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Flucht und Asyl

Ahmet İçduygu und Deniz Sert

/ 6 Minuten zu lesen

Seit den Ausschreitungen in den frühen 1980er Jahren, dem Militärputsch im Jahr 1980 und dem Anwachsen des kurdischen Konfliktes ist die Türkei zunehmend ein Herkunftsland von Asylbewerbern geworden, die Zuflucht in anderen Teilen der Erde suchen.

Den Statistiken des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) zufolge baten zwischen 1981 und 2005 über 664.000 türkische Bürger um Asyl, zumeist in den verschiedenen Ländern Europas. Die Flüchtlingsanerkennungsrate unterscheidet sich in den unterschiedlichen Ländern, ist aber grundsätzlich eher niedrig, da viele Migranten aus mutmaßlich anderen Gründen versuchten, über den Weg des Asyls auszuwandern. Seitdem der Konflikt zwischen der PKK und den Streitkräften in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre schwächer geworden ist und gleichzeitig politische Reformen eingeleitet wurden, sind die Asylanträge türkischer Bürger zurückgegangen.

Demgegenüber stellt die Türkei immer auch ein Zielland für Personen dar, die auf der Suche nach einem sicheren Zufluchtsort sind. Wie bereits oben erwähnt, enthält das Gesetz zur Ansiedlung (Gesetz Nr. 2510 vom 14. Juni 1934) aus dem Jahre 1934 die Regelungen darüber, wer einwandern, siedeln und einen Flüchtlingsstatus im Lande erhalten darf. Als Teil des Projektes zur Nationenbildung der jungen türkischen Republik gab das Gesetz Zuwanderern und Flüchtlingen türkischer Abstammung und Kultur deutlich den Vorzug und tut dies auch heute noch. Asylsuchende mit einem solchen Hintergrund erhalten die inoffizielle Erlaubnis, im Land zu bleiben, sich anzusiedeln, zu arbeiten und die türkische Staatsbürgerschaft zu erlangen, sobald sie fünf Jahre in der Türkei gewohnt haben. Das neue Ansiedlungsgesetz von September 2006, welches das Gesetz aus dem Jahr 1934 modifiziert, hält diesen umstrittenen Punkt weiterhin aufrecht.

Eine dieser Gruppen "türkischer Abstammung und Kultur", die diesem Schutz untersteht, ist die türkische Minderheit in Bulgarien. In den letzten Jahren des kommunistischen Regimes wurden den türkischen und pomakischen Minderheiten in Bulgarien strenge Anpassungsrichtlinien auferlegt. Unter anderem wurden Mitglieder dieser Minderheiten dazu gezwungen, ihre Namen zu ändern, oder der Gebrauch der türkischen Sprache wurde untersagt. Es folgten ethnische Konflikte zwischen den bulgarischen Sicherheitskräften und den türkischen Minderheiten. Um die Spannungen zu mildern, wies die bulgarische Regierung 300.000 Türken und Pomaken aus, welche daraufhin Schutz vor politischer Verfolgung in der Türkei suchten. Während ein Drittel der Flüchtlinge nach dem Regimewechsel in Bulgarien im Jahr 1990 zurückkehrte, blieb der Rest in der Türkei und nahm die türkische Staatsbürgerschaft an. Seit Bulgarien vor kurzem der EU beigetreten ist, hat sich eine zunehmende Anzahl dieser Türken bulgarischen Ursprungs erneut um die bulgarische Staatsbürgerschaft beworben, um die Reisefreiheit nach Bulgarien und in andere EU-Länder zu erlangen.

Ferner wurde zwischen 1992 und 1995 etwa 20.000 Bosniern während der Kämpfe im ehemaligen Jugoslawien befristet Asyl in der Türkei gewährt. Eine Vielzahl dieser Flüchtlinge sind seit Annahme des Friedensabkommens von Dayton nach Bosnien zurückgekehrt. Ebenso kamen 1998 und 1999 etwa 18.000 Kosovaren während der ethnischen Unruhen in ihrem Heimatland in die Türkei und genossen dort Schutz. Seit Nachlassen des Konfliktes sind die meisten von ihnen zurückgekehrt.

Die Genfer Konvention von 1951 über die Rechtsstellung von Flüchtlingen ist das zweite wichtige Rechtsdokument, das Auswirkungen auf Flüchtlinge und Asylsuchende in der Türkei hat. Mit Unterzeichnung der Konvention im Jahr 1962 ging die Türkei zwar internationale Verpflichtungen hinsichtlich der Flucht und des Asyls ein, behielt sich jedoch Einschränkungen bezüglich der geografischen Herkunft von Schutzsuchenden vor: Sie ging nicht die Verpflichtung ein, Asylbewerbern und Flüchtlingen von außerhalb Europas Schutz zu gewähren. Da die Türkei keine spezifischen Reglementierungen für den Status von nicht-europäischen Asylsuchenden besaß, wendete man die Landesgesetze für Ausländer an. Gemäß dieser Gesetzgebung wird von Ausländern erwartet, dass sie bei der Ankunft im Land einen gültigen Ausweis besitzen und innerhalb des erlaubten Aufenthaltszeitraums wieder abreisen. Die türkischen Behörden betrachteten nicht-europäische Asylbewerber als Personen unter zeitweiligem Schutz, die das Land so oder so wieder verlassen würden: entweder um sich in einem Drittland anzusiedeln, falls ihre Asylbewerbung vom UNHCR angenommen würde, oder um in ihr Heimatland zurückzukehren für den Fall, dass der UNHCR ihre Bewerbung ablehnte.

In jüngster Zeit ist die Türkei für Menschen, die den Gefahren des Iran-Irak-Kriegs, Golf-Kriegs und aktuellen Irak-Konflikts entfliehen wollten bzw. wollen, zu einem der wichtigsten Asylländer geworden. Darüber hinaus ist das Land bei der Anpassung seines Asylsystems an die EU unter Zugzwang. Die Anpassung an das EU-System erfordert die Aufhebung der geografischen Beschränkung und die Einführung eines vollwertigen landesweiten Asylsystems. Den türkischen Behörden ist dies jedoch nicht recht, da sie befürchten, dass sich die Türkei verstärkt zu einer Pufferzone für die EU entwickeln würde, welche ihr eigenes Asylwesen immer restriktiver gestaltet. Darüber hinaus hat die Türkei ebenfalls ihre Asylpolitik als Reaktion auf den wachsenden Flüchtlingsdruck aus dem Irak, Somalia und dem Sudan verschärft.

Im November 1994 führte die Türkei eine Verordnung über die Verfahren und Prinzipien im Umgang mit Massenzuströmen und Ausländern ein, die in der Türkei ankommen oder eine Aufenthaltsgenehmigung mit der Absicht beantragen, Asyl in einem Drittland zu suchen. Dies war ein Versuch, den massiven Zustrom von Asylsuchenden aus dem Mittleren Osten zu bewältigen und die Hauptaufgabe des UNHCR, den Status von Flüchtlingen zu bestimmen, ein Stück weit einzuschränken. Die Verordnung führte eine Reihe von Voraussetzungen für das Einreichen von Asylbewerbungen ein. Da diese jedoch sowohl willkürlich und restriktiv zu sein als auch in keinem Zusammenhang zum Sachverhalt der etwaigen Anträge zu stehen schienen, stießen sie auf starke Kritik seitens der internationalen Gemeinschaft. Statistiken der türkischen Regierung zufolge wurde zwischen 1995 und 2007 mehr als 50.000 Bewerbern Asyl gewährt, etwa 25.000 von ihnen wurden als Flüchtlinge anerkannt (siehe Tabelle).

Anträge auf Basis der Asylbestimmungen aus dem Jahr 1994, 1995 - 2007

* Umfasst Albanien, Belgien, Bosnien, Bulgarien, Deutschland, Georgien, Griechenland, Italien, Mazedonien, Rumänien, Schweiz, Ukraine und Jugoslawien.
** Umfasst Algerien, Bangladesch, Burma (Myanmar), Burundi, China, Kongo, Ägypten, Eritrea, Äthiopien, Ghana, Guinea, Indien, Israel, Elfenbeiküste, Jemen, Jordanien, Kasachstan, Kenia, Kuweit, Kirgisistan, Libanon, Liberia, Libyen, Malaysia, Mauretanien, Marokko, Nigeria, Pakistan, Palästina, Philippinen, Ruanda, Sierra Leone, Sri Lanka, Somalia, Sudan, Syrien, Tunesien, Tadschikistan, Turkmenistan, Uganda, USA, Zaire
Land Anträge Gewährung Ablehnung Offene Verfahren Widerrufung oder anderer geschützter Status
Irak 16.9725.9195.2094.7071.137
Iran 28.96318.3163.2256.0481.374
Afghanistan 1.48031228086028
Russland 801543157
Usbekistan 23170767312
Aserbaidschan 3632418
Restliches Europa* 1255359310
Andere**2.4673393691.67683
Gesamt 50.354 25.027 9.285 13.383 2.659

Quelle: Ausländerabteilung des türkischen Innenministeriums

Im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen begann die Türkei in Kooperation mit Dänemark und England im März 2004 ein sogenanntes Asyl-Migrations-Twinning-Projekt. Ziel des Projektes war es, die türkischen Asyl- und Migrationsverfahren denen des acquis communautaire der Europäischen Union anzugleichen. Das Endergebnis des Twinning-Projektes war ein 'Nationaler Aktionsplan zu Asyl und Migration (NAP)'. Teil des NAP ist die Vorbereitung eines neuen Asylgesetzes. Allerdings hat die Türkei keinen konkreten Zeitrahmen für die Einführung und das Inkraftsetzen des Gesetzes genannt.

Derweil sind die Lebensbedingungen von Asylsuchenden und Flüchtlingen in der Türkei relativ schlecht. Auch wenn die Schutzsuchenden eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten haben, bekommen sie keine Unterstützung vom Staat, und es wird erwartet, dass sie für ihren eigenen Unterhalt sorgen. Die Aufenthaltsgenehmigung ist lediglich in der Gemeinde, die dem Inhaber zugewiesen ist, gültig und muss alle sechs Monate für eine Gebühr von rund 150 Euro verlängert werden. In der Regel werden Asylsuchende und Flüchtlinge in eine von 30 'Satellitenstädten', die in der ganzen Türkei verstreut liegen, verteilt. Dies schränkt ihre Möglichkeiten ein, private Netzwerke zu entwickeln und informelle Arbeitsgelegenheiten aufzutun.

Darüber hinaus ist der Zugang zur Gesundheitsfürsorge trotz der Gesetze zu Patientenrecht und medizinischer Notversorgung, die für Staatsbürger und Nicht-Staatsbürger gleichermaßen gelten, noch immer eines der schwerwiegendsten Probleme, mit denen Migranten, Asylsuchende, Flüchtlinge und insbesondere abgelehnte Asylbewerber konfrontiert sind, die irregulär im Land verbleiben. Im Nofall sind Letztere von der Hilfe einer Nichtregierungsorganisation oder der Kulanz eines Arztes abhängig, der über den illegalen Status hinwegsieht. Nur wenige Krankenhäuser bieten eine Behandlung ohne das Vorweisen eines gültigen Ausweises an.

Es existiert kein spezifisches Sozialhilfe-Programm für Migranten, Asylsuchende und Flüchtlinge. Obwohl das Sozialamt und der Solidaritätsfonds jedem Menschen mit finanziellen Problemen innerhalb der Landesgrenzen ihre Leistungen anbieten müssen, beschränken diese ihre Dienste auf Menschen mit Aufenthaltsgenehmigung. Im Hinblick auf Bildungsmöglichkeiten für Migranten, Asylsuchende und Flüchtlinge herrscht die gleiche Problematik. Zwar räumt Artikel 42 der türkischen Verfassung allen unabhängig von ihrer Rasse, Religion oder Nationalität das Recht auf Bildung ein, jedoch müssen die Personen in der Lage sein, eine Aufenthaltsgenehmigung vorzuweisen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe Kirişci (2001).

  2. Siehe Kirişci (1996).

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