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Soziale Bewegungen in der Dominikanischen Republik

Hans-Ulrich Dillmann

/ 5 Minuten zu lesen

In der Dominikanischen Republik formierte sich erster Widerstand, um gegen die totalitäre Herrschaft von Rafael Leónidas Trujillo Molina zu demonstrieren. Erst nach seinem Tod 1960 bildeten sich soziale Bewegungen heraus, die weit über den politischen Protest hinausreichen.

In der Dominikanischen Republik sitzen mehr als zwei Drittel der Gefangenen ohne gültiges Urteil im Gefängnis. (© AP)

Die Entstehung sozialer Bewegungen in der Dominikanischen Republik ist eng verknüpft mit dem Kampf gegen die Diktatur von Rafael Leónides Trujillo Molina, der das Land von 1930 bis zum 30. Mai 1960 beherrschte, der Tag, an dem er bei einem Attentat erschossen wurde. Zwar gab es während der US-Intervention von 1916 bis 1924 Gruppierungen, die sich nicht nur gegen die Besetzung wehrten und zeitweise einen regelrechten Guerillakrieg führten, sondern auch soziale Forderungen stellten. Die Anhänger von "Liborio" (Bauer Liborio Mateo wurde am 27. Juni 1922 von US-Truppen erschossen) könnte man sogar als die dominikanischen Wiedertäufer bezeichnen, die ein Gottesreich sozialer Gerechtigkeit auf Erden errichten wollten. Aber eine wirtschaftliche Entwicklung mit dem gleichzeitigen Entstehen einer Arbeiterbewegung lässt sich erst in den 30 Jahren der Trujillo-Ära feststellen.

Besonders im agrarisch entwickelten Osten der Insel mit seinen immensen Zuckerrohrplantagen entstanden Arbeitervereine, die den Charakter eines Hilfsvereins für die in absoluter Armut lebenden Braceros, den Zuckerrohschneidern, hatten. Trujillo förderte sie sogar anfangs in der Hoffnung, politische Forderungen unterbinden zu können. Vereinzelte, meist spontane und unorganisierte Arbeitsniederlegungen in den Plantagen gab es schon in den 1930er-Jahren, aber erst 1942 verzeichnete das Land seinen ersten großen Streik in La Romana, einem der Zentren der Zuckerrohrverarbeitung. Lohnerhöhungen und die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen wurden gefordert. Der Terror des Trujillo-Regimes machte diesem Streik ein schnelles Ende.

In den Folgejahren wurde die Organisierung der Landarbeiter von den gerade entstandenen politischen Gruppierungen – namentlich der Revolutionären Dominikanischen Partei, des Partido Revolutionario Dominicano (PRD) – initiiert, die in Gegnerschaft zum diktatorisch regierenden Trujillo standen. Eine vorübergehende politische Öffnung des Landes nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges machte 1946 Arbeitsniederlegungen möglich. Die Mehrzahl der Industrieunternehmen gehörte allerdings dem Diktator, und so waren die Forderungen eher politischer Natur.

Erste Gewerkschaften entstehen

Der Sturz des Tyrannen änderte an der sozial-wirtschaftlichen Situation des Landes wenig. Aus den politischen Gruppierungen, wie der Bewegung "14. Juni", der Dominikanischen Volksbewegung (Movimiento Popular Dominicana - MPD) und der PRD, die den Hauptwiderstand getragen hatten, entstanden Gewerkschaftsorganisationen, die jedoch nie aus dem Schatten der parteipolitischen Forderungen herauskommen gekommen sind und noch heute entsprechend agieren. Vor allem die Konförderation der Arbeitervereinigungen (Confederación de Trabajadores Unitarios – CTU), Generalzentrale der Arbeiter (Central General de Trabajadores – CGT), die dem Internationalen Bund Freier Gewerkschaften angehörende Generalunion der Dominikanischen Arbeiter (Unión General de los Trabajadores Dominicanos – UGTD), die von der PRD gegründet wurden, machen heute noch von sich reden. Daneben gibt es noch eine christdemokratische Autonome Konföderation der Klassengewerkschaft (Confederación Autónoma Sindical Clasista – CASC) und die von der AFL/CIO beeinflusste Nationale Konföderation der Dominikanischen Arbeiter (Confederación Nacional de Trabajadores Dominicanos – CNTD). Jedoch ist der Einfluss der Gewerkschaftsverbände auf die Beschäftigten sowohl in den Kleinfabriken als auch in den Lohnveredelungsfabriken der Freihandelszonen – vornehmlich Textilfabrikation – äußerst gering. Wer sich gewerkschaftlich organisiert, dem droht nach wie vor Entlassung.

Lediglich die Busfahrervereinigungen verfügen über nennenswerten, eindeutig politisch instrumentalisierten Einfluss, da der Personennah- und –fernverkehr fast ausschließlich privat ist. Wenn die "Syndicatos" den Verkehr paralysieren, geht nichts mehr im Land. Wichtig in sozialer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht ist dagegen die Vereinigung der Lehrer (Asociación de los Profesores – ADP), die über die berufsbedingten Ansprüche zur Verbesserung der Situation ihrer Mitglieder hinausgehende erziehungs- und bildungspolitische Forderungen artikuliert. Gleiches gilt auch für die Vereinigung der Dominikanischen Mediziner (Asociación de Médicos Dominicanos – AMD) in der Gesundheitspolitik.

Weitere soziale Bewegungen

In den Stadtteilbewegungen, den bäuerlichen Organisationen sowie den in den jüngsten Jahren entstandenen Umweltgruppen hat die politische Polarisierung aufgrund der Nähe zur regierenden Partei oder zur Oppositionsposition de facto zu einem Verlust der Unabhängigkeit geführt. Gerade die Phase der "zwölf blutigen Jahre" der Balaguer-Herrschaftsepoche von 1966 bis 1978 hatte in der sozialen und politischen Bewegung des Landes zu einer Diversifizierung der Gruppierungen und ihrer Tätigkeitsfelder geführt. In den Stadtteilen entstanden "Clubes Culturales". Die Kulturklubs machten sich auf die Suche nach den kulturellen Wurzeln einer vornehmlich mulattischen Bevölkerung, deren Vorfahren hauptsächlich aus Spanien und aus den versklavten Völkern der westafrikanischen Küste besteht. Dieser Bewegung ist es zu verdanken, dass sich neben der allgemein auch in Deutschland bekannten Merengue- und Bachatamusik eine afrokaribische Musikszene entwickelt hat, die auch religiöse Ausdrucksformen umfasst. Sie speisen sich aus der Vermischung katholischer Riten und afrikanischer sowie karibischer Überlieferungen.

Die Diversifizierung findet ihre Entsprechung auch in anderen sozialen Bereichen der Gesellschaft, in denen der dominikanische Staat noch nie präsent war bzw. sich zurückgezogen hatte. Im Gesundheitsbereich waren über Jahrzehnte von den ehemaligen Oppositionsgruppierungen gegründete oder initiierte Selbsthilfegruppen oft die – zum Teil sogar alleinigen – Träger der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung in den Armutsstadtteilen und ländlichen Regionen. Dabei hat etwa die Naturheilkunde – das Land verfügt über eine beeindruckende Vielfalt von Heilpflanzen – neue Bedeutung gewonnen und auch die Pateras oder Comadres genannten Hebammen und Heilkundige wieder Anerkennung gefunden.

Die sozialen Proteste in den 1980er-Jahren gegen die staatliche Wirtschaftspolitik und die Verteuerung der Lebensmittelpreise haben die Dominikanische Republik in eine schwere politische Krise geführt. Die zum Teil gewalttätigen Demonstrationen wurden von den Protagonisten der sozialen Bewegungen getragen, die ihre Basis in den unzähligen Armutsvierteln des Landes hatten. Dem später entstandenen politisch übergreifenden Linksbündnis Foro Social Alternativo gelang es in diesem Jahr bereits zwei Mal, mit landesweiten Streiks gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik der PLD-Regierung das Land lahm zu legen.

Frauen- und feministische Gruppen

Auch die im Land existierenden Frauen- und feministischen Gruppen sind Produkte der politischen Bewegung der Nach-Trujillo-/Balaguer-Epoche. Aus der Föderation der Dominikanischen Frauen (Federación de Mujeres Dominicanas) entwickelte sich das Komitee der Hausfrauen (Comite de Amas de Casas) und das Komitee der Familien von Gefangenen und Verschwundenen (Comite de Familiares de Presos y Desaparecidos), aus denen wieder eine Großzahl von Gruppierungen entstanden, die explizit feministische Forderungen stellten – zum Teil im scharfen Widerspruch zu den politischen Organisationen. Auf Initiative der dominikanischen Feministinnen ist auch der Internationale Aktionstag gegen Gewalt an Frauen entstanden.

Viele der anfangs eher informellen Gruppen entwickelten sich aufgrund ausländischer Entwicklungshilfeprogramme zu institutionalisierten Nichtregierungsorgansationen (Organisaciones No Gubermentales – ONG), deren Tätigkeitsfelder in folgenden Bereichen liegen: Prävention bzw. Nachsorge bei "Gewalt gegen Frauen" (ACELARE), Frauenbildung und –ausbildung (CE-Mujer), Frauengesundheit (Colectiva Mujer y Salud), Migrantinnen (Mujeres Dominico-Haitianas – MUDHA) und Feministischen Wissenschaften (Centro de Investigación para la Acción Femenina – CIPAF).

Während in einem Teil Latein- und Zentralamerikas in den jüngsten Jahren so genannte Ökogruppen an Einfluss auf das sozialpolitische Leben gewonnen haben, befindet sich diese Bewegung in der Dominikanischen Republik noch in den Anfängen. Zwar hat die starke Nachfrage nach Bioprodukten im Bereich Bananen und Kakao dazu geführt, dass das Land inzwischen eines der wichtigsten Biobananen- und Biokakaolieferanten für Deutschland geworden ist, ein interner Markt oder die Entwicklung von Produktions- bzw. Vertriebsgenossenschaften in diesem Bereich sind noch nicht sehr weit gediehen aufgrund der mangelnden Nachfrage und vor allem des geringen "ökologischen Problembewusstseins". Zum Leidwesen der nur wenigen existierenden Umweltschutzgruppen wird die inzwischen sehr fortschriftliche Gesetzeslage nicht angewandt, wenn wirtschaftliche Interessen vor allem im Bereich der Tourismusindustrie dem entgegenstehen. Und Organisationen, die sich explizit ökologischen Forderungen verschrieben haben, finden sich oft als – noch – einsame Rufer im Land wieder.

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Hans-Ulrich Dillmann, Jahrgang 1951, gelernter Drucker und Journalist, Zentralamerika- und Karibik-Korrespondent für "Tageszeitung" und die "Jüdische Allgemeine" mit Sitz in Santo Domingo, Dominikanische Republik. Autor des Buches "Jüdisches Leben nach 1945", Rotbuch.