Studie: Europäische Asylpolitik verletzt Menschenrechte
Seit zehn Jahren regelt die Dublin-II-Verordnung die nationalstaatliche Zuständigkeit bei Asylanträgen in Europa. Ein länderübergreifendes Bündnis von Flüchtlingsorganisationen hat die Anwendung der Regelung in elf europäischen Ländern untersucht. Es fordert grundlegende Veränderungen für eine Nachfolgeregelung, die noch in diesem Jahr vom Europäischen Parlament beschlossen werden soll.Die in der Dublin-II-Verordnung festgelegten Standards und Kriterien zur Aufnahme von Asylsuchenden werden von den Vertragsstaaten nicht einheitlich und zum Nachteil der Schutzsuchenden angewendet. Dies zeigt die Mitte Februar vorgestellte Studie "Dublin-II-Verordnung: Leben in der Warteschleife", die der Europäische Flüchtlingsrat (ECRE) gemeinsam mit verschiedenen Partnerorganisationen erstellt hat. Die unterschiedliche Praxis führe dazu, dass es keine Garantie für ein faires Asylverfahren gebe. Man habe es mit einer "Asyl-Lotterie" statt mit einem einheitlichen System zu tun, heißt es in der Studie. Dabei würden die Grundrechte von Asylsuchenden, etwa ihr Recht, angehört zu werden, das Recht auf effektiven Rechtsschutz und das Grundrecht auf Asyl selbst verletzt. Die Aussagen der vergleichenden Studie basieren auf detaillierten Untersuchungen, die von Dezember 2009 bis Mai 2011 in Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz, der Slowakei, Spanien und Ungarn durchgeführt wurden.
Die "Verordnung zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist" (EG Nr. 343/2003) ist seit März 2003 in Kraft (vgl. Ausgabe 1/03). Sie gilt in allen EU-Mitgliedstaaten sowie in Norwegen, Island und der Schweiz und regelt anhand verschiedener Kriterien, welcher Mitgliedstaat für das Asylverfahren verantwortlich ist. Im Normalfall handelt es sich um das Land der Ersteinreise. Wenn der Asylsuchende in ein anderes Mitgliedsland weiterreist, kann er in das Ersteinreiseland zurückgeschoben werden. So wollen die Vertragsstaaten verhindern, dass Asylbewerber in verschiedenen Ländern Asylanträge stellen, um einen Aufenthaltstitel zu bekommen. In diesem Zusammenhang wird abwertend immer wieder von sogenanntem "Asyl-Shopping" gesprochen.
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Menschenrechtskommissar kritisiert EU
Der Menschenrechtskommissar des Europarats Nils Muižnieks hat schwere Vorwürfe gegen die Europäische Union erhoben. Er warf ihr Anfang März vor, die Visafreiheit als Druckmittel einzusetzen. Serbien und Mazedonien würden auf Drängen der EU die Asylsuche von Roma kriminalisieren und deren Pässe konfiszieren. Menschen aus diesen Staaten beantragten seit der Aufhebung der Visapflicht für Serben und Mazedonier im Dezember 2009 insbesondere in den Herbst- und Wintermonaten verstärkt Asyl in der EU (vgl. Ausgaben 1/13, 10/12, 9/12). Um dies zu unterbinden, hatte die EU die Beitrittskandidaten Mazedonien und Serbien aufgefordert, die Einreise von Asylsuchenden in die EU zu verhindern. Andernfalls drohe der Entzug der Visafreiheit für mazedonische und serbische Staatsbürger. In Deutschland entzündete sich vor dem Hintergrund steigender Asylanträge von Menschen aus Serbien und Mazedonien eine Diskussion um "Asylmissbrauch" (vgl. Ausgabe 1/13). Aktuell sind die Zahlen der Antragsteller aus diesen Ländern wieder rückläufig. Die Asylanträge von Personen aus dem Balkan werden in der Regel abgelehnt (vgl. Ausgabe 2/13). www.proasyl.de
Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen kritisieren seit Jahren die Verordnung als restriktives Instrument gegenüber Asylsuchenden. Auch einige nationale Gerichte sowie der Europäische Gerichtshof hatten in der Vergangenheit die Anwendung von Teilen der Dublin-II-Verordnung, insbesondere der Abschiebung in das Land der Ersteinreise, untersagt, wenn dort die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung besteht (vgl. Ausgaben 1/12, 1/11). Dies bezog sich auf die Zustände in den Aufnahmeeinrichtungen in Griechenland. Für das Land ist die Dublin-II-Regelung derzeit ausgesetzt. Die nun vorgestellte Studie untermauert die grundsätzliche Kritik an der Regelung.
Aufnahmebedingungen
Am meisten beanstanden die Autoren der Studie die unterschiedlichen Aufnahmebedingungen in den verschiedenen europäischen Staaten. Insbesondere in den Aufnahmezentren der Staaten an der europäischen Außengrenze im Süden und Osten Europas herrschen demzufolge desolate Zustände. Aufnahmeeinrichtungen sind nicht selten überfüllt und entsprechen oftmals nicht den hygienischen Mindeststandards. In Italien, Griechenland, Ungarn und Malta wurden der Studie zufolge Asylsuchende auf die Straße gesetzt oder in leer stehenden Gebäuden untergebracht. Die betroffenen Staaten ihrerseits beklagen immer wieder die fehlende europäische Solidarität bei der Bewältigung der Flüchtlingseinwanderung, von der sie in ihrer Randlage stärker betroffen sind als EU-Staaten, die nicht direkt an der Außengrenze liegen (vgl. Ausgaben 3/12, 7/11, 4/11).In zahlreichen Ländern seien außerdem die Aufnahmebedingungen für sogenannte "Dubliner" deutlich schlechter als für andere Asylsuchende; sie würden als "Menschen zweiter Klasse" wahrgenommen.