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Deindustrialisierung und High-Tech in den USA | USA | bpb.de

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Deindustrialisierung und High-Tech in den USA

Prof. Dr. Julia Püschel

/ 13 Minuten zu lesen

Schon seit dem Zweiten Weltkrieg durchlaufen die USA einen Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Doch in Kombination mit der intensivierten Globalisierung und Digitalisierung führt diese Entwicklung seit den 1980er-Jahren verstärkt zu ökonomischen Ungleichheiten – mit großen regionalen Unterschieden.

Liefer-Roboter im Einsatz in Miami, Florida, im März 2021. (© picture-alliance, abaca | El Nuevo Herald/TNS/ABACA)

Wirtschaftliche Strukturen sind immer im Wandel. Während bestimmte Arbeitsplätze wegfallen, entstehen neue Beschäftigungen, die andere Qualifikationen erfordern als solche Jobs, die beispielsweise durch Automatisierung und Interner Link: Globalisierung abgebaut werden. 13 Prozent aller Beschäftigten in den USA arbeiten in Jobs, die es 1970 noch nicht gab. Damit einher gehen unterschiedliche Herausforderungen und Chancen für die wirtschaftliche Teilhabe verschiedener Bevölkerungsgruppen und verschiedener Regionen. Der Interner Link: Arbeitsmarkt ist ausschlaggebend für die Lebensstandards und -perspektiven der meisten Menschen. Die aktive Teilnahme am Arbeitsmarkt ist nicht nur maßgeblich dafür, den eigenen Wohlstand zu sichern, sondern auch für den sozialen Status, den Gesundheitszustand sowie für die Teilhabe am politischen Prozess. In den USA, deren Interner Link: wohlfahrtsstaatliches System gemeinhin als liberal bezeichnet wird, nimmt der Arbeitsmarkt in dieser Hinsicht eine besonders zentrale Stellung ein. Eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse, beispielsweise wenn man seinen Job verliert oder weniger Gehalt bezieht, ist sozial weniger abgefedert als in sozialdemokratisch geprägten Wohlfahrtsstaaten.

Schon vor der COVID19-Pandemie waren das Tempo und das Ausmaß des aktuellen wirtschaftlichen Interner Link: Strukturwandels vergleichsweise hoch: 61 Prozent der Bevölkerung in 28 Ländern schätzten die Geschwindigkeit des technologischen Wandels als zu hoch ein. Momentan befinden sich auch die USA in einer Phase besonders schneller Veränderungen, die alle Qualifikationsniveaus betreffen und eine rasche Anpassungsfähigkeit an immer neue, dynamische Bedingungen erfordern. Die neuen Charakteristika der wirtschaftlichen Globalisierung in Kombination mit immer weitreichenderen technologischen Innovationen stellen den US-amerikanischen Arbeitsmarkt vor allumfassende Herausforderungen über die verschiedensten Ausbildungsniveaus hinweg. Während bis Mitte der 1990er-Jahre vor allem Geringqualifizierte in der produzierenden Industrie, wie beispielsweise der Kraftfahrzeugindustrie und der Metall verarbeitenden Industrie, einen Verlust ihrer Arbeitsplätze oder Einkommensrückgänge befürchten mussten, sind zunehmend auch Beschäftigungsverhältnisse der traditionellen Mittelklasse und im Interner Link: Dienstleistungssektor, etwa Facharbeiter in der Industrie oder Sachbearbeiter in der Verwaltung, sowie Höherqualifizierte betroffen.

Vom Manufacturing Belt zum Rust Belt

Im Zuge der industriellen Revolution nahm in den USA seit Ende des 19. Jahrhunderts zunächst die Bedeutung der Interner Link: Landwirtschaft stetig zu Gunsten der verarbeitenden Industrie ab. Bis in die 1970er-Jahre dominierte dieser Sekundärsektor die Wirtschaftsstruktur, und seitdem gewannen zunehmend Dienstleistungen, der sogenannte tertiäre Sektor, an Bedeutung. Diese Verschiebungen hatten weitreichende Auswirkungen auf die räumliche Verteilung wirtschaftlicher Aktivität innerhalb der USA. Während der Manufacturing Belt (deutsch etwa: Produktionsgürtel) im Nordosten zum Rust Belt (Rostgürtel) wurde, erstarkten der Sun Belt, ein Großraum vom Südwesten bis zum Südosten des Landes, und die Metropolregionen.

Seit dem 19. Jahrhundert erleben die USA einen strukturellen Wandel, bei dem die Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor rasant ansteigen. Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Knapp 100 Jahre konzentrierte sich die wirtschaftliche Aktivität in den USA vor allem im Nordwesten und Mittleren Westen des Landes, dem sogenannten Manufacturing Belt. Um 1900 wurden vier Fünftel des gesamten industriellen Interner Link: Bruttoinlandsprodukts (BIP) der USA in dieser Region produziert, auch wenn der Manufacturing Belt nur ein Sechstel der gesamten Landfläche der USA ausmachte und nur etwas über die Hälfte der gesamten Bevölkerung dort lebten. Ursächlich für die Ansiedelung der Industrie in diesem Gebiet war das Vorkommen natürlicher Ressourcen, wie Kohle und Eisenerz. Dem Entstehen riesiger Kohl- und Stahlgiganten, wie der United States Steel Corporation, folgten weitere Unternehmensansiedlungen aufgrund der gut angebundenen Lage nahe der Großen Seen in Kombination mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes in den Jahren nach dem Interner Link: Amerikanischen Bürgerkrieg ab 1865. In Pittsburgh konzentrierte sich die Stahlverarbeitung und in den Appalachen wurde Kohle abgebaut, während sich Städte wie Chicago und Milwaukee der Lebensmittelindustrie widmeten und sich in Detroit die Automobilindustrie konzentrierte.

Im Laufe der 1970er-Jahre wurden Investitionen allerdings größtenteils außerhalb des Manufacturing Belts getätigt. Die Stahlkrise, die Binnenmarktsättigung und eine zunehmende Konkurrenz aus dem Ausland ließen den traditionellen ökonomischen Kernraum immer mehr an Bedeutung verlieren. Dem Stilllegen großer Anlagen der Schwerindustrie folgte zunehmend die Schließung weiterer Unternehmen und der Manufacturing Belt wurde schließlich zum Rust Belt (Rostgürtel), benannt nach dem Rost, der sich an den verlassenen Fabriken ansammelte. Verstärkt wurde diese abnehmende wirtschaftliche Bedeutung der Region durch die zweite Welle der Globalisierung seit den 1980er-Jahren. Das weltweite Exportvolumen hat sich von 1980 bis 2021 nahezu verzehnfacht (UNCTAD 2021). Die lange den Welthandel dominierenden Mitgliedsstaaten der Interner Link: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) begannen verstärkt mit großen Schwellenländern wie China, Indien, Brasilien und Russland zu handeln, welche ein besonders niedriges Lohnniveau aufwiesen.

Ein stillgelegtes Stahlwerk in River Rouge, Michigan. Bei der Abwicklung der Fabrik, früher Arbeitsplatz für 16.000 Menschen, sind 2021 nur noch rund 500 Personen beschäftigt. (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com | Jim West)

Lohnungleichheiten und zunehmende Armut

Ökonominnen und Ökonomen sind sich grundsätzlich einig, dass eine zunehmende außenwirtschaftliche Verflechtung den beteiligten Ländern Vorteile bringt. Vor dem konjunkturellen Einbruch durch die Interner Link: Weltwirtschaftskrise 2009 hat der internationale Handel beispielsweise wesentlich zum Wirtschaftswachstum und den hohen Beschäftigungsquoten in den USA beigetragen. Allerdings sieht ein Großteil der Bevölkerung in den USA wie auch in den anderen OECD-Staaten die Auswirkungen der Globalisierung skeptisch. Insbesondere die keineswegs klaren Auswirkungen für Arbeitsplätze in den Binnenmärkten aus den resultierenden ökonomischen Restrukturierungen schaffen Unsicherheiten und damit verbunden Angst und Ablehnung.

Diese öffentliche Wahrnehmung steht nur auf den ersten Blick im Widerspruch zu der Einschätzung der Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, welche oftmals die weit verbreiteten positiven Gesamtwohlfahrtseffekte des internationalen Handels betonen. Gleichzeitig besteht nämlich auch unter diesen ein breiter Konsens, dass die mit dem Handel einhergehenden ökonomischen Anpassungsprozesse negative Konsequenzen für bestimmte Berufsgruppen mit sich bringen. In den 1980er-Jahren waren Geringqualifizierte in der produzierenden Industrie besonders betroffen – dieselbe Gruppe, deren Beschäftigungsmöglichkeiten schon durch den Strukturwandel zur Dienstleistungsgesellschaft reduziert worden war. Diese Reduktion der Beschäftigungsmöglichkeiten am unteren Ende der Lohnverteilung begünstigte seit den 1980er-Jahren auch einen verstärkten Anstieg der Lohnungleichheiten. Davor waren die ersten drei Jahrzehnte der Nachkriegszeit lediglich durch einen leichten Anstieg der Lohnungleichheiten in den USA gekennzeichnet.

Strukturwandel in Pittsburgh: Vom Kohlekumpel zum Pfleger

Professor Gabriel Winant (© Gabriel Winant)

Im "Rust Belt" prägte früher die Kohle- und Stahlindustrie den Arbeitsmarkt – heute nehmen der Gesundheitssektor und soziale Berufe eine zunehmend dominante Rolle ein. Der Historiker Gabriel Winant spricht Interner Link: im Interview über den Strukturwandel der ehemaligen Industrieregion im Mittleren Westen der USA.

Während sich die Interner Link: Arbeitseinkommen zwischen den unteren 90 Prozent und den oberen zehn Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung auch in nahezu allen OECD-Ländern auseinanderentwickelt haben, so ist der Lohnunterschied in den USA besonders stark ausgeprägt. Verschärft wird das Problem durch eine seit den 1970er-Jahren gestiegene Interner Link: Armutsrate. Laut dem US-Census lebten 2019 10,5 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung unterhalb der offiziellen Armutsgrenze; in Orten des Rust Belt wie Cleveland lebten 2019 sogar über 30 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Erschwerend kommt hinzu, dass auch die intergenerationale Einkommensmobilität stark abgenommen hat. Kinder aus ärmeren Familien haben nicht die gleichen Aufstiegschancen wie Kinder reicherer Eltern, so dass Armut oftmals vererbt wird.

Regionale Ungleichheiten steigen seit den 1990er-Jahren wieder an

Seit den 1990er-Jahren ist ein weiteres Charakteristikum des Strukturwandels besonders in den Fokus wissenschaftlicher und öffentlicher Debatten gerückt: Die ungleiche geographische Verteilung der Kosten und des Nutzens. Bis in die 1980er-Jahre haben der technologische Fortschritt und der zunehmende internationale Handel zu einer Abnahme von Ungleichheiten zwischen den OECD-Ländern und auch zwischen den Regionen innerhalb dieser Länder beigetragen. Dann allerdings wurden immer mehr Arbeitsplätze aus ohnehin schon strukturschwachen Regionen in Länder mit niedrigeren Lohnkosten und geringeren Umweltregulierungen verlagert. Regionale Ungleichheiten innerhalb der Länder steigen seit den 1990er-Jahren wieder an. Der Handel mit China hat Schätzungen zufolge zu einem Verlust von nahezu 2,7 Millionen Jobs in den USA geführt. 2,1 Millionen dieser Jobs gingen zu Lasten von US-Beschäftigten in der Industrie. Auch wenn die Zahlen für die USA insgesamt relativ klein sind, so sind sie durch ihre räumliche Konzentration sehr gewichtig. Insbesondere wenn man – wie neuere empirische Arbeiten – berücksichtigt, dass Arbeitskräfte oft weniger mobil sind als früher. Die Mobilität von US-Arbeitskräften ist auf einen historischen Tiefstand gesunken und seit den 1980er-Jahren um die Hälfte gefallen. Im Ergebnis sind die negativen Auswirkungen struktureller Anpassungsprozesse in den betroffenen Regionen größer und von wesentlich längerer Dauer als zunächst erwartet.

Die verarbeitende Industrie produzierte traditionell mit steigenden Skalenerträgen, so dass eine größere Produktion zu Kostenersparnissen führte und die räumliche Ballung bestimmter Branchen begünstigte. Im Ergebnis waren ganze Regionen auf die Produktion bestimmter Industrien fokussiert. Ein Arbeitsplatzabbau in diesen Industrien lässt in der Folge wenige Arbeitsplätze in der jeweiligen Region übrig. Der Wegfall von Arbeitsplätzen, sinkende Einkommen und eine hohe Arbeitslosigkeit in der Industrie führen zudem durch branchen- und sektorenübergreifende Verknüpfungen und Versorgungsketten zu einer Abnahme der gesamten lokalen Nachfrage und wirken sich damit auch negativ auf lokale Dienstleistungen aus. Erwerbstätige, die nicht wegziehen wollen oder können, leben fortan mit ihrer Arbeitslosigkeit und wenig Aussicht auf weitere wirtschaftliche Teilhabe. Besonders betroffen von den negativen Auswirkungen des Strukturwandels sind Personen mit einem niedrigen Bildungsniveau, Ältere sowie Frauen, die alle eine vergleichsweise geringe Mobilität aufweisen. Die daraus resultierenden regionalen Ungleichheiten führten auch zu einem Erstarken des Interner Link: Populismus. Dies spiegelte sich im Interner Link: Brexit-Votum in Großbritannien 2016, bei der Wahl von Interner Link: Donald Trump zum US-Präsidenten 2016, den Interner Link: Französischen Präsidentschaftswahlen 2017 oder der Interner Link: Deutschen Bundestagswahl 2017 wider. Studien deuten an, dass die US-Wahlbevölkerung in Orten, die der wirtschaftlichen Konkurrenz aus China besonders stark ausgesetzt waren, schon bei den US-Kongresswahlen 2002 und 2010 extremere Kandidatinnen und Kandidaten gewählt haben als US-Amerikaner/-innen in anderen Regionen.

Sun Belt und Metropolen als Boom-Regionen des Strukturwandels

Parallel zum Abbau von Beschäftigungsverhältnissen in der verarbeitenden Industrie kam es zu einem Zuwachs an Beschäftigungsverhältnissen im Dienstleistungssektor, dem sogenannten tertiären Sektor. Räumlich profitierte von dieser Entwicklung innerhalb der USA vor allem der Sun Belt (alle US-Regionen südlich des 37. Breitengrads der Nordhalbkugel). 2019 waren nur noch 12.3 Prozent aller Beschäftigten in den USA in der Industrie tätig, wohingegen der Anteil des Dienstleistungssektors an der US-Gesamtbeschäftigung auf 80,3 Prozent angestiegen ist. Günstige Landpreise, vergleichsweise niedrige Lohn- und Energiekosten, eine niedrige Gewerkschaftsrate, der Ausbau des Highway-Systems und gezielte Fördermaßnahmen des Staates durch Investitionen in Rüstungs- und Luftfahrttechnologie begünstigten die Entwicklung neuer wirtschaftlicher Zentren im Süden. Vor allem siedelten sich Branchen aus dem Bereich der Wissens- und Informationsdienstleistungen an. Die Beschäftigung in diesen oftmals unternehmensbezogenen Dienstleistungen (business and professional services) hat innerhalb des tertiären Sektors besonders starke Wachstumsraten verzeichnet. Während sich die großen Unternehmen des Manufacturing Belt in der Nähe großer Rohstoffvorkommen konzentrierten, versammeln sich die Giganten des weiterhin wachsenden Wissens- und Informationssektors wie Google in den großen Metropolregionen, den global cities Boston, Los Angeles, New York, San Francisco oder Washington. Das Silicon Valley nahe San Francisco wurde zum Inbegriff für den Boom der High-Tech-Industrie, die Biotech-Industrie konzentriert sich um Boston und New York ist das finanzielle Zentrum der USA.

Entwicklung der Arbeitsplätze: Obwohl auch im Sun Belt die Jobs in der Industrie zurückgehen, steigen die Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor dank Öl-Boom, Luftfahrt- und High-Tech-Industrie deutlich. Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Im Zeitalter der traditionellen, verarbeitenden Industrie waren Skalenerträge vor allem auf physische Infrastruktur angewiesen, um sowohl Komponenten als auch die fertigen Endprodukte zu transportieren. In der sogenannten smart economy erwachsen Erträge durch die Realisierung von Skalenökonomien vor allem aus Netzwerkeffekten durch die Ballung von wissens- und informationsintensiven Branchen in großen Städten und Metropolregionen. Maschinelles Lernen ist abhängig von Daten und Unternehmen mit den größten Datensätzen wie beispielsweise Google können ihre Algorithmen am besten trainieren. Plattform-Unternehmen wie Uber sind am attraktivsten für weitere, neue user, wenn sie bereits viele Nutzerinnen und Nutzer haben. Im Resultat kommt es auch im Zeitalter der digitalen Produkte zu einer räumlichen Konzentration wirtschaftlicher Aktivität. Relativ wenige, große Unternehmen konzentrieren sich in den sogenannten global cities.

Polarisierung des Arbeitsmarktes

Große Städte im Süden der USA mit einer Bevölkerung von über 50.000 Menschen wachsen schneller als andere Regionen. Seit dem Zensus von 2010 hat die Bevölkerung in diesen Städten im Durchschnitt um 11,8 Prozent zugenommen. Allerdings wird bei einem genaueren Blick deutlich, dass von dieser regionalen Verdichtung wirtschaftlicher Aktivität nicht alle Bewohnerinnen und Bewohner der Städte und Metropolregionen gleichermaßen profitieren. Das Muster der steigenden Ungleichheiten zwischen den Regionen der USA findet sich zunehmend auch innerhalb der „Gewinner-Regionen“ des Strukturwandels wie dem Sun Belt und den großen Metropolregionen wieder. Insbesondere der Wegfall traditioneller white-collar jobs, Angestelltenberufe der Mittelklasse in Büro- und Verwaltungstätigkeiten, führt zu einem Arbeitsmarkt, der sowohl am oberen als auch am unteren Ende der Qualifikations- und Lohnverteilung floriert. Während die Nachfrage nach hoch- und auch niedrig-qualifizierten Arbeitskräften an den äußeren Rändern der Lohnverteilung gestiegen ist, werden Erwerbstätige mit einem mittleren Bildungsniveau und Einkommen immer weniger nachgefragt. Diese sogenannte „Job-Polarisierung“ manifestiert sich besonders stark in Städten. Städte weisen traditionell einen besonders hohen Anteil solcher white-collar jobs auf und sind daher in besonderem Maße von der allgemeinen Arbeitsmarktpolarisierung betroffen.

Restaurant-Angestellte, Verkäufer/-innen, Kuriere und andere Erwerbstätige demonstrieren 2017 in New York für die Erhöhung des Mindestlohns. (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com | Erik Mcgregor)

Da eine solche Interner Link: Polarisierung des Arbeitsmarktes ebenfalls in zahlreichen europäischen Ländern stattfindet, sehen Ökonominnen und Ökonomen neben dem fortschreitenden technologischen Wandel auch die neuen Charakteristika des Außenhandels als ursächlich an. Neben der quantitativen Ausweitung des internationalen Handels seit den 1980er-Jahren haben seit Mitte der 1990er-Jahre der Zwischenprodukthandel und auch der Dienstleistungshandel starke Zuwachsraten verzeichnet. Beides sind Tendenzen, die zunehmend eine Auslagerung von unternehmensunterstützenden Dienstleistungen, besonders im mittleren Qualifikationsniveau, ermöglicht haben. Mittelklasseberufe sind zudem oftmals durch Tätigkeitsprofile charakterisiert, die einen hohen Anteil an Routineaufgaben beinhalten und besonders leicht durch computergesteuerte Programme ersetzt werden können. Gleichzeitig sind seit den 1990er-Jahren sowohl die Nachfrage nach höheren Qualifikationen als auch der Beschäftigungsanteil von persönlichen Dienstleistungstätigkeiten gestiegen, die ein relativ geringes formales Bildungsniveau erfordern. Auf der einen Seite wurden Unternehmensberaterinnen, Software-Ingenieure und Finanzspezialistinnen verstärkt nachgefragt und verzeichneten einen starken Anstieg ihrer Gehälter. Auf der anderen Seite gab es eine große Ausweitung des persönlichen Dienstleistungssektors. Beschäftigte in diesem Bereich arbeiten beispielsweise als Reinigungskräfte, führen Hunde aus, bereiten Essen zu oder massieren. Beide Gruppen finden sich überdurchschnittlich häufig in großen Städten, wobei ihre Entlohnungen an den entgegengesetzten Extremen der Einkommensskala liegen. Dadurch sind große Städte oftmals besonders polarisiert.

Ökonomische Folgen der COVID19-Krise

Aktuell birgt die COVID19-Pandemie nicht nur kurzfristige Herausforderungen, sondern beschleunigt und verstärkt insbesondere zwei längerfristige Entwicklungen: Die Stagnation des internationalen Handels und die immer weiter fortschreitende Interner Link: Digitalisierung und Automatisierung der Arbeitswelt. Die COVID19-Krise hat zu einer starken Abnahme des weltweiten Bruttoinlandprodukts (BIP) geführt und auch die Arbeitslosenzahlen stiegen signifikant an. In den USA stieg die Arbeitslosenquote auf 6,1 Prozent im April 2021. Diese nationalen Werte schlagen sich regional sehr unterschiedlich nieder und die Arbeitslosenrate im August 2020 lag zwischen 4,0< Prozent in Nebraska und 13,2 Prozent in Nevada.

Während in Nebraska die Arbeitslosenquote im Vergleich zum Jahr davor fast gleich blieb, stieg sie in Nevada um mehr als neun Prozentpunkte an. Geographisch besonders betroffen sind Regionen, die vom Tourismus abhängig sind: Nevada, wo auch die Stadt Las Vegas liegt, hat hier den größten Anteil an bedrohten Beschäftigungen. An zweiter Stelle folgt Hawaii. In beiden Bundesstaaten stieg die Arbeitslosigkeit in der ersten Hälfte des Jahres 2020 entsprechend sprunghaft an.

Des Weiteren sind auch große Städte mit ihren polarisierten Arbeitsmärkten besonders stark den ökonomischen Herausforderungen der COVID19-Pandemie ausgesetzt. Einerseits konzentriert sich in Städten ein besonders großer Anteil von Jobs, in denen Telearbeit möglich ist und die daher als relativ sicher gelten. Andererseits war die Hauptquelle für das Wachstum der Beschäftigungsmöglichkeiten (wenn auch nicht für Lohnsteigerungen) von Geringqualifizierten die zunehmende Nachfrage nach persönlichen Dienstleistungen. Diese Art von Dienstleistungen wurde durch die COVID19-Pandemie im Kontext strikter Kontaktverbote kurzfristig weniger möglich. Zudem arbeitete im April 2020 ungefähr die Hälfte aller US-amerikanischen Erwerbstätigen von zu Hause aus, so dass sich auch dadurch die Nachfrage in Tourismus- und Reiseindustrien und im Bereich der sonstigen Dienstleistungen (hierzu zählen zum Beispiel Friseur- und Kosmetiksalons) reduzierte.

Besonders betroffen von den ökonomischen Herausforderungen der COVID19-Krise sind Geringqualifizierte, Beschäftigte im Niedriglohnsektor, Frauen und junge Erwerbstätige im Alter zwischen 16 und 24 Jahren. Diese Gruppen arbeiten besonders häufig in Jobs mit temporären Verträgen und sehr häufig in Jobs, die physische Präsenz erfordern und daher kaum Möglichkeiten zur Telearbeit bieten. Wenn sich der Trend zur Telearbeit fortsetzt, wird die Nachfrage nach persönlichen Dienstleistungen auch langfristig als treibender Faktor für das Beschäftigungswachstum Geringqualifizierter wegfallen. Es wird geschätzt, dass der Anteil von Arbeitstagen, die von zu Hause aus absolviert werden, sich nach der Pandemie verdreifachen wird.

Nach der Boom-Phase in den 1990er- und 2000er-Jahren stagniert zudem der internationale Handel seit 2008. So sind die Reallöhne in China seit den späten 1990er-Jahren stark angestiegen. Die Handelskosten sind nach einem Sinkflug in den 1970er- und 1980er-Jahren nicht weiter gefallen, auch aufgrund steigender Interner Link: Handelskonflikte. Die Herausforderungen und Risiken komplex verwobener, internationaler Wertschöpfungsketten sind verstärkt in den Vordergrund getreten. Durch die COVID19-Pandemie sind insbesondere strategische Sektoren, wie die nationale Sicherheit und die öffentliche Gesundheit, stark in den Fokus der öffentlichen Debatten gerückt. Neue Argumente für die Produktion im Interner Link: Binnenmarkt haben an Relevanz gewonnen. Während der internationale Handel in den vergangenen Dekaden stärker wuchs als das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP), so ist dies nicht länger der Fall. Es wird geschätzt, dass der internationale Handel im Jahr 2020 zwischen 13 und 32 Prozent abgenommen hat, womit er einen stärkeren Rückgang als das weltweite BIP erfuhr.

Ausblick auf die vierte Industrielle Revolution

Allerdings bedeutet diese Abkehr von internationalen Wertschöpfungsketten nicht automatisch ein Zurück zu Zeiten der traditionellen verarbeitenden Industrie. Technologische Innovationen im Bereich mobiler Robotik und Intelligenter Maschinen gewinnen zunehmend an praktischer Bedeutung und sorgen für eine Automatisierung von immer vielfältigeren Tätigkeiten. Diese Werkzeuge der Industrie 4.0 erfordern neue Qualifikationsprofile und seit den 2000er-Jahren können auch komplexe, nicht-routinemäßige Tätigkeiten automatisiert werden.

Auch wenn momentan noch unklar ist, welche Auswirkungen diese Entwicklungen langfristig auf die Verteilung und Organisation wirtschaftlicher Aktivität haben werden, lässt sich jetzt schon festhalten, dass die daraus entstehenden Herausforderungen und Chancen unterschiedlich auf bestimmte Bevölkerungsgruppen und auch auf bestimmte Regionen verteilt sein werden. Die Möglichkeiten für eine zukünftige wirtschaftliche Teilhabe stellen sich darüber hinaus zunehmend differenzierter dar. Während bis Mitte der 1990er-Jahre vor allem Geringqualifizierte in der produzierenden Industrie einen Verlust ihrer Arbeitsplätze oder einen Einkommensrückgang befürchten mussten, sind zunehmend auch Beschäftigungsverhältnisse der traditionellen Mittelklasse und im Dienstleistungssektor betroffen. Durch den momentan besonders schnell voranschreitenden Strukturwandel ist eine Veränderung über die verschiedensten Ausbildungsniveaus hinweg die allgegenwärtige Norm. Nicht nur interregionale Unterschiede haben zugenommen – auch innerhalb von Regionen gibt es zunehmend ungleiche Möglichkeiten wirtschaftlicher Teilhabe.

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Prof. Dr. Julia Püschel forscht und lehrt seit 2015 als Volkswirtin am interdisziplinären John-F.-Kennedy Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin. In Ihrer Arbeit untersucht sie langfristige, strukturelle Trends in Arbeitsmärkten. Professorin Püschels Lehr- und Forschungsprojekte zeichnen sich durch ihre Interdisziplinarität aus und spiegeln damit die Freude wider, sich aus verschiedenen Perspektiven mit drängenden sozialen Herausforderungen auseinander zu setzen.