Julia Schumacher am 01.10.2012
Debbie und Penny: Verwalterinnen der Demokratie
Rückblick auf die US-Präsidentschaftswahlen vor vier Jahren: Exakt 132.645.504 Wahlzettel liegen bereit, ausgedruckt und ready to vote. Insgesamt sind das 663 Tonnen Papier, wenn jeder einzelne registrierte Wähler zur Urne marschiert und seinen Wahlzettel einwirft. Dass auch jeder Wähler seinen Zettel bekommt und eine Urne bereitsteht, dafür sorgen die „County Board of Elections“, die kleinsten Einheiten, die an der Organisation dieses immensen Kraftakts der Demokratie ganz am Anfang stehen. Hier ein Beispiel aus dem Swing-State Ohio.
Diese amerikanische Freundlichkeit ist beeindruckend: Sie schmeichelt, heißt einen willkommen und verteilt großzügig das wohlige Gefühl, dass es im Moment für den anderen kein größeres „Pleasure“ geben könnte, als sich gerade hier mit dir zu unterhalten. Als ich das „Athens County Board of Elections“ betrete, schallt mir genau diese Freundlichkeit entgegen. „Hey, hello, how are you? How can I help you, darling?“, fragt mich Carol Perry, die mir mit Bibliothekarinnenbrille hinter der grau furnierten Theke des etwas in die Jahre gekommenen Office entgegenkommt. Ich stelle mich vor und erzähle ihr, dass ich einen Termin mit den beiden Leiterinnen des Board of Elections habe, mit Penny und Debbie. Sie verschwindet und kommt mit Debbie zurück. Wieder diese Freundlichkeit. Die graumelierte Dame in lila Bluse und mit scharfem Blick entschuldigt sich mehrfach. Ein spontaner Besuch der Polizei, es geht um die Sicherheit am Super-Tuesday, es dauert noch. Ich nehme in der Wartelobby Platz, neben einem überdimensionierten Nussknacker im Stars-and-Stripes-Look, einer betttuchgroßen US-Flagge und einem verstaubten Kunstblumenstrauß – alles rot, weiß, blau.
Wo liegt Athens County?
Dann bleibt mein Blick an den Karten an der Wand hängen: Der Bundesstaat Ohio hat insgesamt 88 Countys – ein County entspricht dem, was wir in Deutschland unter einem Landkreis verstehen. Athens County liegt im Südwesten des Bundesstaates. Die Farbe im kleinen Kästchen, das die Fläche des County auf der Karte anzeigt, ist fast ausschließlich grün. Nur zwei Städte – Athens und Nelsonville – sind eingezeichnet. Sonst gibt es nur Dörfer, freie Gemeinden und viel unbewohntes Land. Athens County gliedert sich in 67 Wahlbezirke.Debbie kommt zurück, sie hat ihre ebenfalls ergraute Kollegin Penny im Schlepptau. Die beiden könnten Schwestern sein. Debbie und Penny, beide Ende 50, zeigen mir die für die vielen Sachen viel zu kleinen Räume und erzählen dabei in schnellem Ohio-Englisch von sich und ihrer Arbeit. Ein „Board of Elections“ ist eine Behörde, die sich um sämtliche Anliegen der Wähler und um die Abstimmung durch die registrierten Wähler selbst kümmert. Vom Registrieren über das Sortieren der Briefumschläge über das Briefing der freiwilligen Wahlhelfer. Jedes Mal, wenn ich im Gespräch über die Wörter „vote“ und „elect“ stolpere, korrigiert mich eine der beiden Wahlbüro-Omis: „to vote“ ist das, was der Wähler macht, er stimmt für den Wahlmann. „To elect“, wirklich wählen, das ist Aufgabe des Wahlmannes im Electoral College.
Board of Elections: Hier schlägt das Herz der Wahl


Die Wahl beginnt lange vor dem 06. November
Unsere Tour geht weiter: Wir schlängeln uns durch die verwinkelten Büroräume, in denen sich überall Kisten, Ordner und stapelweise Umschläge bis unters Dach auftürmen. Penny zeigt mir einen Raum in Stars-and-Stripes-Deko, in dem sich 67 schwarze Apparate befinden, für jeden Wahlkreis einen. Diese zählen die Wahlzettel vor Ort aus und schreiben die Ergebnisse auf die Speicherkarten in den Zip-Beuteln. Die Ergebnisse aus den Wahlkreisen laufen in Athens zusammen und werden an das „Ohio Board of Elections“ vermittelt. Dort entscheidet sich dann, ob die Wahlmänner des Swing-State Ohio einheitlich Obama oder Romney wählen...Ein Techniker packt gerade jeden Apparat in einen Koffer, denn die werden heute noch verteilt.

Verliebt in den Job
Das ist auch der Grund, warum Penny und Debbie in den vergangenen 22 Tagen nur einen Tag frei hatten und nicht im „Board of Elections“ erschienen sind. „Du musst diesen Job lieben, mit ganzem Herzen für die Demokratie und die Rechte der Wähler da sein wollen. Dass du Geld für deinen Job bekommst, das reicht nicht!“ So begründet Debbie das Durchhaltevermögen und die Stressresistenz der beiden. Aber wenn das nur alle vier Jahre ist, denke ich mir....“Nein. Wie haben hier jedes Jahr eine Wahl: Senat, Gouverneur, der Sheriff...Dieses Jahr fällt nur vieles auf einmal.“Debbie und Penny würden es wahrscheinlich niemals zugeben, denn das passt nicht zu dieser amerikanischen Wohlfühl-Höflichkeit, aber so langsam habe ich das Gefühl, dass sie weiterarbeiten wollen. Und ständig klingelt das Telefon. Sie bringen mich zur Tür, vorbei an blau-rot-weißem Wandschmuck und verabschieden mich: „Honey, it was such a pleasure to meet you! Have a safe trip. Bye bye, take care darling. Hafe a safe trip!“.