Diskriminierung von Migranten auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt
Bei der Ausbildungsplatzsuche werden Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland auch bei gleicher Qualifikation benachteiligt. Dies belegen Wissenschaftler des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) erstmals mit statistisch belastbaren Zahlen. Auch andere Untersuchungen bestätigen die Diskriminierung von Minderheiten auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland und Europa.
Die Wissenschaftler des SVR stellten nun erstmals belastbare empirische Ergebnisse zu Form und Ausmaß der Diskriminierung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund beim Zugang zum Ausbildungsmarkt bereit. Dafür wurden die Bewerbungsschreiben von zwei männlichen Zehntklässlern, die kurz vor ihrem Abschluss der mittleren Reife standen, an 1.794 Ausbildungsbetriebe geschickt, die auf der Online-Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit einen Ausbildungsplatz als Kfz-Mechatroniker/-in bzw. Bürokaufmann/-frau ausgeschrieben hatten. Die fiktiven Profile ließen die Bewerber hinsichtlich Lebenslauf und Qualifikation gleich gut geeignet erscheinen. Der einzige Unterschied bestand im Namen der Bewerber. Je nachdem, um welche Ausbildung sie sich bemühten, hießen sie Tim Schultheiß und Hakan Yilmaz (Kfz-Mechatroniker) bzw. Lukas Heumann und Ahmet Aydin (Bürokaufmann). So wurde getestet, ob allein der Name eines Bewerbers und die damit einhergehenden Zuschreibungen zu einer Diskriminierung noch vor dem persönlichen Vorstellungsgespräch führen. Eine ähnlich gelagerte Studie hatte zuletzt die Universität Konstanz vorgelegt.

Während 511 Unternehmen gar nicht auf die Bewerbungen reagierten, ließen 1.177 Betriebe von sich hören. Diese Rückmeldungen wurden auf Diskriminierungseffekte geprüft. So meldeten sich über drei Viertel der Unternehmen bei beiden Bewerbern (77 %), etwa jedes sechste Unternehmen nur bei Tim Schultheiß oder Lukas Heumann (14,1 %) und ungefähr jedes elfte ausschließlich bei Hakan Yilmaz oder Ahmet Aydin (8,9 %). Die Differenz beider Werte ergibt die sogenannte Nettodiskriminierung, die hier bei 5,2 Prozentpunkten liegt. Bewerber mit deutsch klingendem Namen bekommen bei gleichen Voraussetzungen also durchschnittlich mehr Reaktionen auf ihre Bewerbungen, als Schulabgänger mit einem türkisch klingenden Namen. Bei kleinen Unternehmen war die Ungleichbehandlung stärker ausgeprägt (11,2) als bei mittleren (3,8) und großen (5,4). Bei Bewerbungen für den Ausbildungsberuf des Kfz-Mechatronikers war ein höheres Maß an Diskriminierung messbar (7,4) als beim Beruf des Bürokaufmanns (3).
Die Benachteiligung setzte sich bei der Qualität der Rückmeldungen fort. So bekamen Hakan Yilmaz und Ahmet Aydin im Vergleich zu Tim Schultheiß und Lukas Heumann häufiger eine Absage (41,7 % vs. 37 %) und seltener eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch (14,6 % vs. 20,2 %). Um zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, mussten Erstere durchschnittlich sieben Bewerbungen schreiben, Letztere hingegen nur fünf. Im Berufsfeld der Kfz-Mechatroniker ist diese Benachteiligung stärker ausgeprägt als beim Beruf des Bürokaufmanns (siehe Grafik "Durchschnittliche Anzahl der Bewerbungen für eine Einladung zum Vorstellungsgespräch").
Die Studie gibt keinen Aufschluss darüber, ob alle Herkunftsgruppen gleichermaßen von Diskriminierung betroffen sind. So verweisen die SVR-Wissenschaftler z. B. auf erste Ergebnisse einer Studie, wonach Frauen mit türkischer Herkunftsgeschichte und insbesondere kopftuchtragende Frauen gegenüber Frauen ohne Migrationshintergrund benachteiligt werden.
Bei Befragungen von Personalentscheidern durch die Wissenschaftler des SVR wurde deutlich, dass bei den betrieblichen Auswahlprozessen Bewerbern vorurteilsbehaftete Eigenschaften zugeschrieben werden. Außerdem scheinen angenommene Vorbehalte von Kund- und Belegschaft sowie eine Präferenz der eigenen Gruppe bei der Personalauswahl eine entscheidende Rolle zu spielen (siehe Grafik "Mögliche Entscheidungsfaktoren bei der Auswahl von Bewerbern"). Um künftige Diskriminierungen zu vermeiden, wird den politisch Verantwortlichen und den berufsständischen Kammern u. a. empfohlen, eine kostengünstige Software zur automatisierten Anonymisierung von Bewerbungen zu schaffen (vgl. Ausgabe 4/12). Unternehmen wird geraten, verstärkt Betriebsangehörige mit Migrationserfahrung in den Auswahlprozess einzubeziehen und die interkulturelle Kompetenz im Unternehmen zu stärken. Die Bundesintegrationsbeauftragte Aydan Özoğuz (SPD) rief Personalentscheider auf, "sich selbst zu überprüfen, ob sie frei von Vorurteilen bei der Besetzung von Ausbildungsstellen sind". Man könne nicht über den Fachkräftemangel in Deutschland klagen, wenn die Potenziale von Jugendlichen nicht ausgeschöpft würden.
Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes belegte im vergangenen Jahr, dass Minderheiten schon in Kindergarten und Schule Diskriminierungserfahrungen machen. So bekommen Schüler mit Migrationshintergrund seltener eine Gymnasialempfehlung und erreichen insgesamt ein niedrigeres Bildungsniveau (vgl. Ausgabe 7/13, 6/10, 10/08). Dazu trägt auch die "Segregation an deutschen Schulen" bei, wie der SVR-Forschungsbereich 2013 in seiner gleichlautenden Studie zeigte. Diskriminierung setzt sich im akademischen Bereich und auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt fort. Wenngleich die Arbeitsmarktbeteiligung von Migranten in den vergangenen Jahren gewachsen ist (vgl. Ausgabe 7/11), sind sie noch immer unterdurchschnittlich in den Arbeitsmarkt integriert (vgl. Fachkräftemangel in 20 Berufsgruppen).
Diskriminierung von Minderheiten auf dem Arbeitsmarkt ist ein europaweites Problem, wie das Europäische Netzwerk gegen Rassismus (ENAR) in seinem am 17. März vorgestellten Schattenbericht zeigt. Untersucht wurden die Verhältnisse in 22 EU-Mitgliedstaaten sowie der Türkei. Demzufolge ist Diskriminierung beim Zugang zu sowie auf dem Arbeitsmarkt trotz der europäischen Anti-Diskriminierungsvorgaben weit verbreitet. In vielen Staaten seien Migranten deutlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Nicht-Migranten. Benachteiligungen bei der Personalauswahl aufgrund der ethnischen oder sozialen Herkunft sowie schlechtere Arbeitsbedingungen und -entlohnungen bis hin zu Ausbeutung migrantischer Arbeitskräfte seien keine Seltenheit. Besonders davon betroffen seien Roma, Migranten aus afrikanischen und nichteuropäischen Staaten sowie Frauen und Muslime mit Migrationshintergrund.
In der ENAR-Länderauswertung für Deutschland ist von einer indirekten strukturellen Diskriminierung die Rede, die sich vor allem in Nachteilen beim Arbeitsmarktzugang und der Anerkennung von Berufsqualifikationen zeige. Insgesamt scheint die Benachteiligung von Migranten in Deutschland im europäischen Vergleich aber auf einem gemäßigten Niveau zu sein. Die europaweit durchgeführte Studie "Immigrant Citizens Survey" der Migration Policy Group zeigte, dass Migranten in Deutschland bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben als in anderen EU-Mitgliedstaaten (vgl. Ausgabe 5/12).
Zum Thema:
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