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Migrationspolitik | Russische Föderation | bpb.de

Russische Föderation 2015: Regelungen für Arbeitsmigranten Hintergrund Historische Entwicklung Migrationspolitik Integrationspolitik Irreguläre Migration Flucht und Asyl Staatsangehörigkeit Herausforderungen Literatur

Migrationspolitik

Maria Nozhenko

/ 7 Minuten zu lesen

Die Grundlagen für die aktuelle russische Migrationspolitik wurden in den frühen 1990er Jahren gelegt. Normative Akte in Russland lassen sich in "Rahmengesetze" und "Gesetze" unterscheiden. Rahmengesetze legen die allgemeinen Regulierungsprinzipien fest, während Gesetze die konkrete Anwendung dieser Prinzipien bestimmen.

Dadurch ähneln die Rahmengesetze in ihrer Bedeutung den Gesetzen anderer Länder, während russische Gesetze oft Details regeln, die westliche Länder eher in Verordnungen oder Verwaltungsanweisungen festschreiben würden.

1992 wurde das Russische Bundesamt für Migrationsdienste (Federal Migration Service - FMS) gegründet, um auf die Massenwanderungsbewegungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu reagieren. 1993 wurde das Gesetz über Flüchtlinge und das Gesetz über Vertriebene verabschiedet, aber die Migrationspolitik verfehlte ihre Wirkung, einerseits wegen mangelnder Erfahrung und Sachkenntnis im Management von Migrationsströmen, die der Staat nicht selbst initiiert oder vorab gebilligt hatte, und andererseits aufgrund der chaotischen Verhältnisse, die der Umbruch in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ausgelöst hatte.

In den späten 1990er Jahren geriet das Thema der irregulären Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten in den Blickpunkt der Öffentlichkeit (siehe auch "Irreguläre Migration"). Zu diesem Zeitpunkt schätzten russische Experten die Zahl der ohne legalen Status im Land arbeitenden Migranten auf drei bis vier Millionen. Mit ihrem Rahmengesetz über eine staatliche Migrationspolitik in der Russischen Föderation strebte die Regierung die Legalisierung dieser Arbeitsmigranten an. Damit sollte der Grundstein für eine Stabilisierung der Migrationsprozesse gelegt und der allgemeinen Bevölkerung ein positives Bild der Migranten und ihres Beitrags zur wirtschaftlichen Entwicklung vermittelt werden. Nichtsdestotrotz verfehlten dieser und weitere Versuche zur Legalisierung der Arbeitsmigration angesichts des Umfangs der Schattenwirtschaft und des informellen Arbeitsmarktes ihre Wirkung. Im Jahr 2000 wurde der FMS aufgelöst und die Verantwortung für Migrationsfragen dem Ministerium für Föderationsangelegenheiten und Migrationspolitik übertragen, das seinerseits ein Jahr später aufgelöst wurde.

Im Jahr 2002 wurde der FMS neu aufgebaut, diesmal nicht als unabhängige Instanz, sondern als Behörde innerhalb des Innenministeriums. In den folgenden Jahren wurde die Migrationspolitik in Übereinstimmung mit der öffentlichen Wahrnehmung von Migranten in der Rolle potentieller Krimineller als Sicherheitsfrage behandelt. Die Anzahl der Mitarbeiter beim FMS nahm rasch zu, von 3.000 in der Anfangsphase kletterte sie bis 2006 auf 18.000. Aufgrund fehlender Transparenz ist nicht klar, für welche Aufgaben die zusätzlichen Mitarbeiter hauptsächlich eingesetzt wurden. Gleichzeitig verschlechterten sich die Beziehungen zu Nichtregierungsorganisationen (NROs), die Migranten unterstützten, und die Kooperation mit fachkundigen Experten sank auf einen Tiefstand. 2002 wurde das Gesetz über den Rechtsstatus ausländischer Bürger in der Russischen Föderation verabschiedet. Vor der Einführung war die Hoffnung groß, dass es den Status irregulärer Migranten legalisieren, transparente Migrationskontrollmechanismen festlegen und verschiedenen Migrantengruppen einen geregelten rechtlichen Status gewähren würde. Doch anstatt diese Erwartungen zu erfüllen, errichtete es eine Reihe bürokratischer Hürden, die die Melderegeln für ausländische Bürger verkomplizierten und eine Quote für ausländische Arbeitnehmer aus Nicht-GUS-Staaten einführte. Die sich anschließende jährliche Reduzierung der Quote führte zu einem Anstieg der Zahl irregulärer Migranten und zunehmender Korruption. Diese Politik rief starke Kritik bei NROs, Menschenrechtsorganisationen und Wissenschaftlern hervor, die nicht nur die Behörden kritisierten sondern auch die negativen Auswirkungen des Gesetzes auf das Image der Migranten in der Öffentlichkeit. Die heute in Russland herrschende Fremdenfeindlichkeit ist zu einem großen Teil das Ergebnis der russischen Migrationspolitik zwischen 2002 und 2005.

Anfang 2006 erfolgte eine radikale Kehrtwende in der russischen Migrationspolitik in Richtung einer Liberalisierung. Angesichts einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung erkannte die russische Regierung in den Migranten ein wichtiges Potential für ökonomisches und demographisches Wachstum. Politische Reformen zielten in erster Linie auf die Regulierung der Immigration aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Für Bürger aus den 10 Nachfolgestaaten, die mit Russland ein Abkommen über visumsfreie Einreise abgeschlossen hatten, wurde der Zugang zu Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen erleichtert. Dadurch erhielten mehr als 1,2 Millionen Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten Arbeitsgenehmigungen: das waren doppelt so viele wie 2006 und dreimal so viele wie 2005.

Die Einführung einer zentralen Datenbank für die Registrierung aller in Russland lebenden Ausländer und die Erfassung des Grenzgeschehens zählten zu den weiteren Neuerungen der Migrationspolitik. Darüber hinaus begann Russland mit der Europäischen Union eine Kooperation in Migrationsfragen und billigte den Koordinierten Plan für einen gemeinsamen Raum des Friedens, der inneren Sicherheit und des Rechts im Mai 2005. Am Deutlichsten lässt sich die Auswirkung dieser Kooperation an den zwei russisch-europäischen Abkommen über Visumserleichterungen und Rückübernahme ablesen, die 2006 unterschrieben wurden und im Juni 2007 in Kraft traten.

Kaliningrad Korridor

Ein für Russland spezifisches Migrationsthema betrifft den Transitverkehr in die Kaliningrader Oblast, einer russischen Enklave auf dem Baltikum. Die direkte Landverbindung zwischen russischem Territorium und dem Kaliningrad-Gebiet führt durch das Hoheitsgebiet Litauens, einer früheren Sowjet-Republik. Während der 1990er Jahre wurde die Transitfrage durch ein Übergangsabkommen zwischen Russland und Litauen geregelt, das Anfang 1995 unterzeichnet wurde. Diese Regelung erlaubte allen Bürgern der Russischen Föderation, die ihren ständigen Wohnsitz in Kaliningrad hatten, sich für einen Zeitraum von bis zu 30 Tagen auf litauischem Gebiet aufzuhalten und befreite sie von der Visumspflicht. Alle russischen Bürger (und auch die Bürger anderer Staaten) konnten ohne spezielle Erlaubnis die Züge durch litauisches Hoheitsgebiet nach Kaliningrad benutzen.

Der Beitritt Litauens in die EU warf jedoch erneut die Kaliningrad-Frage auf, da nach EU-Visumsbestimmungen Drittstaatsangehörige (zu denen auch russische Bürger gehören) für den Eintritt in die EU oder für den Transit durch ein EU-Mitgliedsland ein Visum benötigen. Im September 2002 beschloss die Europäische Kommission die Einführung eines speziellen Transitdokuments (Facilitated Transit Document - FTD) für jene russischen Bürger, die als Pendler zwischen Kaliningrad und der Russischen Föderation unterwegs sind. Dieses Dokument ist gebührenfrei und kann auch im Zug ausgestellt werden. Russische Bürger müssen jedoch die Zugfahrkarten im Voraus kaufen, um genügend Zeit für die Ausstellung der FTD zu haben.

Russische Politik für im Ausland lebende Landsleute

Die sprunghaft angestiegenen ethnischen Migrationsströme nach der Auflösung der UdSSR setzten das Thema der im Ausland lebenden Landsleute (russischsprachige Bevölkerung in den ehemaligen Sowjetrepubliken) auf die Tagesordnung russischer Politik. Zunächst verfolgte die Politik für die russischen Minderheiten zwei Ziele:

  1. Erleichterung der Rückkehr "alter" Emigranten (also derjenigen, die nach der Oktoberrevolution 1917 und zu Sowjetzeiten in das "ferne" Ausland ausgewandert waren) und ihrer Nachfahren, wobei diese Rückkehrer auch die Staatsbürgerschaft zurückerhielten

  2. Verhinderung der Abwanderung von Angehörigen der russischsprachigen Bevölkerung in den ehemaligen Unionsrepubliken der UdSSR nach Russland

Zur besseren Durchsetzung des zweiten Ziels wurden 1994 Maßnahmen zur wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Förderung dieser Bevölkerungsgruppe auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjet-Republiken ergriffen.

Die erste im Gesetz verankerte Definition dieser russischen Landsleute erfolgte im Mai 1999 in dem Gesetz über die Staatspolitik der Russischen Föderation im Hinblick auf die im Ausland lebenden Landleute. Im Grunde wurden die Nachkommen ehemaliger Bürger Russlands und der UdSSR, die ethnische Russen oder ethnische Tataren waren, als "Landsleute" anerkannt, weil sie keinen anderen Staat hatten, der sich verantwortlich für den Schutz ihrer kulturellen Rechte fühlte. Gleichzeitig wurden die Nachfahren ethnischer Armenier, Deutscher oder Juden, die ebenfalls sowjetische Staatsbürger waren, von der Anerkennung der russischen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen, weil sie von anderen Staaten Schutz erhalten konnten (Deutschland, Israel, etc.).

2002 setzte in der politischen Debatte über die im Ausland lebenden Landsleute allmählich ein Richtungswechsel ein. Während der Zustrom dieser Migranten lange Zeit als "problematisch" galt, wurde er allmählich als Ressource im Kampf gegen negative wirtschaftliche und demographische Entwicklungen betrachtet.

Es bleibt anzumerken, dass die Mehrheit der ethnischen Russen oder russischsprachigen Bürger, die sich für eine Übersiedlung nach Russland entschieden hatten, zurückkam, bevor klare Rahmenbedingungen dafür festgelegt worden waren. Ursprünglich erhielten diese Immigranten lediglich den Status von "Vertriebenen" (vynuzhdenny pereselenets, s. "Flucht und Asyl"). Das erste nennenswerte Migrationsprogramm wurde erst 2006 unter dem Titel Nationales Programm zur Unterstützung freiwilliger Migration von Landsleuten aus dem Ausland in die Russische Föderation erlassen. Dieses Programm räumte eindeutig nationalen wirtschaftlichen und demographischen Interessen Vorrang ein, denn es beinhaltete einen Plan zur Wiederansiedlung der Neuankömmlinge in Gebieten, wo sie am dringendsten benötigt wurden und gewährte ihnen gewisse Vergünstigungen für den Fall, dass sie mindestens zwei Jahre dort blieben.

Das Programm blieb ohne Erfolg: Die tatsächliche Anzahl der im Jahr 2007 nach Russland Eingewanderten betrug 682, angestrebt hatte man jedoch 23.000 für das gleiche Jahr. Mitte der 2000er Jahre schätzten Fachleute, dass zwischen 2,4 und 4 Millionen Menschen aus dem ehemaligen sowjetischen Staatsgebiet für dieses Migrationsprogramm in Frage gekommen wären. 15 Jahre nach dem Zusammenbruch der UdSSR waren jedoch die meisten Einwanderungswilligen bereits nach Russland gekommen. Jene Landsleute, die im Ausland blieben, hatten seitdem ihre eigenen Anpassungsstrategien entwickelt. Außerdem hatten die unverhüllten Beweggründe für die Wiederansiedlung russischer Mitbürger, nämlich Russlands hausgemachte Probleme zu lösen, statt sich um die Belange der Immigranten zu kümmern, potentielle Migrationsanwärter wahrscheinlich abgeschreckt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ivakhnyuk (2009), S. 30.

  2. Ibid, S. 32.

  3. Ibid, S. 35.

  4. Ibid, S. 38.

  5. Alle Ausländer, die für mehr als drei Tage nach Russland kamen, mussten sich bei den Behörden registrieren lassen.

  6. Ivakhnyuk (2009), S. 57.

  7. Für weiterreichende Informationen vgl.: Nozhenko M. (2006).

  8. Vgl.: The National Human Development Report (2008), S. 93.

  9. Mukomel V. (2004), Rybakovsky L., Rayzantsev S. (2005), p. 9.

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