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Einwanderung in Schweden: Zukünftige Herausforderungen | Schweden | bpb.de

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Einwanderung in Schweden: Zukünftige Herausforderungen

Bernd Parusel

/ 7 Minuten zu lesen

Die Zuwanderung nach Schweden hat in den vergangenen Jahren Rekordwerte erreicht. Daraus ergeben sich Herausforderungen, die gelöst werden müssen. Insbesondere auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt konkurrieren Zugewanderte mit anderen Bevölkerungsgruppen. Im politischen System wächst der Einfluss der ausländerfeindlichen "Schwedendemokraten". Dennoch hält Schwedens Regierung (bislang) weiter an einer offenen Einwanderungspolitik fest.

Temporäre Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in einem Dorf in Dalarna/Mittelschweden. Die ausgesprochen hohen Zahlen von Asylsuchenden, die in den Jahren 2013, 2014 und im Laufe des Jahres 2015 in Schweden eingetroffen sind, haben zu Engpässen im Aufnahmesystem geführt. (© picture-alliance/dpa)

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass sich die schwedische Politik zu Einwanderung, Integration und Asyl durch eine fortschrittliche und pragmatische Haltung auszeichnet sowie durch einen allgemein positiven Blick auf Migration und ihre möglichen Auswirkungen auf die schwedische Gesellschaft und die Bereitschaft, Menschen zu helfen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Wichtige Merkmale des schwedischen Ansatzes sind Gleichbehandlung, Vertrauen in das Funktionieren der Marktwirtschaft und Humanismus. Die tatsächlichen Einwanderungsströme der vergangenen Jahre nach Schweden zeigen, dass viele Migranten die Einwanderungsmöglichkeiten nutzen, die Schweden ihnen bietet. Dennoch gibt es einige ernsthafte Probleme.

Hohe Zahl von Asylsuchenden

Die ausgesprochen hohen Zahlen von Asylsuchenden, die in den Jahren 2013, 2014 und im Laufe des Jahres 2015 in Schweden eingetroffen sind, haben zu Engpässen im Aufnahmesystem geführt und Herausforderungen mit Blick auf die Integrationskapazitäten des Landes offengelegt. Auf der einen Seite ist es der Migrationsbehörde bislang gelungen, die steigenden Antragszahlen zu bearbeiten und neu ankommenden Asylbewerbern eine Unterkunft zu besorgen – dies auch Dank der Bereitschaft der Regierung, kurzfristig die Finanzierung aufzustocken und es der Migrationsbehörde zu erlauben, hunderte neue Mitarbeiter einzustellen. Andererseits gibt es einen gravierenden Mangel an bezahlbarem Wohnraum und Arbeitsplätzen. Ohne einen dauerhaften Wohnsitz und Arbeit bleiben viele Flüchtlinge, denen ein Bleiberecht gewährt wurde, im Aufnahmesystem für Asylbewerber stecken und sind zur Passivität gezwungen. Kürzlich hat die Regierung daher einige neue Integrationsmaßnahmen und Investitionen in den Wohnungsbau verkündet. In einigen Regionen sind Pilotprojekte gestartet worden, um die Qualifikationen neu ankommender Asylbewerber schnell zu beurteilen und ihnen Praktika und eine ergänzende Ausbildung anzubieten, um sie in Bereichen des öffentlichen Dienstes zu beschäftigen, in denen zusätzliches Personal benötigt wird, insbesondere in Krankenhäusern und Seniorenheimen. Da viele Neuzuwanderer deutlich unterhalb ihres Qualifikationsniveaus beschäftigt sind, muss zeitgleich aber auch das Thema "Brain Waste" angegangen werden.

Öffentlicher Diskurs: Verschiebung nach rechts?

Im Allgemeinen zeichnet sich der öffentliche Diskurs über Migration und Integration in Schweden durch ein vergleichsweise hohes Maß an politischer Korrektheit aus. Politiker, Journalisten, Wissenschaftler und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens betonen häufig gerne, dass Schweden im Verhältnis zu seiner Bevölkerung zuletzt mehr Asylsuchende aufgenommen hat als jedes andere EU-Mitgliedsland oder dass es keine Flüchtlingskrise gäbe, wenn sich andere Länder an Schweden ein Beispiel nehmen würden. Es gibt zudem eine Tendenz – manchmal von einem Standpunkt moralischer Überlegenheit aus – Schwedens Offenheit und Großzügigkeit im Vergleich zu den restriktiven und "nationalistischen" Ansätzen in den angrenzenden nordischen Ländern, insbesondere in Dänemark, und anderswo in Europa hervorzuheben. Daneben gewinnt in Schweden jedoch ein paralleler Diskurs zunehmend an Bedeutung, der hauptsächlich außerhalb der Massenmedien, beispielsweise in Internetblogs, Diskussionsforen und sozialen Medien, stattfindet, wo Einwanderung offen als Belastung des Wohlfahrtsstaats und als Bedrohung für den Zusammenhalt der Gesellschaft dargestellt wird. Entsprechend dieser Denkweise werden Politiker und staatliche Einrichtungen beschuldigt, die vielen "Probleme", die mit Einwanderung und Asyl in Verbindung gebracht werden, zu ignorieren, die Bevölkerung über die wahren Kosten der Integration zu belügen und die Bedürfnisse schwedisch-stämmiger Arbeiter und Rentner zu vernachlässigen. Mit diesen Argumenten gewinnen die rechtsradikalen "Schwedendemokraten" (Sverigedemokraterna) zunehmend an Unterstützung in der Wählerschaft. Während sie bereits seit vielen Jahren in politischen Gremien auf kommunaler und regionaler Ebene vertreten sind, haben sie es kürzlich auch geschafft, sich im Europäischen Parlament und, mit fast 13 Prozent der Stimmen, im schwedischen Reichstag (Riksdag) zu etablieren. Dort haben sie eine Schlüsselrolle inne. Da weder die regierende rot-grüne Koalition noch der Mitte-rechts und liberale Block eine Mehrheit im Parlament innehat, können die Schwedendemokraten bei jeder Abstimmung entscheiden, ob sie die Regierungskoalition dabei unterstützen, einen Gesetzesentwurf durchzubringen, oder sie bei diesem Versuch scheitern lassen. Diese Rolle verschafft ihnen eine große öffentliche Aufmerksamkeit und die Medien akzeptieren die Vertreter der Partei zunehmend als "normale" Politiker und laden sie häufig in Diskussionsrunden und Nachrichtenprogramme ein. Waren die Schwedendemokraten lange isoliert und als Extremisten verschrien, so sind sie nun weitgehend salonfähig geworden. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass ihr Einfluss auf die Ausrichtung der Politik zunimmt. Möglicherweise könnten sie in der Zukunft auch Teil einer Regierungskoalition werden.

Unterdessen versuchen die etablierten Parteien, der hohen Einwanderung mit einer funktionierenden Integrationspolitik zu begegnen und Schwachstellen zu beheben. Die Situation ist besonders in den sogenannten "Problemvororten" dringlich, wo Probleme wie Arbeitslosigkeit, fehlende Zukunftsperspektiven, ein Gefühl, an den Rand gedrängt und vernachlässigt zu werden, und Hoffnungslosigkeit unter jungen Menschen manchmal in Angriffe auf die Polizei, Vandalismus und Brandstiftung münden. Arbeitsplätze müssen geschaffen und die Situation auf dem Wohnungsmarkt verbessert werden, die Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen muss vereinfacht werden.

Zukunftsperspektiven

Wenn es den schwedischen Gemeinden, der Zentralregierung, der Zivilgesellschaft und Wirtschaftsakteuren gelingt, diese Herausforderungen zu lösen, könnte sich die aktuelle Einwanderung nach Schweden als Erfolgsgeschichte erweisen. Das skandinavische Land könnte sich als Vorbild hervortun in Bezug auf die Fähigkeit, eine große Zahl an Migranten aufzunehmen, zu integrieren und fair zu behandeln. Sollten sie scheitern und sich der Aufschwung der fremdenfeindlichen Schwedendemokraten fortsetzen, wie dies bei ähnlichen Parteien bereits in den Nachbarländern Dänemark, Norwegen und Finnland geschehen ist, so könnte sich in Schweden ein restriktiverer und weniger idealistischer Ansatz in der Migrationspolitik durchsetzen.

Als Reaktion auf den beispiellosen Zuzug von Asylsuchenden und eine zunehmend skeptische öffentliche Meinung gegenüber dieser Migration, verkündete die schwedische Regierung im Herbst 2015 einige asylpolitische Änderungen. Im Oktober 2015 stellten rund 40.000 Menschen einen Asylantrag in Schweden und es wurde deutlich, dass die Unterbringung von Asylsuchenden – selbst im Rahmen von Übergangslösungen – fast unmöglich geworden war. Trotz der schnellen Rekrutierung von neuen Beamten gelang es der Migrationsbehörde kaum, alle ankommenden Flüchtlinge zu registrieren. Mit Blick auf diese Entwicklung erklärte Justizminister Morgan Johansson am 5. November, dass Schweden nicht länger garantieren könne, allen Neuankommenden ein Dach über dem Kopf zur Verfügung stellen zu können. Finanzministerin Magdalena Andersson forderte die Flüchtlinge auf, in Deutschland zu bleiben, anstatt nach Schweden weiterzureisen. Die Minderheitsregierung erzielte eine Einigung mit den Mitte-rechts Oppositionsparteien, die unter anderem kürzere Bearbeitungszeiten von Asylanträgen, ein verschärftes Vorgehen gegen abgelehnte Asylbewerber und temporäre statt dauerhafte Aufenthaltserlaubnisse für alleinstehende erwachsene Flüchtlinge und Paare ohne Kinder vorsieht. Unter Hinweis darauf, dass der Druck auf das schwedische Asylsystem unverhältnismäßig hoch sei, bat die Regierung die Europäische Union zudem darum, schutzbedürftige Menschen aus Schweden in andere Mitgliedstaaten umzusiedeln.

Am 24. November 2015 verkündete die schwedische Minderheitsregierung weitere Pläne zur Verschärfung des Asylrechts. Dieses solle demnach an die Minimalstandards angepasst werden, die von EU-Richtlinien vorgesehen werden. Die bislang deutlich großzügigeren schwedischen Standards sollen stufenweise abgebaut werden. Asylsuchende würden zudem verpflichtet, Identitätspapiere vorzulegen, wenn sie in anderen EU-Mitgliedstaaten Züge, Busse oder Fähren in Richtung Schweden besteigen wollen.

Am 12. November 2015 beschloss die schwedische Regierung, vorübergehend Grenzkontrollen an den Außengrenzen des Landes durchzuführen. Schweden hat lediglich Grenzen zu Staaten, die auch dem Schengenraum angehören, und an denen normalerweise keine Kontrollen durchgeführt werden. Seither führt die Polizei jedoch wieder stichprobenartig Kontrollen durch. Flüchtlingen, die dabei keine gültigen Reisedokumente vorweisen können, wird die Einreise verwehrt. Sie können jedoch an der Grenze ein Asylgesuch vorbringen und werden in diesem Fall an die schwedische Migrationsbehörde weitervermittelt. Die Grenzkontrollen wurden seither mehrfach verlängert, sind jedoch immer noch als vorübergehende Maßnahme gedacht.

Seit dem 4. Januar 2016 gilt eine weitere Regelung, nach der Bus-, Bahn- und Fährunternehmen nur noch Personen von Dänemark oder Deutschland nach Schweden befördern dürfen, die ihre Identität nachweisen können. Gültige Reisedokumente werden nicht verlangt; Ausweise mit Foto (z.B. Führerscheine) genügen. Die Maßnahme war in Schweden äußerst umstritten, da damit nicht nur Asylsuchende ohne Dokumente von der Einreise abgehalten werden, sondern auch der reguläre Pendlerverkehr zwischen Südschweden und Kopenhagen behindert wird. Die schwedische Bahngesellschaft SJ stellte den Zugverkehr über die Öresundbrücke ein, da die Bahngesellschaft die Ausweiskontrollen, für die sie laut Gesetz zuständig ist, nicht gewährleisten könne.

Im Jahr 2015 hatten insgesamt rund 163.000 Menschen einen Asylantrag in Schweden gestellt. Damit registrierte Schweden im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße mehr Asylsuchende als jedes andere EU-Mitgliedsland. Seit Herbst 2015 hat die schwedische Regierung einen Paradigmenwechsel in der schwedischen Asylpolitik vollzogen, der einen Abschied von der bis dahin praktizierten Politik "der offenen Arme" darstellt. Insbesondere seit der Einführung der Identitätskontrollen durch Verkehrsunternehmen im grenzüberschreitenden Verkehr ging die Zahl der neu registrierten Asylbewerber drastisch zurück. Durch die Kontrollen kommen Geflüchtete oft gar nicht mehr bis an die schwedische Grenze, um dort ihr Asylanliegen vorbringen zu können.

Dieser Text ist Teil des Interner Link: Länderprofils Schweden.

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Dr. Bernd Parusel ist Politikwissenschaftler und Migrations- und Asylexperte. Er arbeitet für das Europäische Migrationsnetzwerk (EMN) bei der schwedischen Migrationsbehörde und als Forschungssekretär bei der schwedischen Delegation für Migrationsstudien (DELMI) in Stockholm.
E-Mail: E-Mail Link: bernd.parusel@migrationsverket.se