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Schatzsuche in der Sahara | bpb.de

Schatzsuche in der Sahara Wie Konkurrenz die Geschicke der Wüstenländer lenkt

Miriam Shabafrouz

/ 7 Minuten zu lesen

Bisher hat der Ressourcenreichtum den Menschen in Libyen und Algerien eine vergleichsweise gute Infrastruktur, aber auch Krieg und Verteilungskämpfe gebracht. Über erneuerbare Energien wachsen erste Kooperationen.

Luftaufnahme der Libyschen Wassergewinnungsanlage Al Kufrah. (© picture-alliance)

Die Sahara bedeckt einen Großteil Nordafrikas. Zwischen dem Roten Meer und dem Atlantik erstreckt sich die Wüste über elf Länder, sie reicht vom Atlas-Gebirge und dem Mittelmeer im Norden bis zur Sahel-Zone im Süden. Jedes Jahr wächst sie durch die fortschreitende Wüstenbildung in beide Richtungen weiter und breitet sich auf vormals fruchtbarem Boden aus. Geschäftsleute, Ingenieure und Arbeiter sowie Sicherheitskräfte und bewaffnete Gruppen aus der Region und aus aller Welt wollen an der lukrativen Förderung und dem Vertrieb der Ressourcen unter dem Wüstenboden teilhaben. Sowohl Erdöl und Erdgas als auch Tausende Jahre altes Trinkwasser sind im Boden gespeichert. Und überirdisch bietet sich die große, sonnenbestrahlte Fläche an, Energie zu gewinnen.

Zwei Länder verfügen über besonders große Vorkommen dieser Bodenschätze: Algerien und Libyen. Algerien hat neben einem mediterranen Grüngürtel an der Nordküste den größten Anteil an der Sahara. Libyen wird bis auf die Küste und ein paar Oasen fast vollständig von ihr eingenommen. In beiden Ländern ist die Förderung des Erdöls und -gases weitgehend in staatlicher Hand, Gleiches gilt für die Wasserinfrastruktur. Allerdings wurde die Trinkwasserversorgung in mehreren algerischen Städten in den letzten Jahren privatisiert. Und in Libyen hat sich seit dem Arabischen Frühling, dem darauf folgenden ersten Bürgerkrieg und den NATO-Bombardements einiges an den Besitzverhältnissen, der Betriebsform und auch am Zustand der Infrastruktur geändert.

Der Anteil Nordafrikas an den fossilen Energieressourcen der Welt ist eigentlich wenig beeindruckend: Algerien verfügt über weniger als ein Prozent der bisher nachgewiesenen Weltreserven an Erdöl, Libyen über etwas mehr als drei Prozent. Trotzdem sind beide wichtige Exportländer, auch weil sich das hier geförderte Sweet Crude Oil durch seine hohe Qualität gut für die petrochemische Produktion eignet. Im Jahr 2012 lag Algerien auf Platz 13 und Libyen auf Platz 15 der Erdöl exportierenden Staaten. Die Nähe zu Europa lässt zudem den Export von Erdgas über Pipelines attraktiv erscheinen. Algerien besitzt etwa zweieinhalb Prozent des weltweit nachgewiesenen Erdgases und war 2010 die siebtgrößte Exportnation. Libyen mit knapp einem Prozent der Reserven lag auf Platz 21. Aufgrund der sich leerenden Lagerstätten könnten in Algerien ab 2020 sogar ernsthafte Engpässe bei der Energieversorgung auftreten. Die Regierung hat deshalb in den letzten Jahren verstärkt in Solartechnik und Windkraft investiert und die Gesetzeslage so verändert, dass der Anteil Erneuerbarer Energien im inländischen Energiemix bis zum Jahr 2030 auf ehrgeizige 40 Prozent erhöht werden soll – bisher spielt grüne Energie praktisch keine Rolle. Nicht zuletzt soll der inländische Verbrauch der Rohstoffe in Algerien gesenkt werden, um mehr davon für die petrochemische Produktion oder den Export nutzen zu können.

Mit einer großen Vision im Blick wurde mit der Konstruktion großer solartechnischer Anlagen in der Wüste begonnen. Mit dem Ziel, Europa mit Energie aus Nordafrika zu versorgen, wurde 2009 die Desertec-Industrie-Initiative (Dii) von der Desertec-Stiftung, der Deutschen Bank und der Münchner Rück gegründet. Ein Fünftel des europäischen Energiebedarfs sollte bis 2050 aus Sonnenenergie vom Nachbarkontinent gedeckt werden. Algerien sollte der wichtigste Partner in dem Projekt werden. Der ehemalige Erdölminister Chakib Khelil betonte damals allerdings, dass die "Ausbeutung der Solarenergie" durch ausländische Unternehmen auf algerischem Boden nicht gewünscht sei. Im Oktober 2014 wurde dieses Projekt durch den Rückzug fast aller Projektpartner weitgehend beendet.

Hauptproblem des Projekts war jedoch weniger der Protektionismus der Sahara-Staaten als vielmehr der nur schwach ansteigende Energiebedarf Europas. Dieser lässt sich auf eine höhere Energieeffizienz, den demografischen Wandel und die Wirtschaftskrise im Euro-Raum zurückführen – aber auch auf die Bemühungen, erneuerbare Energien näher vor Ort zu produzieren. Solche Entwicklungen machten die Investitionen, die sich immerhin auf rund 400 Milliarden Euro belaufen hätten, riskanter – und so verloren die Geldgeber das Interesse. Ein weiteres Problem ist der Export der produzierten Energie über das Mittelmeer hinweg nach Europa. Insofern muss die Idee eines Energieexports neu überdacht werden, die, wie auch der Desertec-Direktor Paul van Son einräumt, eine "eindimensionale Vision" gewesen sei. Sinnvoll sei es nun, an die Versorgung regionaler Märkte in Nordafrika selbst zu denken.

Luftangriffe auf den "Großen menschengemachten Fluss"

Die Ressource Wasser ist in Algerien und Libyen nach gängigen Definitionen "absolut knapp", gemessen an der Verfügbarkeit der erneuerbaren Wassermenge pro Einwohner. Wasserknappheit kann verschiedene Ursachen haben: etwa ein Mangel an Investitionen in die notwendige Infrastruktur oder eine schlechte politische Steuerung der Versorgungssysteme. Der am schwierigsten zu behebende Grund ist aber, wenn das Wasser in seiner Gesamtheit schlicht nicht ausreicht, um den Wasserbedarf der Bevölkerung zu decken. Von dieser sogenannten physikalischen Wasserknappheit wird gesprochen, wenn das pro Kopf und Jahr verfügbare erneuerbare Wasserangebot unter 1.000 Kubikmetern liegt. Libyen stehen weniger als ein Drittel zur Verfügung, Algerien kann nur zehn Prozent seines Bedarfs damit decken. In beiden Ländern regnet es unregelmäßig, und die Regenmenge ist so gering, dass die Flüsse nur saisonal mit Wasser gefüllt sind. Durch die hohe Wasserentnahme und den Bau von Staudämmen werden sie zusätzlich geschwächt, weshalb die erneuerbaren Grundwasservorkommen sich nicht wieder vollständig füllen können.

Neben den erneuerbaren Reserven birgt die Sahara aber noch weiteres Wasser: Tiefer liegende Wasservorkommen, fossiles Wasser genannt, werden durch Zuflüsse oder Regenwasser nur so langsam wieder aufgefüllt, dass sie lange als nicht erneuerbar galten. Die unterirdischen Wasserspeicher beider Länder, auch Aquifere genannt, sind so groß, dass sie nicht so schnell zu erschöpfen sein werden. Unter dem Territorium Algeriens erstreckt sich der größte Teil des Nordsahara-Aquifers, der auch durch Tunesien und Libyen verläuft und mehr als 30.000 Milliarden Kubikmeter Wasser beinhaltet. Das wären für die drei Länder bei aktuellen Bevölkerungszahlen immerhin über 45.000 Kubikmeter Wasser pro Kopf, die um die 1.000 Jahre ausreichen würden. Libyen hat noch mehr Reserven aufzuweisen: Es liegt über einem Teil des Nubischen Aquifers, der sich auch unter dem Tschad, Ägypten und Sudan erstreckt. Er gilt mit seinen geschätzten 373.000 Milliarden Kubikmetern saubersten Trinkwassers als das größte unterirdische Frischwasservorkommen der Erde. Um die Dimensionen greifbarer zu machen, kann man sich einen 1.000 Meter tiefen See voller Trinkwasser vorstellen – so groß wie die Bundesrepublik Deutschland.

Zur Förderung dieser Wasservorkommen hatte der ehemalige libysche Diktator Muammar al-Gaddafi 1984 ein Mammut-Projekt begonnen: den "Großen menschengemachten Fluss". Er galt als das monumentalste Bewässerungsprojekt der Welt und hat über 30 Milliarden US-Dollar gekostet. Über ein vernetztes System von Bohrungen und Pipelines wurde das fossile Wasser aus der Sahara zur Bewässerung von Wüstenoasen und des kargen Küstenlands sowie zur Trinkwasserversorgung in den Städten geleitet. Bis 2011 waren die Leitungen fertiggestellt, die die Städte Benghazi, Sirte, Tripolis und die weitere westliche Küste versorgten. Nach Abschluss hätten laut Plan zudem mehr als 150.000 Hektar Land zur Nahrungsmittelproduktion bewässert werden können – vor allem für die Versorgung des afrikanischen Kontinents, entsprechend des panafrikanischen Engagements Gaddafis.

Doch Libyen hat sich infolge des Arabischen Frühlings grundlegend gewandelt, was sich auch auf die Bewässerungsprojekte und auf die Erdölproduktion ausgewirkt hat. Durch das Bombardement während des von der NATO geführten Einsatzes gegen das Gaddafi-Regime wurden auch wichtige Teile des Bewässerungsprojekts zerstört – nicht nur die Pipelines selbst, sondern auch die Fabrik, die Pipelines produzierte. In der Folge brach ein Teil der Trinkwasserversorgung des Landes zusammen. Seither muss verstärkt Meerwasser für die Bewässerung und Trinkwasserversorgung aufbereitet werden. Die Qualität dieses Wassers nach Sauberkeit und Geschmack ist jenem des nubischen Grundwassers jedoch weit unterlegen, die Entsalzung verbraucht fossile Brennstoffe und ist um ein Vielfaches teurer. Auch Erdöl-Produktionsanlagen wurden zerstört und ließen den Export einbrechen.

Die Instabilität der staatlichen Institutionen und die Macht, die die bewaffneten Milizen weiterhin ausüben, beeinträchtigen die Qualität der institutionellen und wirtschaftlichen Entwicklung; der 2014 erneut ausgebrochene Bürgerkrieg könnte gar in einen endgültigen Staatszerfall münden. Das hat auch schwerwiegende Auswirkungen auf den Ressourcenexport. Beispielsweise sind Erdölhäfen wie Al-Sidra im Osten Libyens teilweise unter Kontrolle separatistischer Rebellen. Von Sidra aus wurde im März 2014 der Öltanker "Morning Glory" unter nordkoreanischer Flagge ausgeschifft und entzog sich somit der Kontrolle der Regierung. Kurz darauf wurde er zwar von der US-Flotte abgefangen und zurückgeführt, doch die Unfähigkeit, die Kidnapper des Tankers zu stoppen, kostete Übergangspremier Ali Zeidan das Amt und erschwert dem Staat den Verkauf der wertvollen Ressourcen.

Libyen und Algerien sind sich in ihrer Abhängigkeit vom Export ihrer Bodenschätze und den damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten ähnlich. Die natürlichen Reichtümer werden oft als Ursachen für geringe unternehmerische Aktivität und demokratische Entwicklung betrachtet. In ihrem "Doing Business Index" bescheinigt die Weltbank Libyen 2016, weltweit der zweitschlechteste Ort für Geschäftstätigkeit zu sein – das Land rangiert auf Rang 188 von 189 Ländern, Algerien liegt auf Platz 163. Dagegen erhalten die rohstoffärmeren Nachbarn Marokko (Platz 75) und Tunesien (Platz 74) deutlich bessere Bewertungen. Der Kampf um Macht in Libyen ist immer auch ein Kampf um die Verteilung der Öleinnahmen. Die Lage vieler Ölfelder in der Wüste erschwert zudem die Kontrolle durch den Staat. In der Sahara erkämpfen sich Stammesmilizen immer wieder eine gewisse Autonomie – wenn sie dadurch Ölfelder in ihre Gewalt bekommen, können sie vermehrt Kämpfer mit Waffen ausstatten und so auch die zentralstaatliche Politik zu beeinflussen suchen. Nicht zuletzt verlaufen durch die Sahara illegale Handelsrouten, die große Gewinne abwerfen und mit Waffengewalt verteidigt werden. Die libysche Regierung konnte sich im Sommer 2014 eben auch deswegen nicht halten, weil sie die Kontrolle – und damit die Einnahmen – über die Erdölfördergebiete an die Milizen verlor.

Die Bevölkerungen in Libyen und Algerien haben Vor- und Nachteile des Ressourcenreichtums zu spüren bekommen. Viele Algerier und Libyer hegten lange die Hoffnung auf großen Wohlstand für alle. Beide Länder hätten dank der reichen Öl- und Gasvorkommen auch das Potenzial, die Mehrheit der Bevölkerung zu Wohlstand zu verhelfen, doch die Verteilungskämpfe haben eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung bislang zu verhindern vermocht.

Dieser Artikel ist erschienen in: Gerlach, Daniel et al.: Atlas des Arabischen Frühlings. Eine Weltregion im Umbruch, Zeitbild, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2016, S. 60-61.

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