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Partner und Rivalen Das schwierige Verhältnis der asiatischen Großmächte Indien und China

Michael Radunski

/ 7 Minuten zu lesen

Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Indien und China scheinen stabil und partnerschaftlich. In vielen anderen Bereichen herrscht dagegen große Rivalität. Wie sich das Verhältnis der asiatischen Großmächte zukünftig entwickelt, wir die Welt von morgen entscheidend prägen. Die USA haben das erkannt und den außenpolitischen "Schwenk nach Asien" bereits vollzogen. In Europa wird die Entwicklung indes noch immer kaum reflektiert.

Zwei chinesische Soldaten am Nathu-La-Pass, Grenzgebiet zwischen Indien und China. (© AP)

Indien und China und ihr Verhältnis zueinander werden die Welt von morgen prägen. Beide sind Nuklearmächte, sie stellen riesige Absatzmärkte für den globalen Handel dar. Ihre Bevölkerungen sind mit Abstand die größten der Welt. Das alles eint sie. Doch vieles trennt die beiden asiatischen Staaten auch: Indien gibt sich liberal, nennt sich gerne "größte Demokratie der Welt", es gibt eine freie Presse und eine unabhängige Justiz. China hingegen wird autoritär regiert, die Kommunistische Partei bestimmt in fast allen Bereichen der Gesellschaft den Kurs. Dass sie zudem geographische Nachbarn sind, macht sie zu Partnern und Rivalen.

Die Beziehungen zwischen Indien und China sind geprägt von diesen beiden Polen. Manchmal klingt es, als wären sie enge Verbündete: "Unsere Beziehungen zu Indien sind eines der wichtigsten Anliegen", verkündete Chinas Präsident Xi Jinping kurz nach seinem Amtsantritt im März 2013. Im Mai desselben Jahres ging die erste Reise von Chinas neuem Premierminister Li Keqiang nach Delhi, was als Zeichen angesehen wurde, welche Bedeutung den chinesisch-indischen Beziehungen in Peking beigemessen wird.

Genau zwischen diesen beiden Ereignissen, im April 2013, wurde jedoch auch die politische Gegnerschaft deutlich: Chinesische Truppen waren kilometerweit auf indisches Staatsgebiet vorgedrungen und hatten dort ein Militärlager errichtet. Seit Jahrzehnten herrscht über den genauen Verlauf der rund 3500 Kilometer langen chinesisch-indischen Grenze Uneinigkeit, 1962 kam es deswegen gar zum Krieg. Die Krise im April 2013 endete glimpflich, doch sie verdeutlicht, auf welch tönernen Füßen die Beziehung der beiden Länder steht.

Geschichte

Über viele Jahrhunderte hinweg dominierte das chinesische Kaiserreich große Teile Asiens. Auf dem indischen Subkontinent existierten Vasallenstaaten, die gegenüber China tributpflichtig waren. Als sich die britischen Kolonialherren Ende der 1940er Jahre aus Asien zurückzogen, ergab sich eine völlig neue Situation: Einerseits hegten die Regierungen in Peking und Delhi durchaus politische Sympathien füreinander – Interner Link: Jawaharlal Nehrus sozialistisch geprägtes Demokratiekonzept und Mao Zedongs kommunistische Herrschaft schienen ähnliche Ansätze zu verfolgen. Andererseits entpuppte sich die unklare Grenzziehung schnell als Belastung für die Beziehungen der beiden Länder.

Im Herbst 1962 schließlich eskalierten die Streitigkeiten um den Grenzverlauf und es kam zum Krieg. Indien war damals völlig unvorbereitet auf eine kriegerische Auseinandersetzung mit China. Premierminister Nehru wurden deswegen schwere Vorwürfe gemacht: Zu blauäugig sei er gewesen, zu naiv gegenüber China, er habe die Zeichen falsch gedeutet. Das indische Militär sei im Vergleich zu den chinesischen Truppen schlecht ausgerüstet gewesen. Fehler, die man in Indien nie wieder begehen möchte. Zwar dauerte der Konflikt nur einen Monat, doch seither herrscht auf indischer Seite ein tiefes Misstrauen gegenüber China.

Im Laufe der Jahre entfernten sich die beiden Staaten weiter voneinander: Indien verbündete sich mit der Sowjetunion und bot dem Dalai Lama und dessen tibetischer Exilregierung Zuflucht. China indes rückte näher an Indiens Erzfeind Pakistan heran. Die Allianzen überdauerten den Kalten Krieg und beeinflussen noch heute die Politik beider Länder.

Wirtschaftliche Entwicklung

Wirtschaftlich lagen die beiden Staaten lange Zeit gleich auf, bis Ende der 70er Jahre Deng Xiaoping der Volksrepublik eine wirtschaftliche Öffnung verordnete. Erste marktwirtschaftliche Regeln wurden eingeführt, Sonderwirtschaftszonen errichtet, begrenzter Wettbewerb zugelassen. In der Folge erlebte die chinesische Wirtschaft einen jahrzehntelangen Boom mit zweistelligen Wachstumsraten. China wurde zum Liebling ausländischer Investoren.

Auch in Indien wurde Chinas wirtschaftliche Entwicklung zur Richtmarke. Auf Symposien und in Leitartikel wurden immer lauter die Liberalisierung der heimischen Wirtschaft gefordert. Doch es dauerte bis in die 90er Jahre – also fast eineinhalb Jahrzehnte nach China – bis unter dem damaligen Finanzminister und späterem Premierminister Manmohan Singh erste marktwirtschaftliche Reformen auf den Weg kamen und die indische Wirtschaft zaghaft in den Wettbewerb des Welthandels eingegliedert wurde. (Siehe dazu Indiens Wirtschaft)

Es folgten Jahre des wirtschaftlichen Wachstums – und es wurde üblich, Indien und China miteinander zu vergleichen. Von 2001 bis 2005 wuchs Chinas Wirtschaft durchschnittlich um 9,8 Prozent, von 2006 bis 2010 sogar um 11,2 Prozent. Indien hinkte mit 6,5 Prozent und 8,6 Prozent noch etwas hinterher, hatte aber im Vergleich der beiden Zeiträume mit 2,1 Prozent den größeren Sprung gemacht. Der größere Zuwachs wurde als Signal gewertet, dass Indien Chinas zeitlichen Vorsprung aufholen würde.

Zudem hatte Indien aus westlicher Sicht einen gewichtigen Vorteil: Während China autoritär von kommunistischen Parteikadern regiert wurde, bestand in Indien eine freiheitliche Demokratie. Fachleute priesen deren Vorzüge. Zwar laufe manches etwas langsamer und beschwerlicher, aber die Gefahr eines plötzlichen Kollapses aus politischen Gründen sei in Indien nicht gegeben. Der Dalai Lama – auf schicksalhafte Weise mit beiden Ländern eng verbunden – sagte einmal: China sehe zwar gut aus, aber unter der Oberfläche würde es brodeln, während es sich in Indien genau umgekehrt verhalte. Die Mischung aus freiheitlichem Diskussionsklima, billigen Arbeitskräften und Englisch als Verkehrssprache schien Indien als Standort für Investitionen und Auslagerungen (Outsourcing) attraktiv zu machen. Im Wettrennen zwischen Indien und China schien Indien ein logischer Verbündeter des Westens zu sein.

Doch Indiens wirtschaftliche Entwicklung ist ins Stocken geraten. Im Jahr 2014 rechnet die Regierung nur noch mit einem Wachstum von 4,8 Prozent. Die Infrastruktur ist zu marode, um ein größeres Wirtschaftswachstum tragen zu können. Besonders deutlich wurde das im Sommer 2013 beim größten Stromausfall der indischen Geschichte, als im Norden des Landes Hunderte Millionen Menschen tagelang ohne Elektrizität waren. Um mit Chinas Wachstumsraten glänzen zu können, müsste Indien seine Infrastruktur verbessern, denn Verkehrswege und Stromnetze sind bereits heute überlastet. Im Prinzip wäre die Finanzierung von Infrastrukturprojekten durch Auslandskapital denkbar, aber dafür müsste die indische Wirtschaft sich für Auslandsinvestitionen öffnen.

Doch auch Chinas glänzende Fassade hat Risse bekommen: die Wirtschaft wächst so langsam wie zuletzt Ende 1990, das Kreditvolumen hat erschreckende Ausmaße angenommen, die chinesischen Banken sind marode, das Wirtschaftswachstum ist deutlich geschrumpft. Zudem kämpft die Volksrepublik mit den Folgen der Ein-Kind-Politik. Das Land droht, über Nacht alt zu werden, und der fehlende demographische Unterbau gefährdet die nachhaltige Entwicklung des Landes.

Besonders im wirtschaftlichen Bereich haben sich Indien und China in den vergangenen Jahren jedoch auch als Partner schätzen gelernt: Die Volksrepublik ist zu einem der größten Wirtschaftspartner Indiens aufgestiegen. Der bilaterale Handel hat sich von 3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 auf 66,57 Milliarden US-Dollar im Jahr 2012 mehr als verzwanzigfacht.

Um weiter zu wachsen, sind China und Indien auf eines angewiesen: Energie. Bis 2035 wird Chinas Energiebedarf um 71 Prozent steigen, der indische sogar um 135 Prozent. Delhi wird Ressourcen im Wert von 700 Milliarden US-Dollar importieren müssen. Entsprechend intensiv bemühen sich beide Länder weltweit um Öl- und Gasquellen sowie um sichere Handelsrouten. Einen Teil dieses Weges gehen sie gemeinsam, beispielsweise im Sudan, um neue Ölfelder zu erschließen oder im Fall des Nathu-La-Passes zwischen dem indischen Bundesstaat Sikkim und der Region Tibet, um verwaiste Handelswege wiederzubeleben.

Politische Rivalität

Die indisch-chinesische Partnerschaft stößt jedoch an ihre Grenzen, unter anderem beim Thema Wasser. Streitpunkt sind Flüsse aus der Himalaja-Region, vor allem der Brahmaputra. Unter dem Namen Yarlung Tsangpo entspringt er im Hochland von Tibet. Sein Wasser ist unerlässlich für die Versorgung großer Teile Indiens und Bangladeschs. Doch auch in China sind die Wasservorkommen regional sehr ungleich verteilt. Daher hat China vor einigen Jahren begonnen, nordwestlich der Stadt Gyaca für umgerechnet 880 Millionen Euro den Zangmu-Staudamm zu errichten. Offiziell wird von chinesischer Seite zwar versichert, dass kein Wasser aus dem Fluss umgeleitet werde. Doch kursieren Gerüchte, wonach chinesische Ingenieure planen, Wasser aus Tibet in den von Dürre geplagten Norden Chinas umzuleiten. Indien fürchtet daher eine Verringerung der Wassermenge im Brahmaputra.

(© picture-alliance/AP, Pool Photo)

Auch im Bereich der Bündnispolitik tritt die Rivalität zwischen Indien und China offen zu Tage: Zuletzt hat China den Betrieb des neuen Tiefseehafens im pakistanischen Gwadar übernommen. Die Hafenstadt liegt strategisch günstig am Ausgang des Persischen Golfs, unweit der iranischen Grenze. Sie eröffnet dem chinesischen Wirtschaftsverkehr und seinen Energieimporten einen Überlandkorridor, mit dem im Vergleich zum Seetransport Tausende Kilometer gespart würden. Indien befürchtet, Gwadar könne zu einem chinesischen Marinestützpunkt werden, was die Regierung in Peking bislang jedoch bestreitet.

Das Hafenprojekt scheint indes Teil einer größeren Strategie Chinas in den Nachbarländern Indiens zu sein: Wie an einer Perlenkette aufgezogen, baut es sich Stützpunkte in der Region auf. Nicht nur in Pakistan, auch in Nepal, Bangladesch oder Myanmar (Burma) pflegen die Staatsführungen inzwischen bessere Beziehungen zu Peking als zu Delhi.

In Delhi jedenfalls ist man davon überzeugt, dass China Indien einkreisen und seinen Aufstieg ausbremsen will. Als Beispiel nennt Rajeswari Rajagopalan, Chinaexpertin am Delhier Forschungsinstitut Observer Research Foundation, Indiens Bemühungen um einen permanenten Sitz im Weltsicherheitsrat. China, seit Gründung der Vereinten Nationen ständiges Mitglied in diesem Gremium, blockiere mit seinem Vetorecht die indischen Pläne. Zwar habe sich Peking nie offen gegen einen Sitz Indiens ausgesprochen. "Aber China ist ohne Zweifel nicht begeistert von der Idee", sagt die Wissenschaftlerin. Rajagopalan hat in den Analysen der chinesischen Think-Tanks eine deutlich anti-indische Rhetorik ausgemacht und ist überzeugt, dass China mit allen Mitteln versucht, den Aufstieg Indiens zu verhindern.

Mitunter tritt die Volksrepublik außenpolitisch derart robust auf, dass nicht nur Indien mit Argwohn auf China blickt. Etliche Länder Asiens verfolgen Chinas Auftreten mit wachsendem Misstrauen, es kommt vermehrt zu Territorialstreitigkeiten mit Japan, Südkorea, Vietnam – oder auch Indien. Eine kriegerische Auseinandersetzung wie 1962 scheint zwar unwahrscheinlich, doch bleibt das Verhältnis der beiden asiatischen Großmächte geprägt von Misstrauen und Rivalität.

Während in Europa die Entwicklungen in Asien noch immer kaum reflektiert werden, haben die Vereinigten Staaten ihre strategischen Planungen in der Außenpolitik bereits umgestellt: Pivot to Asia (sinngemäß: Schwenk nach Asien) lautet die neue Politik. Man versucht, die zu Gunsten Chinas verschobenen Gleichgewichte auf dem asiatischen Kontinent durch ein stärkeres Indien auszubalancieren. Denn ob als Rivalen oder Partner, am Verhältnis zwischen Peking und Delhi wird sich in den kommenden Jahrzehnten vermutlich vieles entscheiden.

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Michael Radunski hat Geschichte, Politik und Sinologie in Berlin, Brighton und Peking studiert. Seit 2013 berichtet er für die Frankfurter Allgemeinen Zeitung und andere Medien aus Neu Delhi.