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Afrikas steiniger Weg in die Unabhängigkeit | Afrika | bpb.de

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Afrikas steiniger Weg in die Unabhängigkeit

Christine Harjes

/ 6 Minuten zu lesen

17 afrikanische Staaten feiern in diesem Jahre 50 Jahre Unabhängigkeit. Aber die Freiheit brachte auch viele Schwierigkeiten mit sich. Einige Länder kämpfen noch immer mit den Folgen der Kolonialzeit.

Ein kongolesischer Bürger entfernt das Porträt des belgischen Königs Baudouin von der Wand des Flughhafen in Leopoldville (22. Juli 1960). Am 30. Juni 1960 wurde die Demokratische Republik Kongo offiziell unabhängig von der Kolonialmacht Belgien. (© AP)

"Wir ziehen die Armut in Freiheit dem Reichtum in Sklaverei vor." Guineas Präsident Ahmed Sékou Touré hatte schon 1958 eine klare Meinung zur französischen Kolonialherrschaft. Er wollte die Unabhängigkeit von der so genannten "Communauté Française", der Gemeinschaft Frankreichs mit den überseeischen französischen Kolonialgebieten. In einem Referendum konnten die west- und zentralafrikanischen Kolonien 1958 über ihren weiteren Verbleib in dieser Gemeinschaft abstimmen. In elf Ländern der 12 afrikanischen Mitgliedsstaaten stimmte die Bevölkerung gegen die Unabhängigkeit. Man erhoffte sich von der Nähe zu Frankreich wirtschaftliche Vorteile. Denn die Mitgliedschaft in der "Communauté" umfasste eine ganze Reihe an Hilfs- und Kooperationsverträgen für die Kolonien. Und Frankreichs Ministerpräsident General Charles de Gaulle stellte den Mitgliedsländern in Aussicht, die Unabhängigkeit im Rahmen dieser Gemeinschaft später zu erlangen. Nur in Guinea sprach das Ergebnis des Referendums eindeutig gegen Frankreich und für die sofortige Unabhängigkeit.

Frankreich reagierte hart: alle französischen Hilfen wurden sofort eingestellt. Die Kolonialmacht rief Ärzte und Lehrer umgehend in die Heimat zurück und zog medizinisches Material, Unterrichtsutensilien und andere Hilfsgüter ab. Verwaltungsgebäude und Armeebaracken wurden zerstört.

Auch wenn die neue Unabhängigkeit für Guinea zunächst schmerzhaft verlief - Guineas Präsident Sékou Touré wurde zum Helden der Anti-Kolonialisten. Immer wieder forderte er die Mitglieder der franco-afrikanischen Gemeinschaft auf, auch die Unabhängigkeit von Frankreich zu verlangen. Der Funke sprang über: 1960 folgten die elf verbleibenden Mitglieder der Communauté Guinea in die Freiheit. Im selben Jahr erlangten auch Kamerun und Togo die Unabhängigkeit. Beide Länder gehörten nicht zur Communauté, standen aber als UN-Treuhandgebiet unter französischer Verwaltung.

Von der französischen Kolonie zur Françafrique

Die große Unabhängigkeitswelle 1960 verlief komplett anders als Guineas Lossagung von der Grande Nation zwei Jahre zuvor. Viele der neuen afrikanischen Führer arrangierten sich mit Frankreich und trafen etliche Abkommen mit der ehemaligen Kolonialmacht. Léopold Sédar Senghor im Sénégal, Félix Houphouët-Boigny in der Elfenbeinküste oder Léon M´Ba in Gabun fühlten sich Frankreich traditionell eng verbunden und wollten auch jetzt die Nabelschnur zum kolonialen Mutterland nicht vollständig durchtrennen. Senghor hatte in Frankreich studiert; Houphouët-Boigny hatte 15 Jahre in der kolonialen medizinischen Versorgung gearbeitet und anschließend in verschiedenen Regierungen in Frankreich gedient. M´Ba war in französischen Missionsschulen erzogen worden und hatte dann als Beamter für die Kolonialbehörden im Dienst Frankreichs gestanden. Eine besonders enge Beziehung pflegte Frankreich auch zu M´Bas Nachfolger Omar Bongo. 1967 hatte ihn General de Gaulle bei der Präsidentenwahl protegiert. Im Gegenzug hatte Frankreich während Bongos 40-jähriger Amtszeit Vortritt, wenn es um die Verteilung der reichen Ölressourcen in Gabun ging.

Bis heute bestehen diese oft fragwürdigen Allianzen zwischen Frankreich und seinen ehemaligen Kolonien fort. Oft geraten sie unter dem Schlagwort "Françafrique" in die Kritik. Noch immer hat Frankreich Armeen in Afrika stationiert, noch immer garantiert die Französische Zentralbank die Konvertibilität des Franc CFA, der Währung der meisten französischen Ex-Kolonien. Das heißt, Frankreich muss Reserven als Zahlungsgarantie für die FCFA-Länder bereithalten. Von der Wirtschaft über Verwaltungsstrukturen bis zum Schulsystem - der französische Einfluss ist in den ehemaligen Kolonien überall präsent.

Belgien verlässt die Demokratische Republik Kongo

Während der großen Unabhängigkeitswelle 1960 entließ nicht nur Frankreich seine afrikanischen Kolonien in die Freiheit. Mit der Demokratischen Republik Kongo wurde eines der größten Länder Afrikas von Belgien unabhängig.

InfoboxUnabhängigkeit 1960: Die Staaten im Überblick

Vor 50 Jahren wurden 17 ehemalige afrikanische Kolonien unabhängig, darunter die zehn französischen Kolonien Madagaskar, die Demokratische Republik Kongo, Somalia, Benin, Niger, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Tschad, die Zentralafrikanische Republik, die Republik Kongo, Gabun, Senegal, Mali, Nigeria und Mauretanien. Die Unabhängigkeit erlangten auch Kamerun und Togo, die als UN-Treuhandgebiet unter französischer Verwaltung gestanden hatten. Im selben Jahr befreite sich auch die Demokratische Republik Kongo von Belgien, sowie Nigeria und Somalia, von den Kolonialländern England und Italien.

Die Demokratische Republik Kongo hatte während der Kolonialzeit besonders gelitten: Die belgischen Kolonialherren beuteten die Kongolesen gnadenlos aus. Schon König Leopold II. wollte sich seinen Machtbereich in Afrika sichern. Er schickte den Entdecker Henry Morton Stanley an den Kongo-Fluss und ließ ihn "Gebietsverträge" mit Dorfchefs abschließen. 1885 wurde Leopolds "Freistaat Kongo" international anerkannt. Ein Gebiet von mehr 1,5 Millionen Quadratkilometern - Belgien hätte 75 Mal auf diese Fläche gepasst. Durch den Handel mit Elfenbein und Kautschuk wurde Leopold II. zu einem der reichsten Männer Europas. Zu einem hohen Preis: Unter seiner blutigen Herrschaft starben geschätzte zehn Millionen Kongolesen.

Der Kongo hat wohl die brutalste Kolonialherrschaft in Afrika hinter sich. Auch der Übergang in die Unabhängigkeit verlief alles andere als sanft: Belgien musste den Kongo in die Freiheit entlassen; der öffentliche Druck war zu groß, die antikolonialen Bewegungen zu stark. Kurz vor dem Unabhängigkeitstag wurde Patrice Lumumba, ein glühender Anhänger des Panafrikanismus, zum Premierminister des Kongo gewählt. Schon bei der Unabhängigkeitsfeier am 30. Juni 1960 trat der Konflikt zwischen dem Kongolesen und dem belgischen König Baudouin offen zutage. Während Baudouin die angeblichen Errungenschaften unter belgischer Herrschaft lobte, kritisierte Lumumba mit scharfen Worten die Unterdrückung und die Ausbeutung durch die Belgier.

Seine klare Haltung gegen die Belgier kostete Lumumba das Leben: Noch im selben Jahr stürzte ihn der spätere Diktator Joseph Mobutu mit Hilfe des CIA. Lumumba wurde erst in der kongolesischen Hauptstadt Léopoldville ins Gefängnis gesperrt und dann im Januar 1961 von belgischen Offizieren in die abtrünnige Provinz Katanga gebracht. Dort wurde Lumumba ermordet. Patrice Lumumba gilt bis heute als eine Symbolfigur für den afrikanischen Unabhängigkeitskampf. Sein Tod konnte nie endgültig aufgeklärt werden. Eine belgische Untersuchungskommission stellte allerdings 2001 eindeutig fest, dass belgische Offiziere, Polizisten und Funktionäre in den Mord an Lumumba verstrickt waren. Belgien entschuldigte sich beim kongolesischen Staat, juristische Konsequenzen hatte die Untersuchung bisher nicht.

Die Ermordung Lumumbas war der Höhepunkt in dem Chaos, das der Unabhängigkeitserklärung im Juni 1960 gefolgt war: die bürgerkriegsartigen "Kongo-Wirren" erschütterten das riesige Land. Zwei Regionen, Katanga und Kasai, versuchten sich abzuspalten, UN-Blauhelme mussten eingreifen und im Osten des Landes kam es zu einer Rebellion. Als die Belgier den Kongo schließlich ganz verließen, blieb das Chaos im Land zurück. Bis heute hat sich der Kongo nicht davon erholt. Trotz reicher Bodenschätze versinkt der zentralafrikanische Staat in blutigen Rebellen-Kriegen, Misswirtschaft und Korruption.

Nigerias Problem mit der kulturellen Vielfalt

In der englischen Kolonie Nigeria wurde wie im belgischen Kongo der Weg in die Freiheit von vielen Unruhen begleitet. Allerdings lagen die Probleme hier woanders: Mit der Unabhängigkeit begannen in dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas die Auseinandersetzungen unter den Eliten der größten drei Völker um die Macht: der Haussa-Fulani, der Yoruba und der Igbo. Der dreijährige Biafra-Krieg erlangte weltweit traurige Berühmtheit. Die Igbo hatten vergeblich versucht, die Republik Biafra vom Rest des Landes abzuspalten. Jahrzehnte später kämpft Nigeria noch immer mit blutigen Unruhen in der Bevölkerung. Das Problem hat sich aber von einem ethnischen zu einem eher regional-religiösen Konflikt zwischen dem muslimischen Norden und dem christlichen Süden entwickelt. Auch der niedrige Lebensstandard trägt zu den Ausschreitungen bei. Dabei könnte es Nigeria aufgrund der reichen Ölvorkommen gut gehen, aber davon profitiert die Zivilbevölkerung kaum. Politische Eliten bereichern sich in Abkommen mit multinationalen Ölkonzernen.

Grund zum Feiern?

Die meisten afrikanischen Staaten, die in diesem Jahr den 50. Jahrestag ihrer Unabhängigkeit feiern, begehen den Tag mit großen Festlichkeiten. Neben den 15 französischen Kolonien waren das die Demokratische Republik Kongo, Nigeria und Somalia, das von England und Italien unabhängig wurde. Senegals Präsident Abdoulaye Wade lässt das Jubiläumsjahr mit einer gigantischen Statue in die Geschichte eingehen. Ein enorm teures Projekt, das ihm angesichts der miserablen Versorgungslage im Land viel Kritik einbrachte. Die Demokratische Republik Kongo hat in einer versöhnlichen Geste den belgischen König Albert II. zu ihrer Unabhängigkeitsfeier eingeladen. Auch das haben Kritiker nicht verstanden. Sie machen nach wie vor die belgische Kolonialherrschaft für die anhaltend schlechte Lage im Land verantwortlich. Niger dagegen verzichtete auf eine pompöse Veranstaltung. Das Land leidet zurzeit unter einer massiven Lebensmittelkrise. Stattdessen wurden in einer symbolischen Zeremonie Bäume gepflanzt. Das Sahelland will sich auf eine Agrarreform konzentrieren. Die Elfenbeinküste, die nach der Unabhängigkeit mit Kakao und Kaffee das "ivorische Wirtschaftswunder" geschaffen hatte, feierte ihre Unabhängigkeit in Zeiten politischer Instabilität. Präsident Laurent Gbagbo regiert seit 2005 ohne die Legitimation durch Wahlen. 2002 hatte der Bürgerkrieg zwischen den Rebellen des Nordens und der Regierung das einstige Wirtschaftswunder beendet, das Land in Nord und Süd geteilt und in eine tiefe Krise gestürzt. 2007 hatten sich die Konfliktparteien im Vertrag von Ouagadougou zu einem Friedensabkommen verpflichtet. Seitdem sollen eigentlich demokratische Wahlen stattfinden, der Termin wird aber immer wieder aus unterschiedlichen Gründen verschoben.

Einen wirklichen "Vorzeigestaat" gibt es unter den 17 Ländern, die vor 50 Jahren unabhängig wurden, nicht. Im Gegenteil: Die aktuelle politische und wirtschaftliche Situation steht in einem krassen Gegensatz zu all den Hoffnungen und Visionen, mit denen die jungen Nationen vor 50 Jahren in die Unabhängigkeit gingen.

Christine Harjes ist freie Radiojournalistin und hat sich auf Afrika-Themen spezialisiert. Für Reportagen und Journalisten-Trainings der Deutsche Welle Akademie reist sie mehrmals im Jahr in verschiedene afrikanische Länder.