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Videointerview mit Hassan Akkouch | Neukölln Unlimited | bpb.de

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Videointerview mit Hassan Akkouch

Johannes Zerbst

/ 6 Minuten zu lesen

Der Protagonist aus "Neukölln Unlimited" im Gespräch über den Dokumentarfilm, über eine Jugend mit unsicherem Aufenthaltsstatus und darüber, wie es ihm und seiner Familie in den Jahren seit dem Abschluss der Dreharbeiten ergangen ist.

Interview mit Hassan Akkouch

Dossier "Neukölln Unlimited"

Interview mit Hassan Akkouch

Das Interview mit dem Darsteller Hassan Akkouch aus der Dokumentation "Neukölln Unlimited".

Der Dokumentarfilm "Neukölln Unlimited" ist im Jahr 2010 erschienen und hat viel Aufmerksamkeit bekommen. Wie ist es Dir und deiner Familie seitdem ergangen?

Ich studiere gerade "Schauspiel" an der Otto-Falkenberg-Schule in München, die zu den Kammerspielen in München gehört. Seit 2011 arbeite ich schon als Schauspieler, davor habe ich nur getanzt. Dann habe ich mich entschieden, dass ich mich weiterentwickeln möchte. Vor allem wollte ich mehr lesen und freier sein. Irgendwie bin ich ein Glückskind. Es kommt mir so vor, als ob fast alles, was ich in die Hände nehme klappt oder eine positive Ausstrahlung hat. Ja, irgendwie läuft es immer gut. Man muss nur weitermachen. Manchmal gibt es "Kleinigkeiten", wie zum Beispiel den Aufenthaltsstatus. Das nervt!

Ist denn dein Aufenthaltsstatus inzwischen sicher?

Ich kann jetzt, nachdem ich fünf Jahre durchgängig gearbeitet habe, einen unbefristeten Aufenthaltstitel, eine sogenannte "Niederlassungserlaubnis" beantragen. Auch bin ich sehr optimistisch, was meine Familie angeht. Bei Maradona, meinem jüngeren Bruder, schwankt es gerade noch ein bisschen. Er macht zwar gerade eine Ausbildung als Rettungssanitäter beziehungsweise Rettungsassistent, aber wenn er diese Ausbildung nicht erfolgreich abschließt, wird er wohl abgeschoben.

Spielt Tanz noch eine Rolle für Dich und deine Geschwister?

Meine Geschwister tanzen mittlerweile nicht mehr so viel wie früher. Mein Bruder Hamudi, den man auch kurz im Film sieht, ist ein sehr guter Tänzer. Auch Maradona tanzt immer noch. Aber meine Schwestern Atura, die jetzt 22 Jahre ist, und Lial tanzen nicht mehr. Lial hat geheiratet und einen Sohn bekommen. Ich glaube, der ist 6 Monate alt. Durch die Schwangerschaft hatte sie ihre Ausbildung gewechselt und musste sie um 6 Monate verlängern. Aber es geht ihr gut, sie ist glücklich mit ihrem Mann und ihrer Familie. Ich denke ihr Status ist durch die Ausbildung sicher. Außerdem ist ihr Mann Deutscher!

Wie geht es eurer Mutter?

Also meine Mutter hat ihre Krankheit besiegt und arbeitet seit längerem bei "Burger King" und verdient dort ihr Geld um über die Runden zu kommen, unabhängig vom Staat zu sein und einen geregelten Aufenthaltsstatus zu haben, den sie auch hat. Solange sie arbeitet, hat Sie den auch. Meine Mutter hat nie aufgegeben und wenn meine Mutter nie aufgibt, wie kann ich dann aufgeben! Das habe ich immer so gesehen. Meine Mutter hat ja immer weiter gemacht. Und damals, als wir noch Kinder waren, haben wir das gar nicht verstanden. Aber sie wusste, wie schwierig die Situation ist und hat weitergemacht.

Was war damals so schwierig? Musstet ihr mit Abschiebung rechnen?

Wir waren sehr lange geduldet, zwölf Jahre insgesamt. 2002 bekam meine Familie bzw. meine Mutter dann einen Aufenthaltsstatus. Die Voraussetzungen waren, dass sie eine kleinere Wohnung sucht, die weniger Miete kostet. Außerdem, dass sie arbeitet, 2200 Euro netto verdient und dass mein kleiner Bruder in den Kindergarten geht, damit sie arbeiten gehen kann. Sie hat alles erfüllt außer die 2200 Euro netto, die konnte sie leider nicht verdienen. Dadurch wurde ihr der Pass von den Behörden entzogen und wir wurden als Familie abgeschoben.

Bevor wir den Aufenthaltsstatus hatten, hatten wir auch keine Pässe. Die hatte meine Mutter nicht beantragt, damit wir nicht abgeschoben werden konnten. Aber nachdem wir das Angebot bekommen haben, dass wir einen Aufenthaltsstatus von den Behörden kriegen können, hat meine Mutter einen Pass besorgt und wir haben den Aufenthalt bekommen. Ein Jahr später konnten Sie uns dann abschieben.

Wie hast Du das empfunden als Jugendlicher?

Hassan Akkouch (2009) (Standbild aus "Neukölln Unlimited") (© Indi Film GmbH)

Schwierig zu beschreiben, aber es war eine sehr komische Situation. Damals hat es mich sehr wütend gemacht. Über die Behörden habe ich mich gefragt, ob sie nach Menschlichkeit oder einfach nach dem Gesetz handeln? Und ob diese Gesetze menschlich sind oder nicht? Darum geht es nämlich! Meiner Meinung nach ist es ganz oft so, dass sie nicht menschlich sind, was das angeht. Denn wenn eine Familie zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahre hier lebt, dann kann man Sie doch nicht einfach abschieben! Also ich sag es einmal so, es gibt zwar die Gesetzte, aber die sind für mich noch nicht ausgereift und funktionieren nicht komplett einwandfrei.

Was bedeutet es, ohne sicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland aufzuwachsen?

Wenn man noch Kind ist, weiß man gar nicht, dass es noch etwas anderes gibt außer Berlin oder seinem Bezirk - den Spielplatz wo man jeden Tag hingeht. Aber, wenn man älter wird, fällt es einem dann auf, man sieht es im Fernsehen. Außerdem versteht man, was andere Leute sagen, und es fällt dann auf, dass man eigentlich die ganze Zeit nur "da" ist. Unter der "Residenzpflicht" versteht man, dass man seine Stadt nicht verlassen darf. So ist es zumindest in Berlin. Wenn man "geduldet" ist, gibt es zusätzlich noch die Einschränkung, dass man kein Konto eröffnen darf und keinen Handyvertrag abschließen kann. Es ist überhaupt unmöglich Verträge abzuschließen, da man ja eh nur eine sechsmonatige Aufenthaltsgenehmigung gewährt bekommt. Durch die Duldung ist man meistens sechs Monate hier in Deutschland gesichert. Danach weiß man oft nicht, ob man hier bleiben kann oder nicht, deswegen geben dir die Vertragspartner keinen Vertrag. Man fühlt sich vor allem benachteiligt. Man kann nicht das machen, was die anderen machen, man kann nicht das erleben, was die anderen erleben, man kann ja nicht einfach einmal raus aus der Stadt! Das einzige was ich dreizehn Jahre lang besonderes gesehen habe, war das Schwimmbad – wir sind ja nie rausgekommen! Das schränkt auf jeden Fall ein und für mich verschärft es auch die Situation. Das lädt sich auf und irgendwann platzt man fast! Wenn man nichts anderes sieht, als die gleichen Gesichter jeden Tag und die gleichen Häuser und die gleichen Lehrer und die gleichen Menschen, dann kann das sehr belastend wirken. Und dann 18 Jahre lang! Da gibt es bestimmt Menschen, die 18 Jahre lang geduldet wurden und - wie zum Beispiel Maradona – erst mit 18 einen richtigen Aufenthaltsstatus bekommen haben. Erst dann haben sie die Möglichkeit etwas heraus zu kommen. Aber bis dahin hat man schon sehr viel im Leben verpasst! Sehr viel an Möglichkeiten, an Inspirationen und an Freiheiten!

Fühlst Du dich inzwischen in Deutschland "angekommen"?

Hassan Akkouch im Interview am 18.06.2014 (© bpb)

Meiner Meinung nach kann man hier zwar ankommen, aber man ist nicht ganz da. Denn was bedeutet es schon: Ich bin Deutscher oder ich bin Libanese? Denn "Ich fühle mich Deutsch" gibt es ja nicht, es gibt dieses Gefühl nicht. Ich kann mich traurig fühlen, ich kann mich fröhlich fühlen, ich kann mich sicher fühlen. Aber "Deutsch" kann ich mich nicht fühlen, es ist nur eine Frage der Zugehörigkeit, ich kann mich dazugehörig fühlen oder nicht. Je nachdem fühle ich mich deutsch oder libanesisch. Ich fühle mich weder in dieser Gesellschaft zugehörig, noch fühle ich mich in der in der libanesischen Gesellschaft zugehörig.

Identifizierst Du dich als "Deutscher", "Libanese", Neuköllner" oder etwas anderes?

Ich persönlich bin kein großer Fan von Nationalitäten. Ich bin Libanese oder Deutscher oder sowas. Wenn ich mich mit etwas identifizieren kann, würde ich als erstes sagen, dass ich Berliner bin und als nächstes wäre ich Künstler.

Bestimmt die Sorge um den Aufenthaltsstatus heute noch deinen Alltag?

Also es bestimmt nicht den gesamten Alltag. Aber es ist so, dass wenn wir einen Termin haben und uns darauf vorbereiten müssen, wir alle angespannt sind. Dann denkt man: Was wird jetzt passieren? Oder: Was soll man machen? Die Zeit vor und nach den Terminen ist immer halt anstrengend, manchmal hat man Albträume oder schläft schlecht und so weiter. Das alles gibt es auf jeden Fall.

Wie findest Du es, wenn sich junge Menschen heute "Neukölln Unlimited" anschauen?

Ich finde es gut, dass die Bundeszentrale für politische Bildung sich dafür interessiert, den Fall weiter zu bearbeiten und damit dann Leute, vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, aufzuklären. Vielleicht zeig es Menschen auch, die einen ähnlichen Fall haben, dass sie nicht alleine sind. Denn man kann immer etwas dagegen machen. Es gibt Möglichkeiten und auch Gesetze, die einem die Chance geben können, dass Recht auf ein Leben hier zu sichern. Das finde ich gut und deswegen haben wir den Film hauptsächlich auch gemacht: Nicht nur um meiner Familie zu helfen, sondern auch um anderen Familien zu helfen. Vielleicht ändert sich politisch ja etwas!

Das Videointerview führte und produzierte Johannes Zerbst.

geb. 1977, ist Diplompolitologe (FU-Berlin), hat als Videojournalist volontiert und in dieser Funktion für die Nachrichtenagentur dapd, Onlinemedien und Fernsehsender gearbeitet, als freier Redakteur hat er dieses Online-Dossier konzipiert