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Was ein Hardliner-Präsident für Irans Außenpolitik bedeutet | Iran | bpb.de

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Was ein Hardliner-Präsident für Irans Außenpolitik bedeutet

Azadeh Zamirirad

/ 6 Minuten zu lesen

Vor der Präsidentschaftswahl in Iran laufen Verhandlungen zum internationalen Atomabkommen. Es könnte eine Einigung geben, so die Iran-Expertin Azadeh Zamirirad. Im Interview spricht sie über Außenpolitik als Wahlkampfthema, was ein neuer Hardliner-Präsident bedeuten kann und warum die Wahlbeteiligung vermutlich gering sein wird.

Ebrahim Raisi, Irans Justiz-Chef, will der nächste Präsident Irans werden. Der Hardliner hat sich zuvor zur Atomvereinbarung bekannt - eine Wiederbelebung würde er kaum blockieren. (© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Mohammadreza Abbasi)

bpb.de: Am 18. Juni wählen die Iraner und Iranerinnen einen neuen Präsidenten. Im Vorfeld laufen parallel dazu internationale Bemühungen, das Atomabkommen mit Iran wiederzubeleben. Wird es bis zum 18. Juni eine Einigung geben?

Azadeh Zamirirad: Die internationalen Atomgespräche in Wien sind in jedem Fall vielversprechend. Es braucht zum einen eine Verständigung darüber, welche US-Sanktionen wieder ausgesetzt werden sollten. Zum anderen müssen die genauen Schritte festgelegt werden, die Teheran unternehmen muss, um das Atomprogramm technisch wieder runterzufahren.

Es ist durchaus denkbar, dass bis zu den iranischen Präsidentschaftswahlen am 18. Juni ein Durchbruch erzielt wird. Aber auch danach wäre noch etwas Zeit, um noch unter der jetzigen iranischen Regierung die notwendigen Weichen zu stellen, bevor sich ein neues Kabinett formiert. Das wäre schon aus logistischen Gründen von Vorteil. Und sicher wäre es erstrebenswert, wenn es bis zum 14. Juli zu einer öffentlichen Erklärung der Verhandlungsparteien kommt. Das Datum wäre symbolträchtig, weil es der sechste Jahrestag der Atomvereinbarung ist.

Internationales Abkommen zum iranischen Atomprogramm

Nach jahrelangen Verhandlungen wurde am 14. Juli 2015 das internationale Abkommen zum iranischen Atomprogramm beschlossen (der Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA). Iran sollte seine nuklearen Aktivitäten herunterfahren und kontrollieren lassen. Dafür hoben die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die USA schrittweise ihre Wirtschaftssanktionen auf. Im Mai 2018 stiegen die USA unter Präsident Donald Trump einseitig aus dem Abkommen aus und führten die Sanktionen wieder ein. In der Folge hielt sich auch Iran nicht mehr an die Beschränkungen des Abkommens. Unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden laufen seit April 2021 wieder Verhandlungen. Mehr Hintergründe bietet Interner Link: "Das internationale Atomabkommen: ein Erfolg mit Verfallsdatum" von 2020.

In Iran werden die Kandidaten für die Präsidentschaftswahl vom Wächterrat zugelassen, der über ihre ideologische Zuverlässigkeit entscheidet. Von rund 590 Bewerber und Bewerberinnen kamen sieben durch. Dabei wurden die moderaten Stimmen ausgeschlossen. Im Juni stehen vor allem Ultrakonservative und Hardliner zur Wahl. Wenn wir davon ausgehen, dass das Atomabkommen wiederbelebt wird, was bedeutet dann die sehr wahrscheinliche Wahl eines Hardliners?

Azadeh Zimirirad (© Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP))

Wenn es in den kommenden Wochen zu einem Durchbruch bei den internationalen Verhandlungen kommt, dann steht es gut um die Vereinbarung. Das hat vor allen Dingen damit zu tun, dass der iranische Präsident nicht alleine für die „Atomakte“ zuständig ist. Nuklearpolitische Fragen werden im Obersten Nationalen Sicherheitsrat diskutiert, in dem neben dem Präsidenten und Teilen seines Kabinetts unter anderem auch die Oberbefehlshaber der Revolutionsgarden und der regulären Streitkräfte vertreten sind. Die Letztentscheidungsgewalt liegt allerdings beim Revolutionsführer Ali Chamenei. Der Präsident hat also Einfluss auf die Entscheidungsfindung, kann aber nicht autonom handeln.

Chamenei hat bislang Interesse daran gezeigt, die Atomvereinbarung zu erhalten und grünes Licht für die Gespräche in Wien gegeben. Wenn sie erfolgreich sein sollten, hätte es ein neuer Präsident, auch ein außenpolitischer Hardliner, vermutlich schwer, von einer bereits erzielten Einigung gleich wieder abzuweichen. Wenn die Gespräche in Wien allerdings scheitern, sieht die Lage schon anders aus. Der politische Diskurs könnte sich in Iran schnell in eine andere Richtung entwickeln. Die Atomvereinbarung steht im Land ja schon lange in der Kritik.

Präsident

In Iran ist der Präsident zugleich auch Regierungschef und steht dem Kabinett vor. Er schlägt die Minister für seine Regierung vor, die vom Parlament gebilligt werden müssen. Mehr Hintergründe bietet Interner Link: "Machtkonstante Theokratie: Iran nach 1979".

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Der aussichtsreichste Kandidat ist Ebrahim Raisi, der aktuelle Chef der Justiz. Er vertritt das Lager der Hardliner. Was würde seine Wahl zum Präsidenten für die Außenpolitik bedeuten?

Raisi ist sicher der aussichtsreichste Kandidat, das stimmt. Für viele in Iran gilt er längst als gesetzt. Er hat die besten Chancen auf einen Sieg, weil alle potenziellen Rivalen von den Wahlen ausgeschlossen worden sind, zum Beispiel der ehemalige Parlamentspräsident Ali Laridschani. Unter den verbliebenen Kandidaten des konservativen Lagers hat Raisi die größte Zugkraft, politische Gegengewichte gibt es nicht wirklich.

Außenpolitisch hat er sich schon bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2017 zur Atomvereinbarung bekannt. Es ist unwahrscheinlich, dass er versuchen wird, die Einigung wieder über Bord zu werfen, wenn die Gespräche in Wien erfolgreich sein sollten. Aber ein Sieg Raisis wäre vor allem innenpolitisch folgenreich. Er würde damit seine Chancen deutlich erhöhen, in die Fußstapfen von Revolutionsführer Chamenei zu treten. Die Nachfolgefrage ist in Iran längst ein Thema, das auch öffentlich diskutiert wird. Chamenei ist 82 Jahre alt und über seinen Gesundheitszustand wird immer wieder spekuliert. Raisi wäre als Präsident in einer sehr guten Ausgangsposition, um das Amt des Revolutionsführers zu übernehmen. Und das ist deutlich wirkungsmächtiger als das des Präsidenten. Darin liegt das eigentliche Potenzial seiner Kandidatur.

Die Aussicht dürfte für viele im Land ein Schreckensszenario sein, wenn man bedenkt, dass Raisi als einer der Hauptverantwortlichen für die Massenhinrichtungen von politischen Gefangenen Ende der 1980er Jahre gilt.

Iran hat in den vergangenen Jahren seinen Einfluss im Nahen und Mittleren Osten erheblich ausgebaut. Damit will das Land auch seine Macht gegenüber Rivalen wie Saudi-Arabien stärken, was zu erheblichen Spannungen in der Region führt. Gibt es derzeit Bewegung zwischen den beiden Staaten?

Es gibt erstmals seit Jahren überhaupt wieder Anzeichen für eine Entspannung zwischen Saudi-Arabien und Iran. Iranische und saudische Offizielle sollen sich zu vertraulichen Gesprächen im Irak getroffen haben. Dabei soll es vor allem um den Konflikt im Jemen gegangen sein, in dem Teheran und Riad unterschiedliche Seiten unterstützen.

Die Sicherheitslage am Persischen Golf hat sich in den letzten zwei Jahren deutlich verschlechtert. Die volatile Lage hat dazu beigetragen, dass viele Regionalakteure zu dem Schluss gekommen sind, über kurz oder lang auf eine direkte Konfrontation zuzusteuern, die keine Seite wirklich will. Das macht sich auch dadurch bemerkbar, dass wieder vermehrt über Möglichkeiten für regionale Kooperation diskutiert wird. Es gibt heute einfach eine größere Dringlichkeit für Deeskalation.

Letztlich stehen die Staaten am Persischen Golf vor der Entscheidung, ob sie sich ernsthaft auf eine graduelle Entspannungspolitik einlassen wollen, vielleicht auch als Teil einer größeren regionalen Debatte, auch wenn diese Jahre dauern kann. Oder ob sie weiter auf einer Abwärtsspirale bleiben wollen, mit dem ständigen Risiko einer militärischen Eskalation.

Milizen

Iran hat in den vergangenen Jahren ein regionales Netzwerk an Milizen aufgebaut, das es militärisch, personell und finanziell unterstützt. Dazu gehören die Hisbollah im Libanon, die Hamas im Gazastreifen oder auch schiitische Milizen im Irak. Iran unterstützt ebenso das Assad-Regime in Syrien und Rebellengruppen im Jemen. Mehr Hintergründe bietet Interner Link: "Regionalmacht Iran: Interessen, Mittel und Verbündete".

Für Irans Regionalpolitik spielen die Revolutionsgarden eine wichtige Rolle. Diese Art zweite Armee im Land untersteht direkt dem Revolutionsführer. Außenminister Mohammed Dschawad Sarif hatte in einem Gespräch den wachsenden Einfluss der Garden kritisiert. Seine Aussagen wurden geleakt und Sarif heftig kritisiert. Was bedeutet die Wahl für die Revolutionsgarden?

Die Revolutionsgarden haben in den letzten 15 Jahren deutlich an Gewicht gewonnen, unter anderem in der Wirtschaftssphäre, aber auch politisch. Zuletzt hat vor allem ihre Geheimdienstorganisation ihre Machtstellung ausweiten können. In diesem Jahr haben wir gesehen, dass sich ungewöhnlich viele Personen mit militärischem Hintergrund als Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen registriert haben. Die meisten wurden vom Wächterrat abgelehnt. Zugelassen wurde aber erneut Mohsen Resai, ehemaliger General der Revolutionsgarden, der schon mehrfach bei Wahlen angetreten ist. Der Sieg eines Gardisten würde sicherlich den Anspruch zementieren, politisch eine Rolle zu spielen.

Aber auch die Revolutionsgarden sind kein homogener Block. Unter ihnen gibt es nicht nur Hardliner, sondern auch Anhänger der Reformer. Resai selbst kann in vielen Bereichen als Hardliner gelten. Gleichzeitig hat er sich in außenpolitischen Fragen immer wieder recht pragmatisch gezeigt. Er unterstützt beispielsweise grundsätzlich einen Atomkompromiss und hat sich für eine Entspannungspolitik mit den USA ausgesprochen.

Schauen wir auf die Wähler und Wählerinnen. Sie stimmen über einen neuen Präsidenten ab. Wie wichtig sind außenpolitischen Themen für sie?

Wie in den meisten Staaten ist Außenpolitik im Wahlkampf weniger wichtig. Den meisten Leuten geht es um ihre wirtschaftliche Situation, um ganz alltägliche Fragen danach, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten und ihre Familie versorgen können. Die Wut über die wirtschaftliche Lage in Iran, gerade der unteren Einkommensschichten, war in den letzten Jahren ja deutlich zu sehen. Innerhalb kurzer Zeit gab es gleich zwei landesweite Massenproteste.

Aber die Probleme gehen über Wirtschaftsfragen natürlich weit hinaus. Die Regierung unter Hassan Rohani hat hohe Erwartungen geweckt, auch nach politischer Liberalisierung. Passiert ist so gut wie nichts. Persönliche Freiheiten bleiben weiter deutlich eingeschränkt, und wir haben die gewaltsamste Niederschlagung von Protesten der letzten Jahrzehnte gesehen.

Viele werden in diesem Jahr gar nicht erst wählen gehen. Wir werden vermutlich die niedrigste Wahlbeteiligung bei Präsidentschaftswahlen in der Geschichte der Islamischen Republik erleben. Überall hört man Rufe nach einem Wahlboykott. Die hat es auch früher schon gegeben. Aber nach all den Rückschlägen gerade der letzten Jahre und nun auch noch der Auswahl der Kandidaten, die in diesem Jahr selbst gemessen an den bisherigen Standards der Islamischen Republik extrem limitiert ist, ist mit keiner hohen Beteiligung mehr zu rechnen. Für viele Iranerinnen und Iraner haben Wahlen als Mittel für politischen Wandel längst ausgedient.

Wächterrat und die Auswahl der Kandidaten

Am 25. Mai 2021 veröffentlichte der Wächterrat die Auswahl der Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen in Iran. Es gab reichlich Kritik an der Entscheidung. Revolutionsführer Ali Chamenei stellte sich zunächst hinter den Wächterrat. Doch am 4. Juni 2021 kritisierte auch er die Auswahl. Der Wächterrat will die Auswahl überprüfen. Doch bislang ist das Ergebnis nicht revidiert worden.

Das Interview führte Sonja Ernst am 27. Mai 2021.

Weitere Inhalte

Die Politikwissenschaftlerin und Iran-Analystin Dr. Azadeh Zamirirad ist stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe "Afrika und Mittlerer Osten" bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.