwanderung sind vielfältig und vom jeweiligen Kontext abhängig. So lässt sich z.B. sagen, dass die Auswirkungen von Zuwanderung auf den Durchschnittslohn und die Beschäftigung der einheimischen ArbeitnehmerInnen mittel- bis langfristig null oder leicht positiv sind. Da Anpassungen jedoch Zeit brauchen, können die unmittelbaren Arbeitsmarkteffekte negativ sein. Zuwanderung kann auch Auswirkungen auf die Einkommensverteilung haben, die sich aus der Qualifikationszusammensetzung der MigrantInnen ergibt.

Auch fiskalische Effekte sind von den Eigenschaften der MigrantInnen abhängig, insbesondere von Alter und Qualifikation. Eine Rolle spielt aber auch das Arbeitsmarkt- und Sozialsystem in den Zielländern, welches beeinflusst, wie schnell und erfolgreich die Interner Link: Integration in den Arbeitsmarkt gelingt.

Darüber hinaus beschäftigt sich die Forschung aktuell mit einer Reihe indirekter Effekte von Migration, wie etwa Auswirkungen auf internationalen Handel und Investitionen oder Innovation. Hier deuten die vorliegenden Ergebnisse auf generell wachstumsfördernde Effekte von Migration hin.

Quellen

Bahar, Dany/Choudhury, Prithwiraj/Rapoport, Hillel (2020): Migrant inventors and the technological advantage of nations. Research Policy, 49(9), 103947.

Card, David (1990): The impact of the Mariel boatlift on the Miami labor market. ILR Review 43(2), 245–57.

Edo, Anthony/Ragot, Lionel/Rapoport, Hillel/Sardoschau, Sulin/Steinmayr, Andreas/Sweetman, Arthur (2020): An introduction to the economics of immigration in OECD countries. Canadian Journal of Economics, 53(4).

Kerr, William R./Lincoln, William F. (2010): The supply side of innovation: H-1B visa reforms and US ethnic invention. Journal of Labor Economics 28(3), 473–508.

Lewis, Ethan/Peri, Giovanni (2015): Immigration and the economy of cities and regions. In: G. Duranton, J. V. Henderson, and W. C. Strange, eds.: Handbook of Regional and Urban Economics, vol. 5, pp. 625–85. Amsterdam: Elsevier.

Moser, Petra/Voena, Alessandra/Waldinger, Fabian (2014): German Jewish émigrés and US invention. American Economic Review 104(10), 3222–55.

Parsons, Christopher/Vézina, Pierre-Louis (2014): Migrant networks and trade: The Vietnamese boat people as a natural experiment. Economic Journal 128(612), F210–F234.

Peri, Giovanni (2016): Immigrants, productivity, and labor markets. Journal of Economic Perspectives 30(4), 3–29.

Peri, Giovanni/Sparber, Chad (2009): Task specialization, immigration, and wages. American Economic Journal: Applied Economics 1(3), 135–69.

Peri, Giovanni/Sparber, Chad (2011): Highly educated immigrants and native occupational choice. Industrial Relations: A Journal of Economy and Society 50(3), 385–411.

Zum Thema

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dieser Artikel orientiert sich an einer ausführlichen Literaturübersicht, die im Canadian Journal of Economics publiziert wurde (Edo et al. 2021).

  2. OECD (2021), "International migration database", OECD International Migration Statistics (database), Externer Link: https://doi.org/10.1787/data-00342-en.

  3. Lewis und Peri (2015), Peri (2016).

  4. Peri und Sparber (2009), Peri und Sparber (2011).

  5. Card (1990).

  6. z.B. Parsons und Vézina (2018)

  7. z.B. Kerr und Lincoln (2010), Moser et al. (2014), Bahar et al. (2020)

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Andreas Steinmayr für bpb.de

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Andreas Steinmayr ist Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Innsbruck und beschäftigt sich in seiner Forschung mit den Ursachen und Auswirkungen von Migration sowohl in Herkunfts- als auch in Zielländern.