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Irreguläre Migration | Italien | bpb.de

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Irreguläre Migration

Dr. Giorgia Di Muzio

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›Clandestine‹ und ›irreguläre‹ Migranten

Die irreguläre Migration war von Anfang an ein zentraler Fokus im italienischen Zuwanderungsdiskurs, weil dieser insgesamt stark von der großen Präsenz irregulärer Zuwanderer in Italien beeinflusst wird. Das italienische Recht unterscheidet zwischen 'irregulärer' und 'clandestiner' Einwanderung. Diese Unterscheidung basiert auf dem Status des Zuwanderers zum Zeitpunkt seiner Einreise. 'Clandestine' Einwanderer betreten italienisches Territorium ohne ein dafür notwendiges Visum, während 'irreguläre' Migranten zum Zeitpunkt des Grenzübertritts über ein gültiges Visum verfügen, aber nach Ablauf der Aufenthaltsgenehmigung weiter in Italien verbleiben, wodurch ihr Aufenthalt illegal wird. Die Mehrheit der illegal in Italien lebenden Migranten fällt in die Kategorie der 'irregulären' Zuwanderung. Dieses Phänomen scheint so verbreitet zu sein, dass einige Wissenschaftler davon ausgehen, dass sich fast alle Zuwanderer, die nicht aus einem EU-Mitgliedsstaat stammen, im Laufe des Migrationsprozesses zumindest für eine gewisse Zeit illegal in Italien aufgehalten haben bzw. aufhalten.

Landungen an Italiens Küsten

Zahl der Landungen an Italiens Küsten im Vergleich zur Zahl der Anträge auf internationalen Schutz (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Besondere Aufmerksamkeit ist der Landung von Migranten – unter ihnen zahlreiche Flüchtlinge - an den italienischen Küsten gewidmet worden, da sie zum Zeitpunkt ihrer Ankunft aufgrund fehlender gültiger Einreisedokumente als 'clandestine' Einwanderer gelten. Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts war geprägt von Landungen 'clandestiner' Einwanderer aus dem afrikanischen und asiatischen Raum an den Küsten Siziliens, insbesondere von Personen aus dem Irak, Liberia, dem Sudan, Marokko, Eritrea, Somalia und Äthiopien. In den Jahren 2007 und 2008 erreichten über den Seeweg insgesamt 57.000 Personen italienisches Territorium. In den Folgejahren sank die Zahl der Landungen, stieg dann aber mit dem Ausbruch des 'Arabischen Frühlings' im Jahr 2011 wieder an. Die in diesem Zusammenhang an der sizilianischen Küste sowie auf der italienischen Insel Lampedusa ankommenden Migranten stammten überwiegend aus Tunesien und Libyen. Über diese Routen gelangten allein im Jahr 2011 mehr als 50.000 Flüchtlinge nach Italien (vgl. Flucht und Asyl). Viele Migranten verloren ihr Leben auf See noch bevor sie die italienische Küste erreichten.

Umfang der irregulären Bevölkerung

Es ist nicht einfach, dass Ausmaß des Phänomens der Irregularität zu erfassen. Schätzungen beruhen auf der Zahl der Fälle irregulärer Migration, die im Kontext von Legalisierungen entdeckt werden sowie auf anderen indirekten Quellen wie Untersuchungen des Arbeitsministeriums über illegale Beschäftigung. Aktuelle Untersuchungen von ISMU (Initiativen und Studien über Multiethnizität) kommen zu dem Schluss, dass sich am 1. Januar 2011 rund 443.000 irreguläre Migranten in Italien aufhielten, ein leichter Rückgang im Vergleich zum Vorjahr, als schätzungsweise 454.000 Personen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung im Land lebten und ein starker Rückgang gegenüber 2008 (651,000 Irreguläre). Die Zahl irregulärer Migranten variiert teilweise stark von Jahr zu Jahr. Diese Fluktuation ist nicht ausschließlich auf die tatsächliche Zuwanderung von Personen ohne Aufenthaltserlaubnis zurückzuführen, sondern hängt auch von anderen Faktoren ab wie Legalisierungs-Programmen (Amnestien), einem wechselnden Aufenthaltsstatus von Personen, die sich zunächst mit einem gültigen Visum in Italien aufhalten, dann aber dessen Gültigkeitsdauer überschreiten sowie den Auswirkungen der EU-Erweiterungsrunden. Der Rückgang der Zahl irregulärer Migranten seit 2008 kann beispielsweise vor dem Hintergrund der Aufnahme von Rumänien und Bulgarien in die EU (2007) interpretiert werden.

Die Legalisierung irregulärer Migranten ist ein struktureller Bestandteil der italienischen Migrationspolitik. Angefangen in den 1980er Jahren bis heute wurden von unterschiedlichen Regierungen insgesamt fünf große Legalisierungsprogramme, sogenannte sanatorie (1986, 1990, 1995, 1998 und 2002) durchgeführt, die es mehr als 1.400.000 ausländischen Staatsangehörigen ermöglichten, ihren Aufenthaltsstatus zu legalisieren. Allein die Amnestie (sanatoria) aus dem Jahr 2002 unter dem 'Bossi-Fini'-Gesetz hat 630.000 Wanderarbeitnehmern eine legale Aufenthaltserlaubnis verschafft. Es handelte sich damit um das größte Legalisierungsprogramm, das je in Italien durchgeführt wurde.

Amnestien

Amnestien als Mittel retrospektiven Migrationsmanagements sind typisch für Mittelmeerländer und Thema kontroverser politischer Diskussionen. Es muss darauf hingewiesen werden, dass Legalisierungen eine kohärente Migrationspolitik aus verschiedenen Gründen nicht ersetzen können. Erstens gewähren sie Migranten nur einen temporären legalen Status bzw. eine zeitlich befristete Aufenthaltserlaubnis. Diese muss jährlich verlängert werden, wofür allerdings bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden müssen wie der Nachweis eines Arbeitsplatzes und einer Unterkunft. Es ist durchaus möglich, dass ein Migrant, dem es im Zuge einer Legalisierung gelungen ist, einen legalen Aufenthaltsstatus zu erhalten, wieder zurück in die Irregularität fällt, wenn er die notwendigen Voraussetzungen zur Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung nicht erfüllt. Zweitens haben nicht alle irregulären Zuwanderer einen gleichberechtigten Zugang zu den staatlichen Legalisierungsprogrammen. Tatsächlich profitieren nur diejenigen Migranten von einer Amnestie, die einen Arbeitsvertrag und damit eine reguläre Arbeitsstelle vorweisen können. Schließlich scheinen Legalisierungen eine Kettenreaktion und damit neue illegale Zuwanderung auszulösen, indem sie in der kollektiven Vorstellung der Migranten die Idee verankern, dass es früher oder später eine Möglichkeit geben wird, eine legale Aufenthaltsberechtigung zu erhalten, wenn man erst einmal in Italien lebt.

Zusammenfassend gesagt haben die Legalisierungsprogramme italienischer Regierungen einerseits dazu beigetragen, dass viele Migranten aus der Illegalität heraustreten konnten. Andererseits sind sie aber auch ein Eingeständnis der Ineffektivität existierender Migrationspolitiken und Ergebnis des Misserfolgs im Hinblick auf die Konzipierung vorausschauender Strategien zur Steuerung der Einreise und der Aufnahme von Zuwanderern. Legalisierungen können daher als 'Notfallstrategien' des Migrationsmanagements aufgefasst werden. Solange die Nachfrage nach billigen und flexiblen Arbeitskräften anhält, wird das Phänomen der irregulären Migration – einschließlich der illegalen Grenzüberschreitung, des Nicht-Vorhandenseins gültiger Visa oder Aufenthaltsgenehmigungen sowie illegaler Beschäftigung – weiterhin eine zentrale Rolle im Hinblick auf die Zuwanderung nach Italien spielen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Arango/Finotelli (2009), Caponio/Colombo (2005).

  2. Laut Schätzungen von ›Fortress Europe‹ werden seit 1994 6.226 Menschen in der Straße von Sizilien (Meerregion zwischen Sizilien und Tunesien) entlang der Routen von Libyen (von Zuwara, Tripolis oder Misrata), Tunesien (Sousse, Mahdia und Chebba) und Egypten (Gebiet von Alexandria) in Richtung der Inseln Lampedusa, Pantelleria, Malta und der südöstlichen Küste Siziliens vermisst oder verloren dort ihr Leben. Allein im Jahr 2011 starben 1.822 Personen auf diesen Seerouten oder gelten seither als vermisst.

  3. Ismu (2011a).

  4. Arango/Finotelli (2009). Hinzu kommt die Legalisierung aus dem Jahr 2009, von der ausschließlich Hausangestellte und Pflegekräfte profitierten und im Zuge derer 295.000 Anträge auf eine Legalisierung des Aufenthaltsstatus gestellt wurden (vgl. British Council/Migration Policy Group 2011).

  5. Caponio/Colombo (2005).

  6. Jahn/Straubhaar (1999).

  7. Arango/Finotelli (2009), Cnel (2008), Sciortino (2006).

Weitere Inhalte

Dr. Giorgia Di Muzio ist studierte Politikwissenschaftlerin und Soziologin. Sie promovierte an der Universität in Bologna über osteuropäische Frauen im Haushalts- und Pflegesektor in Italien.

E-Mail: E-Mail Link: giorgia.dimuzio@unibo.it