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Afrikas Religionen in Geschichte und Gegenwart | Afrika | bpb.de

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Afrikas Religionen in Geschichte und Gegenwart

Jean-Félix Belinga Belinga Jean-Felix Belinga Belinga

/ 8 Minuten zu lesen

Einleitung

In Afrika existieren neben den traditionellen afrikanischen Religionen zwei große religiöse Gemeinschaften: der Islam und das Christentum. Hinzu kommen andere Weltreligionen wie der Hinduismus, Sikhismus und das Judentum, welche aber im Verhältnis zu den eingangs genannten Glaubensrichtungen eine untergeordnete Rolle spielen. Der Islam ist in Nord- und in Westafrika sowie in den Küstenregionen Ostafrikas besonders stark verbreitet, während das Christentum vorrangig im südlichen Afrika, im Landesinneren Ostafrikas, in Zentralafrika und an der Küste Westafrikas zu finden ist.

Die verschiedenen traditionellen afrikanischen Religionen werden bis auf Nordafrika auf dem ganzen Kontinent, oft auch parallel zum Christentum und zum Islam, praktiziert und spiegeln die kulturelle Vielfalt der etwa 2.000 Gesellschaften Afrikas wider. Religiosität nimmt im Leben der Afrikanerinnen und Afrikaner einen zentralen Platz ein und durchdringt alle Lebensbereiche.

Traditionelle afrikanische Religionen

Gris Gris (© Adelheid Hahmann)

In den traditionellen afrikanischen Religionen versteht sich das Individuum nur in Verbindung mit seiner ethnischen Gruppe und mit den Ahnen. Diese sind die Eckpunkte seiner religiösen Identität und es besteht eine enge Verflochtenheit zwischen der Religion und seinem sozialen Umfeld. Schon als Kind wird der Mensch rituell in die Gesellschaft eingebunden, er wird so in die Geheimnisse der Gruppe eingeweiht und in eine persönliche Beziehung zu den Ahnen eingegliedert. Diese starke Bindung impliziert eine distanzierte Wahrnehmung der Welt außerhalb der Gruppe und bringt Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft mit sich. Der Einzelne muss vor allem das Prinzip der Seniorität [Anm. d. Red.: Respekt gegenüber den Entscheidungen der Ältesten der Gemeinschaft] respektieren, die Harmonie der Gruppe wahren und sowohl die eigene Ehre als auch die der anderen schützen.

Mythologie

Die meisten afrikanischen traditionellen Gesellschaften besitzen einen reichen Fundus an Mythen, die über den Ursprung der Welt, des Menschen, des Todes und sogar der Götter berichten. Sie fließen zwar kaum in kultische Handlungen ein, aber in ihrer ätiologischen Gestaltung stellen sie den Menschen symbolisch mittels der Macht des Wortes in ein eschatologisch ausgerichtetes Gesamtsystem.

Transzendenz

In traditionellen afrikanischen Religionen sehen die Menschen Gott in der Regel jenseits ihres Erfahrungsbereiches. Sie unterscheiden zwischen ihren Ahnen und den Göttern. Angesehene verstorbene Menschen werden zu Ahnen, wobei sie äußerlich ihre Erscheinung als Menschen behalten. So sind sie den Lebenden vertraut, ihnen räumlich nahe und sorgen für deren Wohl. Götter dagegen gehören anderen Sphären an, sie sind fern und mit guten wie bösen Attributen versehen. Sie lassen die Menschen ihre Wohltaten wie auch ihren Zorn spüren. Die Menschen beugen sich stets dem Willen der Götter, denn ihr Beistand ist für die Gestaltung des Alltags unentbehrlich. Die Ahnen nehmen eine vermittelnde Rolle zwischen den Göttern und Menschen ein.

Riten und Symbole

Riten und Symbole spielen in allen traditionellen afrikanischen Religionen eine zentrale Rolle. Riten vitalisieren den Lebensraum des Menschen und verleihen sowohl der Gemeinschaft als auch dem Individuum Sicherheit in der Bewältigung des Alltags. Die traditionellen Religionen schärfen mit bemerkenswerter Prägnanz die Einbindung des Einzelnen in den Lebenszyklus.

Initiationsriten nehmen einen wichtigen Platz in vielen Gesellschaften ein. Sie symbolisieren das Erreichen einer neuen Lebensphase und damit eines neuen sozialen Status. Sie können mit prägend schmerzhaften Erfahrungen der Initianden [Anm. d. Red. Anwärter auf eine Initiation] verbunden sein. Als Ausdruck einer ambivalenten Lebensfunktion verknüpfen sich Tod und Neugeburt sinnbildlich, oft einhergehend mit der Vergabe eines neuen Namens. Der soziale Stand, das Alter, Geschlecht, der Ehestand und die Berufsgruppe hängen in traditionellen afrikanischen Gesellschaften häufig mit einer strengen, festen Verankerung in einer bestimmten Gruppe zusammen; Regeln und Tabus legen das Verhalten in der Gruppe fest. Verletzungen solcher Tabus werden gelegentlich sogar mit dem Tod bestraft.

Einen besonderen Platz nehmen Trauer- und Bestattungsriten ein. Begräbnisfeiern können mehrere Tage dauern. Sie lehnen sich an den sozialen Stand der verstorbenen Person an, je größer das Ansehen, desto pompöser die Feierlichkeiten. Diese begleiten den Übergang des aus dem Leben geschiedenen Menschen in die Sphäre der Ahnen, von wo aus er weiterhin in Kontakt mit seiner Familie bleibt. Der Jahreszyklus wird ebenfalls von rituellen Aktivitäten begleitet. In Agrargesellschaften ist die bewusste Anpassung des Menschen an die Jahreszeiten von entscheidender Bedeutung. Der Verlust einer Aussaat oder die Zerstörung einer Ernte aufgrund eines ausbleibenden oder verspäteten Regens hat fatale Folgen. Durch rituelle Handlungen treten die Menschen mit den Ahnen und Göttern in Kontakt, um sich ihrer Gunst und die der Naturgewalten zu versichern.

Die Riten finden ihre eigentliche Entfaltung in Symbolen. Während einer religiösen Zeremonie lassen Symbole eine unlösbare Einheit zwischen dem Menschen und dem Jenseits entstehen. Maskenträger verkörpern den Geist, dessen Abbild die Maske darstellt; ein Tanz, der die Sonne herbeibeschwört, lässt die Energie der Sonne gegenwärtig, erlebbar, spürbar werden. Entscheidend ist, dass der Mensch zur kosmischen Mitte der symbolischen Darstellung wird. Er lebt das Symbol und lässt die Kraft und Macht des Symbolisierten lebendig werden.

Islam

Moschee in Agadez aus dem 16. Jahrhundert, Niger/Westafrika (© Fiehn)

Durch die arabischen Eroberungen hielt der Islam bereits im 7. Jahrhundert in Nordafrika Einzug. Bis heute hat sich die prioritäre Stellung des Islam in diesem Teil Afrikas gehalten und er prägt wie kein anderes Element die Kultur. Die Unruhen der vergangenen Jahrzehnte in Algerien weisen daneben auf einen nachhaltigen politischen Einfluss hin. Durch nordafrikanische Händler gelang die damals noch junge Religion südwärts in die westafrikanischen Metropolen der Reiche Gana und Mali. Mit seiner Verbreitung jenseits der Küstengebiete vermischte sich der Islam in ländlichen Gebieten immer mehr mit traditionellen Praktiken. Sie ließen eine Art "afrikanischen Islam" aufkeimen. Traditionelle Herrscher wurden daraufhin häufig Ziele von Angriffen, die sich mit dem Anspruch, die Religion vor polytheistischen Vermischungen zu bewahren, 'Djihad' nannten. Die Verbreitung mystisch geprägter Nebenformen des Islam wurde so weitgehend gestoppt. Diese bewaffneten Djihads waren zum Teil nicht nur religiös, sondern durchaus auch politisch motiviert.

Gleichzeitig gelangte der Islam über die arabische Halbinsel nach Ostafrika. Während arabische Muslime den Islam in den ostafrikanischen Küstenstädten festigten, wurde er vor allem durch Nomaden ins Hinterland getragen. Mit der Entfaltung der mit arabischen, persischen und afrikanischen Elementen bestückten Suaheli-Kultur verbreitete sich die Religion wiederum nach Süden bis in die nördliche Region des heutigen Mosambik. In das südliche Afrika kam der Islam nur vereinzelt mit Menschen aus dem südostasiatischen Raum, die teilweise als Sklaven nach Südafrika verschleppt wurden.

Wie alle anderen religiösen Kräfte in Afrika leisteten Muslime trotz gelegentlicher Kooperation einen regional ausdifferenzierten Widerstand in der Kolonialgeschichte. Auch in der Gegenwart ist ein engagierter Versuch zu beobachten, politisch und kulturell Einfluss auf die Gesellschaftsgestaltung zu nehmen. Diese gesellschaftspolitischen Ambitionen berufen sich teilweise auf geschichtliche Ereignisse, so versuchen Provinzen in Nord-Nigeria einen islamischen Staat nach dem Beispiel des Kalifat Sokoto zu errichten. Das Kalifat umfasste seinerzeit Regionen im heutigen Nigeria, Benin, Niger und Kamerun und wurde 1903 durch die englische Kolonialmacht aufgelöst. Islamische Kräfte setzen heute auch zunehmend auf eine Abgrenzung von westlichen Einflüssen im Interesse einer Eingliederung in eine standardisierte internationale Gestalt des Islam.

Christentum

Römisch-Katholische Kirche in Maputo, Mosambik / Südliches Afrika (© Fiehn)

Das Christentum kennt in Afrika, Asien und Lateinamerika eine Dynamik, die in starkem Gegensatz zu seiner Entwicklung in Europa steht. Nach Afrika kam die Religion mit der Errichtung europäischer Handelsstützpunkte an den Küsten des Kontinents im 15. Jahrhundert und verstärkt im Zuge der Kolonialisierung im 19. und 20. Jahrhundert. Es gibt aber auch Gebiete, wo das Christentum schon zu einem früheren Zeitpunkt seine Anhänger fand, so praktizieren die Äthiopier und die Eritreer am Horn von Afrika seit mehr als 1.600 Jahren die christliche Religion.

In Afrika muss zwischen den Missionskirchen und den so genannten Unabhängigen Afrikanischen Kirchen unterschieden werden.

Die Missionskirchen

Evangelische Kirche in Maputo, Mosambik (© Fiehn)

Die Missionskirchen sind aus den missionarischen Aktivitäten von Europäern und Amerikanern hauptsächlich im 19. Jahrhundert hervorgegangen. Oft im Zusammenhang mit den europäischen imperialistischen Bestrebungen ließen die Missionare nicht nur die zwei großen Konfessionen, katholisch und evangelisch, sondern eine Vielzahl an Denominationen in Afrika entstehen. Je nach Herkunft der jeweiligen Missionsgesellschaft begegnet man heute in Afrika unterschiedlichen Formen der lutherischen, reformierten, anglikanischen, orthodoxen, baptistischen oder methodistischen Kirchen. Viele der protestantischen Kirchen lösten sich bereits Anfang des 20. Jahrhunderts von den Mutterkirchen und machten sich selbständig, die meisten jedoch erst nach 1950 im Zuge der allgemeinen, politisch motivierten Befreiungsbewegungen in Afrika.

Diese Missionskirchen haben im Laufe der Jahre weitgehend zu einer eigenen Identität gefunden, wenngleich der Prozess der Identitätsfindung noch nicht abgeschlossen ist. Als problematisch erweisen sich bis heute die übernommenen musikalischen Traditionen. Die meisten Lieder erscheinen zwar als Treuebekenntnisse, wirken im afrikanischen Kontext jedoch nach wie vor fremd. Ein weiteres Problem sind Fehlgriffe bei der Übersetzung von Bibeln in lokale afrikanische Sprachen, die weiter tradiert werden. In den meisten Fällen leiteten die Missionare selbst diese Übersetzungen, obwohl ihnen die jeweilige Sprache nicht vertraut war. Die Sprache der Bibel weicht daher häufig von der gebräuchlichen Sprache erheblich ab und wird somit unverständlich. Darüber hinaus finden viele Abstraktionen aus dem Neuen Testament in einigen afrikanischen Sprachen keine Analogien.

Die Afrikanischen Unabhängigen Kirchen

Eine Kirche in Sambia. (© Kirk Pflaum, SCX.hu)

Die Afrikanischen Unabhängigen Kirchen sind zum großen Teil als Protestbewegung gegen die Missionskirchen entstanden. Im westlichen Christentum wurde, so die Kritik, zu wenig Rücksicht auf einheimische Traditionen genommen. Elemente afrikanischer Religiosität, sofern sie empirische spirituelle Erfahrungen beinhalteten, waren in den europäischen Glaubensformen nicht zu integrieren. Gute Entfaltungsmöglichkeiten dagegen boten sich in der Pfingstbewegung mit ihren prophetischen Reden, rituellen Heilungen, der Geistesergriffenheit bzw. mit Trance-Erlebnissen und der Zungenrede.

Die Gottesdienste der Afrikanischen Unabhängigen Kirchen bilden zu denen der Traditionskirchen einen heftigen Kontrast. In den vergangenen Jahren erhielten sie einen enormen Zulauf und sie repräsentieren ein dynamisches, sich fortwährend verbreitendes Christentum. Viele der Afrikanischen Unabhängigen Kirchen sind jedoch nur temporäre Phänomene. Sie tragen dennoch in einem hohen Maß zum Ausbau der Infrastruktur in afrikanischen Ländern bei und sind Träger angesehener Schulen. In Angolas Hauptstadt Luanda gehören die besten Kliniken der Kirche 'Bom Deus' an.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Begriff Ätiologie kommt aus dem Griechischen und bezeichnet in einzelnen philosophischen Schulen der Antike die Lehre von den Ursachen. In der Religion und Mythologie spricht man von einer Ätiologie, wenn eine Erzählung über Vorgänge der Vergangenheit einen Zustand in der Gegenwart begründen soll. (Quelle: Wikipedia; http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%84tiologie#Religion_und_Mythologie)

  2. Die Eschatologie (griechisch ta eschata, "die äußersten/letzten/schlimmsten Dinge") ist die Lehre von den "letzten Dingen" und bezeichnet Glaubensvorstellungen, die sowohl das Leben nach dem Tod des einzelnen (Individual-Eschatologie) als auch das Ende der Welt (Universal-Eschatologie) betreffen. (Quelle: Microsoft Encarta Enzyklopädie 2004)

  3. Der Begriff Transzendenz (lateinisch transcendere: hinübergehen, überschreiten) beschreibt eine Sphäre des Übernatürlichen als den Bereich der Welt, der nicht mit dem menschlichen Verstand und den Sinnen erfassbar ist. Das Übernatürliche oder auch Göttliche ist nur im Glauben erlebbar.

  4. Ein Ritus (aus dem lateinischen, plural: Riten) bezeichnet eine religiöse Handlung, die aus Worten und Gesten besteht und in einem festgelegten Ablauf vorgenommen wird. Der Begriff wird inzwischen auch verwandt, um feste Gewohnheiten von Menschen zu umschreiben.

  5. Der Djihad ist ein Begriff aus dem Koran und kann mit 'dem Bemühen auf dem Wege Gottes' übersetzt werden. Es wird zwischen dem großen und dem kleinen Djihad unterschieden. Der große Djihad bezeichnet den inneren geistigen Kampf gegen die eigene Unvollkommenheit, das Laster und die Unwissenheit. Der kleine Djihad steht für die Verbreitung des Islam unter den Ungläubigen und dessen Verteidigung.

Jean-Félix Belinga Belinga, Theologe und Autor aus Kamerun, lebt seit 1980 in Deutschland. Seine doppelte Identität kommt besonders in seinen Gedichten zum Ausdruck. Er schreibt zudem Romane, Kurzgeschichten und Märchen für alle Altersklassen, in denen er das Leben in seiner afrikanischen Heimat schildert.